http://david.juden.at  
 
 

unterstützt von:


 

FRANZ RUDOLF BIENENFELD:
Ein Pionier der Menschenrechtsgesetze

Evelyn ADUNKA

Es gibt nicht wenige gute Gründe, an den heute völlig vergessenen Wiener Rechtsanwalt und in vielen seiner Publikationen sehr originellen jüdischen Autor Franz Rudolf Bienenfeld zu erinnern. Sein Freund und Schüler, der 1938 ebenfalls nach Großbritannien exilierte österreichisch-jüdische Rechtsanwalt Fritz Lothar Brassloff nannte ihn nicht umsonst "eine der bedeutendsten Gestalten des österreichischen Judentums" und rühmte Bienenfelds "Begabung, Fleiß, Ehrgeiz, Beharrlichkeit", die diesen zu weit überdurchschnittlichen Leistungen befähigten.1

Franz Kobler, wie Bienenfeld ein Wiener Rechtsanwalt und bekannter jüdischer Historiker, der gleichfalls 1938 nach Großbritannien emigrierte, nannte seinen Freund F. R. Bienenfeld "[e]ndowed with an unsual sagacity, eloquence, with and personal charm" und schrieb weiters über ihn: "It is indeed not only Bienenfeld's deep attachment to the Jewish people but no less a burning desire for justice that inspires him to his tireless efforts on behalf of the Jews."2
Franz R. Bienenfeld wurde 1886 in Wien als Sohn eines Advokaten geboren.
Mütterlicherseits stammte er von der berühmten rabbinischen Familie Schmelkes ab.
Seine Schwester Elsa Bienenfeld war eine Schülerin von Arnold Schönberg und Guido Adler. Sie arbeitete als Musikkritikerin des Neuen Wiener Journals, wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert und in Mali Trostinec ermordet. Bianca Bienenfeld, seine zweite Schwester, war Ärztin und starb bereits 1929.3
Bienenfeld studierte in Wien Jus und arbeitete ab 1915 als Rechtsanwalt in Wien. 1933 veröffentlichte er das Buch Die Haftungen ohne Verschulden. "Typenlehre" und System der aussergeschäftlichen Obligationen im deutschen, österreichischen und schweizerischen Recht, für das er mit dem Anton Dirl-Preis der Universität Wien ausgezeichnet wurde.
Außerdem fungierte er in der Zwischenkriegszeit als Wirtschaftsberater der Ernährungszentrale der österreichischen Regierung und er war Vorstandsmitglied der Prüfungskommission der Wiener Rechtsanwaltskammer.4
Als junger Mann bewunderte er Sigmund Freud, dessen Vorlesungen er fünf Jahre lang besuchte.5

Über Freud schrieb er in den dreißiger Jahren: "...so ist heute der Mut, die Menschlichkeit, der Geist und das Genie Sigmund Freuds das Muster menschlicher Würde in einer verwilderten Epoche."6
1947 bekannte er über Freud: "I have been influenced by Sigmund Freud since my earliest youth - be the results of his work, by his method of thought, and, I venture to hope, by his spiritual courage."7
Zusammen mit Fritz Eckstein, August Aichhorn und Ludwig Jekels gehörte er später zur allwöchentlich am Samstag Abend sich treffenden Tarockrunde Freuds.8
Auch Martin Freud, der älteste Sohn Sigmund Freuds, erinnerte sich an Bienenfeld: "His prudence and wit enchanted father, and he was much liked as a card player." Da Martin Freud Jus studiert hatte war er auch ein Fachkollege Bienenfelds. Er bewunderte ihn und konnte ihn als sein Mitarbeiter auch sehr gut beobachten, worüber er etwas ironisch berichtete: "You cannot compare a whale with a sardine? Bienenfeld made it possible for the two of us to work together in certain cases - they were probably not his most important ones. It gave me incredible pleasure to watch him in court. I remember a civil case, rather weak in my opinion, where his opponent was a typical Teutonic lawyer, twice Bienenfeld's size, and with a face like the hero of the Nibelungenlied. I noticed with amusement that he was frightened to death of his Jewish opponent, and when Bienenfeld hinted that an agreement was not out of the question, he jumped at the chance, only too glad to avoid a legal battle which, in my opinion, he could hardly have lost. How comforting that profundity of knowledge and superior intellect could make a Jew not only admired but even feared!"9
In der Zeit der sich abzeichnenden Machtübernahme der Nationalsozialisten gehörte Bienenfeld zu jenen, die Freud vergeblich zur Emigration in die Schweiz zu überreden versuchten.10
Noch 1957 veröffentlichte Bienenfeld im International Journal of Psycho Analysis die Studie Justice, Aggression and Eros über den Ursprung von Recht und Gerechtigkeit in der Kindheit.
1934 publizierte Bienenfeld unter dem Pseudonym Anton van Miller das Buch Deutsche und Juden, das 1939 auch ins Englische sowie ins Französische übersetzt wurde. Die von der IKG herausgegebenen Iskult Presse Nachrichten (IPN) nannten das Buch "eine der ersten und schärfsten sachlichen Angriffe gegen die nationalsozialistische Doktrin." Für Franz Kobler war es "a penetrating historical and sociological analysis of the greatest crisis which the German Jews had ever encountered." Josef Fraenkel erinnerte sich, daß die Nazis das Pseudonym bald lüfteten und Bombenanschläge gegen den Autor verübten.11
Bienenfelds Buch war der originelle Versuch, die antisemitischen Argumente der Nazis in deren Schriften ernstzunehmen und auf diese einzugehen. So stimmte er mit dem Befund überein, daß in für die "Wirtsnationen" lebenswichtigen Gebieten die Juden zu "unleugsamen Machtpositionen" gelangten, gab allerdings als logischen (und von den Nazis sicher nicht anerkannten) Grund dafür an: "Zu jedem Amte, das ein Mensch bekleidet, gehören immer zwei: der eine, der es will und der andere, der es gibt..."12
Er analysierte auch den charakteristischen Assimilationswunsch der mitteleuropäischen Juden, der sich besonders in ihren kulturellen Tätigkeiten spiegelte: "Niemals haben die Juden ihre eigene Kultur, Erziehung und Religion anderen Nationen zu übermitteln versucht...die mitteleuropäischen Juden arbeiteten als Geistige ausschließlich nicht nur durch, sondern auch für die Kultur ihrer Wirtsnationen."13
Das bekannte jüdische Sprichwort "Die Juden sind so wie alle anderen Menschen, nur mehr so" variierte Bienenfeld u.a. in dem Satz. "Die mitteleuropäischen und die westlichen Juden zeigen gegenwärtig die Tugenden und die Laster ihrer Wirtsvölker stets zum Quadrat erhoben."14
Im Februar 1939 erschien in Wien Bienenfelds Broschüre Die Religion der religionslosen Juden, die auf einen am 10. November 1937, dem Geburtstag Friedrich Schillers, gehaltenen Vortrag in der Gesellschaft für Soziologie und Anthropologie der Juden zurückging. Diese Auflage wurde von den Nazis vernichtet, das Buch jedoch auch ins englische übersetzt und 1955 auf deutsch neu aufgelegt. In den zahlreichen, seither auf deutsch und englisch publizierten Untersuchungen über das säkulare jüdische Bewußtsein wurde die Publikation allerdings nicht rezipiert.15
Der Vortrag möge, wie Bienenfeld ausführte, "Zeugenschaft dafür ablegen, daß die Judenheit, damals ungehört von den demokratischen Regierungen, ihre Stimme erhob, um die Menschheit und die Menschlichkeit zu vertei-digen."16
Bienenfeld definierte darin die religionslosen Juden nicht als konfessionslose oder gottlose Juden, sondern als "jene Menschengruppe, die die Ritualien der jüdischen Religion nicht mehr einhält, die Speisegesetze, die Heiligung des Samstags, die genauen Sexualvorschriften der Bibel oder des Talmud, die Verrichtung der vorgeschriebenen Gebete zu bestimmten Tageszeiten und in bestimmter Form, und die sich hiedurch schon rein äußerlich von der weit größeren Menge der orthodoxen Juden unterscheidet." Maßgebend für diese Gruppe sei daher die äußere Form der Lebensführung sowie, "daß sie trotzdem als Juden erkennbar sind."17
Die These, die im Zentrum von Bienenfelds Schrift steht, lautet: "Ich behaupte, daß bei den religionslosen Juden bestimmte Grundzüge der jüdischen Religion unbewußt fortwirken, welche ihre Lebensrichtung und ihre Geistesart bestimmen, daß bei ihnen trotz aller Abkehr von den Ritualien der jüdischen Religion deren hauptsächliche Glaubenssätze fortwirken - gewöhnlich ohne Wissen ihres Trägers und trotz der bei den religionslosen Juden endemischen Verachtung jüdischer Traditionen, und daß es eben diese Geisteshaltung, diese unbewußte Religion ist, die die religionslosen Juden zu einer eigenartigen Gruppe innerhalb ihrer Umgebung macht."18
Als die Grundgedanken der jüdischen Religion, die auch unter religionslosen Juden weiterwirken, beschrieb Bienenfeld: "die Idee der brüderlichen Gleichberechtigung, der Gerechtigkeit, der Vorherrschaft des Wissens und der Vernunft und endlich noch eine vierte und letzte: der Gedanke der Diesseitigkeit." Als die drei herausragendsten Vertreter der religionslosen Juden nannte er Marx, Freud und Einstein, ohne daß er diese Wahl genauer ausführte. Weiters nannte er noch zahlreiche andere Namen und erwähnte ausführlicher Josef Popper-Lynkeus und Walter Rathenau.19
Laut Josef Fraenkel war diese Publikation einer der Gründe, warum Bienenfeld in näheren Kontakt mit Robert Stricker kam und ihm 1937 als Vorsitzender der österreichischen Sektion des 1936 gegründeten World Jewish Congress (WJC) nachfolgte. Im Widerspruch dazu schrieb jedoch Bienenfeld selbst im Vorwort zur englischen Ausgabe, daß er den Vortrag bereits in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der österreichischen Sektion des WJC gehalten hatte.20
In einem Gedenkbuch für Robert Stricker schrieb Bienenfeld 1950 über den bedeutendsten Führer der österreichischen Zionisten, der von den Nazis 1944 in Auschwitz ermordet wurde: "Stricker's murder by the Nazi gang in a concentration camp signifies the voluntary exclusion of the German people and their Austrian followers, from the community of civilised nations."21
Fünf Jahre später führte er den Vorsitz zu einer von der Jacob Ehrlich Society organisierten Gedächtnisfeier für Robert Stricker.
Zur Zeit des "Anschlusses" befand sich Bienenfeld in Zürich, wodurch er gerettet wurde. Er verlor jedoch die gesamte Einrichtung seiner Wohnung und Kanzlei sowie seine umfangreiche Bibliothek. Im Wiener Stadt- und Landesarchiv hat sich ein Akt erhalten, laut dem die genau aufgelistete Wohnungseinrichtung "des reichsflüchtigen Juden Dr. Rudolf Bienenfeld" um 575 und 3507 Reichsmark an die Brigadeführer Hans Löwe und Dittler (der Vorname ist nicht gegeben) 1938 und 1939 verkauft wurden.22
1939 emigrierte Bienenfeld weiter nach London. Dort wurde er zum Präsidenten der Jacob Ehrlich Society gewählt, der zionistischen Vertretungsorganisation der (im Gegensatz zum Free Austria oder dem spätereren Free Austrian Movement) bewußten Juden aus Östereich, die nach dem 1938 im KZ Dachau ermordeten zionistischen Wiener Kultusvorsteher und Gemeinderat Jakob Ehrlich benannt war. Durch sie schuf er laut dem ebenfalls nach London emigrierten Franz Kobler "a centre and forum for the Jewish refugees from Austria."23
Fritz L. Brassloff erinnerte daran, daß Bienenfeld im Rahmen der Jacob Ehrlich Society "mit Nachdruck und Erfolg gegen Projekte einer Massenrepatrierung" eintrat, da "die überwältigende Mehrzahl der aus Mitteleuropa stammenden Juden" nicht zu einer Rückkehr bereit war.24
1942 veröffentlichte Bienenfeld in London die Broschüre Die Aufgaben der Jacob Ehrlich Society, eine schonungslose Abrechnung mit den assimilierten, unjüdischen Juden, aus denen die österreichische Emigration zu 25 Prozent bestand, in der er schrieb: "Alle die vielen Gruppen und Grüppchen, die officiellen und die getarnten Communisten, die sozialistischen Dissidenten, die Demokraten, die Monarchisten, ja selbst die Christlich-Socialen - sie alle werden ausnahmslos von Juden geführt, die ihr Judentum verschweigen und die Sicherung der Zukunft Österreichs als ihre einzige Aufgabe betrachten, die Zukunft desselben Österreich, das das Grab ihrer Brüder und Schwestern geworden ist."25
Seine Ablehnung richtete sich nicht gegen die wichtige soziale Arbeit der Flüchtlingsorganisationen, deren Bedeutung ihm bewußt war, sondern nur gegen deren politische Ziele: "Solange die österreichischen Vereine, besonders der stärkste unter ihnen, das Austrian Centre, sich auf wirtschaftliche und gesellschaftliche Fuersorge für die Refugees beschränkten, war gegen ihre Tätigkeit nichts einzuwenden. Anders wurde die Situation, als sie sich vor etwa einem Jahre zu einer politischen Bewegung zusammenschlossen, zum Free Austrian Movement. Seine Ziele wurden für das Judentum im Allgemeinen und besonders für die Refugees eine Gefahr, die von vielen ihrer Mitglieder nicht erkannt wird, da diese bei ihrem Eintritt in die Vereine nur gesellschaftliche und wirtschaftliche Vorteile geniessen, aber nicht eine politische Bewegung unterstützen wollen."26
Er formulierte im wesentlichen drei Einwände gegen das Free Austrian Movement: Gegen dessen Forderung der sofortigen und vollkommenen politischen Selbstbestimmung für Österreich nach dem Krieg, "dessen ganze Jugend und gewiss mehr als 25% seiner Bevölkerung nazistisch ist..." Gegen dessen zweiter Forderung der Bildung einer österreichischen Legion, da diese nur dazu geeignet wäre, "den Nazis in Österreich nach ihrer Niederlage ein Alibi zu sichern."27
Sein Hauptargument richtete sich jedoch gegen die seiner Ansicht nach in vielerlei Hinsicht fehlende Legitimation des Free Austrian Movement: "Aber die Haupteinwendung gegen das Free Austrian Movement ist die, dass alle Vereinigungen, die ihm angehören, keinerlei Legitimation haben weder für die Refugees noch für den unterdrückten demokratischen Teil Österreichs zu sprechen. Für die Refugees, die fast nur Juden sind, kann das Movement nicht sprechen, weil es keine jüdische Bevölkerung ist und sein will. Für die unterdrückte demokratische Bevölkerung Österreichs kann es kein Wortführer sein, weil nicht eine einzige seiner Gruppen in Friedenszeiten auch nur einen Abgeordneten in das österreichische Parlament entsenden konnte, weil weder auf eine Liste der Demokraten noch der Communisten noch der Monarchisten noch der socialistischen Dissidenten auch nur ein Abgeordneter gewählt wurde. Die einzige Gruppe, die legitimiert ist, die unterdrückte demokratische Bevölkerung Österreichs zu repräsentieren, sind die officiellen Sozialdemokraten - und diese haben sich dem Movement nicht angeschlossen."28
Was die Nachkriegszeit betraf, so hatte auch Bienenfeld, ähnlich, wenn auch nicht inhaltlich vergleichbar wie die im Free Austrian Movement organisierten österreichischen Kommunisten und Linke meist jüdischer Herkunft, Illusionen in bezug auf die Größe der neuen jüdischen Gemeinde, die er auf 30-40 000 Menschen schätzte.29 Was die zivilisatorische Zukunft Österreichs betraf war er jedoch überaus pessimistisch: Wien "wird eine Stätte des materiellen Elends" und von einem Teil der Arbeiter abgesehen, der geistigen Nullität sein, ein Ableger der österreichischen Provinz, des Ungeistes, der Hitler erzeugt hat.30
Danach wurde Bienenfeld sehr persönlich, indem er mit berührenden und keineswegs sentimentalen Worten seine in der Realität nunmehr haltlos gewordene Liebe zu Wien in Analogie zur Liebe zu seiner 1938 in Zürich verstorbenen Frau Margarethe Koritschoner beschrieb: "Man hat mir vorgeworfen, dass ich mir selbst untreu geworden bin, in dem ich mein Gefühl für Österreich verloren habe und andre zur selben Untreue verleiten will, obwohl mir doch alle von Wien und der Wiener Kultur so viel empfangen haben. Das ist nicht so, und ich muss hier unter innerem Widerstreben persönlich werden. Ich kann nicht mehr sagen als dass ich für mich meine tote Frau, eine Halbjüdin, die glücklichste Mischung von Wienertum und Judentum bedeutet hat, von Wiener Charm und jüdischer Ambition, dass sie mein ganzes Wesen geprägt hat und für mich ein Sinnbild Wiens war und ist. Aber mein brennender Wunsch, sie lebendig zu wissen, kann mich, ausser im Traume, nicht darüber wegtäuschen, dass sie tot ist und dass ich sie nicht zum Leben erwecken kann. Auch darin gleicht sie Wien. Wien, das Wien, das wir gekannt und geliebt haben, das zusammen mit dem Judentum unser Wesen geprägt hat, dieses Wien ist unwiederbringlich tot und unsre heissesten Wünsche und unsre besten Bemühungen können es nicht wiederbeleben."31
Mit seiner anschließenden Stellungnahme zum Zionismus nahm er die künftige Entwicklung des Judentums in der Welt vorweg, indem er bekannte, dass er völlig unfähig sei, zu verstehen, "wieso gegenwärtig ein continentaler Jude aus Deutschland oder Österreich Nicht-Zionist sein kann" und dass er "den Gegensatz zwischen Zionismus und Nicht-Zionismus für antiquiert" halte.32
Die Jacob Ehrlich Society, über deren Tätigkeit es keinerlei Untersuchung gibt und über die wohl auch viele Quellen für immer verloren sind, soll laut Bienenfeld zu einem Jewish Centre eingerichtet werden, "wo jede jüdische Partei der jüdischen Öffentlichkeit ihre Ziele und ihre Taktik begreiflich machen kann." Sie solle ein kleiner Beitrag sein "zur Erhaltung der jüdischen Gemeinschaft, der jüdischen Kultur und des jüdischen Volkes." Vor allem aber wolle sie beitragen "zur Erhaltung des jüdischen Geistes", weil dieser für die Welt notwendig sei.33
Bemerkenswert war, daß Bienenfeld innerhalb der Jacob Ehrlich Society für die größtmögliche Toleranz aller Strömungen und Richtungen innerhalb des Judentums plädierte, was ihren Stand innerhalb der jüdischen Gemeinde sicher nicht erleichtert hat:
"Innerhalb unserer Vereinigung versuchen wir Frieden zwischen den Orthodoxen und den Freidenkern zu halten und beide Teile Toleranz zu lehren. Wir sind ein zionistischer, kein orthodoxer und kein religiöser Verein und haben daher kein Recht, einen Zwang auf unsere Mitglieder zu üben, damit sie Ritualien einhalten, die den Orthodoxen am Herzen liegen. Ich selbst, obwohl kein religiöser Jude, halte die Orthodoxie nach wie vor für einen der Pfeiler der jüdischen Gemeinschaft und glaubte, dass kein liberaler und kein zionistischer bewusster Jude vergessen sollte, dass sie das Judentum und den jüdischen Geist zu einer Zeit vor der Auflösung bewahrt hat als es noch keine liberalen und noch keine zionistischen Juden gab. Ich bemühe mich daher ohne Zwang Respect vor den Gebräuchen der Orthodoxen anzuempfehlen, so fremdartig sie manchem erscheinen mögen. Auf der andern Seite müssen sich auch die Orthodoxen endlich damit abfinden, dass ein bedeutender Teil der Juden, die sich frei zu ihrem Judentum bekennen, nicht orthodox sind und Toleranz von ihren Genossen in Anspruch nehmen dürfen ebenso wie die ganze jüdische Gemeinschaft Toleranz von den nichtjüdischen Gemeinschaften als ein Gebot der Gerechtigkeit fordert."34
1943 veröffentlichte Bienenfeld in einer Zeitung in London einen von den Hakoah News nachgedruckten und ins englische übersetzten Artikel über "Double Loyalty", in dem er einerseits die Doppelloyalität als natürliche menschliche und gesellschaftliche Eigenschaft verteidigte, sie aber andererseits für die deutschen und österreichischen Juden für zumindest die kommenden 20 Jahre dezidiert ausschloß: "At present, and for the next twenty years, (as long as the poison of National-Socialism has not completely been eliminated from the body of the German people), nobody can be a German and a Jew at one and the same time. He can be a Jew and simultaneously a loyal Briton, American, Canadian, South African, Australian or Russian, because the foundations of cultural life of these nations, notwithstanding the great differences in detail, are identical with those of the Jewish community; because all of them have made an acceptance of human-ness of all human beings, - humanity, - the basis of their civilisation... Double Loyalty: is natural in every family and in every community in spite of petty every-day differences; it is impossible when the soul of one partner has been poisoned for a long period by the wish to murder the other.35
Bienenfeld gehörte in London auch zu den Vortragenden des 1940 von Abraham Joshua Heschel und Franz Kobler gegründeten Institute for Jewish Learning, in dem er 1942/43 über "Race, Nation, Jewry" und 1944 über "Topical Legal Problems of World Jewry" las.36

Vor allem aber arbeitete er in London ehrenamtlich als Senior Legal Advicer bzw. Vorsitzender der Rechtsabteilung des WJC, British Section, sowie als Vorstandsmitglied der United Restitution Office (URO). Er war ein Mitglied der Board of Deputies of British Jews; 1948 wurde er auch Mitglied der Exekutive des WJC.37
Die wichtigste Aufgabe der Legal Section war der damals beginnende Kampf um Restitution und Entschädigung, wofür Bienenfeld und andere Mitglieder der Legal Section bereits im Sommer 1944 ein erstes Memorandum erstellten.38
Ein zweiter Problemkomplex, mit dem Bienenfeld sich auseinandersetzte, betraf das erblose jüdische Vermögen, worüber er 1943 während einer USA Reise mit Vertretern des Institute of Jewish Affairs und der Jewish Agency in New York konferierte.39
Ebenfalls während des Krieges arbeitete Bienenfeld in London zusammen mit Franz Kobler und Aaron Steinberg, dem Vorsitzender der (inzwischen längst aufgelösten) Cultural Section des WJC, British Section an den juridischen Grundlagen des späteren Nürnberger Prozesses und der, wie er selbst beschrieb, Prozesse gegen jene Naziführer, die die Gesetze der Menschlichkeit verletzt haben. Zusammen mit Franz Kobler und Aron Steinberg arbeitete er auch ein Memorandum über die Aspekte des Völkerrechts in Beziehung zu den NS-Verbrechen und zu Fragen der Entschädigung aus.40 1947 erarbeitete Bienenfeld zusammen mit Gerhart Riegner, dem langjährigen Büroleiter des WJC in Genf, als Mitglied der Human Rights Commission der Vereinten Nationen mehrere Memoranden und wurde damit einer der Mitbegründer der universalen Deklaration der Menschenrechte.41
Maurice Perlzweig schrieb über Bienenfelds Engagement für den WJC: "He became a devoted voluntary servant of the Congress, but it was not a mere organisation that he served. The Congress was the embodiment of an ideal to which, long before it came into existence, he had dedicated his knowledge, his intelligence and his energy. He saw in it not only a protector of the rights of Jews. He conceived of it as a Jewish instrumentality through which the rights of all men could be furthered and served. He understood, and has ceaselessly taught that Jewish emancipation is part of the deliverance of all men from bondage, and without it it is illusory."42
1947 veröffentlichte Bienenfeld in London das Buch Rediscovery of Justice. Im Klappentext hieß es über den Verfasser: "The author is an international jurist of high repute and is well known for his scientific research on the Law of Compensation and his work on this subject has remained the authoritative publication on this department of law in Switzerland."
Das Buch beschreibt die Entstehungsgeschichte des Völkerrechts und der verschiedenen Staatsformen und plädierte im vierten Kapitel für "a minimum bill of human rights". Das Ende des letzten Kapitels über "the prospects of justice" beschließt Bienenfeld mit einem eindrucksvollen Kommentar über die prophetischen Visionen des universalen Friedens und der Gerechtigkeit im Buch Jesaia, Kapitel 65: "The indestructible impetus of Justice springs from ist function as a weapon of security, peace and order, and therefore of survival. Great poets and prophets have the power vividly to reveal sub-conscious desires. There is a vision of Isaiah in the Old Testament in which he foretells the emergence of the righteous, true and immaculate ruler, endowed with the quality of authority and with the ability to teach tolerance and understanding. This prophecy expresses humanity's eternal desire for Justice and peace. It proclaims Justice as the regulating force not for society alone, but for the whole of Nature, and it promises peace and order not only for humanity, but for the whole living world. If allowance is made for this fancifiull Absolutism, if society is substituted for Nature, human beings for animals, and if the description of a lasting peace is taken as a symbol of the yearning for security, this prophecy gives a true picture of the task, and also of the limitations of Justice. For in this simile, peace and order, not happiness, are revealed as the fruits of Justice and rulership."43
Im Gegensatz zu seiner in der Zeitung 1943 formulierten, oben zitierten Skepsis über die Zukunft der österreichischen Juden nach der Shoah erwies sich Bienenfeld in der Praxis, wie die Iskult-Presse-Nachrichten 1956 schrieben, stets als ein zuverlässiger Freund der kleinen und ausländischer Hilfe außerordentlich bedürftigen jüdischen Gemeinde.44
Als Mitglied des Exekutivausschusses für jüdische Forderungen an Österreich des Claims Committee nahm er zusammen mit Fritz L. Brassloff, Charles Kapralik, Nehemiah Robinson und Wilhelm Krell, dem Amtsdirektor der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, aktiv an den zähen Verhandlungen mit der österreichischen Regierung um eine Entschädigung der österreichischen Juden teil.45
Im März 1950 besuchte er Wien; in der Wiener juristischen Gesellschaft hielt er einen Vortrag über das Problem der Gerechtigjkeit, der auch veröffentlicht wurde.46
1952 besuchte Bienenfeld auf Einladung der Israelitischen Kultusgemeinde erneut Wien, wo er auf einer Kundgebung zur Erinnerung an das Novemberpogrom im Wiener Messepalast neben Zachariah Shuster einer der beiden Hauptredner war. Er betonte, daß die Juden Österreichs und des Auslands "keine Sonder-rechte, sondern einfach Menschenrechte verlangen. Leider habe man in Österreich den Eindruck, daß die Österreicher von sich selbst glauben, daß sie die Opfer des Nazismus seien. Dadurch haben sie jedes Gefühl für die wirklichen Opfer, nämlich die Juden, verloren... Die moralische Haltung Österreichs darf nicht mit dem Weltgewissen in Widerspruch stehen."47
Im Zusammenhang mit seinem Engagement für die Interessen des österreichischen Judentums ließ Bienenfeld 1956 auf eigene Kosten die Broschüre Der Österreichische Staatsvertrag und die Ansprüche der Verfolgten drucken. In ihr wies er Österreichs Verpflichtung "zur Rückgabe von Vermögen und zur Wiederherstellung von Rechten und Interessen" seiner Bürger, die durch NS-Deutschland enteignet und entrechtet wurden, genau nach.48
Bienenfeld starb 1961 in London nach langer Krankheit. Bei einer Gedenkfeier in London, über die in der Wiener Gemeinde ein Bericht veröffentlicht wurde, sprachen Aaron Steinberg, Sir Barnett Janner von der Board of Deputies of British Jews, Dr. Hans Reichmann von der Association of Jewish Refugees, Josef Fraenkel von der Jacob Ehrlich Society und A. L. Eastermann vom WJC. Von den beiden ebenfalls aus Wien stammenden Juristen Charles Kapralik und Fritz L. Brassloff wurden Botschaften verlesen.49

Anmerkungen
1 Die Gemeinde, 30.6.1961.
2 AJR Information, September 1956.
3 Herbert A. Strauss, Werner Röder, Handbuch der deutschsprachigen Emigration, New York, München 1980-1983, Band 1, S.63. Josef Fraenkel in Neue Welt, Juni 1961.
4 Die Stimme, Nr. 100, November/Dezember 1956; Neue Welt, Juni 1961; Herbert A. Strauss, wie Anm. 3
5 Neue Welt, Juni 1961.
6 Anton van Miller 1936, S.177.
7 F. R. Bienenfeld 1947, S.9.
8 Vgl. Johannes Reichmayr, Spurensuche in der Geschichte der Psychoanalyse, Frankfurt am Main 1994, S. 26; Information von Ernst Federn, Wien 1999.
9 Martin Freud in Josef Fraenkel (Hg), The Jews of Austria, London 1967, S.205.
10 Ernst Federn: Die Emigration von Anna und Sigmund Freud. Eine Fallstudie. In: Friedrich Stadler (Hg). Vertriebene Vernunft II. Wien 1988, S.247.
11 AJR Information, September 1956, Neue Welt, Juni 1961. IPN abgedruckt in: Das Jüdische Echo, Vol.V, Nr.1, 1956.
12 Anton van Miller 1936, S.8.
13 Ebd., S.137, 140, 142/43.
14 Ebd., S.177/78.
15 Die Gemeinde, 30.6.1961.
16 F. R. Bienenfeld 1929, S.7.
17 Ebd., S.9.
18 Ebd., S.13.
19 Ebd., S.10, 22, 30/31.
20 Neue Welt, Juni 1961.
21 F. R. Bienenfeld in Josef Fraenkel (Hg), Robert Stricker, London 1950, S.24.
22 F. L. Brassloff in: Die Gemeinde, 30.6.1961. Wiener Stadt- und Landesarchiv, MA 119,
A/11, Schachtel 1/4 und 3/161.
23 Franz Kobler in AJR Information, September 1956.
24 F. L. Brassloff in: Die Gemeinde, 30.6.1961.
25 F. R. Bienenfeld 1942, S.2.
26 Ebd., S.3.
27 Ebd., S.4/5.
28 Ebd., S.5.
29 Ebd., S.4.
30 Ebd., S.9.
31 Ebd., S.8/9.
32 Ebd., S.9.
33 Ebd., S.19/20.
34 Ebd., S.10/11.
35 Hakoah News, Nr.85, April 1943.
36 Edward K. Kaplan, Samuel H. Dresner, Abraham Joshua Heschel, New Haven. London 1998, S.297-300. Evelyn Adunka, Franz Kobler (1882-1965): Rechtsanwalt und Historiker. Menora, Band 5, München 1994, S.107.
Programme des Institute for Jewish Learning
aus dem Nachlaß von Franz Kobler, Leo Baeck Institut, New York und von Dr. A. Shisha
an d. Verf., London 1999.
37 Neue Welt, Juni 1961; Nachruf der URO über
F. R. Bienenfeld, 12.7.1961, Ordner 36, XXX, D/a, Archiv der IKG.
38 Unity in Dispersion. A History of the Jewish Congress. New York 1948, S.151
39 Ebd., S.152.
40 AJR Information, Juli 1965; F. R. Bienenfeld 1947, S.10.
41 Nachruf der URO, wie Anm. 38.
42 Maurice Perlzweig an Dr.Stephen Roth, 26.9.1956, 2 S., C2/559, Central Zionist Archives, Jerusalem.
43 F. R. Bienenfeld 1947, S.239/40.
44 IPN, 26.9.1956.
45 Gustav Jellinek in Josef Fraenkel (Hg),
The Jews of Austria, London 1967, S.397.
46 Juristische Blätter, Heft 10, 13.5.1950.
47 Neue Welt, November 1952.
48 F. R. Bienenfeld an Nehemiah Robinson,
24. 6. 1957, Ordner 2, XXX, A/a,
Archiv der IKG.
49 Die Gemeinde, 21.7.1961.
Literatur
F. R. Bienenfeld: Die Religion der religionslosen Juden. Wien 1939.
Anton van Miller (=F. R. Bienenfeld): Deutsche und Juden. Mährisch Ostrau 1936.
F. R. Bienenfeld: Die Aufgabe der Jakob Ehrlich Society. London 1942.
F. R. Bienenfeld: Rediscovery of Justice. London 1947.

Zurück

 

 
 
webmaster@david.juden.at

Unterstützt von haGalil.com
haGalil onLine