Wolfgang Benz:
Die Protokolle der
Weisen von Zion. Die Legende von der jüdischen
Weltverschwörung. München: C. H. Beck 2007.
128 Seiten, 19 Abbildungen, Euro
8,20.-
ISBN 978-3-406-53613-7
Nichts ist absurd genug, um nicht
geglaubt zu werden: So könnte man die Wirkungsgeschichte
der „Protokolle der Weisen von Zion" kurz
zusammenfassen. Ihnen zufolge sollen auf einer
Geheimkonferenz in Prag Vertreter des „internationalen
Judentums" Strategien zur Erreichung der Weltherrschaft
(über dominierenden Einfluss in Wirtschaft, Finanzen,
Medien und Kultur) festgelegt haben.
Die konkreten
Personen, die dieses Machwerk gefälscht bzw. aus
mehreren Vorlagen kompiliert haben, sind unbekannt.
Wolfgang Benz, angesehener Holocaustforscher und Leiter
des Zentrums für Antisemitismusforschung an der
Technischen Universität Berlin, erklärt diese Frage für
„allenfalls zweitrangig" (S.42); es sei sicher, dass die
Protokolle um 1898 „in Frankreich auf russische
Veranlassung entstanden sind" (S.42f). Offenbar war die
zaristische Geheimpolizei involviert, die eine
gigantische Verschwörung „der Juden" quasi gegen den
„Rest der Welt" suggerieren wollte (S.30).
Die „Protokolle" wurden, obwohl
leicht als plumpe Fälschung erkennbar, in zahllosen
Übersetzungen und Auflagen zum weltweit verbreiteten
antijüdischen Pamphlet. Im deutschsprachigen Raum kamen
sie, „von russischen Emigranten lanciert" (S.69), am
Ende des Ersten Weltkrieges an und fielen in der Folge
u.a. bei den Nationalsozialisten auf fruchtbaren Boden.
Die Geschichte der „Protokolle" wurde
schon oft geschrieben, ohne dass das Antisemiten jemals
beeindruckt hätte. Widerlegungsversuche erreichten oft
nicht nur nichts, sondern trugen sogar zum Erfolg der
Fälschung bei (S.74). Benz stellt daher seine
Beschäftigung mit den „Protokollen" in den Kontext der
Vorurteilsforschung. Es geht ihm um „die Möglichkeiten
des Irrationalen in der modernen Politik und
Gesellschaft" (S.8). Antizionismus interessiert Benz als
Einstellung, bei der auf Verschwörungslegenden
zurückgegriffen wird (S.23). Er zeigt dazu die Relevanz
der „Protokolle" für die Gegenwart auf. In der
islamischen und konkret arabischen Welt werden sie ja
„mit zunehmender Intensität … als ‚Beweis’ für eine
zionistische Weltverschwörung … zitiert, abgedruckt,
interpretiert" (S.96). Einer der Höhepunkte der
einschlägigen „Rezeption" war 2002 die Inszenierung der
„Protokolle" als ägyptische Telenovela (mit 41 Folgen),
die dann in der ganzen arabischen Welt mit Erfolg lief.
Die EU steht (auch) angesichts solcher Vorgänge ganz
akut vor der Frage, ob sie wirklich mit einer
Palästinenserregierung unter Führung der Hamas zu tun
haben sollte, die Hinweise auf die „Protokolle" in ihren
programmatischen Dokumenten verankert hat.
Der vorliegende Band weist einige
Schwächen auf. Wohl am bedeutendsten ist, dass Benz auf
Struktur und Inhalt der „Protokolle" kaum eingeht und
damit eigentlich als bekannt voraussetzt. Steven Jones,
der mit Verschwörungstheorien zum 11. September 2001
hervorgetreten ist, wird im gleichen Absatz einmal als
Physik- und dann als Philosophieprofessor bezeichnet
(S.12) (er ist ersteres). Der Vorstoß der Mongolen nach
Mitteleuropa wurde 1241 bei der Schlacht von Liegnitz
keineswegs „abgewehrt" (S.14): Stattdessen vernichteten
die Mongolen das Heer des schlesischen Herzogs Heinrich
II., doch rückten sie nicht weiter nach Westen vor –
wahrscheinlich, weil gerade in der Mongolei Großkhan
Ogotai gestorben war. Hauptmann Dreyfus wurde nicht 1899
(S. 61), sondern 1906 rehabilitiert. Und was genau meint
die Formulierung „elende Tradition des russischen
Herrschaftssystems" (S.61)?