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VERFOLGT - VERTRIEBEN - ERMORDET
ZUR MAHNENDEN ERINNERUNG DURCH STRASSENBENENNUNGEN IN WIEN 23.

Heide LIEBHART

In diesem Artikel soll der Versuch wieder-gegeben werden, wie sich im Straßenbild das Andenken an die unzähligen Opfer der Nürnberger ("Rassen"-) Gesetze und der Vertriebenen und Verfolgten des NS-Regimes widerspiegelt. In einer exemplarisch durchgeführten und daher nicht vollständigen quantitativen und qualitativen Erfassung von Straßen-, Gassen- und Wegbezeichnungen in dem Bereich des heutigen 23. Wiener Gemeindebezirks Liesing soll eine der Möglichkeiten des Erinnerns und Gedenkens beleuchtet werden.

Die wissenschaftlich erfassten, lexikalisch und literarisch bekannten, Daten sind von mir durch Aussagen und Erinnerungen von Liesinger Bewohnern anlässlich der 3. Liesinger Gesprächsrunde 2000 über die vergessene jüdische Gemeinde in Liesing ergänzt worden. Erzählte Erinnerungen an jüdische Mitbürger, von denen viele Opfer des Naziterrors geworden sind, durch Teilnehmer an dieser Veranstaltung und durch persönliche Gespräche mit Zeitzeugen sind in diese Kurzbiographien mit eingeflossen.

Samuel Amster (15. 7. 1867 - 1942) und seine Frau Ettel (19. 3. 1867 - 1942) wurden als Betroffene der Nürnberger ("Rassen"-)Gesetze am 6. Februar 1942 von Wien nach Riga deportiert und 1942 ermordet. Deren Sohn konnte nach England flüchten. Der Kaufmann Samuel Amster betrieb ein Möbelgeschäft und Geldverleih. Er war seinerzeit in Atzgersdorf und Liesing als Wohltäter bekannt, da er mit seinen moderaten Zahlungsmodalitäten auf die wirtschaftliche Lage seiner Geldnehmern Rücksicht nahm - arbeitslos gewordenen Schuldnern stundete er die Rückzahlung, bis diese wieder einen Arbeitsplatz gefunden hatten. Dafür brachten ihm seine Mitbürger eine große Wertschätzung entgegen und bis heute wird ihm bei seinen Zeitgenossen ein ehrendes Andenken bewahrt. (Amstergasse / Atzgersdorf)

Dr. Wilhelm Drill (31. 8. 1873 - 1942), praktischer Arzt in Mauer, wurde als Betroffener der Nürnberger ("Rassen"-)Gesetze am 27. April 1942 von Wien nach Wlodawa (Polen) mit einem Transport von ungefähr 1.000 Juden deportiert und 1942 ermordet. Die Deportierten dieses Transports wurden fast ausnahmslos in den Vernichtungslagern Belzec oder Sobibor beziehungsweise im Konzentrationslager Majdanek ermordet. Dr. Drill wohnte und ordinierte in Mauer bei Wien, Langegasse 62.
(Drillgasse / Mauer)

Der Sozialdemokrat Dr. Rudolf Hatschek
(12. 2. 1874 - 12. 8. 1939), praktischer Arzt, fiel nach dem "Anschluss" im März 1938 unter die Bestimmungen der Nürnberger ("Rassen"-) Gesetze. Er starb am 12. August 1939 in seiner Wohnung in Wien - Atzgersdorf. Seine Frau Helene (25. 2. 1880 - 1942) wurde am 2. Juni 1942 nach Minsk (Weißrussland ) deportiert und ermordet. Dr. Hatschek galt als "Volksarzt" in Atzgersdorf und Umgebung.
(Dr. Rudolf Hatschek - Park / Atzgersdorf)

Hans und Stefanie Kunke wurden 1940 respektive 1943 wegen Widerstandsaktivitäten hingerichtet. Hans Kunke (12. 12. 1906 - 1940), jüdischer Mitbürger, Versicherungsbeamter. Stefanie Kunke (26. 12. 1908 - 14. 2. 1943), geborene Jelinek aus Mauer bei Wien, war städtische Hilfs-Lehrerin an der Mädchen-Volks-/ Hauptschule Wien 13., Feldmühlgasse 26. Beide wurden als Mitglieder des illegalen Zentralkomitees der Vereinigten Sozialistischen Partei und als Landesleiter für Niederösterreich bereits am 8. 7. 1936 zu 7 Monaten für Stefanie beziehungsweise zu 18 Monaten für Hans Kunke verurteilt, doch auf Grund des Amnestierungsgesetzes freigesprochen. Es wurde ihnen der Transport und die Verteilung "illegaler" sozialdemokratischer Literatur vor-geworfen. Am 20. 5. 1938 wurde das Ehepaar Kunke wieder wegen Betätigung für die Revolutionären Sozialisten in Wien festgenommen und verurteilt. Beide wurden in Konzentrationslager verbracht und ermordet.
(Kunkegasse / Mauer)

Das Ehepaar Kunke
Die Wiedergabe der Abbildungen erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes (DÖW).

Dr. Karl Neumann (22. 3. 1890 - 1944), Liesinger Gemeindearzt und Zahnarzt in den 1930er Jahren, wurde als Betroffener der Nürnberger ("Rassen"-)Gesetze am 24. Juni 1943 von Wien nach Theresienstadt und von dort am 28. Oktober 1944 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Mit ihm starben auch seine Ehefrau und sein jüngster Sohn. Seinen beiden älteren Kinder gelang noch die Flucht ins Ausland. Dr. Neumann hatte sich besonders um die Hauskrankenpflege und Jugendfürsorge in Liesing angenommen. Er kaufte mit persönlichen Mitteln den ersten Krankentransportwagen für Liesing.
(Dr. Neumann-Gasse / Liesing)

Julius Klinger (22. 5. 1876 - 1942), Maler und Grafiker, trat 1896 in das Zeichenatelier "Wiener Mode" ein und eröffnete nach dem Ersten Weltkrieg in Wien ein Atelier für Plakatkunst. Am 2. Juni 1942 wurde Klinger als Betroffener der Nürnberger ("Rassen"-)Gesetze von Wien nach Minsk (Weißrussland) deportiert und dort ermordet. (Klingerstraße / Inzersdorf)

Die Schriftstellerin und Lyrikerin Alma Johanna Koenig (18. 8. 1887 - 1942), geborene Johanna Herdan, verehelichte Ehrenfels, kam mit ihren wohlhabenden jüdischen Eltern 1888 nach Wien. Sie erhielt 1925 den Literaturpreis der Stadt Wien. Ihre Bücher wurden von den Nationalsozialisten verboten. Im Zuge der nationalsozialistischen Judenverfolgung lebte Koenig vom März 1938 bis zu ihrer Verhaftung am 27. Mai 1942 bei Freunden im Untergrund und musste achtmal ihre Unterkunft wechseln. Alma Koenig wurde 1942 nach Minsk deportiert und im KZ Minsk ermordet. 1957 stiftete der Schriftsteller Oskar Jan Tauschinski den Alma Koenig-Preis.
(Alma König-Weg / Atzgersdorf, Mauer)

Josef Alois Krips (8. 4. 1902 - 13. 10. 1974), Dirigent, studierte an der Wiener Musikakademie und wurde schon mit 22 Jahren Opernchef in Aussig. Nachdem er 1933 aus Deutschland ausgewiesen wurde, arbeitete er an der Wiener Staatsoper bis er 1938 auch hier vom NS-Regime mit Berufsverbot belegt wurde. Krips konnte in Wien bleiben und verdiente seinen Lebensunterhalt als Büroangestellter. 1945 dirigierte er das erste Konzert der Wiener Philharmoniker nach dem Krieg in Wien und danach auch wieder an der Staatsoper. Nach mehreren Auslandsengagements war er von 1970 - 1973 Hauptdirigent der Wiener Symphoniker. (Kripsgasse / Erlaa)

Der Pionier des Segelfluges Robert Kronfeld (5. 5. 1904 - 12. 2. 1948) aus Wien stellte mehrere Weltrekorde im Segelflug mit seinen selbst-konstruierten Flugzeugen "W." und "Austria" auf. 1928 gelang ihm bei minus 30 Grad ein Hochgebirgssegelflug über die Rax. Am 20. Juni 1931 überquerte er als erster Segelflieger den Ärmelkanal in beide Richtungen. Er erfand eine nach ihm benannte Autowinde für Flugschleppversuche. Kronfeld lebte als Betroffener der Nürnberger ("Rassen"-) Gesetze ab 1938 in England und war während des Zweiten Weltkrieges Fluglehrer im Majorsrang. Er starb am 12. Februar 1948 an den Folgen eines Absturz bei Lasham / England.
(Kronfeldgasse /Inzersdorf, Siedlung Neu-Steinhof)

Der Komponist und Dirigent Alexander von Zemlinsky (4. 10. 1871 - 16. 3. 1942) studierte am Konservatorium in Wien. 1908 holte ihn Gustav Mahler an die Hofoper. Zemlinsky war von 1930 bis 1933 Gastdirigent an der Berliner Staatsoper und Lehrer an der Hochschule für Musik in Berlin. 1933 flüchtete er nach Österreich und arbeitete als Dirigent des Wiener Konzertorchesters. Nach dem "Anschluss" im März 1938 emigrierte Zemlinsky als Betroffener der Nürnberger ("Rassen"-) Gesetze über Prag und Paris in die USA, wo er am 16. März 1942 in Larchmont/New York starb.

(Zemlinskygasse / Kalksburg, Rodaun, Liesing)

Für jene, denen noch kein erinnerndes und mahnendes Gedenken für den Bereich des heutigen 23. Wiener Bezirks zuteil wurde, seien aus den erinnernden Erzählungen von Zeitgenossen exemplarische Beispiele im Folgenden angeführt. Den Kindern gelang oft mit ausländischer Hilfe (sehr häufig aus Holland) die Emigration, während die Erwachsenen und Älteren fast immer durch den Holocaust umkamen. Die angeführten Schicksale stammen ausschließlich aus mündlichen Berichten von Liesinger Zeitzeugen während der 3. Liesinger Gesprächsrunde 2000 über die vergessene jüdische Gemeinde in Liesing.

Isaak und Maria Amster betrieben ein Möbelgeschäft in der Liesinger Straße (heute Fröh-lichgasse / Liesing) und wurden als Betroffene der Nürnberger ("Rassen"-)Gesetze 1942 nach Theresienstadt verbracht und 1944 in Auschwitz ermordet. Deren Sohn überlebte den Holocaust und emigrierte nach England.

Dr. Rosenbaum, Augenarzt und praktischer Arzt in Liesing, wohnte im Haus Wienerstraße 7 (heute Breitenfurter Straße / Liesing). Der ältere seiner beiden Söhne verließ bereits um 1934 Österreich und war als Anatom in den USA tätig. Dies ermöglichte ihm seine Eltern und seinen Bruder als Betroffene der Nürnberger ("Rassen"-) Gesetze ebenfalls in die USA nachkommen zu lassen. Hier konnte sein Vater als Augenarzt in einer Psychiatrischen Klinik arbeiten, stand aber bei dieser Tätigkeit als Flüchtling unter Aufsicht der Behörde.

Die Werkstätte des Hutmachers Tscherna, befand sich ebenfalls im Haus Wienerstraße 7, seiner Tochter Judith gelang als Betroffene der Nürnberger ("Rassen"-)Gesetze die Emigration, sie lebte danach in den USA. Das Schicksal der Familie Tscherna ist nicht näher bekannt.

Die Familie Machow führte ein Elektrogeschäft in der Wienerstraße und besaß zu Beginn der 1930er Jahre eine der ersten Benzinpumpen in Liesing. Als Betroffene der Nürnberger ("Rassen"-)Gesetze gelang nur der Tochter die Emigration. Der Sohn wurde mit dem Vater zusammen nach Theresienstadt deportiert und ermordet.

Kommerzialrat Hermann Smetana, Großholzhändler am Liesinger Bahnhofsplatz, baute mehrere Häuser in Liesing und für sich eine Villa in der heutigen Waisenhorngasse. Als Betroffener der Nürnberger ("Rassen"-)Gesetze erlitt er ein nicht näher bekanntes Schicksal.

Der Delikatessenhändler Türk? (Name auf Tonaufnahme leider unverständlich) betrieb ein Geschäftslokal vis a vis dem Haus Wienerstraße 7, als Betroffener der Nürnberger ("Rassen"-) Gesetze wurde er 1942 nach Theresienstadt deportiert und 1944 nach Auschwitz gebracht. Nur der Sohn überlebte den Holocaust und emigrierte danach nach Frankreich.

Der Besitzer des Geschirrgeschäftes Fischer an der Wienerstraße (heute Breitenfurter Straße) Kreuzung Waisenhorngasse erlitt als Betroffener der Nürnberger ("Rassen"-)Gesetze ein un-bekanntes Schicksal.

Das Textilgeschäft M. Lewinsons befand sich ebenfalls an dieser Kreuzung. Auch er erlitt als Betroffener der Nürnberger ("Rassen"-)Gesetze ein unbekanntes Schicksal.

Die Familie Adler betrieb ein Möbelgeschäft in Liesing und überlebte als Betroffene der Nürnberger ("Rassen"-) Gesetze den Holocaust, indem sie sich selbst und einen weiteren jüdischen Mitbürger während der Zeit des NS-Regimes versteckt hielten.

Gustav Pollak, Lederfabrikant in Atzgersdorf (heute Breitenfurter Straße). Er kaufte die ehemalige Leim- und Knochenmühle an der Liesing und erbaute neben den weitläufigen Fabriksgebäuden eine prunkvolle Wohnvilla auf dem Gelände zwischen dem Liesingbach und der Breitenfurter Straße (ehemals Wienerstraße). Er starb um 1936 ohne Nachkommen, sein gesamter Besitz wurde vom NS-Regime beschlagnahmt.

Gustav Pollak
Die Veröffentlichung des Fotos erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Bezirksmuseums Liesing

Dr. Adolf Ettinger, Rechtsanwalt in Liesing, Ernst Haeckelgasse 1, war um 1900 Vorstand des 1886 gegründeten Bethausvereins Minjan in Liesing. Die jüdische Gemeinde Liesing gehörte zur Kultusgemeinde Mödling. Dr. Ettinger war Mitinitiator und Mitverantwortlicher für die 1900 errichtete Synagoge in Atzgersdorf (siehe vorangegangenen Artikel vom September 2000, 12. Jahrgang, Nr. 46, Seite 3ff). Sein Sohn überlebte den Holocaust und lebt heute in England.

Die Errichtung einer Gedenktafel am ehemaligen Standort der Atzgersdorfer Synagoge (siehe vorangegangenen Artikel vom September 2000, 12. Jahrgang, Nr. 46, Seite 3ff) harrt noch immer einer Verwirklichung. Trotz Bemühungen von Seiten der Bezirksvorstehung und privater Initiativen konnten leider noch keine nennenswerten Fortschritte erzielt werden.

Quellen:
Czeike, Felix: Historisches Lexikon Wien. 5 Bände. Wien: Kremayr & Scheriau 1994.
Gedenken und Mahnen in Wien 1934-1945. Gedenkstätten zu Widerstand und Verfolgung, Exil, Befreiung. Hrsg. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes.
Neugebauer, Wolfgang: Die sozialdemokratische Jugendbewegung in Österreich 1894-1945. Wien 1969.
3. Liesinger Gesprächsrunde, 25. Mai 2000. Die jüdische Gemeinde: Eine Liesinger Spurensuche.

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