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Expeditionen ins dunkelste Wien

Thomas PANKRATZ

Max Winter: Expeditionen ins dunkelste Wien. Meisterwerke der Sozialreportage
Herausgegeben von Hannes Haas
Wien: Picus-Verlag 2006
282 Seiten, Euro 19,90.-
ISBN-10:3-85452-493-5.

Mehr als 1.500 Reportagen hat der Wiener Journalist Max Winter (1870-1937) von seinem Eintritt in die Arbeiter Zeitung 1885 bis zum Verbot der Zeitung 1934 verfasst. Hannes Haas, Professor am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaften der Universität Wien, hat in „Max Winter, Expeditionen ins dunkelste Wien. Meisterwerke der Sozialreportage", siebzehn Reportagen bzw. Reportageserien dieses lange vergessenen Wiener Journalisten ausgewählt und zusammengestellt. Diese Auswahl aus dem Gesamtwerk Winters hat, so Haas, das Ziel, Max Winters Schaffen in Thematisierung, Recherche und Umsetzung typischer Arbeiten, wieder einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Max Winters Schaffen zeichnet sich generell durch eine überaus breite Vielfalt unterschiedlicher Genres aus. Neben seinen Reportagen schrieb er Gedichte, Märchen, Bühnenstücke sowie einen utopischen Roman („Die lebende Mumie. Ein Zukunftsroman aus dem Jahr 2025"). Bekannt wurde Winter jedoch durch seine Sozialreportagen, die als Vorbilder, Vorläufer und Quellen der modernen Stadt- und Alltagsgeschichtsforschung gesehen werden können. Diese Reportagen sind eine erschütternde Antipode zum nach wie vor verklärten, sehnsüchtigen und sentimentalen, offiziellen Bild der Habsburgermonarchie.

Winters Credo war die Aufdeckung und Aufklärung von Ungleichheit, Ausbeutung und Unterdrückung. Sein Ziel war es Missstände aufzuzeigen, (Un)Verantwortliche mit Namen zu nennen, öffentliches Gewissen aufzurütteln und letztlich Veränderungen und Verbesserungen für die Menschen zu erzielen, wenn nötig, auch zu erzwingen. Kennzeichnend bei seinen Reportagen des Alltagslebens insbesondere des Wiener Proletariats, aber auch des Lebens in der Donaumonarchie allgemein und darüber hinaus, sind seine Vor-Ort-Recherchen, bei denen er selbst Teil der Welt der Ausgestoßenen und Unterdrückten wird. Seinem Motto „Überall eindringen" kann er nur durch unkonventionelle Recherchen vor Ort („Die Redaktion ist nur Papier, das Leben ist draußen…"), der Verkleidung, des Identitäts- und Namenwechsels sowie der souveränen Anwendung des Rollenwechsels gerecht werden. Er „wird" Obdachloser, Statist in der Oper und Hilfsarbeiter im Burgtheater. Er erlebt eine Nacht im Polizeigefangenenhaus (und wird hierbei beinahe als Max Winter erkannt) und begleitet einen „Strotter" in die Wiener Kanalisation. Er beschreibt den Fischmarkt in Triest, eine Besichtigung eines Fischereibetriebes des Fürsten Schwarzenberg, den Arlberg im Schnee. Oftmals sind seine Reportagen in Dialogform im typischen Wiener Dialekt der damaligen Zeit geschrieben (ein Glossar am Ende des Buches hilft dem Leser bei der „Übersetzung"). Winter untermauert seine Eindrücke und Erlebnisse durch detaillierte wissenschaftliche Erkenntnisse, Statistiken, Berichte und Aktenmaterial.

Durch seine methodisch vielfältige und akribische Vorgangsweise hat er zweifellos Standards in essentiellen Kategorien des Qualitätsjournalismus gesetzt: Themenauswahl, Recherche und Präsentation. Seine journalistischen Arbeiten bezeichnet er als „Studien", „Inspektionsreisen", „Untersuchungen" oder „Expeditionen".

Die vorliegende Auswahl von verschiedenen Expeditionen Winters bringt durch die Nähe am Geschehen Spannung, bezieht den Leser ein und gibt die Gelegenheit zu Identifikation mit dem „Wallraff der Donaumonarchie". Sie zeigt Beispiele eines unvergleichlichen literarischen Qualitätsjournalismus mit sozialem Anspruch. Der Herausgeber Hannes Haas bringt es letztlich auf den Punkt: „Qualität braucht Vorbilder und der Journalismus ein Gedächtnis. Hier ist beides!".

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