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SPRACHGENIE UND ANTISEMIT

Martin Malek 

Ulrich Sieg: Deutschlands Prophet. Paul de Lagarde und die Ursprünge des modernen Antisemitismus.
München: Carl Hanser Verlag 2007.
415 Seiten, mit Abbildungen, Euro 25,90
ISBN-13: 978-3-446-20842-1

Paul de Lagarde (1827-91), der schon in der Jugend ungewöhnliche Sprachbegabung zeigte, promovierte 1851 in Berlin. Schon zwei Jahre später folgte die Habilitation in Halle, wo er dann auch als Privatdozent unterrichtete. Seine Hoffnungen auf eine baldige Professur zerschlugen sich aber, sodass er ab 1854 als Gymnasiallehrer arbeiten musste. 1869 erfolgte schließlich doch noch die Berufung zum ordentlichen Professor für Orientalistik an der Universität Göttingen.

Lagarde machte sich zunächst als Kenner antiker und altorientalischer Sprachen einen Namen und verfasste zahlreiche Spezialstudien. Als sein Lebenswerk betrachtete er eine kritische Edition der Septuaginta (altgriechische Übersetzung des Alten Testamentes). Er konnte 1883 einen ersten Band erscheinen lassen, doch sind die Arbeiten an dem Mammutprojekt bis heute im Gang (!). Breitenwirkung entfalteten vor allem Lagardes politische Publikationen – und insbesondere die über Jahrzehnte hinweg immer wieder neu aufgelegten „Deutschen Schriften" (1878). Er profilierte sich als wortgewaltiger Kritiker seiner Zeit, eingeschworener Gegner des Liberalismus (v.a. S.203ff), Nationalist mit aggressiven Zügen und als Antisemit. Das führte zu Kontakten mit Antisemiten wie Georg von Schönerer und Bernhard Förster. Zu Richard Wagner hielt Lagarde ungeachtet „vielfältiger Berührungspunkte" (S.180), darunter eben der Antisemitismus, Distanz.

Ulrich Sieg, Professor an der Universität Marburg, skizziert in der vorliegenden Biographie auch Lagardes Rezeptionsgeschichte bis zum Zweiten Weltkrieg. Zu dessen Lesern zählten u.a. Friedrich Nietzsche, Thomas Mann, Theodor Heuss – sowie Alfred Rosenberg und Adolf Hitler (S.338ff). Die Nationalsozialisten stellten Lagarde in ihren ideologischen Dienst, obwohl er sich nicht eindeutig zum Rassismus bekannt hatte (S.335); Sieg schreibt Lagardes Antisemitismus eher eine religiöse Fundierung zu (z.B. S.279). Allerdings erscheint damit der Untertitel des Buches (,,Paul de Lagarde und die Ursprünge des modernen Antisemitismus") nicht wirklich gerechtfertigt. Es wirkt auch missverständlich, dass Sieg zwar ein Kapitel „Vordenker des Nationalsozialismus" (S.326) nennt, es aber gleichzeitig für „ausgesprochen heikel" hält, Lagarde „primär oder gar ausschließlich als Vorläufer des Nationalsozialismus zu interpretieren" (S.356). Auch an einigen anderen Stellen mag sich beim Leser Unverständnis regen. So wirkt der Satz „Nur sein (Kierkegaards) Tod bewahrte ihn vor dem finanziellen Fiasko" (S.73) etwas verunglückt. Die Bezeichnung „Globalisierungsdruck" für die Lage in Nordhessen in den 1880er Jahren (S.256) ist wohl deplaciert. Und Houston Stewart Chamberlain hat von seinem Hauptwerk „Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts" (1899) sehr wohl zwei Teile vorgelegt – und nicht nur, wie Sieg vermeint, einen (S.313).

Insgesamt aber: Ein zweifellos unter erheblichen Mühen entstandenes, materialreiches und vielschichtiges Porträt eines vorübergehend einflussreichen Mannes, der in der öffentlichen Wahrnehmung nach 1945 zur „Unperson" mutierte (S.353). Und eine solche sollte er auch bleiben.

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