Claus Stephani
Dieter Schlesak: Capesius, der
Auschwitzapotheker. Bonn: J. H. W. Dietz Verlag 2006.
352 Seiten, 16 Abbildungen, Euro
29,00.-
ISBN 3-8012-0369-7
Das Buch des aus Siebenbürgen
(Rumänien) stammenden Autors, der seit vielen Jahren in
Italien lebt und sich auch als Lyriker, Romancier,
Essayist und Übersetzer einen Namen gemacht hat, ist
eine „komplexe Collage aus Erzählung, Dokumentation und
Rückblende", wie im Klappentext angekündigt wird. Und
selbst die einzige fiktionale Person, die gelegentlich
in der Handlung auftritt, der Häftling Adam, berichtet
über reale Ereignisse und Tatsachen, die sich an jenem
Ort des Grauens zugetragen haben.
So liest man Seite für Seite und
meint manchmal, tatsächlich diesen „Planet Auschwitz"
vor sich zu sehen, wo alle Wertvorstellungen des
Menschen bewusst zerstört und vernichtet wurden. Denn
„die Welt von Auschwitz liegt", wie einmal George
Steiner sagte, „jenseits der Sprache, so wie sie
jenseits des Vorstellbaren liegt".
Die zentrale Figur der Dokumentation
ist der berüchtigte, aus dem siebenbürgischen Reussmarkt
(damals Österreich-Ungarn, heute Rumänien) stammende
Auschwitzapotheker Dr. Victor Capesius (1907-1985),
Vertreter der Firma Bayer, der 1943 als SS-Offizier nach
Auschwitz kam. Dort nahm Capesius an zahlreichen
Selektionen auf der Rampe teil und bereicherte sich
habgierig am letzten Besitz jener, die er mit einer
Handbewegung in die Gaskammern geschickt hatte. Nach dem
Krieg war er plötzlich ein wohlhabender Mann, der
unerkannt in Göppingen lebte. Als ihn eines Tages
zufällig ein ehemaliger Häftling erkannte, wurde er 1959
verhaftet und später „wegen gemeinschaftlicher Beihilfe
zum gemeinschaftlichen Mord" zu neun Jahren verurteilt,
wobei ihm die Haftzeit angerechnet wurde. Nach seiner
Freilassung arbeitete er weiter als Apotheker und lebte
mit seiner Familie unbekümmert und in großem Wohlstand
in Deutschland.
Dieter Schlesak hat nicht nur ein
„erschütterndes Werk von großer sprachlicher Kraft und
Authentizität" geschaffen, wie ihm von der Kritik
bescheinigt wurde, sondern auch das Verhältnis zwischen
Tätern und Opfern aus einem bisher wenig bekannten
Blickwinkel beleuchtet. Denn das freundliche Monster Dr.
Capesius stand nicht nur einmal an der Rampe Juden
gegenüber, die er noch aus seiner Heimat seit Jahren gut
kannte. Auch sie schickte er kaltblütig und mit einer
Lüge in den Tod: „Weinen Sie nicht, Ihre Frau und die
Kinder gehen nur baden, in einer Stunde werden Sie sich
wiedersehen", sagte er zu einem einstigen
Berufskollegen, der später den Holocaust überlebte.
Bibliographische Hinweise im Anhang
sowie ein Personenverzeichnis von Tätern, Opfern und
überlebenden Zeugen mit biographischen Angaben sind für
die weitere Auschwitz-Forschung von großer Wichtigkeit.