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EINE VERLORENE WELT WIEDER ZUGÄNGLICH MACHEN DIE RÜCKHOLUNG AUS DEM EXIL ALS KULTURELLE AUFGABE

Peter MARBOE

Vor einigen Wochen durfte ich Billy Wilder in Los Angeles die Ehrenbürgerschaft der Stadt Wien überreichen. Wilder, dem wir von "Some like it hot" bis "Extrablatt" eine Reihe der grossartigsten Filme, die je gedreht wurden, verdanken, verbindet mit vielen anderen Grossen aus Kunst und Kultur des nun schon vorigen Jahrhunderts auch eines: seine österreichischen
Wurzeln und die Emigration vor dem Terror des Nationalsozialismus in die Vereinigten Staaten. Eine ganze Generation jüdischer Bürger wurde in der Zeit der "Gottesfinsternis" ermordet oder vertrieben, darunter viele Künstler. Die Überlebenden unter ihnen haben die österreichische Kulturgeschichte im Exil fortgeschrieben.
Österreich und auch die Stadt Wien haben in den Nachkriegsjahren lange, zu lange, gezögert, sich um diese Menschen und ihre Werke anzunehmen, sie zu ihren Lebzeiten zur Heimkehr einzuladen, sich später um ihre Nachlässe zu bemühen. Um so mehr war es mir ein großes Anliegen, die Rückholung aus dem Exil als politisches und kulturelles Ziel zu formulieren und die entsprechenden Schritte zu setzen, um den Kulturbruch, den NS-Terror, Exil und Krieg hinterlassen haben, wie immer auch notdürftig zu überbrücken. Wir schulden das sowohl den vertriebenen Künstlern, die im Exil lebe mussten und zu einem großen Teil auch schon dort gestorben sind, aber auch unserer Jugend, der wir diese verloren gewesene Welt, wenn auch unvollkommen, wenn auch brüchig, so doch zugänglich machen wollen. Alfred Polgar, auch ein Emigrant, hat einmal gesagt, als solcher habe er nicht zwei Heimaten, sondern zwei Fremden. Wenn es uns gelingt, zumindest einigen noch lebenden Künstlern, die Österreich als ihre Heimat verloren haben, das Gefühl zu geben, hier doch wieder ein wenig zu Hause zu sein, hier zumindest bruchstückweise an das anschließen zu können, was sie als ihre Kindheitserinnerungen mitgenommen haben und wenn es gelingt, unserer Jugend jene Periode österreichischer Kultur nahe zu bringen, die ihre Kontinuität nur weit außerhalb der Landesgrenzen finden konnte, haben wir viel gewonnen.
Es war die erste Aufgabe und -nach wesentlicher Vorarbeit durch meine Vorgängerin- eines der schönsten Ergebnisse meiner bisherigen Tätigkeit als Kulturstadtrat, den Nachlass Arnold Schönbergs für Wien zu sichern. Eine Reihe von Städten, darunter Berlin, standen im internationalen Wettbewerb um dieses wertvolle Kulturgut. Die Familie Schönberg hat sich schließlich für Wien entschieden. Dabei galt und gilt es, Schönbergs wertvollen Nachlass nicht nur zu archivieren und zu pflegen, sondern ihn zum Mittelpunkt einer kulturellen Einrichtung im Dienste des Komponisten und der Musik des 20.
Jahrhunderts zu machen.
Mit dem Alexander Zemlinsky-Fonds und der Ernst Krenek-Stiftung gelang es, das Schaffen von zwei weiteren großen Komponisten und Exilösterreichern für ihre Heimatstadt zu sichern. Die Ernst Krenek-Stiftung leistet heute grossartige Arbeit in der Initiative der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Werk Kreneks und um die praktische Begegnung des Publikums mit seinem Schaffen.
Mit der Friedrich Kiesler-Stiftung ist es gelungen, Wien das Werk eines gleichermaßen unorthodoxen wie wegweisenden Architekten zu sichern, eigentlich eines universellen Künstlers, dessen Kreationen weit in die Zukunft weisen. Für die Wiener Stadt- und Landesbibliothek konnte auch ein umfangreiches nachgelassenes Konvolut von Max Reinhardt erworben werden, das die Auseinandersetzung mit dem Leben und Schaffen des Theatermagiers in seiner Heimatstadt möglich macht. Nicht zu vergessen ist auch die engagierte Arbeit von Primavera Gruber mit dem Orpheus Trust, der von der Stadt Wien unterstützt wird. Fritz Spielmanns Hinterlassenschaft - wir kennen von ihm so viele Lieder, oft ohne zu wissen, dass sie von ihm sind - wurde auf diesem Weg wieder für Wien gewonnen. Über die Toten soll man aber jene nicht vergessen, denen wir heute noch als Lebende begegnen können. Jakov Lind und Fred Morton etwa kommen immer wieder nach Wien, haben hier doch wieder künstlerische und menschliche Anknüpfungspunkte gefunden, der vielfach Oscar-gekrönte Produzent Eric Pleskow konnte für die Präsidentschaft der Viennale gewonnen werden und eine ganze Reihe weiterer exilierter Wissenschaftler und Künstler wurden mit Auszeichnungen der Stadt geehrt: darunter Jakob Allerhand und Erich Chargaff, der in Wien wieder heimisch gewordene Georg Chaimovicz und Inge Morath, die in der Kunsthalle im Museumsquartier ausgestellt hat, Lucie und Paul Peter Porges, deren Schaffen das Jüdische Museum präsentierte, der Musiker Norbert Brainin, der Germanist Harry Zohn und der Kulturwissenschaftler Carl E. Schorske, der das Wien der Jahrhundertwende um 1900 in denkwürdiger Weise in seinem Buch beleuchtet hat.
Die Einladung an die Vertriebenen der Nazi-Diktatur, der Versuch, verlorenes Kulturgut wieder für Wien zu gewinnen, kann nur aus einer Position der ernsthaften Auseinandersetzung mit unserer Geschichte, der Klärung und Bewußtmachung begangenen Unrechts erfolgen. Mit der Errichtung des Mahnmals auf dem Judenplatz und der Gestaltung dieses Platzes und seines historischen Erbes - von den mittelalterlichen Ausgrabungen bis zum Misrachi-Haus - zu einem Ort des Gedenkens und der Begegnung mit dem jüdischen Gestern und Heute ist sicherlich ein wichtiger Schritt in diese Richtung gelungen.
Dieser Platz ist ein Zeichen: sowohl für das Bewusstsein um die ungeheure Schuld der Vergangenheit wie auch für den Willen zu einer Zukunft, in der solches nie wieder möglich sein soll. Diesem Symbol müssen aber auch konkrete Taten in anderen Bereichen zur Seite gestellt werden. Dazu zählt ganz wesentlich die Rückgabe von unrechtmäßigen oder bedenklichen Erwerbungen aus den Sammlungen der Stadt Wien. Mit dem Gemeinderatsbeschluss vom April 1999 hat sich auf meine Initiative die Stadt Wien verpflichtet, jene Kunst- und Kulturgegenstände aus den Museen, Bibliotheken, Archiven und sonstigen Sammlungen der Stadt Wien an die ursprüngliche Eigentümer oder deren Rechtsnachfolger zurückzugeben, die aufgrund der historischen Ereignisse von 1938 bis 1945 oder auch in den Nachkriegsjahren unter nicht rechtmäßigen Bedingungen erworben wurden. Ich habe mich hier immer wieder für eine Rückgabe ohne "Wenn und aber", ausschließlich den Empfehlungen einer unabhängigen Kommission verpflichtet, eingesetzt. Rund eineinhalb Jahre nach dem Beschluss des Gemeinderates haben sich im Historischen Museum der Stadt Wien bereits über 100 Sammlungen heraus kristallisiert, die einer genauen Prüfung unterzogen werden, sind auch bereits eine ganze Reihe von Kunstgegenständen restituiert worden. In der Stadt- und Landesbibliothek konnten sogar die Recherchen der -freilich bei weitem nicht so umfangreichen- Erwerbungen dieser Ära abgeschlossen werden, die abschließenden Berichte an die Kommission sind in Ausarbeitung.
Rückholung und Rückgabe ergänzen einander. Wir können unsere Kulturgeschichte nur für uns -soweit überhaupt noch möglich-zurückgewinnen, wenn wir auf dem Fundament der Wahrheit und Klarheit stehen und uns damit auch von Werten trennen, deren Besitz das begangene Unrecht fortschreiben würde. Wenn wir heute wieder Schönberg oder Reinhardt, Krenek oder Kiesler in unserer Stadt in ihren Werken begegnen können, so ist damit ebenso ein Neubeginn im Umgang mit der Vergangenheit gesetzt wie im Bemühen darum, dass wir unsere Museen in der Sicherheit besuchen können, keinen Kunstwerken zu begegnen, deren Herkunft Zweifel bezüglich der Rechtmäßigkeit aufkommen lässt. Beides ist eine Basis für eine Gesellschaft, die in der Gestaltung der Zukunft auch den Blick zurück nicht scheut, weil sie doch ihre Schlüsse gezogen hat. "In meiner Erfahrung wiederholt sich nicht die Geschichte. Die Fehler, die wir machen, wiederholen sich" hat Simon Wiesenthal gesagt. Es besteht die Hoffnung, dass diese Generation, bei allen Problemen, die es gibt, die Fehler nicht mehr wiederholt, die sie aus der Geschichte kennt.



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