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Der Währinger jüdischer Friedhof
Eine Fotodokumentation
Tina WALZER
Der Währinger jüdische Friedhof ist mit seinen Grabstellen,
Inschriften und Ornamenten ein unschätzbar wertvolles Zeugnis
für die Kultur der
Wiener Juden im 19. Jahrhundert. In seiner architektonischen Vielfalt
ist er dem Wiener Biedermeier- Friedhof St. Marx mehr als ebenbürtig.
Derzeit befindet sich der Friedhof allerdings in einem bedauernswert
schlechten Zustand. Witterungseinflüsse, Vandalismus und ein
Dachs richteten erst in den letzten Jahren schwere Schäden
an. Angesichts der aktuellen medialen Ankündigungen bleibt
zu hoffen, daß für die sorgfältige und fachgerechte
Inventarisation und Renovierung dieses historischen Juwels bald
auch die nötigen Mittel zur Verfügung stehen werden.
Der Währinger jüdische Friedhof war 1784
eröffnet worden und blieb bis in die frühen 1880er, also
rund 100 Jahre in Betrieb. Nach seiner Stillegung wurden, dem Trend
der Zeit entsprechend, Gartenwege zwischen den Grabstellen angelegt
und Rosenbüsche gepflanzt. Während der NS- Diktatur wurde
ein wesentlicher Teil des Friedhofes mit rund 1500 Gräbern
bei Aushubarbeiten zerstört; außerdem exhumierten pseudowissenschaftliche
"Rassenkundler" ganze Familien _ insgesamt über 200
Personen. Der Friedhof als Ganzes konnte überhaupt nur gerettet
werden durch die List eines Magistratsbeamten, der das Areal als
Vogelschutzgebiet umwidmen ließ; so war er der Zerstörungswut
der Nazis ein wenig entrückt. Die Gräber der berühmtesten
Persönlichkeiten verlegte die Kultusgemeinde auf den Zentralfriedhof.
Zu den exhumierten Familien gehören auch die Vorfahren von
Johann Strauss. Die Nazis ließen später im Matrikenbuch
der Pfarre St. Stephan die entsprechende Seite verschwinden, denn
Wiens berühmter Walzerkönig "abstammungsmäßig
Jude" _ da war "die Rassenkunde" sogar den Nazis
selbst unangenehm, und jeder Hinweis wurde vertuscht.
Aufgrund der großen Zerstörungen, die
bis heute nicht behoben worden sind, sowie der vielen Exhumierungen
ist es zur Zeit äußerst schwierig, den Friedhof in seiner
Gesamtheit zu dokumentieren. In einem sechsjährigen Forschungsprojekt
wurden unter Leitung der Autorin bisher alle auf dem Friedhof einstmals
Bestatteten sozial- und familiengeschichtlich dokumentiert und außerdem
eine Friedhofsdokumentation mit einem Belegplan mit Fotos jedes
einzelnen noch vorhandenen Grabes angelegt.2 Die Arbeiten
werden noch in diesem Jahr als CD- ROM publiziert3.
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Bild 1: Gräbergruppe der Familie Salomon. Aus dem Überblick
wird klar, in welch schlechtem Zustand sich der Währinger Friedhof
derzeit befindet.
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Bild 2: Grab der Isabella Deutsch und anderer: Die Reihe der schönen
Grabsteine erinnert in ihrer Stimmung an den alten jüdischen
Friedhof in Prag.
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Bild 3: Das Grab des Marcus Mayer Baumgarten wurde stark zerstört.
Das Metallornament wurde entfernt, die Platte mit der Steininschrift
ist zerbrochen und so verwittert, daß darauf kaum etwas lesbar
ist. Glücklicherweise wurden nach der Schließung des
Friedhofes um
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1900 sämtliche Grabsteinischriften vom Archivar
der Kultusgemeinde abgeschrieben und dokumentiert. Diese Abschriften
stellen heute oft die einzige Möglichkeit dar, den ursprünglichen
Text zu rekonstruieren. |
Bild 4: Der Stein der Antonie Bernheim hingegen ist wohl von Efeu
stark überwuchert, sonst aber verhältnismäßig
gut erhalten.
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Bild 6: Ganz außergewöhnlich schön ist die Grabstele
des Aron Nissin, ein gutes Beispiel für den Einsatz von Symbolen
bei der individuellen Gestaltung der Steine.
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Bild 7: Jakob Francois Texeira de Mattos war ein junger Sepharde
aus Amsterdam. Im Wien des frühen 19. Jahrhunderts hatte sich
eine große sephardische Gemeinde gebildet; die Stadt war damals
ein Zentrum des europäischen Orienthandels. Besonders bemerkenswert
ist daher die sephardische Abteilung auf dem Währinger jüdischen
Friedhof, nicht nur ihrer Größe wegen, sondern auch dank
der wunderschön gestalteten Grabstellen, die in Europa nur
mit jenen in Hamburg vergleichbar sind. In Hamburg sind die Gräber
allerdings mit liegenden Platten geschmückt, während in
Wien ganze Grabmonumente erhalten sind.
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Bild 5: Siegfried Philipp Wertheimber war einer der "tolerierten"
Großhändler in Wien zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Sein
Grabmal ist ein schönes Beispiel für den damals modernen
"ägyptischen" Gestaltungsstil.
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Bild 8: Die Gruft der Familien Königswarter und Steinbach
wird vom Familienwappen bekrönt. Die Königswarters gehörten
zu den einflußreichsten Wiener Familien; Jonas Königswarter
war ab 1867 Präsident der Kultusgemeinde.
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Bild 10: Der Stein der Halina Bersohn ist in gutem Erhaltungszustand;
die schlichte Grabgestaltung verweist bereits auf die zweite Hälfte
des 19. Jahrhunderts.
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Bild 9: Fanny Kuffner war eines der ersten Mitglieder dieser berühmten
Familie, die später einen Bürgermeister in Döbling
stellte, die Ottakringer Brauerei gründete und die Kuffner'sche
Sternwarte stiftete. Brauerei und Sternwarte wurden ebenso wie das
Palais in der Ottakringer Straße und die Villa in der Gymnasiumstraße
in der Zeit des nationalsozialistischen Regimes enteignet. Besucher
des Friedhofes können einen kleinen Spaziergang in die Gymnasiumstraße
unternehmen _ an der Ecke zur Peter Jordanstraße stand einst
die Villa Kuffner. Heute befindet sich auf dem Areal das Studentenheim
"Haus Döbling", allein das Pförtnerhäuschen
sowie der alte Zaun des Anwesens blieben erhalten (Zugang über
den Parkplatz).
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Bild 11: Auch die Familie Pollak von Rudin gehört zu den ältesten
und angesehensten Wiener jüdischen Familien des 19. Jahrhunderts.
Ein Nachkomme der Familie, Walter Rudin, konnte 1938 aus Wien fliehen
und wurde in den USA später ein bekannter Wissenschaftler.
Er berichtet über seine väterlichen Vorfahren in Wien
folgendes: "Der Vater meines Vaters _ Aron Pollak _ ist
der einzige meiner Urgroßeltern, über den ich etwas bedeutendes
zu sagen weiß. Er wurde 1817 in einem unbedeutenden böhmischen
Dorf namens Wscheraditz geboren. [...] Im Jahr 1836, als er 19 war,
begann er Streichhölzer herzustellen. Ich weiß nicht,
wo diese erste Fabrik war, aber 1837 hatte er bereits eine weitere
in Wien [...]."4
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Aron Pollak hatte Erfolg und spendete bald für
wohltätige Zwecke, so stiftete er ein vollständig möbliertes
Studentenheim für 75 hilfsbedürftige Hörer der Technischen
Universität. Zu Ehren des Kronprinzen Rudolf nannte er es "Rudolphinum";
in der Folge wurde Aron Pollak vom Kaiser geadelt und hieß
nun Ritter Pollak von Rudin.
Aron Pollak heiratete Betti Goldmann, und sie bekamen
einen Sohn Alfred. Walter Rudin:
"Er war einer der ersten, die 1899 mit
einem Auto in Wien fuhren. Er konstruierte 1883 ein privates Telefon
zwischen einigen Landhäusern. [...] Alfreds Frau war Sara Lise
Levy. Dies ist ihr Name, wie er auf der Heiratsurkunde meiner Eltern
steht, doch sie wurde immer Louise genannt, soweit ich weiß.
Sie war die Tochter von Solomon Levy, einem Arzt aus Triest (damals
Österreich, heute Italien), und seiner Frau Julia. Alfred und
Louise hatten drei Kinder, zuerst Betti, dann 2 oder 3 Jahre später
Artur und 14 Jahre nach ihm Robert _ meinen Vater _ am 7. Januar
1891. Er hieß eigentlich Adolf Robert, aber er benutzte nie
den Namen Adolf _ und es war nicht Hitler der Grund, zumindest noch
nicht."
Der Währinger Friedhof ist
ein einzigartiges Dokument einer zerstörten Kultur _ und deshalb
in höchstem Maße erhaltenswert.
1 Fotos von Wolf-Erich
Eckstein
2 Die Dokumentation ist
für den älteren, rund 2500 Gräber
umfassenden Teil bereits abgeschlossen.
3 Informationen am Institut
für Geschichte der Juden in Österreich, Dr. Karl Renner
Promenade 22,
3100 St. Pölten bzw. auf der
homepage:
http://members.nextra.at/injoest
4 Walter Rudin: So hab
ich's erlebt. Von Wien nach Wisconsin _ Erinnerungen eines Mathematikers.
München- Wien 1998, S. 3.
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