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Flucht aus Österreich

Sabine Mayr

Flucht aus Österreich und Neubeginn in Palästina
Angelika Hagen und Joanna Nittenberg (Hg.): Flucht in die Freiheit. Österreichische Juden in Palästina und Israel.
Wien: Edition Illustrierte Neue Welt (INW) 2006.
Geb. Ausgabe, 647 Seiten, 49 Abbildungen, Euro 35,-
ISBN: 3-9500356-4-8

Über Jahrhunderte zwang antisemitische Verfolgung Jüdinnen und Juden in vielen Gegenden Europas zur Flucht und traditionell antisemitisch war auch der katholisch-konservative „christliche Ständestaat". Österreich stilisierte sich damals als das bessere Deutschland und wenn Menschen jüdischer Herkunft auch nicht regierungsoffiziell verfolgt wurden, so wurden sie dennoch benachteiligt wie alle Nicht-KatholikInnen, erklärt Anton Pelinka in der Darstellung der Auswanderung österreichischer Jüdinnen und Juden nach Palästina vor 1938. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Hinweis, dass der „Freiheitsbund", der „Wehrverband" der Christlichen Gewerkschaft, etwa zwecks „Weiterführung ihres Kampfes gegen das Judentum" vom deutschen Gesandten Franz von Papen finanziert wurde. Zionistische Organisationen reagierten auf den punktuell hervorbrechenden Antisemitismus mit dem Aufruf zur Auswanderung nach Palästina, während SozialdemokratInnen und KommunistInnen die Sowjetunion, Spanien oder Westeuropa als Exil bevorzugten. Dennoch war unter den österreichischen AuswandererInnen in Palästina eine gewisse Sympathie für die „Österreich-Ideologie" des Ständestaates zu beobachten, die Pelinka darauf zurückführt, dass die Betonung der kulturellen Differenz zwischen Österreich und Deutschland – konträr zu den historischen Gegebenheiten und den Erfahrungen in Österreich im Jahr 1938 – eine verstärkte Abwehrhaltung gegen Hitler-Deutschland ermöglichte.

Die Erfahrung der Verfolgung und Vertreibung österreichischer Juden, die sich nach Palästina retten konnten, und ihre Erlebnisse im Fluchtland sind die zentralen Themen des 2006 in der Edition INW herausgegebenen Bandes „Flucht in die Freiheit", der ein von Moshe Hans Jahoda, dem Leiter der Claims Conference in Österreich, initiiertes Forschungsprojekt zusammenfasst. Im ersten Teil des Bandes, der auf die Flucht aus Österreich fokussiert, erläutert Doron Rabinovici im Detail die institutionellen Rahmenbedingungen der Organisation von Flucht und Rettung österreichischer Jüdinnen und Juden, insbesondere die Neuorganisation und Instrumentalisierung der Kultusgemeinde durch Adolf Eichmann, die aus der Wiener IKG einen Prototyp jüdischer Administration unter nationalsozialistischer Herrschaft und ein Vorlaufmodell für die späteren „Judenräte" machte. Im Beitrag über die Besonderheiten der Migration österreichischer Jüdinnen und Juden nach Palästina von 1934 bis 1948 stellt Brigitte Halbmayr fest, dass für die deutschen und die in der Regel mittellosen österreichischen Jüdinnen und Juden, die während der Fünften Alijah, der so genannten Deutschen Alijah, einwanderten, Palästina meist ein beliebiges, wenn nicht sogar aufgezwungenes Fluchtland war, in dem der Großteil der Flüchtlinge materielle und seelische Not litten. Für alle Alters- oder Berufsgruppen, für Anhänger religiöser Gemeinschaften ebenso wie für politisch Interessierte brachte die Auswanderung nach Palästina, die meist mit einer Traumatisierung einherging, eine Vielzahl von strukturellen Problemen mit sich. Zur Wahrnehmung einer begrenzten wirtschaftlichen und sozialen Aufnahmefähigkeit, da Arbeitsplätze in öffentlichen Institutionen bereits durch frühere Einwanderungswellen besetzt waren, in einem fremden Land, in dem eine nicht geläufige Sprache gesprochen wurde, kamen die Erinnerungen an in den Vernichtungslagern ermordete Angehörige, Heimweh nach dem Land, aus dem man vertrieben wurde, die Erfahrung der Unangemessenheit europäischer Wertvorstellungen, der Deklassierung und inneren Vereinsamung. Doch trotz der Startschwierigkeiten war der Beitrag österreichischer Jüdinnen und Juden am Aufbau des neuen Staates Israel bedeutend – Halbmayr verweist auf den Anwalt und Knesset-Abgeordneten Josef Lamm und die engagierte Sozialarbeiterin Anita Müller-Cohen, Leiterin des Hitachduth Olej Austria –, während in Österreich ab Herbst 1945 der Antisemitismus gegenüber jüdischen DPs wieder stärker wurde, RückkehrerInnen die Verabschiedung substanzloser Rückstellungsgesetze miterleben mussten und mit einer Front der Ablehnung zu kämpfen hatten. Nur politische Exilorganisationen drängten auf die Rückkehr österreichischer Jüdinnen und Juden, die von den beiden österreichischen Großparteien jedoch hintertrieben wurde.

Der zweite Teil des Bandes behandelt die jüdische Gemeinde in Palästina, die von der britischen Mandatsregierung abhängig war. Yechiam Weitz analysiert die tragische Ohnmacht und die Anstrengungen des Yishuv zur Rettung des europäischen Judentums. Ari Rath würdigt die vielseitigen Leistungen ehemaliger Österreicher in Israel, darunter Chaim Bar-Lev, Albert Mendler, Ehud Avriel, Asher Ben-Natan, Jitzchak Ben-Ari, David Ephrati, Judith Hübner, Reuven Dafni, Shalom Eshet und Eliseser Preminger. Ruhmreiche Taten von Betreibern illegaler Transporte und Leitern der Jugend-Alijah schildert Gabriele Anderl ausführlich in einer Serie von Einzelporträts. Der dritte Teil „Lebenswege" eröffnet anhand von Gesprächen mit Betroffenen berührende Einblicke in die persönlichen Erlebnissen von Vertreibung, Flucht und Neubeginn prominenter Persönlichkeiten wie Teddy Kollek, Moshe Hans Jahoda, Gideon Eckhaus, Lucian O. Meysels, Moshe Meisels, Gershon Shaked und vieler anderer. In den von den Herausgeberinnen Angelika Hagen und Joanna Nittenberg sowie von Roberta Breiter, Chana Bat Dov, Simone Dinah Hartmann und Gil Yaron geführten Gesprächen wird versucht, die Bedeutung einer österreichischen Identität einzufangen. Der beeindruckende Band schließt ab mit einer von Evelyn Adunka betreuten umfassenden und hervorragend recherchierten Darstellung von Kurzporträts ehemaliger ÖsterreicherInnen, in der das weite Spektrum der persönlichen Leistungen in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen eine Vielzahl von historischer Verbindungen zwischen Österreich und Israel dokumentiert.

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