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Die Juden in Hietzing
Zwei Ausstellungen und ein Denkmal im Internet
Robert STREIBEL
Die Liste der Juden aus Hietzing, die die Befreiung 1945 nicht
mehr erlebten, ist lang und umfaßt an die 300 Namen. 300 Namen,
Schicksale, die vergessen sind und nach denen nicht mehr gefragt wird.
Die Liste aller jüdischen Familien, die in Hietzing gelebt haben,
ist länger. Vergessen sind auch die Geschichten jener, die fliehen
konnten, die im Exil lebten und vielleicht zurückkamen. Bislang ist
kein Versuch unternommen worden, den Prozeß des Vergessens zu stoppen.
"Plötzlich waren sie alle weg" heißt
der Titel der Gesprächsrunde, zu der die Volkshochschule Hietzing
im Herbst 1999 erstmals geladen hatte. Wer erinnert sich an die jüdischen
Nachbarn, an die Geschäfte? Im Jahr 1938 waren sie "plötzlich
alle weg". Manche besuchen noch ihre Heimat, wer aber schreibt die
Geschichte der Vertriebenen, der Ermordeten? Dieser Gesprächskreis
soll einen Beitrag zur verdrängten Geschichte des Bezirks liefern.
Ohne ihre Mithilfe, ohne die Erinnerungen der älteren BewohnerInnen
des Bezirkes kann diese Geschichte nicht geschrieben werden.
Eine kleine Gruppe fand sich ein, erste Erinnerungen,
erste Spuren: Ing. Ernst Fiegl, geboren 1914 in der Altgasse 23a, erzählt
über seine Erlebnisse mit der "Volkswut" 1938 gegen Juden.
Vor 1934 war das Zentrum der Lebensinteressen der Jugendlichen aus sozialdemokratischen
Familien der Goldmarkplatz. "Am Goldmarkplatz hat es Spiel und Spaß
und Diskussionen gegeben. Dort war es so, daß wir mit allen möglichen
Religionen zusammengekommen sind. Der Häuptling von der SAJ von ganz
Hietzing - damals gehörte Hietzing noch zu Penzing - war Daniel Eckstein,
der vor zwei Jahren starb. Ich besuchte ihn noch 1972 in Israel."
Am 16. März 1938 wurden Ernst Fiegl und seine Frau verhaftet, wenige
Tage vorher hatte Fritz Weiß, ein Schulfreund, mitgeteilt, dass
die Familie in die USA flüchten könne. Die Frau von Ernst Fiegl
wurde damals von einem "milden" österreichischen Beamten
verhört, der absichtlich-unabsichtlich das Denunziationsschreiben
so legte, dass sie es lesen konnte. Der Denunziant war der Sohn einer
Familie, "die neben meinen Schwiegereltern in der Rohrbacher Straße
(damals ein typisches Wiener Vorstadthaus mit dem offenen Gangloch) Jahrzehnte
lang gewohnt hatte." Auch nach der Freilassung aus dem Gefängnis
in der Elisabethpromenade trafen sich Ernst Fiegl und Fritz Weiß.
"Dann kam die böse Zeit. Ich ging mit Fritz
Weiß auf die Rax wandern. Es waren überall Plakate mit den
Aufdrucken "Juden nicht erwünscht, Juden raus" zu lesen.
Wir trauten uns nirgends einzukehren, weil wir Angst hatten, daß
die Leute an unserem Aussehen erkennen könnten, daß wir Juden
waren. Eines Sonntags beschlossen wir, nach Hietzing zu gehen. Die Straßen
waren eher ruhig, nichts Auffälliges festzustellen. Plötzlich
sahen wir auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen Lehrer
mit Kindern. In der linken Hand, hatte jedes der Kin
der Steine. Sie rannten auf uns zu. Da uns der Lehrer erkannte,
rief er den Kindern etwas zu, was ich nicht verstehen konnte. Sie liefen
wieder zu ihm zurück... Später kam ich erst dahinter, warum
uns die Kinder mit Steinen bewerfen wollten: weil wir kein Hakenkreuz
angesteckt hatten. Danach rannten die Kinder zum Hietzinger Bräu
und schlugen dort bei einem teuren Delikatessengeschäft namens Neusiedl,
dessen Besitzer ein Jude war, die Scheiben mit ihren Steinen ein. Das
war die Volkswut."
Bei einem Gesprächsabend berichtete Ing. Herbert
Reisner, der 1924 geboren wurde und ab Anfang der 30er Jahre in der Veitingergasse
50 und in der Maxingstraße 72 wohnte über sein Leben. Ing.
Reiser besuchte die Volksschule in der Jagdschloßgasse, Am Platz
und das Gymnasium in der Fichtnergasse. Er war Mitglied in der zionistischen
Organisation des Bethar, zionistische Pfadfinder, deren Heimabende in
der Eitelbergergasse stattfanden, wo auch die Synagoge stand. "In
Wien gab es zwölf Ortsgruppen davon. Die nächste war in Mariahilf.
Zu meiner Gruppe gehörten Ernst Berger und die Brüder Schechter.
Sie alle wanderten nach Israel aus. Fritz Ehrenfeld übernahm dann
in Preßburg bis 1939 den Bethar." Zum schrecklichsten Erlebnis
gehörte sicherlich der rasche Wandel von Nachbarn nach dem März
1938. "Die einzelnen Personen verschworen sich gegen die Juden. Von
einem zum anderen Tag verkaufte uns der Greißler nichts mehr."
Im Jahr 1938 übersiedelte die Familie nach Preßburg.
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"Da sich damals die Tschechen
recht anständig benahmen, gaben sie meinem Vater ein Visum."
"Die Slowaken waren bestechlich. Mein Vater wurde verhaftet, er zahlte
für damalige Verhältnisse einen hohen Betrag und wurde wieder
freigelassen. Wir konnten uns nur in ein Versteck im Magazin unseres Geschäftes
im Keller retten, welches durch einen Wandschrank abgeteilt war. Mein Vater
und ich machten uns arische Papiere. Das Geschäft führte ein Angestellter,
der recht "arisch" aussah. Nur dadurch konnten wir uns auch finanziell
retten. Mein Vater nahm sich einen Ariseur, der Deutscher war, aber in der
Slowakei lebte. Er brachte uns Lebensmittel. Wir gaben ihm Pelze und den
Schmuck meiner Mutter. Mein Vater beteiligte ihn dann zu 50% an seinem Geschäft.
Als er dann starb, unterstützten wir seine Familie." |
Ausstellungseröffnung "Gelebt und vergessen"
durch Bezirksvorsteher Dipl. Ing. Heinrich Gerstbach
und Dr. Robert Streibel (v.l.n.r.)
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Der heute in den USA lebende Historiker Prof. Robert
Schwarz, wohnte mit seinen Eltern in der Hütteldorferstraße/Ecke
Missendorfer und besuchte regelmäßig den Tempel in der Eitelbergergergasse.
Besonders in Erinnerung geblieben ist ihm die Bar-Mizwa seines Bruders
nach dem Einmarsch der Deutschen. "Eine Woche nach dem Einmarsch,
dem sogenannten Anschluß, hatte mein Bruder Bar-Mizwa. Das muß
ich einmal niederschreiben als Memoiren. Das muß geschrieben werden.
Das ist eine wunderbare Geschichte für die Nachkommen zu lesen. Da
gingen wir im Gänsemarsch, einer nach dem anderen, von der Missendorfstraße
in die Eitelbergergasse in den Tempel, wo die Bar-Mizwa stattfand, denn
wir wollten nicht zusammen auffallen. Mein armer Bruder mußte dann,
also diese Gebete hersagen, es war keine Freude. Weil da waren kaum zehn
erwachsene Männer beisammen. Als ich meine Bar-Mizwa hatte, hat man
mir alles mögliche geschenkt, wie das so üblich ist. Der arme
Bruder hatte überhaupt nichts. Überhaupt nichts. Der ist froh
gewesen, daß er zurückkam. Das war, glaube ich, das letzte
Mal, denn nachher, haben wir keinen Kontakt mehr mit dem Tempel gehabt.
Wir hatten Angst, und dann im November natürlich, wurde er nieder
gebrannt. Sehr schade. Ich meine, überhaupt jeder Tempel, jedes Gotteshaus
ist schade, aber das ist ein wunderschöner Tempel gewesen. Sehr schön
ausgestattet. Herrlicher Tempel."
Im Rahmen des Gesprächkreises wurden auch erstmals
bislang unbekannte Bilder der Demütigung von Juden in Hietzing gezeigt.
Fotografische Dokumente über die alltäglichen und inszenierten
Demütigungen von Juden im Jahr 1938 sind selten und daher werden
bei Publikationen und Berichten immer wieder dieselben Aufnahmen gezeigt.
Jüdische Frauen, die auf dem Lainzer Platz in Hietzing zum Gaudium
der umstehenden Menschen Motorräder und Autos putzen mußten,
zeigen die Fotos von Kurt Tancsics. Als junger Bub war er als Hitlerjunge
selbst unter den Zuschauern dieses erniedrigenden Spektakels. Während
sein Vater bis zu seinem Tod ein eingefleischter Nazi geblieben ist, hat
Herr Tancsics aus der Geschichte gelernt. Klar geworden, was dieser fanatische
Antisemitismus für Folgen hat, ist es ihm, als er zu Kriegsende mit
eigenen Augen die Todestransporte von Juden gesehen hat. Zeitgleich zum
Vortrag wurden die Fotos auch im Internet publiziert und können unter
www.vhs-hietzing.at abgerufen werden.
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Jüdische Frauen müssen im März 1938 auf dem Lainzer Platz
in Hietzing die Motorräder der Deutschen Wehrmacht putzen |
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Im Pensionistenwohnhaus am Trazerberg berichten eine Reihe von
Bewohnerinnen und Bewohnern über ihre Erlebnisse und Erinnerungen.
Zu den interessantesten Schilderungen zählen sicherlich die Jugenderinnerungen
von Gertraud Kerschenbauer, die in der Hietzinger Hauptstraße 118
wohnte und sich an einige jüdische Familien im Haus erinnern kann.
"Gleich die erste Tür, das war die Familie Karl Ausch, er war
Chefredakteur vom "Kleinen Blatt", und wenn er nach Hause gekommen
ist hat er immer einen Pfiff gehabt. Wenn er die Stufen hinaufgekommen
ist - wissen Sie, Sie müssen sich das Haus anschauen, traumhaft,
so ein Haus, eine Mauer, so eine wunderschöne Kunststeinstiege, eine
steinerne Bank unter der Helene ihrem Fenster. Wir mußten aber immer
ruhig sein wegen ihrer Angina pectoris. Und dann hat er immer gepfiffen.
Er hat sich dann nicht mehr erinnern können, also war es eine andere
Melodie, an die ich mich aber nicht mehr erinnern kann."
Neben der Familie Ausch wohnte die Familie Komloschy,
als die Familie aus dem Haus vertrieben wurde , hat die Mutter von Frau
Kerschenbauer ihre Tochter immer in den 2. Bezirk geschickt mit einem
Körbchen voll Lebensmitteln "weil ich als Kind unauffälliger
war". Weiters wohnte im Haus eine alte Frau, die bei den Kindern
nur "Babuschka" hieß. Sie hatte einen Sittich und wenn
man ihr Futter für den Vogel brachte, gab es immer eine kleine Aufmerksamkeit,
einmal sogar ein Hufeisengeldbörsel mit einem Schilling drinnen,
"das waren nicht nur 10 Groschen, das war damals was". Als die
alte Frau starb wurde sie wie es der jüdische Brauch ist, in einen
Holzsarg gelegt. "für uns Christen war das etwas unmögliches,
der Sarg muß schön sein, aber Holz ist Holz, wenn man es genau
nimmt." Die Wohnung der "Babuschka" könne sie heute
noch beschreiben: die Jugendstilmöbel, diese Briefbeschwerer, diese
kobaltblauen Glasschüsseln...? Mit dem Sohn der Familie Grossmann,
dem Hans, spielte die Zehnjährige immer, "die sind angeblich
nach Neuseeland gegangen und haben eine Schafzucht aufgemacht". Die
Kinder der Familie Hubert Goldmann, seien bereits vor 1938 nach Israel
ausgewandert "so lange es noch ging und die haben dann geschrieben
vom Kibbuz". Bei der Hedi Hock im 2. Stock habe sie damals zeichnen
und ein bißchen Englisch gelernt, "die ging nach England und
von der habe ich nie mehr was gehört". "Sie war sehr ruhig
in der Art. Was mir immer so gut gefallen hat, sie hat Packpapier gemacht
für ihre Bücher zum Einbinden, Farben draufgegeben auf das Papier
und das dann zusammengeklatscht, und dieses Ergebnis war dann immer so
interessant, das hat sie dann noch versiegelt. Mit diesem Papier hat sie
dann alles eingebunden. Alles wurde künstlerisch begrabscht."
Warum die jüdischen Hausparteien ausgezogen sind, ausziehen mußten,
das wußte Frau Kerschenbauer schon, denn an die einzige politische
Frage in diesem Zusammenhang an ihre Mutter kann sie sich bis heute erinnern:
"Man hat gesagt, die ziehen weg. Na ja, das habe ich sehr wohl gewußt,
daß das wegen der Nazi ist, das hat mir schon eingeleuchtet, aber
früher, da habe ich, ich weiß noch, wie ich meine Mutter gefragt
habe, sag ich: "Mutti, was ist ein Arier.' ,Ah, das verstehst du
nicht.' Also, da weiß ich, daß ich sie genau gefragt habe:
,Mutti, was ist ein Arier?' Weil immer von Ariern und so die Rede war,
das ist mir nicht so richtig hineingegangen. Ich habe nur gewußt,
aha, die sind jetzt verfemt, die müssen weg, aber daß da so
viel dahintersteht, was ich heute weiß, um Gottes Willen. Nein,
nein, man hat es mich auch nicht so spüren lassen, die weggezogen
sind, die waren sicher verbittert und todtraurig, aber die sind halt gegangen."
Ing. Anton Buczynski, der heute in Holland wohnt, erinnert
sich an die Familie des Meerschaumpfeifen-Fabrikanten Reichenfeld, in
dessen Haus in der Sebastian Brunnergasse in Lainz sein Vater die kleine
Tischlerei betrieb. Der Vater arbeitete auch für eine Reihe von jüdische
Familien und richtete unter anderem die Villa von Arthur Fried in Hietzing
ein. "Arthur Fried flüchtete in die Schweiz. Nach dem Krieg
wurde die Villa in Hietzing an eine Plattenfirma verkauft. 1946 kam er
aus der Schweiz zurück. Nachdem die Familie Fried noch ein Anwesen
in Ober St. Veit hatte, bekam seine Frau, die später nachkam, das
Anwesen wieder zurück." Weitere Erinnerungen an jüdische
Familien bestehen großteils nur mehr aus Namen: ein Mitglied der
Familie Körting, die auch in der Sebastian Brunnergasse wohnte, war
Kinobesitzer in Hietzing, dann war da noch Drogerie Perl, das Delikatessengeschäft
Apenzeller und die Habsburg-Wäscherei der Familie Löwinger.
Der Beginn der Geschichte eines Hauses und seiner Bewohner,
Bruchstücke einer Geschichte. Unzählige Bruchstücke von
anderen Familien liegen bereits vor, zum Beispiel vom ehemaligen Tierarzt
Dr. Neuner, der als Offizier im 1. Weltkrieg gedient hatte und den Arm
in der Schlinge trug. "Er war ein starker Raucher, wir haben dann
immer Zigaretten gekauft und so auf der Bank liegen gelassen, wenn er
vorbeigekommen ist. Er war ein alter Sozialdemokrat und hat immer gesagt,
was soll mir passieren, ich war im 1. Weltkrieg."
Fortgesetzt wird die Spurensuche nach den Juden in Hietzing
mit zwei Ausstellungen. In der Dokumentation "Gelebt und vergessen"
an Hand der durch das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes
erhobenen Opfer der Shoa wurden die Häuser und Wohnungen der hier
bis 1938 lebenden Juden fotografiert. Eine andere Bezirksgeschichte, ein
anderer Blick auf den Bezirk soll damit provoziert werden. Die Bilder
der Fassaden, Vorgärten, der Haustore und Eingangstore erinnern in
keiner Weise an die Personen, die hier gelebt haben. Während in der
ersten Ausstellung kein einziges Bild von Personen zu sehen war und nur
die Bildunterschriften den Bezug zur organisierten und perfekt geplanten
Menschenvernichtungsmaschinerie des Nationalsozialismus herstellten, ist
in der Ausstellung "Die Häuser hatten Gesichter", die am
13. November 2001 eröffnet wird, Fotos und Geschichten der Bewohner
zu sehen Wenn Sie uns mit Anregungen, Fotos, Geschichten und Erinnerungen
unterstützen können, helfen Sie mit, die verdrängte Geschichte
zu bewahren. Rufen Sie uns einfach an: 804 55 24.
Die bisherigen Ergebnisse des Projektes "Juden in
Hietzing" können Sie auch im Internet einsehen unter: http://projekte.vhs.at/hietzing/discuss/
einsehen.
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