Evelyn Ebrahim Nahooray
Jutta Rosenkranz: Mascha Kaleko
München: dtv 2007
299 Seiten, Euro 15.-
ISBN 978-3-423-24591-3
Eigentlich ist es erstaunlich, dass
bis jetzt nicht allzu viel über das Leben von Mascha
Kaléko geschrieben wurde. Dabei hat Mascha Kaléko
gewissermaßen für künftige Biographen vorgesorgt, indem
sie viele Briefe und Dokumente aufbewahrte. Aber sie hat
auch vieles von dem, das nicht an die Öffentlichkeit
gelangen sollte, vernichtet, vor allem Unterlagen, die
sich auf ihre Herkunft und ihre Familie bezogen oder
Briefe, die ihr als zu intim erschienen.
Mascha Kaléko wird 1907 als älteste
Tochter einer jüdischen Familie in Chrzanów, einer
kleinen Stadt in Westgalizien geboren. Sowohl dieses
Geburtsdatum - stattdessen wird von ihr 1912 als
Geburtsjahr angeben - wie auch den Geburtsort, - die
galizianische Herkunft sah sie als Makel an-, wird sie
später verschweigen. Wenn sie über ihre Kindheit gefragt
wird, verweist sie auf ihre Gedichte, die oft
autobiographisch sind.
Mit Beginn des 1.Weltkriegs flüchten
die Eltern mit ihr und der jüngeren Schwester nach
Deutschland, wo sie sich nach zwei Jahren in Frankfurt
und zwei weiteren Jahren in Marburg, schließlich in
Berlin niederlassen.
Nach Schulabschluss macht Mascha
Kaléko eine Bürolehre im „Arbeiter-Fürsorgeamt der
jüdischen Organisationen Deutschlands". Wenn sie auch
diese Arbeit sichtlich nicht mit großer Begeisterung
macht, so wird ihr dadurch doch ein selbstständiges
Leben ermöglicht. Daneben schreibt sie Gedichte, die oft
dieses Leben junger berufstätiger Frauen – damals ein
neues Phänomen- beschreiben. 1928 heiratet sie Saul
Kaléko; er ist Redakteur für die Jüdische Rundschau
und Hebräischlehrer. Mascha Kalékos Gedichte erscheinen
bald regelmäßig in renommierten Tageszeitungen, sie hat
Erfolg und sie gewinnt Anschluss an die Berliner
Literaturszene. Später wird sie diese Zeit die „wenigen
leuchtenden Jahre vor der großen Verdunklung„ nennen.
Im Jänner 1933 erscheint im
Rowohlt-Verlag das erstes Buch von Mascha Kaléko, eine
Sammlung von Gedichten mit dem Titel: Das Lyrische
Stenogrammheft, das großen Anklang findet. Ein Jahr
später kann der Verlag noch unter dem Titel Kleines
Lesebuch für Große Gereimtes und Ungereimtes einen
weiteren Band von Mascha Kaléko, der neben Gedichten
auch Kurzgeschichten enthält, herausbringen. Die beiden
Bücher werden nicht nur viel verkauft, sondern auch von
den Kritikern durchwegs sehr gut aufgenommen, so
vergleicht Hermann Hesse die junge Dichterin mit
Heinrich Heine. Aber ab August 1935 wird Mascha Kaléko
von den Nazis jede weitere Veröffentlichung verboten. Es
bleiben nur die jüdischen Zeitschriften, so übersetzt
sie u.a. für die Jüdische Rundschau hebräische
Gedichte. Zu dieser Zeit lernt Mascha Kaléko den
Dirigenten und Musikwissenschaftler Chemjo Vinaver
kennen, der ihr zweiter Ehemann und Vater ihres einzigen
1936 geborenen Kindes wird.
1938 verlässt sie mit Chemjo Vinaver
und ihrem Sohn Deutschland und zieht nach New York, nie
wieder wird sie sich in einem Land wirklich heimisch
fühlen.
Mascha Kaléko ist in den nächsten
Jahren vor allem Ehefrau und Mutter, daneben kann sie
aber manchmal auch als Übersetzerin oder Werbetexterin
arbeiten. Das ist wichtig, denn die finanzielle Lage der
Familie ist fast immer schwierig, obwohl Chemjo Vinaver
als Gründer eines Chores für jüdische Musik durchaus
Anerkennung findet. Mascha Kaléko kann in diesen Jahren
nur in der Exilzeitschrift Aufbau
veröffentlichen, erst 1945 erscheint ihr dritter Band
Verse für Zeitgenossen in den USA.
1952 reist sie, nachdem sie Eltern
und Geschwister in Israel besucht hat, erstmals wieder
nach Europa, aber nicht nach Deutschland. Dorthin fährt
sie erst drei Jahre später, bleibt fast ein Jahr und
genießt ihre Erfolge bei Lesereisen in mehreren
deutschen Städten. Die Neuauflage von Das Lyrische
Stenogrammheft wie die zwei Jahre später wieder
publizierten Verse für Zeitgenossen verkaufen
sich gut. Es scheint als könnte Mascha Kaléko ihre
unterbrochene Karriere wieder fortsetzen, aber sie ist
dafür zu keinen Kompromissen bereit. Als sie 1959 für
den Fontane–Preis nominiert wird, erfährt sie dass sie
diesen aus den Händen eines Jurymitglieds mit
SS-Vergangenheit erhalten soll. Das lehnt sie ab, obwohl
sie den hoch dotierten Preis in ihrer ständigen Geldnot
gut gebrauchen könnte.
Chemjo Vinaver, der aus einer
chassidischen Rabbinerfamilie stammt, arbeitet an einer
Anthologie chassidischer Synagogalmusik. Da er sich
dafür in Israel mehr Möglichkeiten erwartet, übersiedelt
das Ehepaar 1959 nach Jerusalem. Mascha Kaléko wird sich
zum Unterschied zu ihrem Mann in Israel nicht wirklich
einleben, vor allem da sie auch nicht gut Hebräisch
kann. Die finanziellen Schwierigkeiten sind geblieben,
dazu kommen vermehrt gesundheitliche Probleme. Mascha
Kaléko fühlt sich in Israel von ihrer Sprache und von
ihren Lesern abgeschnitten. Zunehmend wichtig sind ihr
daher die Reisen nach Europa, die sie regelmäßig
unternimmt.
1968 stirbt ganz plötzlich der
überaus geliebte Sohn, der als begabter Künstler galt
und in den die Eltern große Hoffnungen gesetzt hatten.
Als er noch ein kleines Kind war, hatte Mascha Kaléko
wunderschöne Gedichte für ihn geschrieben. Von diesem
Schicksalsschlag wird sie sich nicht mehr erholen, umso
mehr als 1973 auch ihr Ehemann stirbt. Noch einmal fährt
sie nach Europa, in Berlin hält sie wieder eine Lesung,
es wird ihre letzte sein, denn 1975 stirbt sie in
Zürich.
Jutta Rosenkranz schrieb eine sehr
einfühlsame Biografie, in der sie oft Mascha Kaléko
durch ihre Gedichte selbst sprechen lässt. Es ist eine
realistische Darstellung einer Frau, die viele ihrer
Mitmenschen faszinierte, die aber auch durchaus
schwierig sein konnte, so brach sie auch zu ihren
Geschwistern schließlich jeden Kontakt ab. Die
liebevolle Schilderung ihrer innigen Beziehung zu Sohn
und Ehemann hätte aber sicher Mascha Kalékos
Einverständnis!