ARISIERUNG IN DER STEIERMARK:
"Ersuche um Mitteilung, wie ich zu einem jüdischen Geschäft
komme"Heimo HALBRAINER und Joachim HAINZL
"Geschäfts-Verkauf! Unterzeichnete Firma beehrt sich, den verehrten
Kunden bekanntzugeben, dass sie das seit Jahrzehnten eingeführte
Schuhhaus käuflich erworben hat und als arisches Unternehmen weiterführen
wird."
So bzw. ähnlich lesen sich viele Arisierungsinserate im Jahre 1938
nach dem "Anschluss". Die "Arisierung" jüdischen
Eigentums wurde auch in der Steiermark in großem Umfange betrieben.
Leider fehlt für die Steiermark dazu eine Aufarbeitung dieses Themas
gänzlich.
Die Arisierung - im nazistisch-rassistischen Jargon die "Entjudung"
- betraf in der Steiermark mehr als 250 Betriebe und Betriebsbeteiligungen
sowie über 1000 städtische Häuser und landwirtschaftliche
Objekte, wobei die beiden letzteren allein einen Wert von 30 Millionen
Reichsmark repräsentierten.
Die Arisierung von jüdischen Geschäften
Dem antisemitischen Wunsch nach Ausschaltung der jüdischen Bevölkerung
aus der steirischen Wirtschaft wurde von der NSDAP bereits 1929 Ausdruck
verliehen. In ihren "Grazer Nachrichten" nahmen sie die Vorgänge
von 1938 bereits vorweg: "Deutsche, kauft nur bei Juden! Je größer
das Unrecht wird, das Ihr dem eigenen Volk antut, umso eher kommt der
Tag, da auch unter uns ein Mann aufsteht, die Peitsche nimmt und alle
Schieber zum Tempel unseres deutschen Vaterlandes herausschlägt".
Dem Artikel folgt eine Liste von über 200 tatsächlichen oder
vermeintlichen Grazer Geschäftsleuten "jüdischer Rasse
und Abstammung". Der Boden für das folgende Unrecht war daher
im März 1938 gut aufbereitet, und so setzte sofort nach dem "Anschluss"
ein wildes Räubern und Plündern seitens lokaler Nationalsozialisten,
aber auch nationalsozialistischer Parteistellen ein.
Diese Zeit der wilden Arisierung war in der Steiermark nur von kurzer
Dauer. Bereits im April 1938 war ein Gesetz erlassen worden, das jüdische
Geschäftsleute aus dem Wirtschaftsleben ausschalten sollte. Die dafür
geschaffene "Vermögensverkehrsstelle" organisierte die
bürokratische Enteignung der Juden. Eine Reihe von Gesetzen regelte
den staatlich legalisierten Raubzug. Im April 1938 wurde die Vermögensanmeldung
für Juden verordnet, am 12. November 1938 - also unmittelbar nach
dem Novemberpogrom - die "Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus
dem deutschen Wirtschaftsleben". Am 3. Dezember 1938 folgte die "Verordnung
über den Einsatz des jüdischen Vermögens". In Graz
wurde eine Zweigstelle der "Vermögensverkehrsstelle" eingerichtet.
Durch diese Stelle wurde den jüdischen Unternehmen ein sogenannter
"Kommissarischer Verwalter" zur Seite gestellt, welcher von
den Eigentümern zu bezahlen war.
Der 1990 verstorbene Sohn des jüdischen Malermeisters Simon Salzmann,
der einen gutgehenden Gewerbebetrieb am Grazer Griesplatz betrieb, berichtet
in seinen Erinnerungen:
"Ich erinnere mich sehr gut", so Harald Salzmann, "wie
der Kommissär zu uns kam, um meinem Vater seine de facto Entmündigung
zu erklären. Mein Vater musste seine Brieftasche auf den Tisch legen,
dann forderte er auch den Inhalt seiner Geldbörse ab. Dann nahm er
alle Geschäftsschlüssel in Besitz." Diese Verwalter, meist
ehemalige illegale Parteigenossen, übernahmen die Leitung der finanziellen
und wirtschaftlichen Gebarung. Alle Konten waren für die Eigentümer
gesperrt. Damit wurden die jüdischen Inhaber in ihrem eigenen Geschäft
von einem Tag auf den anderen zu rechtlosen Bittstellern.
Die kommissarische Verwaltung hatte jedoch nur vorbereitenden Charakter,
um gewinnbringende Unternehmen in "arische" Hände zu überführen.
Wer ein jüdisches Unternehmen arisieren wollte, musste sich darum
bewerben. Man nutzte dabei bewusst die Notsituation der jüdischen
Besitzer aus, um sich zu bereichern, oder man sah es als gerechtfertigte
"Belohnung" für erlittene Nachteile in der "Verbotszeit"
zwischen 1933 und 1938 an.
Laut Univ.Ass. Dr. Eduard Staudinger (Abteilung Zeitgeschichte der Universität
Graz) lassen sich bei der "Entjudung" größerer Betriebe
in der Steiermark zwei Typen von Ariseuren feststellen. Da gibt es zum
einen die lokalen Einzelariseure, welche versuchen, in einem Ort wie etwa
Bad Gleichenberg das gesamte jüdische Vermögen an sich zu ziehen.
Andererseits bildeten sich richtige Interessengemeinschaften aus Rechtsanwälten,
Vertretern der Verwaltung des Betriebes bzw. des Gaues, welche verschiedene
Industriezweige in ihre Hände zu bekommen versuchen.
Die Vorgänge rund um die Arisierung des Schuhhauses Spitz in der
Herrengasse durch Herrn Baumgartner aus Krems zeigen, dass die brutale
Gier auch zu großen Rivalitäten unter den Parteimitgliedern
selbst führte.
Es "kam Herr Moschitz in das Gauwirtschaftsamt und teilt mit, dass
er Interessent für das Geschäft Spitz sei und dass er sich aufs
Schwerste zurückgesetzt fühle. Herr Moschitz sagte, dass er
sich dies auf keinen Fall bieten lassen werde, dass er zu sämtlichen
Parteistellen gehen werde, um seine Beschwerde vorzubringen, um so zu
seinem Recht zu kommen. Er habe jetzt eine wesentlich schwerere Situation
als früher, wo er darauf hinweisen konnte, dass Spitz Jude sei. Jetzt
wo der Betrieb in arischen Händen liegt, sei er durch die Konkurrenz
eben dieses Betriebes fast erschlagen."
Der Vorgang der Arisierung ist zwar durch die Akten der Vermögensverkehrsstelle
dokumentiert. Jedoch ist die Durchsicht dieser oft ernüchternd. Die
Akten bestehen in der Hauptsache aus bürokratischen Formularen, Zahlen
und Berechnungen über den angeblichen Wert der jüdischen Unternehmen.
Die menschlichen Tragödien, welche sich dabei abgespielt haben, sind
nur ansatzweise spürbar, da die jüdischen Inhaber selbst kaum
mehr zu Wort kommen.
Finden sich in den Akten bis November 1938 noch Kauf- und Mietverträge,
die als korrekt bezeichnet werden können, so ändert sich mit
der "Reichskristallnacht" die Situation radikal. Die jüdischen
Besitzer wurden verhaftet und in das KZ transportiert. In der Zwischenzeit
wurden die Frauen gezwungen, den Kaufvertrag zu unterschreiben. Gleichzeitig
wurden viele Warenlager geplündert und ein großer Teil der
Firmen liquidiert. Der Mürzzuschlager Ignaz Eisler berichtete 1948
in einem Brief: "Herr Haas bekam nach Dachau den Kaufvertrag zum
Unterschreiben. Monatliche Zahlung von 200 RM,
da er noch immer die Steuern zahlen musste. Im März 1940 hätte
Franz Haas ausreisen können. Da schrieb er an Pfandl, er soll ihm
für die Ausreise RM 5000 schicken. Er schrieb zurück, dass er
sich in Langenwang eine Villa gekauft hat und das Geld daher brauche."
Franz Haas und seine Frau kamen nach Auschwitz und wurden dort 1942 ermordet.
Nach dem Pogrom wurden zuvor vereinbarte Ratenzahlungen nicht mehr eingehalten.
Der zumeist beschämende Kaufpreis wurde nicht an die jüdischen
Besitzer ausbezahlt, sondern landete auf einem Sperrkonto, von wo bei
geglückter Ausreise oft der Löwenanteil des Betrages in Form
der "Reichsfluchtsteuer" und der Vermögensabgabe abgezogen
wurde.
Die Arisierung betraf lediglich jenen Teil der Betriebe, die als rentabel
galten. Die Mehrzahl der kleineren und unrentableren Unternehmungen wurden
nicht arisiert, sondern einfach liquidiert. Diese Geschäftsauflösungen
wurden oft von jenen "arischen" Geschäftsinhabern betrieben,
welche sich damit Konkurrenzunternehmen vom Hals schaffen wollten.
So bewarb sich ein ehemaliger Vorarbeiter um die Arisierung der Firma
Salzman, was aber von einem Berufskollegen aus der Nachbarschaft verhindert
wurde.
"Aufarbeitung" seit 1945
Unmittelbar nach Kriegsende flüchtete ein Teil der Bevölkerung
in Selbstmitleid und die Rolle eines unschuldig verführten Opfers.
Was in der Zeit zwischen 1938 und 1945 geschehen war, davon wollte man
nichts mehr wissen. Die jüdischen Geschäftsinhaber, die in den
Jahren nach dem Krieg zurückkehren wollten, bekamen dies zu spüren.
Die individuelle Haltung der Verdrängung fand in der offiziellen
Politik ihre Entsprechung. Vertriebene Juden wurden nicht zur Rückkehr
eingeladen, und in der Frage der Rückgabe und Entschädigung
für zuvor geraubtes Vermögen wurde eine Hinhaltetaktik entwickelt,
die Minister Helmer am 9. November 1948 mit der bereits zum geflügelten
Wort gewordenen Phrase umriss. "Ich bin dafür, die Sache in
die Länge zu ziehen."
Dies bedeutete unter anderem, dass die Opfer selbst aktiv werden mussten,
zumeist unter Einhaltung von Fristen, welche für im Ausland Lebende
oft unüberwindbare Hürden darstellten. War es für sie nicht
möglich, zeitgerecht ihre Ansprüche geltend zu machen, so hatten
sie doppeltes Pech, während den Nutznießern scheinlegaler Verträge
ein zweites Mal die Gunst der historischen Stunde zugute kam. Es konnte
sogar so weit kommen, dass der ehemalige jüdische Besitzer seinem
Ariseur den Kaufpreis zurückerstatten musste, selbst wenn er davon
durch die ihm auferlegten Steuern nie etwas gesehen hatte.
Die Nutznießer der Arisierung empfanden sich durch Rückstellungsverfahren
als Opfer und gründeten einen eigenen "Verband der Rück-stellungsbetroffenen"
mit Forderungen wie "Wiedergutmachung für die uns zugefügten
Schädigungen." In ihrer Verbandszeitung stellten sie - in eindeutig
antisemitischer Diktion - den Erwerb jüdischen Eigentums als redlich
dar und bezeichneten sich als Lebensretter. Die Tochter der ermordeten
Mürzzuschlager Familie Haas, Emma Schönberger dazu: "Er
(der Ariseur) betont, wie ja alle Österreicher, wie anständige
Menschen sie sind, er und sein Schwiegervater, was sie alles verloren
haben, was man ihnen alles genommen hat usw."
Die "Rückstellungsgeschädigten" suchten und fanden
in der Politik Verbündete. Vor allem Dr. Alfons Gorbach machte sich
zu einem Vorreiter einer Politik des Entgegenkommens gegenüber ehemaligen
Nationalsozialisten. Er intervenierte immer wieder bei Anwälten der
das Rückstellungsverfahren betreibenden Partei. So auch im Fall Haas,
"da ein solcher Streit in Mürzzuschlag für beide Teile
höchst unangenehm sein würde und es sich um die Existenz eines
Kaufmannes handelt".
In die Länge gezogen wurde die "Wiedergutmachung" tatsächlich.
60 Jahre danach beginnt das offizielle Österreich sich seiner Geschichte
zu stellen. Höchste Zeit also, dass auch die Steiermark sich der
Aufarbeitung dieses dunklen Teils ihrer Geschichte annimmt.
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