Henryk M. Broder: Hurra, wir
kapitulieren!
Von der Lust am Einknicken.
Berlin: Wolf Jobst Siedler jr. Verlag 2006.
167 Seiten. Euro 16,50
ISBN 3-937989-21-8
„Hurra, wir kapitulieren!" handelt
von der Reaktion Europas auf den islamistischen
Fundamentalismus und sowohl der Titel als auch der
Untertitel „Von der Lust am Einknicken" drücken das
Resümee des in Berlin lebenden Journalisten Henryk
Broder aus, der unseren Gesellschaften ein
unangemessenes Entgegenkommen gegenüber diesen Tendenzen
vorwirft. Der Autor präsentiert eine Fülle von Fakten,
die seinen Befund abstützen sollen. Breiten Raum nehmen
dabei die Auseinandersetzungen um den bekannten
dänischen Karikaturenstreit ein. Wie immer man zu einer
karikaturistischen Darstellung des Propheten Mohammed
stehen mag – Tatsache ist, dass der Konflikt dadurch
eskaliert wurde, dass dänische Imame bei ihrer von der
ägyptischen Regierung gesponserten Informationsreise
durch diverse islamische Länder nicht nur die zwölf
Mohammed-Karikaturen von „Jyllands Posten"
herumgereicht, sondern drei Fälschungen hinzugefügt
haben, die dort nicht erschienen sind, aber den Eindruck
erwecken sollten, als wäre das der Fall gewesen. (Eine
zeigt den Propheten Mohammed als pädophilen Teufel, die
andere mit Schweineohren und die dritte stellt den
Propheten beim Sex mit einem Hund dar.) Die Folgen sind
bekannt: Eine Gewaltwelle mit Dutzenden Todesopfern und
in Europa hat es mehr oder weniger einen Konsens darüber
gegeben: Das war nicht gut. Damit war weniger die
fundamentalistische Gewalt gemeint als die
Veröffentlichung der Karikaturen. Der multinationale
Konzern Nestle hat sofort eine Erklärung herausgegeben,
dass in Nestle-Produkten keinerlei Zutaten aus Dänemark
enthalten sind. In vielen Supermärkten wurde dänische
Butter aus den Regalen genommen und Broder fügt noch
eine Menge von weiteren Beispielen hinzu.
Den Islam nicht nur als Religion,
sondern als politische Ideologie und Herrschaftssystem
zu verstehen, ist Kernbestandteil von islamistischem
Denken. Eine historische Entwicklung, die das Fundament
für individuelle Menschenrechte geschaffen hat, hat in
der islamischen Zivilisation kaum stattgefunden. Der
einzelne ist Teil der islamischen Umma, der
weltumspannenden Gemeinschaft der Gläubigen und geht in
ihr auf.
Im Westen hat es eine lange
Entwicklung der Menschenrechte gegeben, beginnend vom
Denken der Aufklärung über die Deklaration der
Menschenrechte durch die Nationalversammlung der
Französischen Revolution bis hin zur Allgemeinen
Erklärung der Menschenrechte durch die
Generalversammlung der Vereinten Nationen vom
10.Dezember 1948.
In einer Vielzahl islamischer Länder
besteht ein gewisses Demokratiedefizit. Und was das
aktuelle Problem mit dem Islamismus verschärft: Den
Westen haben diese Menschen, das muss selbstkritisch
festgestellt werden, vielfach nur in Form des
Kolonialismus kennengelernt. In das Vakuum der
mangelnden demokratischen Legitimierung von staatlicher
Herrschaft dringt nun der islamistische Fundamentalismus
ein.
Die Durchsetzung von Menschenrechten
und Demokratie hat sich seit der Aufklärung
streckenweise auch im Ringen mit der Religion (im Westen
mit dem Christentum) vollzogen, hat aber generell dazu
geführt, dass das Modell der Trennung von Staat und
Kirche vorherrscht und sich die großen christlichen
Kirchen dieser Entwicklung anpassten. Auch religiöse
Menschen haben sich säkularisiert.
Der Islam stellt in einigen
europäischen Ländern die zweitstärkste
Religionsgemeinschaft; damit sind dessen
fundamentalistische Strömungen hier ebenso präsent.
Migranten und Migrantinnen müssen integriert werden,
aber als Menschen und als Individuen, die das Recht auf
Religionsfreiheit und Ausübung ihrer Religion in
Anspruch nehmen können. Da es in der islamischen
Zivilisation ein unterentwickeltes Bewusstsein von den
individuellen Menschenrechten gibt, wird sich der
einzelne - je strenggläubiger er ist – vor allem als
Bestandteil der Umma (Gemeinschaft aller islamischen
Gläubigen) sehen und die Integration als Muslim und
nicht als Individuum fordern. Und hier liegt das Problem
und der durch eine noch so harmonistische Sichtweise
nicht wegzuleugnende Konflikt mit dem Islamismus.
Menschenrechte haben säkulare Wurzeln und können nur vom
Staat und nicht von der Religion garantiert werden. Aber
dort, wo eine Religion und nicht staatliche Gesetze die
Integrationsregeln vorgeben würde, wäre nicht nur die
Rechtsordnung durchlöchert, sondern mit der Gewährung
von religiösen Sonderrechten auch ein historischer
Rückfall hinter die Entwicklung seit der Aufklärung
gegeben.
Dieses Spannungsfeld bietet den Stoff
für Broders Streitschrift. Es ist kein Buch über
islamistischen Fundamentalismus (wer sich darüber
informieren will, dem seien die Publikationen des
Sozialwissenschaftlers Bassam Tibi empfohlen: Der neue
Totalitarismus – Die fundamentalistische Herausforderung
– Fundamentalismus im Iran – Die islamische
Herausforderung), sondern nur die Kritik an einer
Variante der Reaktion darauf. Die „Lust am Einknicken"
ortet Broder überall am alten Kontinent. Er bringt ein
Beispiel aus Holland, wo ein Professor seine
Lehrveranstaltung beenden musste, weil er sich mit
islamistischem Antisemitismus auseinandergesetzt hatte
und berichtet über Auswüchse in Frankreich und Schweden.
In Deutschland machte eine türkischstämmige Soziologin
auf die Gefahren des islamistischen Fundamentalismus
aufmerksam und handelte sich dadurch prompt den Protest
von 30 deutschen MigrationsforscherInnen ein, die
beleidigt reagierten und meinten, man solle lieber deren
Expertenwissen vertrauen. Wie es überhaupt auffällig
ist, dass Opfer des Fundamentalismus wie die Somalin
Hirsi Ali oder moderate Muslime als kritische Stimmen
nicht selten unerwünscht sind, weil sich andere
beleidigt fühlen könnten, die man lieber nicht reizen
will.
Israel bildet ein zentrales und
konstitutives Feindbild des Islamismus und daher
überraschen auch die entsprechenden Stimmungsströmungen
im europäischen Mainstream kaum.
Während die einen - neben verbalen
Konzessionen an das Existenzrecht Israels - selbst
dieses Feindbild pflegen und der amerikanischen und
israelischen Politik die Schuld am Erstarken des
Islamismus zuweisen, nähren andere die Illusion, dass
nach einer Lösung des Nahostkonflikts der islamistische
Fundamentalismus gleichsam verschwinden werde.
Aus diesen Quellen speisen sich auch
die Haltungen jener Politiker, die – kaum hatte die
Hamas die Regierungsmacht in der palästinensischen
Autonomiebehörde errungen - nicht müde werden zu
erklären, wie wichtig es sei, die Hamas anzuerkennen
oder ihr gar kräftig unter die Arme zu greifen. Auch das
belegt Broder mit einer Vielzahl an Beispielen. Dass
ausgerechnet zwei österreichische EU-Abgeordnete mit
ihrem Besuch beim
Hamas-Ministerpräsidenten in Ramallah
den Bann brechen werden, hat Henryk Broder bei der
Abfassung des Textes noch nicht geahnt.
Manchmal überzieht Broder mit seiner
Lust an Pointen; wenn er etwa schreibt, der Unterschied
zwischen Islam und Islamismus sei so wie der zwischen
Alkohol und Alkoholismus. Nun ist die islamische Kultur
eine absolut alkoholabstinente und daher erhebt sich die
Frage, ob dieser Vergleich notwendig ist und ob nicht
damit jenen, die Broder Islamophobie unterstellen
wollen, leichtfertig ein Angriffspunkt gegeben wird.
Aber alles in allem hat „Hurra, wir
kapitulieren!" seine Funktion erfüllt. Das Buch ist zum
Wachrütteln gedacht und die Aufmerksamkeit und
beachtliche Verbreitung, die es gefunden hat, werden
künftige Sichtweisen seiner Leserinnen und Leser nicht
unberührt lassen.