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Musik und Ekstase

Alfred Gerstl

Shmuel Barzilai: Musik und Ekstase (Hitlahavut) im Chassidismus.

Frankfurt am Main: Peter Lang Verlag 2007.

240 Seiten, Euro 43,70.-

ISBN 978-3-631-55666-5

Mit dem vorliegenden Buch, das auf seiner Diplomarbeit im Fachbereich Judaistik basiert, beweist Shmuel Barzilai, der Oberkantor der Wiener Kultusgemeinde, seine intellektuelle Vielfältigkeit. Ausführlich beschreibt Barzilai die Entstehung des Chassidismus in Osteuropa im 18. Jahrhundert. Er betrachtet den Chassidismus, begründet von Israel ben Eliezer (1700–1760), als eine Reaktion auf die politische und ökonomische Krise im damaligen Königreich Polen, dem Spielball zwischen der Habsburger-Monarchie und Russland. Unter der jüdischen Bevölkerung, die in Osteuropa ohnedies häufig Pogromen unterworfen war, verschärfte der wirtschaftliche Niedergang soziale Spannungen. Zusätzlich unterhöhlte eine moralische Krise die Führungsrolle der Thora-Gelehrten und bewirkte eine Abwendung vieler Juden vom Thora-Lernen.

Angesichts der vorherrschenden Stimmung propagierte die neue Chassidismus-Bewegung weniger Buchstabenwissen als "die Wichtigkeit der Absicht des Herzens und die religiöse Begeisterung mehr als die Gelehrsamkeit und die strenge Genauigkeit beim Ausüben der Gebote"(S. 25). Ein weiteres Merkmal des Chassidismus ist, dass dieser von charismatischen, häufig als wundertätig betrachteten rabbinischen Führern popularisiert wurde. Umso bemerkenswerter ist, dass angesichts einer Vielzahl von ideologischen und regionalen Untergruppen der Chassidismus, wie Barzilai hervorhebt, seine Kohärenz als ideelle Bewegung bewahren konnte.

Ihren sichtbarsten Niederschlag fand die Lebensfreude, die der Chassidismus versprühte, im Gottesdienst. Musik, Tanz, einfach Freude prägten und prägen chassidische Gottesdienste und widerspiegeln den Grundsatz, wonach man Gott mit Freude zu dienen habe. Ausführlich, aber unter Zuhilfenahme von mitunter widersprüchlichen Definitionen schildert der international renommierte Oberkantor die Entstehung und Bedeutung des Niggun im Chassidismus, ein wortloser Gesang des Rabbiners oder einer Gruppe von Gläubigen.

Nach dieser fundierten Einführung und Analyse der zentralen Merkmale chassidischen Glaubens behandelt Barzilai zahlreiche interessante Punkte wie das Verhältnis von Kabbala und Musik, den musikalischen Ausdruck in verschiedenen chassidischen Strömungen oder die Rolle von Komponisten und Sängern im Chassidismus. Dieser zweite Teil wirkt jedoch etwas unstrukturiert und verlangt vom Leser viel Aufmerksamkeit, um sich nicht in der Datenfülle zu verlieren. Interviews mit Rabbinern in Wien und Israel sowie ein Anhang mit Porträts und genaueren Angaben zu chassidischen Führern runden das Buch ab. Insgesamt gelingt es Barzilai, einen sehr lesenswerten Überblick über die Entstehung, Ideen und bleibenden Auswirkungen des Chassidismus in Europa zu geben.

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