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Die Geschichte der Wolfsberger Juden in nazionalsozialistischer Zeit
Andrea LAURITSCH

1338 - 1938. Diese zwei Jahreszahlen bilden eine verhängnisvolle Klammer und gleichzeitig die Höhepunkte antisemitischen Wahns in Wolfsberg. Im August 1338 wurden, so die historisch aus der Legende herausgelösten und verbürgten Tatsachen, in Wolfsberg ansässige Juden zum Teil ermordet, zum Teil vertrieben. Die blutige Tat sowie die Vertreibung wurden mit einer den Juden unterstellten Hostienschändung gerechtfertigt. Christusmord, Brunnenvergiftung, Hostienfrevel und Ritualmord waren jene damals häufig verbreiteten antisemitischen Schauermärchen, mit denen eine christliche Umgebung dem »Gottesvolk der Israeliten« begegnete. Hinzu kam der Vorwurf der »Wucherei«. Der ökonomische Aspekt im Sammelsurium der antisemitischen Stereotypen gewann im Laufe der Jahrhunderte noch zunehmend an Bedeutung.

600 Jahre später veranstaltete der Gemeinderat Wolfsbergs eine Sondersitzung zum >Gedenken< an das mittelalterliche Pogrom. Doch mittlerweile wurde eine noch nie dagewesene und mit den antijüdischen Ausbrüchen früherer Zeiten und anderer Länder kaum vergleichbare Vertreibungs- und Vernichtungspolitik inszeniert. Die Einstellung und weitgehend wohl auch die Absichten der Nationalsozialisten gegenüber der »jüdischen Rasse« blieben seit Jahren keinem aufmerksamen Leser und Zuhörer verborgen. Auch in den lokalen und regionalen Zeitungen vermehrten sich bereits vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten die Hetzartikel insbesondere gegen Juden. Neben der Religionszugehörigkeit war ab März 1938 nunmehr auch die Abstammung ein Kriterium dafür, ob man als Bürger mit allen Rechten galt oder wie im Falle der Juden für rechtlos erklärt und einem staatlich durchgeführten Raubmord zum Opfer fiel.

Folgt man den offiziösen örtlichen Berichten von Gendarmerie1, Polizei2 und Stadtchronik3, so soll 1938 die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Wolfsberg ohne »Vorfallheiten« vor sich gegangen sein. Die Verhaftungen von Regimekritikern, insbesondere der Gegner des Putschversuchs der Nationalsozialisten in Wolfsberg im Jahre 1934, setzten allerdings sofort ein. Ebenso die Einschüchterungen und pseudogesetzlichen Maßnahmen gegen Juden.4 »Wer Jude ist oder als Jude gilt«, wurde bereits 1935 in den Nürnberger Rassengesetzen festgelegt. Demnach erfuhren viele völlig assimilierte und ihrer Herkunft nicht bewußten Bürger von ihrer »Abstammung« erst durch die von den Nationalsozialisten für diverse private und berufliche Veränderungen vorgeschriebenen »Ariernachweise«.5
In der regionalen Presse wurden Tag für Tag jene Entrechtungs-Gesetze verlautbart, die Juden zu fast vogelfreien Personen erklären. Mit Anordnungen wie z. B. dem Verbot zum Tragen eines Kärntner Anzugs, des Besuchs von Bädern und anderen öffentlichen Einrichtungen, wurden die Juden gesellschaftlich geächtet; mit dem Verbot der Berufsausübung sollte ihnen ihre Existenz genommen werden. Auch bei den Vorbereitungen zur Anschluß-Volksabstimmung im April 1938 wird ihrer gesondert gedacht: »Es muß jedoch betont werden, daß derjenige, der Jude ist, oder als Jude gilt, der Abstimmung fernzubleiben hat, auch wenn er in der Stimmliste irrtümlich eingetragen sein sollte und jede Übertretung in der Vorschrift als gerichtliches Vergehen bestraft wird.«6 Über die Erfassung ortsansässiger Juden hinaus wurden sämtliche Beteiligungen von jüdischen Eigentümern eruiert. Denn der Raubzug der Nationalsozialisten setzte unmittelbar nach deren Machtergreifung ein. So hatten die Erhebungen aller aufgeforderten Stellen, von der

irkshauptmannschaft bis zur Gendarmerie, nicht nur das Ziel, die Anzahl der im Einflußbereich lebenden Juden zu erfassen.7 Das Interesse der Nazi-Behörden bestand einerseits in der weitgehenden Enteignung der Vermögenswerte von Juden, andererseits vorerst an deren baldiger Ausreise - ab 1939 dann an ihrer Vernichtung.

Einschüchterung und Raub

Wie dies im konkreten Fall Wolfsbergs vor sich gegangen ist - wenn auch zahlreiche Ereignisse nicht mehr rekonstruierbar sind -, soll in der Folge beschrieben werden. Einige Zeitzeugen berichten von den Kreidezeichnungen auf der Straße und an den Fenstern des Gross'schen Geschäfts. Antisemitische Karikaturen und Kaufverbotsaufrufe sollten sowohl die betroffene Familie wie auch Kunden und Freunde verängstigen. »Judenköpfe mit weißer Farbe über die ganze breite Straße gemalt und die Aufschrift: >Jude Gift, raus mit dir!< auf den Auslagefenstern«. Diese Bilder hat Anny Junek noch in ihrer Erinnerung, wenn sie an die März-Ereignisse denkt. Ihr Vater, Adolf Gross, Teilnehmer am Ersten Weltkrieg, meinte noch kurz zuvor gegenüber seinem Nachbarn Johann Leeb: »Was kann mir passieren! Ich bin doch ein hoch dekorierter Offizier der k. u. k. Armee gewesen!« Es folgten Hausdurchsuchungen nach politischem Material, Waffen und Goldbeständen. Nach der Beschlagnahmung von Geldbeträgen und des gesamten Warenlagers wandte sich Adolf Gross als tschechoslowakischer Staatsbürger an seine Botschaft in Wien. Diese reichte mit 31. März 1938 eine Beschwerde an die Bezirkshauptmannschaft in Wolfsberg. In diesem Schreiben wird gegen die Vorgangsweise der NSBO (Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation) Kreisleitung Wolfsberg Beschwerde geführt. Eine Bestätigung über die darin angeführte Entwendung von Geldbeträgen (S 5.500,— und S 79,76) sowie die Besetzung des Geschäftes wird vom Kreisobmann und zwei Zeugen Adolf Gross sogar unverzüglich ausgehändigt.8 Die Bezirkshauptmannschaft hingegen antwortet der Botschaft unwahr, »daß hinsichtlich des Kaufmannes Alfred [sic!] Gross keine Beschlagnahme von Waren u. Geldbeträgen erfolgt ist.« Weiters heißt es in dieser noch zusätzlich unterstellenden Entgegnung: »Es wurde lediglich eine kommissarische Überwachung seines Geschäftsbetriebes in die Wege geleitet, um allfällige unlautere Manipulationen zu verhindern.«9

Die Familien Gross und Singer dürfen ihre Geschäfte nicht mehr betreten und erhielten lediglich ein kleines Taggeld zum Leben. Gleichzeitig wurde der Verkaufsdruck erhöht. Mitte Mai 1938 wurde vom Landesgericht Klagenfurt der Kaufmann und Parteigenosse XXX als kommissarischer Verwalter der Gemischtwarenhandlung Gross eingesetzt, Anfang Juli übernahm dies der Kaufmannsgehilfe YYY.10 Adolf und Emma Gross gaben dem massiven Druck nach und verkaufen unter Zwang ihren gesamten Wolfsberger Besitz. Nachbarn und Freunde wagen kaum mehr einen Kontakt mit den aus der »Volksgemeinschaft« Ausgestoßenen. Anny mußte ihr Praktikum als Schneidergesellin in einem Wolfsberger Schneidereibetrieb zwangsweise beenden. Auf die Meisterin wurde von Seiten der Nationalsozialisten Druck ausgeübt, so daß diese ihre tüchtige und geschätzte Mitarbeiterin entlassen mußte. Fast völlig entrechtet, gesellschaftlich isoliert und existentiell bedroht, entschloß sich die Familie - nachdem Adolf Gross in der Tschechoslowakei bei seiner Mutter eine kleine Unterkunft organisiert hatte - zur Auswanderung.
Ansicht des ehem. Geschäfts- und Wohnhauses der Fam. Gross

Die Flucht

Am 15. September 1938 verließen Adolf und Emma Gross nach über 25 Jahren jene Stadt, in der sie ihr berufliches und gesellschaftliches Leben nach ihrer Heirat aufgebaut hatten. Die gebürtigen Wolfsbergerinnen Anny und Lotte Gross begleiteten ihre Eltern vorerst nach Wien, danach in die slowakische Stadt Zilina.

Ende November 1938 erreicht den Notar Dr. Fresacher, seines Zeichens auch neuer Bürgermeister der Stadt Wolfsberg, ein Brief aus Zilina. Darin heißt es: »Ich möchte Sie hiemit vielmals ersuchen mir nicht ungehalten zu sein wenn ich Sie heute belästigen muß. Es handelt sich um mein Umzugsgut von Wolfsberg, welches bereits hier ist, u. ich nicht früher ausgefolgt bekomme, bevor ich nicht eine Bestätigung laut beiliegenden Inhalts vorweisen kann. Ich bitte Sie, Herr Notar, mir diese Bestätigung sofort ausstellen zu lassen und express an mich einzusenden. Die auflaufenden Spesen wollen Sie sich bitte bei dem Guthaben von Frau Singer in abzug zu bringen. Nochmals vielen Dank. Hochachtungsvoll Adolf Gross Zilina-Slovakei, Stefanikova 39«11 Emma Groß übernahm - mit Unterstützung der tschechoslowakischen Botschaft - noch Mitte November 1938 persönlich die Verladung zumindest eines Großteils des beweglichen Gutes in ihren Wolfsberger Wohnräumen. So konnten Möbelstücke, Kunstgegenstände, Geschirr und Kleidung der Familie nachgesandt werden. Das Bankkonto, auf dem sich auch die Summe des Verkaufspreises befand, wurde von den Nationalsozialisten gesperrt. So boten die aus der Wohnung noch erhaltenen Gegenstände die einzigen Wertobjekte. Mit dem Verkauf dieser Habseligkeiten konnte die Familie die Jahre in der Slowakei überleben. Nochmals erhielt der Notar ein Telegramm von Adolf Gross, worin die Bestätigung urgiert wird. Mitte Dezember dürfte das amtliche Schreiben dann in Zilina eingelangt sein. In der Abschrift lesen wir:

»Vom gefertigten Amte wird bestätigt, daß sich Herr Adolf Gross, geboren 11. 3. 1885 in Kotešová, am 1. 4. 1910 hier als Wohnhaft polizeilich angemeldet und bis zum 15. 9. 1938 ununterbrochen in Wolfsberg gewohnt hat. Zufolge Übersiedlung in die Tschechoslowakische Republik hat er seinen hiesigen ständigen Wohnsitz aufgegeben und sich beim Polizeiamt Wolfsberg am 15. 9. 1938 abgemeldet. Stadtgemeindeamt Wolfsberg, am 29. November 1938.

Der Stadtverwalter«12

Was sich in Wolfsberg in den Monaten nach der Abreise der Familien Gross und Singer zugetragen hat, sei hier mit einigen Blitzlichtern erhellt. Die ortsansässigen Juden waren vertrieben, den reisenden jüdischen Händlern der Aufenthalt untersagt.13 Dennoch blieb der aggressive Antisemitismus Repertoire der Redner verschiedener Veranstaltungen. So stand die Jahresschluß-Feier 1938 im Rathaussaal auch im Zeichen judenfeindlicher Agitation. 600 Personen wohnten dieser Kundgebung bei.14

Mitte Jänner 1939 wurde in Wolfsberg ein Handwerkerappell abgehalten. Die jüdischen Familien waren bereits enteignet und zum Großteil aus der Lavantstadt und Umgebung geflüchtet. Auf der Veranstaltung hielt der Gauwirtschaftsberater Ing. Alois Winkler eine Rede, in der sich sämtliche antisemitischen Zerrbilder der Nationalsozialisten wiederfinden:

»Zu den vielen Änderungen, die die nationalsozialistische Wirtschaftsauffassung mit sich brachte, gehörte naturnotwendig auch die Entfernung der Juden aus der deutschen Wirtschaft, was durch die Maßnahmen des vergangenen Jahres auch restlos erreicht ist. Wichtig aber und unumgänglich notwendig für die Sicherung nationalsozialistischer Politik auch in den letzten Wirtschaftszweigen sei die restlose Entfernung jenes jüdischen Geistes, der durch die jahrzehntelange Beeinflussung des deutschen Menschen durch den jüdischen Liberalismus und Marxismus in einem großen Teil des Volkes Fuß gefaßt habe.«15

Die Hetze gegen die Juden, die man für alle wirtschaftlichen Mißstände verantwortlich gemacht hat und als Urheber von gegnerischen Politikmodellen ansah, setzte sich auch in den folgenden Jahren fort.

Arisierungen

Ein Thema, dessen Aktualität und Brisanz nicht außer acht zu lassen sind, wird mit den sogenannten »Arisrungen«, d. h. Enteignung der jüdischen Besitzer durch »Arier«, angesprochen. Dieser Vorgang setzte unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten ein. Vorerst wurde sämtliches unbewegliches Gut, vorwiegend Haus- und Geschäftsbesitz, welches ganz oder zum Teil als Besitz von inund ausländischen Juden galt, registriert.16 Die Gendarmerieposten im Bezirk Wolfsberg stellten im Mai 1939 auf Anweisung des Landrats des Kreises den noch nicht arisierten landwirtschaftlichen Besitz von Juden fest. Wilhelm und Maria Rath (sie wird als Jüdin ausgewiesen) hatten 1935 in Farrach ein Gut im Ausmaß von 193 ha 55 ar an Wiesen, Äcker, Wald und Weide erworben.17 Ausgedehnte forstwirtschaftliche Vermögenschaften besaß in St.Vinzenz, Gemeinde Ettendorf, Dora Gottlieb-Ornstein, deren Vater Hugo Ornstein 1936 verstorben war. Ein kommissarischer
Verwalter wurde eingesetzt. Dora Ornstein, die die brasilianische und tschechische Staatsbürgerschaft besaß, wurde als Erbberechtigte angeführt. Über den Vermögensentzug der beiden Besitzungen sowie über das
Los der Besitzerinnen konnte einstweilen nichts weiteres ermittelt werden. Die Wolfsberger Holz- und Pappenfabrik Ges.m.b.H.wurde als »jüdische Unternehmung« 1941 ebenfalls arisiert.18 Beim Verkauf des Grundstückes von Hermine Singer an die langjährige Köchin der Familien Gross und Singer hingegen hat es sich um keine Arisierung gehandelt - wie auch Anny Junek bestätigt.19 Das Wirkwarengeschäft in der Sporergasse wurde allerdings laut schriftlichem Bericht des Sohnes bereits am 15. März 1938 von einem Nationalsozialisten übernommen.20 Doch weder in den Aufzeichnungen der Bezirkshauptmannschaft noch in den Unterlagen der Rückstellungskommission scheinen die Liquidierungs- und Arisierungsvorgänge rund um das Eigentum von Hermine Singer auf.21 Planmäßig gingen die NS-Behörden auch bei der Erfassung von jüdischen Vermögenswerten vor. Diese erfolgte in der eigens dafür eingerichteten Vermögensverkehrsstelle,
auch Instanz für Arsierungs-Bewilligungen.22 Von der Bleiburger Eisengewerkschaft erging Mitte Juli 1938 bezüglich der Vermögenswerte des Adolfo Weiss eine Anfrage an die Vermögensverkehrsstelle. Der in
Wien gemeldete enteignete Besitzer der Goldschürfrechte in der Kliening bei St. Leonhard im Lavanttal ist nicht
mehr in der Lage seine Miete zu zahlen, worauf die Vermieterin sich an den kommissarischen Verwalter seines
einstigen Besitzes zwecks Schuldenbegleichung wandte.23 Der »Fall Gross« Das Verkaufssortiment der
Gemischtwarenhandlung Adolf Gross in Wolfsberg, Untere Stadt Nr. 196, reichte von Kleidung
bis zu Schuhwerk, von Stoffen bis zu Nähzubehör.24 Der Ein- und Verkauf wurde vom Ehepaar Gross gemeinsam organisiert; ab 1936 unterstützt von ihrer Tochter Lotte, die auch die dekorative Gestaltung der Schaufenster übernahm. Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt, wurde das Geschäft Mitte März 1938 von NS-Gefolgsleuten besetzt, Adolf Gross die weitere Ausübung seines Berufs und die Abwicklung seiner Geschäfte untersagt. Als tschechoslowakischer Staatsbürger wandte sich Gross daraufhin an seine Botschaft, um diese Besetzung und die Entnahme von Barvermögen rückgängig zu machen. Die Beschwerde der tschechischen Botschaft in Wien blieb jedoch ohne den für die Familie Gross gewünschten Erfolg. Zwei Monate später wurde der Kaufmann XXX als kommissarischer Verwalter eingesetzt.25 Ihm folgt am 4. Juli 1938 in derselben Funktion ein anderer Wolfsberger Kaufmannsgeselle.26 Der Arisierung des gesamten Besitzes stand bald nichts mehr im Wege. Der Verkaufszwang erhöhte sich noch durch die tagtäglichen Schikanen und Bedrohungen. Ende August
erreichte das Landgericht Klagenfurt die Löschung der Gewerbeberechtigung des Adolf Gross.27 Am 6. September 1938 meldete der »Kärntner Grenzruf« in einem Halbsatz lapidar: »Das Kaufhaus Adolf Groß erstand der Kaufmannssohn XXX [...]«28 In den vermischten Unterlagen des Stadtarchivs Wolfsberg findet sich der Durchschlag der Arisierungsbewilligung durch die Vermögensverkehrsstelle. Da dieses Dokument die Abläufe des Arisierungsvorgangs verdeutlicht, und auch den Umfang des Gross’schen Gesamtbesitzes
anführt, soll der Inhalt hier in Abschrift wiedergegeben werden: »[Stempel:] Vermögensverkehrsstelle im Ministerium für Wirtschaft und Arbeit, Wien I, Strauchgasse Nr. 1 Zl. 6144 Herrn [...], Wolfsberg, 19. 8. 1938
Betr.: Adolf Gross, Wolfsberg, Kärnten Auf Grund der Ihnen am 30. Juni d. J. erteilten Vorgenehmigung, erteile ich Ihnen hiemit die endgültige Genehmigung zum Ankauf der bisher jüdischen Firma Adolf Gross Manufaktur-, Konfektions- und Schuhgeschäft in Wolfsberg, Kärnten Ferner erteile ich Ihnen die Genehmigung zum Ankauf
der Liegenschaft des Adolf Gross in Wolfsberg, Untere Stadt Nr. 196, die aus einem massiv gebauten Gebäude,
einem kleinen Nebengebäude sowie Holzlege samt einen kleinen 196 m2 großen Garten besteht.

Hermine Singer und Emma Gross
Adolf Gross
Der Kaufpreis für die Firma Adolf Gross, Manufaktur-geschäft, beträgt RM 30.667,- der Kaufpreis für die Liegenschaft RM 28.000,-. Der Kaufpreis von insgesamt RM 58.667,— hat auf ein zu errichtendes Sperrkonto
lautend auf den Namen des Verkäufers bei der Österr. Kreditanstalt - Wr.Bankverein oder einer ihrer Filialen ein-gezahlt zu werden. Die Unterlagen für meine Bewilligung bilden 1. Das Ansuchen um Genehmigung der Erwerbung und Veräusserung vom 27. Mai 1938. 2. Der Kaufvertrag vom 12. Juli 1938. 3. Die Unbedenklichkeitserklärung der NSDAP Kreis-leitung Wolfsberg. 4. Eine Befürwortung des Gauwirtschaftsberaters der NSDAP - Gau Kärnten. 5. Das Gutachten des Wirtschaftsprüfers [...], eingelangt am 3. 9. 1938; Nr. 6144 19. 8. 1938 XXX [= Unterschrift des Ariseurs]«29 Der stolze neue Besitzer, ein langjähriger Sympathisant der NS-Bewegung, ›erlaubte‹ den ehemaligen Besitzern noch ein kurzes Wohnrecht. Nach dem 15. September 1938 führte er das arisierte Geschäft und bewohnte mit seiner Familie die beiden oberen Stockwerke. Durch die ausländische Staatsbürgerschaft der Familie Gross konnte wenigstens ein Teil der Möbel, der Privatkleidung und sonstiger Haushaltsgegenstände aus der Arisierungsmasse herausgenommen und nach Zilina transportiert werden.
Im Juni 1946 kam es in Wolfsberg zur ersten Nachkriegsbegegnung zwischen der mittlerweile verheirateten
Gross-Tochter Anny Junek und dem Ariseur der elterlichen Besitztümer. Emma und Adolf Gross waren in
Auschwitz ermordet worden, das Todeserklärungsverfahren eingereicht. Die Erbinnen versuchten, nachdem we-der ihre Eltern noch sie selbst vom Verkaufserlös auch nur eine Reichsmark erhalten hatten, wiederholt ein
außergerichtliches Einvernehmen mit XXX zu erzielen. Im Februar 1948 wurde gegen die beiden Nutznießer
der Arisierung (Vater und Sohn) eine Klage bei der Rückstellungskommission beim Landesgericht Klagenfurt ein-gereicht. 30 Als Antragsteller zeichnen Lotte Roth und Anna Junek, beide wohnhaft in Avenida Dickens 42,
Kolonie Chapultepec-Polanco in Mexiko, und in Vertretung, der noch nicht für tot erklärten Eltern Adolf und
Emma Gross - eine Abwesenheitskuratorin. Die beiden Rechtsanwälte legen den Anträgen, zwecks Rückstellung
des Unternehmens, der Grundstücke und der Erträgnisse, zahlreiche Belege (u. a. Grundbuchauszug, Kaufver-trag, Rechnungsbelege, diverse Bescheinigungen etc.) bei. Aus der Abschrift des Kaufvertrags, datiert mit
11. Mai 1938 (nicht wie im obigen Schreiben vermerkt mit 12. Juli 1938!), geht hervor, daß der Verkaufspreis
wesentlich geringer war als von der Vermögensverkehrsstelle nachträglich festgesetzt. Im Kaufvertrag heißt es
dazu: »... dieser [= XXX, Anm. d. V.] kauft Liegen-schaft Haus Nr. 196 in Wolfsberg EZ 21 KG Wolfsberg, Untere Stadt, samt allem was erd-mauer-niet und nagelfest ist, und samt der Badezimmereinrichtung, sowie mit allen Rechten und Bestandteilen, wie die Verkäufer diese Liegenschaft selbst besassen und benützten, oder zu besitzen und zu benützen berechtigt waren, um den vereinbarten Kaufpreis von S 40.000,—, ist gleich 26.667 Reichsmark. Zum Gutsbestande der verkauften Liegenschaft gehören die Bauparzellen Nr. 105/6 und 2/3, sowie die Gartenparzellen Nr. 107/1, 107/2 und 107/7 der Stgde. Wolfsberg Untere Stadt...«31 In der Gegenäußerung der Antragsgegner vom 28. April 1948 wird versucht, den Vorwurf der Arisierung dadurch zu entkräften, indem behauptet wird, daß Adolf Gross bereits 1935 sein Geschäft zur Pacht angeboten habe. Gross habe darüber hinaus bereits vor dem Einmarsch der Nationalsozialisten die Absicht gehabt, in die Tschechoslowakei zurückzukehren. Zeugen für diese Behauptungen werden angeführt. Außerdem, so XXX, wäre das erworbene Warenlager veraltet gewesen und das Geschäft wäre am 9. März 1943 über Vorschlag der Kreisleitung
der NSDAP Wolfsberg stillgelegt worden. Eine Auflistung der auf das Gross’sche Konto der Länderbank ein-gezahlten Beträge ist in der Gegenäußerung ebenfalls enthalten.32 Im Schreiben des Rechtsanwalts von Anny Junek und Lotte Roth vom 16. Juni 1948 wird der Stellungnahme der Antragsgegner entgegnet. Der »unredliche Erwerb« - »die Arisierungen müßten eigentlich Erpressungen und Diebstähle genannt werden« - kann bei Vorlage der Beweise wohl nicht geleugnet werden, da auch die damalige »Rechtlosigkeit der Juden [...] eine gerichtsbekannte Tatsache« sei. Sämtliche Guthaben, so auch der Verkaufserlös bei der österreichischen Creditanstalt Wiener Bankverein, seien mit 16. September 1938 gesperrt worden. In den darauffolgenden Monaten erfolgten weitere Er-mittlungen: beim Finanzamt über die Geschäftseinkünfte, bei Sachverständigen über den Verkehrs- und Verkaufswert der Liegenschaften und des Werts des Warenlagers im Frühjahr 1938. Nach fehlgelaufenen Vergleichsverhandlungen Mitte 1950 wurde das Verfahren fortgesetzt. Im Herbst 1950 betonten die Kläger neuerlich, daß »unter den damaligen politischen Verhältnissen Frau Gross gezwungen war, ihre Zustimmung zu geben [...], den Eigentümern nichts anderes übrig blieb als sich diesem Diktat zu fügen [...]«.

Anny Gross

Lotte Gross

Im Frühjahr 1951 übermittelte Lotte Roth dem XXX einen letzten Vergleichsvorschlag: »... falls bis längstens
3. 4. 1951 der Betrag von S 120.000,— dem Bankhaus Hypotheken- und Kreditinstitut A. G. in Wien I, Herren-gasse 12 überwiesen ist«, würde der Rückstellunganstrag zurückgezogen werden. Nach erfolgter Überweisung
verzichtete Lotte Roth auf weitere Ansprüche. Das Verfahren wurde eingestellt und im Grundbuch die Eintra-gungen gelöscht. Nach Abzug der Gerichts- und Anwaltskosten, der Kosten für Sachverständige und diverser Gebühren dürften von den S 120.000,— nicht mehr viel übrig geblieben sein. Laut telefonischer Auskunft von Anny Junek vom Juli 2000 erhielt sie noch ungefähr $ 300,—.33 Das Bankvermögen der Eltern wurde von einer NS-Behörde eingezogen, die Töchter haben vergeblich bei der Creditanstalt um Auszahlung des Betrages angesucht.

Dieser Beitrag ist die gekürzte Fassung einer umfangreicheren Forschungsarbeit zur Geschichte der Juden in Wolfsberg/ Kärnten. Die gedruckte Fassung erschien als Broschüre mit Bildteil, die leider bereits vergriffen ist. Im Zuge der Präsentation dieser Broschüre wurde eine Gedenktafel für die ermordeten und vertriebenen Wolfsberger Juden enthüllt ("David” berichtete darüber in der letzten Ausgabe).


1 Die Auswertung der angeführten Gendarmeriechroniken ergab im Hinblick auf die Fragestellung keine Hinweise.
2 Vgl. Rapportbuch der städtischen Sicherheitswache in Wolfsberg, Kärntner Landesarchiv (im folgenden: KLA), Stadtarchiv Wolfsberg (im folgenden: StA Wolfsberg), HS R 466; Abschrift in: Wilhelm WADL und Alfred OGRIS: Das Jahr 1938 in Kärnten und seine Vorgeschichte. Ereignisse - Dokumente - Bilder. Klagenfurt 1988 (= Das Kärntner Landes-archiv, Bd. 15), S. 328-332.
3 Vgl. Kulturamt Wolfsberg, Chronik der Stadt Wolfsberg. In der »Geschichtliche[n] Entwicklung der Gemeinde« heißt es knapp zu den Ereignissen von 1934 [sic!] bis 1945 - unter Aussparung der Bezeichnung »Nationalsozialismus«: »Ihrem [= der Demokratie] Ende nach 1934 und vor allem 1938 trauerten sicherlich alle ehrlichen Demokraten aufrichtig nach, doch gab es auch solche, die die entstehenden Diktaturen mit Überzeugung unterstützten, doch der Zweite Weltkrieg mit seinen unvorstellbaren Opfern und Leiden und der mehr als unvorstellbaren Grausamkeit, mit der er gegen alle Men-schen, nicht nur gegen Soldaten geführt wurde, bewirkte so etwas wie eine Katharsis.« (S. 28) Erich Oberländer, der Verfasser dieser Chronik, hat sich bei der Jahreszahl mit dem Pogrom von 1338 um ein Jahr geirrt. Diese Chronik in losen Blättern umfaßt die Jahre vom ersten nachchristlichen Jahrhundert bis 1976. Ab 1977 wurde die Chronik jährlich und ausführlich auf politische und kulturelle Ereignisse eingehend geführt.
4 Vgl. Zahlreiche Anweisungen von verschiedenen NS-Behörden im Archiv der BH Wolfsberg; z. B. das Schreiben der Geheimen Staatspolizei an alle Bezirkshauptmannschaften und andere Behörden in Kärnten vom 7. 4. 1938.
5 Massenhaft zu finden in den Unterlagen des Stadtarchivs Wolfsberg, KLA.
6 Freie Stimmen, 6. 4. 1938, S. 10.
7 Vgl. Archiv der BH Wolfsberg, diverse Berichte von Gendarmerieposten über die Anwesenheit von Juden polnischer und russischer Staatsangehörigkeit.
8 August WALZL: Die Juden in Kärnten und das Dritte Reich. Klagenfurt 1987, S. 156; das Schreiben ist mit 30. März 1938 datiert und findet sich als Abschrift in den Unterlagen zum Rückstellungsprozeß (KLA, Rk 101/1948).
9 Handschriftlicher Vermerk auf der Rückseite des Schreibens der Tschechoslowakischen Botschaft in Wien, Archiv der BH Wolfsberg, 12 G 21/38.
10 Vgl. Archiv der BH Wolfsberg, 3 G 43/1938; Änderung bei einer Firma vom 16. 5. 1938 und 4. 7. 1938.
11 KLA, StA Wolfsberg, G 164/1.
12 Vgl. Freie Stimmen, 24. 6. 1938, S. 7.
13 Vgl. Freie Stimmen, 24. 6. 1938, S. 7; »Wolfsberg (Der
Schönsonntag-Markt) [...] stand, wie man uns schreibt, im Zeichen des Umbruchs. Die oft beklagten jüdischen Händler mit ihrer Ramschware hatten keinen Zutritt mehr [...].«
14 Vgl. Kärntner Grenzruf, 15. 12. 1938, S. 11; Walzl datiert diese Veranstaltung falsch mit 15. Oktober 1938. Außerdem heißt es da: »... und auf die Kärntner Judenvertreibung des Jahre 1496 mit einer eigenen Vertreibungsfeier in Wolfsberg hinwies.« (S. 218) Dies geht zumindest aus dem vorliegenden und von Walzl zitierten Zeitungsartikel jedoch nicht hervor. 15 Kärntner Grenzruf, 17. 1. 1939, S. 11. Hervorhebungen wurden übernommen; zitiert auch in Walzl, Die Juden in Kärnten und das Dritte Reich, S. 220. 16 Für Wolfsberg vgl. Archiv der BH Wolfsberg; einige der nachfolgenden Akten sind, zwar mit Signatur versehen, lediglich im Register angeführt, fehlen jedoch in den ansonsten lückenlos sortierten Aktenbündeln: 12 J 30/1938 (Juden - Vermö-gensanmeldung), 3 J 28/1938 (Juden - Anmeldung des Ver-mögens), 12 J 71/1938 (Jüdischer Kunstbesitz; Sicherstellung durch Landeskulturkammer), 3 J 38 und 3 J 42/1938 (Jüdische Gewerbetriebe). 17 Vgl. Gendarmeriestation Maria-Rojach an Landrat des Landkreises Wolfsberg, Zl. 1228, Archiv der BH Wolfs-berg, 8 G 73/1939.
18 Der Großbetrieb gehörte zu 50 % Karl Landegger und zu
50 % den Brüdern Mahler. Vgl. Bericht der Kontrollbank
über die von ihr durchgeführten Arisierungen im Jahre 1941,
Staatsarchiv Wien, Vermögensverkehrsstelle, Kt. 1374.
19 Der Verkauf wurde im Jänner 1939 über die Agrarbehörde in Klagenfurt abgewickelt. Im Eingangsbuch 1939 (Grup-pe 7) der BH Wolfsberg ist dem Akt keine Stammzahl zugeordnet. Dieser dürfte nach Überprüfung und Abwicklung bei der Bezirkshauptmannschaft Wolfsberg nach Klagenfurt rücküberstellt worden sein.
20 Vgl. Meldeamt Wolfsberg, Korrespondenz bei Meldekarte von Hans Singer.
21 Am 23. 8. und 2. 12. 1938 wurden an die BH Wolfsberg von der Finanzamtsverwaltung des Landes Kärnten Schreiben betreffend Hermine Singer überstellt. Unter der Stammzahl 12 J 82/1938 findet sich allerdings kein Akt, aus dem der konkrete Gegenstand der behördlichen Korrespondenz erkennbar wäre.
22 Vgl. Archiv der BH Wolfsberg, 12 J 30/1938. Die Vermö-gensverkehrsstelle beschwert sich in diesem Schreiben über Anordnungen von verschiedenen Gemeinden und Bezirksverwaltungen, daß die Anmeldung jüdischen Vermögens bei den Bezirkshauptmannschaften vorzunehmen sei.
23 Vgl. KLA, LR, Kanzleistelle B, 1940, Zl. 744.
24 Vgl. Kärntner Amts- und Adress-Buch aus den Jahren 1928 und 1935. Die registrierte Firma trug die Nummer Reg. A5/83.
25 Vgl. Änderung bei einer Firma, LG Klagenfurt, 16. 5. 1938, Archiv der BH Wolfsberg, 3 G 43/1938.
26 Vgl. ebd.; Änderung bei einer Firma, LG Klagenfurt, 4. 7. 1938.
27 Vgl. Archiv der BH Wolfsberg, 3 J 17/1939; mit hand-schriftlichem Vermerk. Vgl. auch »Verzeichnis über den
in jüdischen Händen befindlichen, bzw. befundenen und arisierten Haus- und Grundbesitz mit Ausnahme von Kla-genfurt«, KLA, Reichsstatthalter, Kanzleistelle B, 1940, Zl. 10683: »Gross Adolf in CSR im Aufenthalte war Be-sitzer eines Wohnhauses und Geschäftes in Wolfsberg Nr. 196, welche an [...] in Wolfsberg verkauft wurden.«
28 Wolfsberg. Besitzveränderungen, Kärntner Grenzruf, 6. 9. 1938, S. 11.
29 KLA, StA Wolfsberg, G 164/2, Zl. 6144.
30 Vgl. KLA, Rk 101/48.
31 Ebd.
32 Ebd.
33 Vgl. Aufzeichnungen eines Telefonats vom Juli 2000 mit Anny Junek, San Francisco.

 

 

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