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Davon haben wir nichts gewußt

Susanne Falk

Peter Longerich: „Davon haben wir nichts gewusst!" Die Deutschen und die Judenverfolgung 1933 – 1945
München: Siedler Verlag 2006.
400 Seiten, Euro 24,95.-
ISBN-10: 3886808432
ISBN-13: 9783886808434

Was haben die Deutschen gewusst? Oder besser: Was wollten sie wissen? Die von Peter Longerich, Professor für moderne deutsche Geschichte an der Universität London, 2006 vorgelegte wissenschaftliche Analyse zum Wissen der Deutschen über die Judenverfolgung zwischen 1933 und 1945 geht mit Hilfe einer groß angelegten Quellenstudie ebendiesen Fragen nach und kommt dabei zu weniger überraschenden Erkenntnissen als vielmehr zu exzellenten Forschungsergebnissen. Longerich wertet dabei zunächst umfassend seiner Forschung vorausgegangene Studien aus und bezieht sie teilweise in seine eigenen Überlegungen mit ein, so z. B. die Studien Otto Dov Kulkas und Eberhard Jäckels. Ziel ist die Erforschung des Wissens der Deutschen über den Holocaust während des Nationalsozialismus, basierend auf Erkenntnissen über den Einsatz von Informationen über die „Judenfrage" in der NS-Propaganda. Dabei wertete Longerich unter anderem die offiziellen Stimmungsberichte des Regimes aus, die, so Longerich, die Meinung einer „künstlich hergestellten Öffentlichkeit unter den Bedingungen der Diktatur" wiedergaben. Ergebnis: In intensiven Phasen der antisemitischen Propaganda war der Staat durchaus daran interessiert, die Deutschen mit gezielten Informationen zur so genannten „Endlösung" zu informieren, um sie damit auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören. Doch je wahrscheinlicher die Niederlage der Deutschen im Zweiten Weltkrieg wurde, „desto größer war das Bedürfnis, sich dem Wissen über das offensichtlich vor sich gehende Verbrechen zu entziehen und sich in ostentative Ahnungslosigkeit zu flüchten".

Damit erklärt Longerich auch den heutigen Umgang weiter Teile der deutschen (und österreichischen) Bevölkerung mit der eigenen Vergangenheit: Die Aussage „Davon haben wir gewusst!" weist darauf hin, dass unter dem NS-Regime die Meinung eines Einzelnen nicht von Bedeutung war, sondern sich jeder nur als Teil eines großen Ganzen empfinden sollte. In der Folge tritt die individuelle Schuldfrage hinter der Aussage einer vermeintlichen kollektiven Unschuld zurück. Die andere Seite ist Verdrängung, Verharmlosung und Wegweisung der Schuld vor dem Hintergrund eines gezielten „Nicht-wissen-Wollens" der Deutschen, denn: Wer nichts gewusst habe, so die vorherrschende Meinung damals, der könne hinterher auch nicht belangt werden.

Das Buch verfügt über einen umfangreichen Quellenapparat und ist klar und deutlich strukturiert. Longerichs Bemühungen um eine umfangreiche Auswertung von Originaldokumenten und -aussagen der Bevölkerung macht sich in Form eines hohen Informationswertes bezahlt. Zwar liegt mit diesem Werk kein leichter, weil im wissenschaftlichen Fachjargon gehaltener Lesestoff vor, jedoch wird dieses Werk in Fachkreisen wie bei einer interessierten, außerfachlichen Leserschaft auf breite Zustimmung stoßen.

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