DAS NACHRICHTENREFERAT II N/IV IN DER GESTAPOLEITSTELLE WIEN IN DEN JAHREN
1938 BIS 1945
Diana Carmen ALBU
Weder im Altreich noch in der Ostmark hatte es im Rahmen der Organisation
der Geheimen Staatspolizei bis in den Herbstmonaten des Jahres 1938, als
mit Dienstbeginn des Abteilungsleiters der Abteilung II der Gestapoleitstelle
Wien, Wilhelm Bock, das sogenannte Referat II N ins Leben gerufen wurde,
ein ausschließlich fürs Spitzelwesen zuständiges Referat
gegeben.
Folgedessen war die Übertragung der Agenden für das Informantenwesen
aus dem Bereich der Referate, die ihre eigenen Denunzianten führten
und keine Bereitschaft zur Kooperation mit dem Nachrichtenreferat zeigten,
in den Bereich des Referates II N mit Schwierigkeiten und Streitereien
zwischen den Beamten verbunden. So geschah es, dass das für Sabotage,
Funk- und Fallschirmagenten zuständige Referat IV A 2, sowie die
Abteilungsgruppe IV E, welche das Erbe der Abteilung III angetreten hatte,
weiterhin Denunzianten anwarben und beschäftigten, ohne das Referat
II N -oder wenn überhaupt- erst verspätet davon in Kenntnis
zu setzen. Dabei bedienten sich die Beamten einer Geheimregistratur, in
die nur mittels Codes und aufgrund einer besonderen Genehmigung von seiten
des Dienststellenleiters Einsicht genommen werden konnte.
Mit Inkrafttreten des neuen Geschäftsverteilungsplanes im Mai 1942
wurde das nunmehr als Referat IV N geführte Nachrichtenreferat -
mit Ausnahme der administrativen Belangen - aus der Zuständigkeit
der Abteilung IV - herausgelöst und dem Dienststellenleiter Huber
direkt unterstellt, wodurch die besondere Position und Bedeutung jenes
Referats zum Ausdruck kam.
Die in weiterer Folge durchgeführte Fusion von Kripo- und Gestapoleitstelle
zur Kommandeurstelle der Sicherheitspolizei Wien Anfang Dezember 1944
und die damit notwendig gewordene Teamarbeit in Bezug auf die Konfidentenangelegenheiten
vermochte die Auseinandersetzungen zwischen manchen Beamten nicht zu schlichten,
sondern ließ diese bis hin zu Handgreiflichkeiten eskalieren.
Schließlich fungierte die Gestapoleitstelle Wien im Hinblick auf
das Konfidentenwesen als übergeordnete Instanz aller Gestapostellen
der Donau- und Alpenreichsgauen, welche ihrerseits Leiter der N-Referate
nach Wien, ins Gestapo-Hauptquartier am Morzinplatz 4, entsandten, wo
Besprechungen stattfanden und zu setzende Maßnahmen und erzielte
Resultate besprochen wurden.
Im Zuge der Räumung der Gestapoleitstelle Wien am 6. April 1945 erfolgte
die Aufstellung der sogenannten Einsatzkommandostellen der Sicherheitspolizei
und des S(icherheits) D(ienstes) in Niederdonau (=Niederösterreich),
die bis zum Kriegsende am 8. Mai 1945 die zum Großteil im damaligen
Reichsgau Niederdonau wohnenden Informanten weiterhin beschäftigten
und sogar mit Lebens- und Zahlungsmitteln ausstatteten.
Der Personenstand der Beamten der Gestapoleitstelle Wien hatte zwischen
vier bis sechs Mitarbeitern zu verzeichnen, die über eine gewisse
Anzahl von Informanten verfügten. Zu ihrem Aufgabenbereich zählte
nicht nur die (Weiter-)Leitung von Instruktionen und die Kontaktaufnahme,
sondern auch die Überwachung sowie die Feststellung der politischen
Gesinnung ihrer Informanten. Zu diesem Zweck sandte die Berliner Oberbehörde
den einzelnen Gestapostellen und Gestapodienststellen sogenannte Warnungslisten
mit Namen politisch "unzuverlässiger" Spitzel zu: hatte
man die politische Unzuverlässigkeit eines Denunzianten festgestellt,
war sofort Bericht an den Referatsleiter zu erstatten, der sich um dessen
Weiterleitung an den Abteilungs-, ab 1942 den Gestapoleiter, bemühte,
von dem aus die Berliner Oberbehörde in Kenntnis gesetzt wurde.
Waren hingegen die politische Einstellung und die Tätigkeiten des
Betreffenden zufriedenstellend, kam es zur karteimäßigen Erfassung
des Neulings, der in die Kategorie der V(ertrauens)-Leute oder in jene
der G(ewährs)-Leute Aufnahme fand. Als V-Männer galten die haupt-amtlich
bei der Gestapoleitstelle Wien angestellten Konfidenten, die ihre Honorare
im -inoffiziellen- Wert von 1000 bis 2000 RM monatlich überwiesen
bekamen, daneben zusätzlich diverse Genussmittel wie beispielsweise
Wein oder Zigaretten aus dem Sonderfond des Referatsleiters erhielten
und dafür in Widerstandsorganisationen Fuß zu fassen oder zumindest
mit Angehörigen solcher Gruppierungen in Kontakt zu stehen hatten.
Zu den G-Männern zählten all jene Informanten, die in öffentlichen
Gebäuden, insbesondere in Lokalen, auf Bahnhöfen und Postämtern
operierten, nur sehr selten mit Mitgliedern oppositioneller Gruppen Kontakt
unterhielten und in vielen Fällen durch Zufall an ihre Informationen
herankamen. Die Höhe ihrer Entlohnung unterlag keinen Richtlinien
der Gestapo Berlin, sie richtete sich lediglich nach dem Erfolg, den sie
bei ihren Operationen für sich buchen konnten. Im Falle einer sich
über einen längeren Zeitraum erstreckenden, erfolgreichen und
wertvollen Zusammen- und Informationsarbeit mit der Gestapoleitstelle
sowie bei Vorhandensein eines guten Leumundzeugnisses und politischer
Zuverlässigkeit bestand die Möglichkeit zum Aufstieg in die
Gruppe der V-Leute. Die Entscheidung fällte der Referatsleiter, der
stets darum bemüht war, nur die zuverlässigsten und NS-loyalsten
Volksgenossen als V-Männer zu führen, um eventuelle Nachforschungen
und damit verbundene Disziplinarmaßnahmen gegen die dafür verantwortlichen
Beamten oder die Verweigerung der Zustimmung der Berliner Oberbehörde
zu verhindern.
Über die Denunzianten wurden in einem eigens dafür angefertigten
Schrank Karteikarten mit Personaldaten und Verwendungsgebieten sowie in
Panzerschränken aufbewahrte Personalakten mit Personaldaten, Strafregisterauskünften,
Decknamen, Operationsgebieten und Namen der Gestapobeamten, denen die
"Obhut" dieser Informanten unterlag, angelegt. Weiters enthielten
die Personalakten von Spitzeln überbrachte Meldungen, Berichte und
Hinweise beziehungsweise Verdachtanzeigen auf Unzuverlässigkeit oder
Falschmeldungen derselben in mehrfacher Ausfertigung. Um jedes Detail
sichergestellt zu wissen, wurden die dafür verwendeten Schränke
nach Dienstschluss abgesperrt und die Schlüssel im Büro des
Dienststellenleiters abgegeben.
Auch nach dem heutigen Stand der Ermittlungen können in Bezug auf
die Gesamtzahl der bei der Gestapoleitstelle Wien beschäftigten Denunzianten
nur Schätzungen vorgenommen werden: so darf angenommen werden, dass
zwischen den Jahren 1938 und 1945 zwischen 400 und 600 Konfidenten geführt
wurden, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Außendienststellen
in St. Pölten, Wr. Neustadt und Znaim ebenso wie manche Abteilungen
und Referate der Gestapoleitstelle Wien Konfidenten in Eigenregie führten,
ohne sie an das Nachrichtenreferat jemals weitergeleitet zu haben.
Als Leiter des Referats II/IV N fungierten österreichische Beamte,
die zum Teil bereits vor 1938 der österreichischen Polizei angehört
hatten und nach dem Anschluss an die Gestapo überstellt wurden. Auf
zwei der bedeutendsten und kompetentesten Leiter soll hier näher
eingegangen werden: Johann Sanitzer, dessen eigentliche Karriere als Referatsleiter
des für Sabotage-, Funk- und Fallschirmbekämpfung zuständigen
Referats IV A 2 begann, bekleidete das Amt des Nachrichtenreferatsleiters
von Oktober 1939 bis April 1941. Auch spielte er anno 1940 eine grosse
Rolle bei der Zerschlagung der drei grossen Widerstandsgruppen des Dr.
Karl Roman Scholz, des Dr. Jacob Castelic und des Dr. Karl Lederer.
Sanitzers Nachfolger war der Wiener Lambert Leutgeb, der sich bereits
bei der österreichischen Polizei auf dem Gebiet des Informantenwesens
durch besonderen Einsatz und Fleiß hervorgetan hatte und bis November
1944 das Amt des Referatsleiters ausübte. Wegen "besonderer
Verdienste im Einsatz der Sicherheitspolizei" wurde er vom Reichsführer
SS und Chef der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler, - als einer der insgesamt
drei zweifach geehrten Beamten der Gestapoleitstelle Wien - zwei Mal ausgezeichnet.
Weiters sollte Leutgeb auf Antrag des Gestapoleiters im Mai 1945 das Deutsche
Kreuz in Gold erhalten, wozu es infolge der Kapitulation nicht mehr kam.
Schließlich wurde derselbe im Februar 1945 auch als Zivilist mit
dem Eisernen Kreuz I. Klasse ausgezeichnet.
In den ersten vier Jahren nach dem Anschluss an Hitlerdeutschland verfügte
das Nachrichtenreferat über einen Raum in der zweiten Etage des ehemaligen
Hotels Metropol am Morzinplatz 4, das nunmehr als Gestapo-Hauptquartier
diente. Während der Zeit von 1942 bis 1944 wurden dem Referat IV
N drei weitere Räumlichkeiten mit Ausblick auf den Franz-Josefs-Kai
zur Verfügung gestellt . Nach der Verlegung der Kripoabteilung im
Dezember 1944 wurden für die N-Referat- und Kripo-Angehörigen
drei weitere Büros der ehemaligen Abteilungsgruppe IV E beziehungsweise
IV 3, die für Spionage, Grenz- und Wehrkraftzersetzungsangelegenheiten
zuständig war, in der vierten Etage freigemacht.
Infolge eines Bombentreffers war das Referat IV N gezwungen, am 7. Jänner
1945 in den ehemaligen Kripo-Trakt im dritten Stock der Rossauer Kaserne
zu übersiedeln, wo es bis 2. April 1945, als der Befehl zur "ständigen
Dienstbereitschaft", sowie zum permanenten Aufenthalt in den Räumlichkeiten
der Rossauer Kaserne, gegeben wurde, seinen Tätigkeiten, wie gewohnt,
nachging. Am 3. April des Jahres 1945 erklärte man den Befehl für
nichtig und ordnete die Kontaktaufnahme mit allen Konfidenten an. Noch
in den letzten Wochen und Tagen des Krieges gelang es manchen Informanten,
Widerstandsoganisationen auffliegen zu lassen und deren Mitglieder in
den sicheren Tod zu schicken.
Am Nachmittag des 5. April 1945 fand die Räumung der Rossauer Kaserne
statt. Die aufgestellten Marschkompanien, - darunter befanden sich auch
die Angehörigen des Nachrichtenreferats -, bewegten sich in Richtung
Strebersdorf und setzten somit ihren Tätigkeiten ein Ende. Noch nicht
beendet hingegen waren die Aktivitäten der Spitzel, die unter der
Leitung des Einsatzkommandos Sanitzer bis zum 10. April Stimmungsberichte
unter der Bevölkerung einholten und Oppositionelle bespitzelten und
beschatteten. In Niederösterreich agierten diverse Einsatzkommandos
der Sicherheitspolizei in Teamarbeit mit den noch verbliebenen Konfidenten
bis zum 8. Mai 1945.
(In der nächsten David-Ausgabe wird der zweite Teil dieses Artikels
erscheinen: Das Anwerben und Einschleusen der Konfidenten und die Arbeitsweise
der Denunzianten am Beispiel der Biographie des Burgschauspielers Otto
Hartmann. Diesen Artikel können Sie in voller Länge in den Wiener
Geschichtsblättenr unter folgendem Titel nachlesen: Diana Albu, Franz
Weisz: Spitzel und Spitzelwesen der Gestapo in Wien von 1938 bis 1945,
In: Wiener Geschichtsblätter, Heft 3, 1999.)
Das Foto wurde mit freundlicher Genehmigung
des Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes veröffentlicht