RECHTSEXTREMISMUS IN ÖSTERREICH
Jahreslagebericht 1999 des Bundesministeriums für Inneres
Hubert Michael MADER
"Eigentlich wollte S., gebürtiger Sudanese und Präsident
der 'Humanitären Hilfe für Afrika' in Wien, nur einen Freund
vom Burgtheater abholen. Im Rathauspark wurde erstmals von drei Skinheads
attackiert: 'Sie haben geschrien: >Wir sind die neuen Nazis - wir wollen
keine Neger! Heil Hitler!< Dann habe ich schon den ersten Faustschlag
auf den Kopf bekommen.' Obwohl sich der Vorfall an einer stark befahrenen
Kreuzung zutrug, eilte Stevenson und seinem Sohn niemand zu Hilfe: 'Die
Leute haben sich alle weggedreht. Ich verstehe das nicht.' Auf der gegenüberliegenden
Straßenseite trafen die beiden auf einen weiteren Schwarzafrikaner,
den die Rechtsradikalen ebenfalls attackiert hatten ..." (Der Standard,
27. Juli 2000).
Der politische Extremismus, besonders neonazistischer Prägung, hat
auch in Österreich Dimensionen angenommen, die zwar nicht staatsbedrohend,
doch keinesfalls zu unterschätzen sind. Die folgenden Überlegungen
basieren auf dem jüngsten Lagebericht des Bundesministerium für
Inneres zum Thema "Rechtsextremismus in Österreich".
Rechtschaoten im Vormarsch
Die Entfaltung der neonazistischen Szene in Österreich seit 1989
vollzog sich im Trend der gesamteuropäischen Entwicklung. Auf den
Punkt gebracht: Es zeigte sich eine Zunahme rechtsextremer und fremdenfeindlicher
Strömungen. Im Vergleich zu 1998 wurde im Jahre 1999 ein beträchtlicher
Anstieg einschlägiger (= fremdenfeindlicher, antisemitischer etc.)
Tathandlungen registriert (von 283 auf 378 - dies entspricht einer Zunahme
von 33,6 Prozent). Ebenso stieg die Zahl der Anzeigen massiv in die Höhe
(von 392 auf 717, also eine Zunahme von 82,9 Prozent). Im Jahre 1999 nahmen
also die rechtsextrem und fremdenfeindlich motivierten Delikte in einem
nicht zu unterschätzenden Ausmaße zu, wobei namentlich der
Anteil der Jugendlichen unter den Gewalttätern anstieg. Besonders
ein "ideologisch primitiver und besonders fremdenfeindlicher Rechtsextremismus"
konnte in bestimmte Bevölkerungsschichten zunehmend einsickern.
Die vielen "Gesichter" der rechtsextremen Szene
Rechtsradikale Tendenzen zeigen vielfältige Ausdrucksformen und
kommen unter den verschiedensten Vorzeichen zum Durchbruch. Grundsätzlich
darf am demokratischen Recht der freien Meinungsäußerung nicht
gerüttelt werden. Dieses Recht findet aber dann seine Grenzen, wenn
politische Extremisten unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit die demokratische
Grundordnung des Staates angreifen und gefährden. Zudem sind die
österreichischen Sicherheitsbehörden und Gerichte auf Grund
des Verbotsgesetzes, das als Sonderstrafgesetz im Verfassungsrang steht,
verpflichtet, jeder Bestrebung zur Wiederbelebung der NS-Ideologie aufs
Schärfste entgegenzutreten.
Die Revisionisten leugnen die Massenmorde in den Konzentrationslagern,
wobei sie auch nicht davor zurückschrecken, gefälschte "Gegenbeweise"
ins Treffen zu führen. Sie interpretieren historische Quellen auf
selektive oder manipulative Art und Weise. Die Grundideologie der "Neuen
Rechten" lässt in starkem Maße Einflüsse rechtsorientierter
Revisionisten erkennen. Ein bedeutendes Verbreitungsmittel für die
revisionistische Propaganda ist das Internet. Die Rechtsaktivisten setzen
Handlungen - vornehmlich in Wort und Schrift - mit verbotsgesetzwidrigem
und rassistischem Charakter. Im Rahmen von Referaten (in "einschlägigen
Kreisen"), per Videoaufzeichnungen oder mit Hilfe sonstiger Medien
verherrlichen sie den Nationalsozialismus und sprechen dem Rassismus respektive
dem Antisemitismus das Wort.
Die sogenannten Rechtssympathisanten kommen meist über die Rolle
reiner Mitläufer nicht hinaus und zeigen sich "ideologisch"
kaum mehr als oberflächlich bewandert. Dessen ungeachtet konnte gerade
im Sympathisantenbereich festgestellt werden, "dass die Hemmschwelle
hinsichtlich offener und revisionistischer Äußerungen stark
gestiegen ist". Immer mehr "Systemverdrossene" entwickeln
sich zu Aktivisten der rechtsextremen Szene. Anders ausgedrückt:
Personen, "deren politische, gesellschaftliche oder ökonomische
Ansprüche und Erwartungen nicht in Erfüllung gehen", neigen
verstärkt zu unkonventionellen Verhalten, wie beispielsweise Anwendung
verbaler oder physischer Gewalt, aber auch verschiedenste Protestaktionen
oder Mitgliedschaften bei extremistischen Gruppierungen.
Die politische Esoterik-Szene hat offensichtlich an Breitenwirkung (einstweilen)
verloren. Die Aktivitäten des "esoterischen" Personenkreises
um den Bestsellerautor "Jan van Helsing" (über seine Schriften,
die revisionistisches und namentlich antisemitisches Gedankengut propagieren,
wurde im "DAVID" bereits berichtet) fanden 1999 keine nennenswerte
Fortsetzung.
"Skinheads" als gewalttätige Mitläufer
Ein Problem besonderer Art stellen die gewaltbereiten Jugendbanden (Skinheads)
dar, die neonazistischen Parolen folgen. Ihre Gewaltausbrüche machen
selbst vor Kindern nicht halt. So überfielen anfangs Februar 1999
in Graz unbekannte Jugendliche zwei türkische Kinder (elf und zwölf
Jahre alt), beschimpften diese rassistisch und bedrohten sie mit dem "Abstechen".
Dann verletzten die jugendlichen Rassisten ihre Opfer durch Messerstiche.
Bei dem eingangs erwähnten Überfall in Wien wurde gleichfalls
ein (drei Jahre altes) Kind zum Opfer der Gewalttäter, die es zu
Boden stießen, in den Magen traten und spitalsreif misshandelten.
Beruhigte sich in den westlichen Bundesländern die Situation um die
gewaltbereiten und fremdenfeindlichen Jugendbanden einigermaßen,
so nahmen die Gewalttaten im Osten Österreichs bedenklich zu.
Bei der überwiegenden Mehrheit "rechtsextremer" jugendlicher
Gewalttäter handelt es sich um Mitläufer mit deutlichen ideologischen
Defiziten. Ihre diffusen Gründe für das Sympathisieren mit neonazistischen
Ideologien beschränken sich in der Regel auf Schlagworte wie Ablehnung
einer vermeintlich drohenden "Amerikanisierung", "Globalisierung"
oder "multikulturellen Gesellschaft", verbunden mit einer undifferenzierten
Xenophobie. Andererseits darf man nicht übersehen, dass es sich bei
den Führern der einzelnen Gruppierungen um "ideologisch gefestigte
Neonazis mit eindeutig nationalsozialistischen, fremdenfeindlichen und
rassistischen Zielsetzungen" handelt. Ferner darf nicht ignoriert
werden, dass viele der österreichischen Skinhead-Gruppen ihre Kontakte
zu ausländischen Gesinnungsfreunde intensivieren.
Neonazis missbrauchen das Internet
Wie oben bereits angesprochen, bedeutet insbesondere das Internet eine
besondere Gefahrenquelle und zeigt sich im Augenblick als das schnellste
und aktuellste Medium, um rechtsextreme Propaganda in Umlauf zu bringen.
Heute gibt es bereits über 1400 Homepages, die fremdenfeindliche,
antisemitische etc. Inhalte propagieren. Es gibt rassistische Gruppen,
die sogar Internetseiten speziell für Kinder entwickeln. Zu den vielfältigen
Gefahren, die im Missbrauch des Mediums liegen, zählen besonders
raffinierte Formen der Manipulation, die auf den ersten Blick kaum erkennbar
sind. So wurde Ende September 1999 die offizielle Homepage der FPÖ
mit rassistischen und rechtsextremen Textierungen verfälscht beziehungsweise
mit "Links" zu einschlägigen Internetseiten versehen.
Ein internationales Netzwerk
In jüngster Vergangenheit kamen in einigen Bundesländern neonazistische
Strukturen zum Vorschein, die sich zugleich intensiv vernetzt mit rechtsextremen
Organisationen im Ausland zeigten. Ein besonderes Problem, der am 14./
15. Oktober 1999 in Wien stattgefundenen Rechtsextremismuskonferenz, an
der sich Vertreter aus zahlreichen europäischen Staaten beteiligt
hatten, stellte die zunehmende Internationalisierung der rechtsextremen
(Skin-)Szene dar. Rechtsextreme Agitation und Gewalt haben sich längst
als grenzüberschreitende Phänomene entpuppt.
Aus diesem Grund scheint es geboten, den Entwicklungen des (Rechts-)
Extremismus im Ausland - und hier nicht nur in Deutschland - entsprechende
Aufmerksamkeit entgegenzubringen. Zum Beispiel den nicht zu unterschätzenden
rechtsextremen Strömungen in Ungarn. Den ungarischen Rechtsaktivisten
gilt der Ausbruchsversuch von Waffen SS-Einheiten im Februar 1945, als
diese von der Roten Armee in Budapest eingeschlossen waren, noch heute
als "Tag der Ehre". An der jährlichen Gedenkkundgebung
1999 nahmen schätzungsweise 500 bis 600 Personen aus Ungarn, Deutschland,
Österreich, England, Tschechien, der Slowakei und Kroatien teil.
Einige von ihnen "waren SS-ähnlich (schwarze Uniformen und Stiefel)
bekleidet". Bei der Abschlussveranstaltung sah sich die Budapester
Polizei zum Einschreiten genötigt.
Trotz aller bedrohlicher Entwicklungen kann (noch?) nicht die Rede sein,
dass die neonazistische Szene Österreichs aus dem Ausland "gesteuert"
würde. Es zeigt sich jedoch eine nicht zu unterschätzende Beeinflussung
aus dem benachbarten Raum.
Österreich als Zielobjekt der NPD?
Österreichische Rechtsextremisten ("Verbotsgesetzflüchtlinge")
werden in zunehmendem Maße Mitglieder der "Nationaldemokratischen
Partei Deutschlands" (NPD). Sie lehnen die Republik Österreich
ab, bezeichnen sie als "Ostmark" und betrachten diese nach wie
vor als Teil des "Großdeutschen Reiches". Via NPD agieren
sie von Deutschland aus in verbotsgesetzwidriger Weise gegen die Verfassung
der Republik Österreich. Ferner bekundete der NPD-Vorsitzende sowohl
dem Bundesministerium für Inneres wie auch der österreichischen
Botschaft in Bonn gegenüber die Absicht, die Partei auch in Österreich
gründen zu wollen.
Man darf die sich hier abzeichnende Gefahr wohl kaum auf die leichte
Schulter nehmen. So "betreut" die bayerische NPD eine "äußerst
aggressiv agierende rechtsextreme Personengruppe", die ungeachtet
früherer Verurteilungen und neuerlicher Strafverfahren namentlich
in den Bundesländern Kärnten, Steiermark und Burgenland in Erscheinung
tritt. Generell ist festzustellen, dass die Aktivitäten österreichischer
Rechtsextremisten im Ausland mit Wirksamkeit nach Österreich (NPD-Mitglieder
"aus der Ostmark") beträchtlich zugenommen haben.
Antisemitische Gewaltaktionen
Auch in Österreich starteten Neonazis wiederholt militante antisemitische
Aktionen, wenn diese auch bis dato nicht jenes bedrohliche Ausmaß
erreichten, wie es aus anderen europäischen Ländern bekannt
ist.
Am 14. April 1999 griff ein alkoholisierter Rechtsradikaler (im Pensionsalter)
in Linz zwei junge Männer an, die er für Juden hielt. Der Randalierer
beschimpfte die Männer als "Judenschweine" und wurde tätlich.
Einem der beiden versetzte er einen Faustschlag ins Gesicht.
Am 20. April 1999 (an "Hitlers Geburtstag") wiederum schändeten
jugendliche Neonazis den jüdischen Friedhof in Graz, indem sie mit
Lacksprays NS-Zeichen auf die Grabsteine sprühten. Einer der beiden
war bereits in der Vergangenheit als fremdenfeindlicher Gewalttäter
in Erscheinung getreten.
Ein amtsbekannter Rechtsextremist schickte am 8. Oktober 1999 dem Präsidenten
der Israelitischen Kultusgemeinde Wien einen Brief "mit antisemitischem
Inhalt".
Vielleicht noch gefährlicher erscheint jene Aktion eines (bereits
vorbestraften) schwedischen Rechtsextremisten, der am 16. November 1999
an eine Schule in Salzburg antisemitisches (sowie revisionistisches und
sexistisches) Propagandamaterial sandte.
"Extremismus verbindet"
Die Grenzen zwischen Rechts- und Linksextremismus sind fließend.
Beide wurzeln in einer antidemokratischen Grundhaltung, die dem Leben
des Einzelnen nur wenig Wert beimisst. Auf Grund der gemeinsamen totalitären
und kollektivistischen Denkart erscheint es wenig erstaunlich, wenn Vertreter
der einen Seite zum anderen Lager relativ problemlos "konvertieren"
(wie der vormalige RAF- und nunmehrige Rechtsaktivist Horst Mahler).
Doch auch auf die schon seit längerer Zeit deutlich gewordene Verbindung
zwischen Neonazismus und radikalen islamischen Strömungen sei an
dieser Stelle hingewiesen. So übte im Jahre 1999 namentlich Radio
Iran die Funktion einer Plattform für rechtsextreme Agitation (die
in deutscher Sprache gesendet wurde) aus.
Zweifellos stellt der Rechtsextremismus eine gefährliche, doch bei
weitem nicht die einzige Form der Bedrohung für Demokratie und Menschenrechte
dar. Nicht "Hysterie", aber kritische Wachsamkeit ist somit
ein Gebot der Stunde.
Quelle: Bundesministerium für Inneres/ Abteilung II/7, Rechtsextremismus
in Österreich:
Jahreslagebericht 1999
(Wien 2000).