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Schevet Jehuda

Nathanael Riemer

Salomo Ibn Verga: Schevet Jehuda. Ein Buch über das Leiden des jüdischen Volkes im Exil. Hrsg., eingel. und mit einem Nachwort zur Geschichtsdeutung Salomo Ibn Vergas versehen von Sina Rauschenbach.
Berlin: Parerga Verlag 2006.
266 Seiten, EUR 28,80
ISBN 3-937262-34-2

Die vorliegende Ausgabe des zu Beginn des 16. Jh. entstandenen Werkes „Schevet Jehuda" ist die deutsche Übersetzung der 1856 erschienenen deutsch-hebräischen Edition Meir Wieners. Der „Klassiker der jüdischen Kultur der Renaissance" (S. 7), welcher in der Reihe „Jüdische Geistesgeschichte" von Christoph Schulte erschien, wurde von Salomo Ibn Verga als eine der ersten profanen Historiographien des Judentums verfasst und nach seinem Tode von dessen Sohn Joseph Ibn Verga fortgeführt.

Das Leben und Werk von Salomo Ibn Verga ist maßgeblich von der Vertreibung der Juden aus Spanien (1492) bestimmt: Der Autor führte 1489 die Verhandlung über den Freikauf der jüdischen Gefangenen aus den Händen der katholischen Könige; 1492 floh er selbst nach Portugal und wurde 1497 gezwungen, zum Christentum überzutreten. Als 1506 den getauften Juden die Auswanderung erlaubt wurde, machte er sich auf den Weg ins Osmanische Reich, verstarb jedoch noch zu Beginn seiner Reise in Flandern.

Von diesen Erfahrungen gezeichnet setzt Verga sich in der von der Antike bis in seine Gegenwart reichenden Geschichtsdarstellung mit den Gründen auseinander, warum das jüdische Volk in besonderer Weise Unterdrückungen, Pogromen und Vertreibungen ausgesetzt ist. Damit präsentiert sich sein Blick auf die Geschichte des Judentums zunächst als eine Leidensgeschichte. In loser Folge reiht er neben Erzählungen und Berichten von historisch gesicherten Verfolgungen auch Legenden, Parabeln und Zitate aneinander, welche er sowohl jüdischen als auch nichtjüdischen Quellen entnimmt.

In ihrem kenntnisreich verfassten Nachwort arbeitet Rauschenbach die Strukturen der historischen Sichtweise Ibn Vergas und die Besonderheit seines Werkes heraus. Er ist der erste jüdische Autor eines historiographischen Werkes, der die Geschichte Israels nicht in den heilsgeschichtlichen Kontext der jüdischen Tradition einbindet, sondern nach der „natürlichen Ursache" (siba tivit, §7, S. 23) für den „Fall Jehudas" (Jes. 3,8, S. 13) und dem „Haß der Völker" (S. 241ff.) sucht. „Eine Antwort findet Ibn Verga in Religionshaß, Neid und Eifersucht, die im Menschen der Vernunft gegenüberstehen und gewaltige Zerstörungspotentiale in sich bergen, wenn sie außer Kontrolle geraten." (S. 242) Der Blick des Autors erfasst jedoch nicht nur die Unvernunft des menschlichen Handelns in der christlichen Mehrheitsgesellschaft, sondern zeigt immer wieder überwiegend rational argumentierende Eliten auf, welche ihre jüdischen Untertanen vor dem Mob zu schützen versuchen. Rauschenbach betont darüber hinaus die kritische Analyse Ibn Vergas in Bezug auf die eigene Gruppe: Der äußere wie auch der innere geistige „Fall Jehudas" sind nicht nur auf die Leiden der Verfolgungen zurückzuführen – Unvernunft und moralisch-ethische Unverantwortlichkeit finden sich ebenfalls bei einzelnen Gliedern der Gemeinschaft Israels, welche durch ihr Handeln wesentlichen Anteil am kollektiven Niedergang haben und lebensbedrohliche Situationen entstehen lassen.

Einzigartig ist auch die Erörterung der Frage nach der „Wahrheit der Religionen" (S. 245ff.). Unter anderem anhand der bekannten Ringparabel (§32, S. 101f.) und den Argumenten in geschilderten Religionsgesprächen zeigt die Herausgeberin, dass die Figuren Ibn Vergas von der Wahrheit ihres Glaubens überzeugt sind und einigen die Subjektivität ihrer Wahrheit durchaus bewusst ist, welche für die jeweils andere Gruppe keine Gültigkeit besitzt. Propagiert der Autor in seinem Werk „für ein Loslassen von allen Wahrheitsfragen in religiösen Zusammenhängen" und „für ein vernunftbestimmtes Handeln von Juden und Christen im täglichen Umgang miteinander" (S. 248), so wird der Leser dazu neigen, den Beginn der jüdischen Neuzeit nun endgültig von der westeuropäischen Sichtweise Graetz´s und Dubnows zu lösen und in das 15./16. Jh. zu verlegen.

Unter der Überschrift „Nachklänge" (S. 249) schließt Rauschenbach auf wenigen Seiten eine Forschungslücke und skizziert die Rezeption von Schevet Jehuda in der christlichen Umwelt. Während Johann Jakob Schudt in seinen „Jüdischen Merckwürdigkeiten" das Werk für seine antijüdische Argumentation nutzte, entdeckte der niederländische Orientalist Georg Genz dessen politische Brisanz. Durch drei Ausgaben versuchte er die Eliten der Stadt Hamburg auf die leidvolle Geschichte der Juden hinzuweisen, um so ein Umdenken in der antijüdischen Politik der Stadt zu erreichen.

Neben einem nützlichen Register enthält der Band eine nach Sprachen getrennte Auflistung der Ausgaben des Werkes sowie eine Auswahl der Forschungsliteratur, welche die aktuelle hebräischsprachige Forschungsliteratur berücksichtigt.

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