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Die Geschichte der Wolfsberger Juden in nazionalsozialistischer
Zeit
Andrea LAURITSCH
1338 - 1938. Diese zwei Jahreszahlen bilden eine
verhängnisvolle Klammer und gleichzeitig die Höhepunkte antisemitischen
Wahns in Wolfsberg. Im August 1338 wurden, so die historisch aus der Legende
herausgelösten und verbürgten Tatsachen, in Wolfsberg ansässige
Juden zum Teil ermordet, zum Teil vertrieben. Die blutige Tat sowie die
Vertreibung wurden mit einer den Juden unterstellten Hostienschändung
gerechtfertigt. Christusmord, Brunnenvergiftung, Hostienfrevel und Ritualmord
waren jene damals häufig verbreiteten antisemitischen Schauermärchen,
mit denen eine christliche Umgebung dem »Gottesvolk der Israeliten«
begegnete. Hinzu kam der Vorwurf der »Wucherei«. Der ökonomische
Aspekt im Sammelsurium der antisemitischen Stereotypen gewann im Laufe
der Jahrhunderte noch zunehmend an Bedeutung.
600 Jahre später veranstaltete der Gemeinderat
Wolfsbergs eine Sondersitzung zum >Gedenken< an das mittelalterliche
Pogrom. Doch mittlerweile wurde eine noch nie dagewesene und mit den antijüdischen
Ausbrüchen früherer Zeiten und anderer Länder kaum vergleichbare
Vertreibungs- und Vernichtungspolitik inszeniert. Die Einstellung und
weitgehend wohl auch die Absichten der Nationalsozialisten gegenüber
der »jüdischen Rasse« blieben seit Jahren keinem aufmerksamen
Leser und Zuhörer verborgen. Auch in den lokalen und regionalen Zeitungen
vermehrten sich bereits vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten
die Hetzartikel insbesondere gegen Juden. Neben der Religionszugehörigkeit
war ab März 1938 nunmehr auch die Abstammung ein Kriterium dafür,
ob man als Bürger mit allen Rechten galt oder wie im Falle der Juden
für rechtlos erklärt und einem staatlich durchgeführten
Raubmord zum Opfer fiel.
Folgt man den offiziösen örtlichen Berichten
von Gendarmerie1, Polizei2 und Stadtchronik3,
so soll 1938 die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Wolfsberg
ohne »Vorfallheiten« vor sich gegangen sein. Die Verhaftungen
von Regimekritikern, insbesondere der Gegner des Putschversuchs der Nationalsozialisten
in Wolfsberg im Jahre 1934, setzten allerdings sofort ein. Ebenso die
Einschüchterungen und pseudogesetzlichen Maßnahmen gegen Juden.4
»Wer Jude ist oder als Jude gilt«, wurde bereits 1935 in den
Nürnberger Rassengesetzen festgelegt. Demnach erfuhren viele völlig
assimilierte und ihrer Herkunft nicht bewußten Bürger von ihrer
»Abstammung« erst durch die von den Nationalsozialisten für
diverse private und berufliche Veränderungen vorgeschriebenen »Ariernachweise«.5
In der regionalen Presse wurden Tag für Tag jene Entrechtungs-Gesetze
verlautbart, die Juden zu fast vogelfreien Personen erklären. Mit
Anordnungen wie z. B. dem Verbot zum Tragen eines Kärntner Anzugs,
des Besuchs von Bädern und anderen öffentlichen Einrichtungen,
wurden die Juden gesellschaftlich geächtet; mit dem Verbot der Berufsausübung
sollte ihnen ihre Existenz genommen werden. Auch bei den Vorbereitungen
zur Anschluß-Volksabstimmung im April 1938 wird ihrer gesondert
gedacht: »Es muß jedoch betont werden, daß derjenige,
der Jude ist, oder als Jude gilt, der Abstimmung fernzubleiben hat, auch
wenn er in der Stimmliste irrtümlich eingetragen sein sollte und
jede Übertretung in der Vorschrift als gerichtliches Vergehen bestraft
wird.«6 Über die Erfassung ortsansässiger Juden
hinaus wurden sämtliche Beteiligungen von jüdischen Eigentümern
eruiert. Denn der Raubzug der Nationalsozialisten setzte unmittelbar nach
deren Machtergreifung ein. So hatten die Erhebungen aller aufgeforderten
Stellen, von der
irkshauptmannschaft bis zur Gendarmerie, nicht nur das
Ziel, die Anzahl der im Einflußbereich lebenden Juden zu erfassen.7
Das Interesse der Nazi-Behörden bestand einerseits in der weitgehenden
Enteignung der Vermögenswerte von Juden, andererseits vorerst an
deren baldiger Ausreise - ab 1939 dann an ihrer Vernichtung.
Einschüchterung und Raub
Wie dies im konkreten Fall Wolfsbergs vor sich gegangen
ist - wenn auch zahlreiche Ereignisse nicht mehr rekonstruierbar sind
-, soll in der Folge beschrieben werden. Einige Zeitzeugen berichten von
den Kreidezeichnungen auf der Straße und an den Fenstern des Gross'schen
Geschäfts. Antisemitische Karikaturen und Kaufverbotsaufrufe sollten
sowohl die betroffene Familie wie auch Kunden und Freunde verängstigen.
»Judenköpfe mit weißer Farbe über die ganze breite
Straße gemalt und die Aufschrift: >Jude Gift, raus mit dir!<
auf den Auslagefenstern«. Diese Bilder hat Anny Junek noch in ihrer
Erinnerung, wenn sie an die März-Ereignisse denkt. Ihr Vater, Adolf
Gross, Teilnehmer am Ersten Weltkrieg, meinte noch kurz zuvor gegenüber
seinem Nachbarn Johann Leeb: »Was kann mir passieren! Ich bin doch
ein hoch dekorierter Offizier der k. u. k. Armee gewesen!« Es folgten
Hausdurchsuchungen nach politischem Material, Waffen und Goldbeständen.
Nach der Beschlagnahmung von Geldbeträgen und des gesamten Warenlagers
wandte sich Adolf Gross als tschechoslowakischer Staatsbürger an
seine Botschaft in Wien. Diese reichte mit 31. März 1938 eine Beschwerde
an die Bezirkshauptmannschaft in Wolfsberg. In diesem Schreiben wird gegen
die Vorgangsweise der NSBO (Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation)
Kreisleitung Wolfsberg Beschwerde geführt. Eine Bestätigung
über die darin angeführte Entwendung von Geldbeträgen (S
5.500, und S 79,76) sowie die Besetzung des Geschäftes wird
vom Kreisobmann und zwei Zeugen Adolf Gross sogar unverzüglich ausgehändigt.8
Die Bezirkshauptmannschaft hingegen antwortet der Botschaft unwahr, »daß
hinsichtlich des Kaufmannes Alfred [sic!] Gross keine Beschlagnahme von
Waren u. Geldbeträgen erfolgt ist.« Weiters heißt es in
dieser noch zusätzlich unterstellenden Entgegnung: »Es wurde
lediglich eine kommissarische Überwachung seines Geschäftsbetriebes
in die Wege geleitet, um allfällige unlautere Manipulationen zu verhindern.«9
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Die Familien Gross und Singer dürfen
ihre Geschäfte nicht mehr betreten und erhielten lediglich ein kleines
Taggeld zum Leben. Gleichzeitig wurde der Verkaufsdruck erhöht. Mitte
Mai 1938 wurde vom Landesgericht Klagenfurt der Kaufmann und Parteigenosse
XXX als kommissarischer Verwalter der Gemischtwarenhandlung Gross eingesetzt,
Anfang Juli übernahm dies der Kaufmannsgehilfe YYY.10 Adolf
und Emma Gross gaben dem massiven Druck nach und verkaufen unter Zwang ihren
gesamten Wolfsberger Besitz. Nachbarn und Freunde wagen kaum mehr einen
Kontakt mit den aus der »Volksgemeinschaft« Ausgestoßenen.
Anny mußte ihr Praktikum als Schneidergesellin in einem Wolfsberger
Schneidereibetrieb zwangsweise beenden. Auf die Meisterin wurde von Seiten
der Nationalsozialisten Druck ausgeübt, so daß diese ihre tüchtige
und geschätzte Mitarbeiterin entlassen mußte. Fast völlig
entrechtet, gesellschaftlich isoliert und existentiell bedroht, entschloß
sich die Familie - nachdem Adolf Gross in der Tschechoslowakei bei seiner
Mutter eine kleine Unterkunft organisiert hatte - zur Auswanderung. |
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Ansicht des ehem. Geschäfts- und Wohnhauses
der Fam. Gross |
Die Flucht
Am 15. September 1938 verließen Adolf und Emma
Gross nach über 25 Jahren jene Stadt, in der sie ihr berufliches
und gesellschaftliches Leben nach ihrer Heirat aufgebaut hatten. Die gebürtigen
Wolfsbergerinnen Anny und Lotte Gross begleiteten ihre Eltern vorerst
nach Wien, danach in die slowakische Stadt Zilina.
Ende November 1938 erreicht den Notar Dr. Fresacher,
seines Zeichens auch neuer Bürgermeister der Stadt Wolfsberg, ein
Brief aus Zilina. Darin heißt es: »Ich möchte Sie hiemit
vielmals ersuchen mir nicht ungehalten zu sein wenn ich Sie heute belästigen
muß. Es handelt sich um mein Umzugsgut von Wolfsberg, welches bereits
hier ist, u. ich nicht früher ausgefolgt bekomme, bevor ich nicht
eine Bestätigung laut beiliegenden Inhalts vorweisen kann. Ich bitte
Sie, Herr Notar, mir diese Bestätigung sofort ausstellen zu lassen
und express an mich einzusenden. Die auflaufenden Spesen wollen Sie sich
bitte bei dem Guthaben von Frau Singer in abzug zu bringen. Nochmals vielen
Dank. Hochachtungsvoll Adolf Gross Zilina-Slovakei, Stefanikova 39«11
Emma Groß übernahm - mit Unterstützung der tschechoslowakischen
Botschaft - noch Mitte November 1938 persönlich die Verladung zumindest
eines Großteils des beweglichen Gutes in ihren Wolfsberger Wohnräumen.
So konnten Möbelstücke, Kunstgegenstände, Geschirr und
Kleidung der Familie nachgesandt werden. Das Bankkonto, auf dem sich auch
die Summe des Verkaufspreises befand, wurde von den Nationalsozialisten
gesperrt. So boten die aus der Wohnung noch erhaltenen Gegenstände
die einzigen Wertobjekte. Mit dem Verkauf dieser Habseligkeiten konnte
die Familie die Jahre in der Slowakei überleben. Nochmals erhielt
der Notar ein Telegramm von Adolf Gross, worin die Bestätigung urgiert
wird. Mitte Dezember dürfte das amtliche Schreiben dann in Zilina
eingelangt sein. In der Abschrift lesen wir:
»Vom gefertigten Amte wird bestätigt, daß
sich Herr Adolf Gross, geboren 11. 3. 1885 in Koteová, am
1. 4. 1910 hier als Wohnhaft polizeilich angemeldet und bis zum 15. 9.
1938 ununterbrochen in Wolfsberg gewohnt hat. Zufolge Übersiedlung
in die Tschechoslowakische Republik hat er seinen hiesigen ständigen
Wohnsitz aufgegeben und sich beim Polizeiamt Wolfsberg am 15. 9. 1938
abgemeldet. Stadtgemeindeamt Wolfsberg, am 29. November 1938.
Der Stadtverwalter«12
Was sich in Wolfsberg in den Monaten nach der Abreise
der Familien Gross und Singer zugetragen hat, sei hier mit einigen Blitzlichtern
erhellt. Die ortsansässigen Juden waren vertrieben, den reisenden
jüdischen Händlern der Aufenthalt untersagt.13 Dennoch
blieb der aggressive Antisemitismus Repertoire der Redner verschiedener
Veranstaltungen. So stand die Jahresschluß-Feier 1938 im Rathaussaal
auch im Zeichen judenfeindlicher Agitation. 600 Personen wohnten dieser
Kundgebung bei.14
Mitte Jänner 1939 wurde in Wolfsberg ein Handwerkerappell
abgehalten. Die jüdischen Familien waren bereits enteignet und zum
Großteil aus der Lavantstadt und Umgebung geflüchtet. Auf der
Veranstaltung hielt der Gauwirtschaftsberater Ing. Alois Winkler eine
Rede, in der sich sämtliche antisemitischen Zerrbilder der Nationalsozialisten
wiederfinden:
»Zu den vielen Änderungen, die die nationalsozialistische
Wirtschaftsauffassung mit sich brachte, gehörte naturnotwendig auch
die Entfernung der Juden aus der deutschen Wirtschaft, was durch die Maßnahmen
des vergangenen Jahres auch restlos erreicht ist. Wichtig aber und unumgänglich
notwendig für die Sicherung nationalsozialistischer Politik auch
in den letzten Wirtschaftszweigen sei die restlose Entfernung jenes jüdischen
Geistes, der durch die jahrzehntelange Beeinflussung des deutschen Menschen
durch den jüdischen Liberalismus und Marxismus in einem großen
Teil des Volkes Fuß gefaßt habe.«15
Die Hetze gegen die Juden, die man für alle wirtschaftlichen
Mißstände verantwortlich gemacht hat und als Urheber von gegnerischen
Politikmodellen ansah, setzte sich auch in den folgenden Jahren fort.
Arisierungen
Ein Thema, dessen Aktualität und Brisanz nicht außer
acht zu lassen sind, wird mit den sogenannten »Arisrungen«,
d. h. Enteignung der jüdischen Besitzer durch »Arier«,
angesprochen. Dieser Vorgang setzte unmittelbar nach der Machtübernahme
durch die Nationalsozialisten ein. Vorerst wurde sämtliches unbewegliches
Gut, vorwiegend Haus- und Geschäftsbesitz, welches ganz oder zum
Teil als Besitz von inund ausländischen Juden galt, registriert.16
Die Gendarmerieposten im Bezirk Wolfsberg stellten im Mai 1939 auf Anweisung
des Landrats des Kreises den noch nicht arisierten landwirtschaftlichen
Besitz von Juden fest. Wilhelm und Maria Rath (sie wird als Jüdin
ausgewiesen) hatten 1935 in Farrach ein Gut im Ausmaß von 193 ha
55 ar an Wiesen, Äcker, Wald und Weide erworben.17 Ausgedehnte forstwirtschaftliche
Vermögenschaften besaß in St.Vinzenz, Gemeinde Ettendorf, Dora
Gottlieb-Ornstein, deren Vater Hugo Ornstein 1936 verstorben war. Ein
kommissarischer
Verwalter wurde eingesetzt. Dora Ornstein, die die brasilianische und
tschechische Staatsbürgerschaft besaß, wurde als Erbberechtigte
angeführt. Über den Vermögensentzug der beiden Besitzungen
sowie über das
Los der Besitzerinnen konnte einstweilen nichts weiteres ermittelt werden.
Die Wolfsberger Holz- und Pappenfabrik Ges.m.b.H.wurde als »jüdische
Unternehmung« 1941 ebenfalls arisiert.18 Beim Verkauf des Grundstückes
von Hermine Singer an die langjährige Köchin der Familien Gross
und Singer hingegen hat es sich um keine Arisierung gehandelt - wie auch
Anny Junek bestätigt.19 Das Wirkwarengeschäft in der Sporergasse
wurde allerdings laut schriftlichem Bericht des Sohnes bereits am 15.
März 1938 von einem Nationalsozialisten übernommen.20 Doch weder
in den Aufzeichnungen der Bezirkshauptmannschaft noch in den Unterlagen
der Rückstellungskommission scheinen die Liquidierungs- und Arisierungsvorgänge
rund um das Eigentum von Hermine Singer auf.21 Planmäßig gingen
die NS-Behörden auch bei der Erfassung von jüdischen Vermögenswerten
vor. Diese erfolgte in der eigens dafür eingerichteten Vermögensverkehrsstelle,
auch Instanz für Arsierungs-Bewilligungen.22 Von der Bleiburger Eisengewerkschaft
erging Mitte Juli 1938 bezüglich der Vermögenswerte des Adolfo
Weiss eine Anfrage an die Vermögensverkehrsstelle. Der in
Wien gemeldete enteignete Besitzer der Goldschürfrechte in der Kliening
bei St. Leonhard im Lavanttal ist nicht
mehr in der Lage seine Miete zu zahlen, worauf die Vermieterin sich an
den kommissarischen Verwalter seines
einstigen Besitzes zwecks Schuldenbegleichung wandte.23 Der »Fall
Gross« Das Verkaufssortiment der
Gemischtwarenhandlung Adolf Gross in Wolfsberg, Untere Stadt Nr. 196,
reichte von Kleidung
bis zu Schuhwerk, von Stoffen bis zu Nähzubehör.24 Der Ein-
und Verkauf wurde vom Ehepaar Gross gemeinsam organisiert; ab 1936 unterstützt
von ihrer Tochter Lotte, die auch die dekorative Gestaltung der Schaufenster
übernahm. Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt, wurde das
Geschäft Mitte März 1938 von NS-Gefolgsleuten besetzt, Adolf
Gross die weitere Ausübung seines Berufs und die Abwicklung seiner
Geschäfte untersagt. Als tschechoslowakischer Staatsbürger wandte
sich Gross daraufhin an seine Botschaft, um diese Besetzung und die Entnahme
von Barvermögen rückgängig zu machen. Die Beschwerde der
tschechischen Botschaft in Wien blieb jedoch ohne den für die Familie
Gross gewünschten Erfolg. Zwei Monate später wurde der Kaufmann
XXX als kommissarischer Verwalter eingesetzt.25 Ihm folgt am 4. Juli 1938
in derselben Funktion ein anderer Wolfsberger Kaufmannsgeselle.26 Der
Arisierung des gesamten Besitzes stand bald nichts mehr im Wege. Der Verkaufszwang
erhöhte sich noch durch die tagtäglichen Schikanen und Bedrohungen.
Ende August
erreichte das Landgericht Klagenfurt die Löschung der Gewerbeberechtigung
des Adolf Gross.27 Am 6. September 1938 meldete der »Kärntner
Grenzruf« in einem Halbsatz lapidar: »Das Kaufhaus Adolf Groß
erstand der Kaufmannssohn XXX [...]«28 In den vermischten Unterlagen
des Stadtarchivs Wolfsberg findet sich der Durchschlag der Arisierungsbewilligung
durch die Vermögensverkehrsstelle. Da dieses Dokument die Abläufe
des Arisierungsvorgangs verdeutlicht, und auch den Umfang des Grossschen
Gesamtbesitzes
anführt, soll der Inhalt hier in Abschrift wiedergegeben werden:
»[Stempel:] Vermögensverkehrsstelle im Ministerium für
Wirtschaft und Arbeit, Wien I, Strauchgasse Nr. 1 Zl. 6144 Herrn [...],
Wolfsberg, 19. 8. 1938
Betr.: Adolf Gross, Wolfsberg, Kärnten Auf Grund der Ihnen am 30.
Juni d. J. erteilten Vorgenehmigung, erteile ich Ihnen hiemit die endgültige
Genehmigung zum Ankauf der bisher jüdischen Firma Adolf Gross Manufaktur-,
Konfektions- und Schuhgeschäft in Wolfsberg, Kärnten Ferner
erteile ich Ihnen die Genehmigung zum Ankauf
der Liegenschaft des Adolf Gross in Wolfsberg, Untere Stadt Nr. 196, die
aus einem massiv gebauten Gebäude,
einem kleinen Nebengebäude sowie Holzlege samt einen kleinen 196
m2 großen Garten besteht.
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Hermine Singer und Emma Gross
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Adolf Gross
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Der Kaufpreis für die Firma Adolf Gross,
Manufaktur-geschäft, beträgt RM 30.667,- der Kaufpreis für
die Liegenschaft RM 28.000,-. Der Kaufpreis von insgesamt RM 58.667,
hat auf ein zu errichtendes Sperrkonto
lautend auf den Namen des Verkäufers bei der Österr. Kreditanstalt
- Wr.Bankverein oder einer ihrer Filialen ein-gezahlt zu werden. Die Unterlagen
für meine Bewilligung bilden 1. Das Ansuchen um Genehmigung der Erwerbung
und Veräusserung vom 27. Mai 1938. 2. Der Kaufvertrag vom 12. Juli
1938. 3. Die Unbedenklichkeitserklärung der NSDAP Kreis-leitung Wolfsberg.
4. Eine Befürwortung des Gauwirtschaftsberaters der NSDAP - Gau Kärnten.
5. Das Gutachten des Wirtschaftsprüfers [...], eingelangt am 3. 9.
1938; Nr. 6144 19. 8. 1938 XXX [= Unterschrift des Ariseurs]«29 Der
stolze neue Besitzer, ein langjähriger Sympathisant der NS-Bewegung,
erlaubte den ehemaligen Besitzern noch ein kurzes Wohnrecht.
Nach dem 15. September 1938 führte er das arisierte Geschäft und
bewohnte mit seiner Familie die beiden oberen Stockwerke. Durch die ausländische
Staatsbürgerschaft der Familie Gross konnte wenigstens ein Teil der
Möbel, der Privatkleidung und sonstiger Haushaltsgegenstände aus
der Arisierungsmasse herausgenommen und nach Zilina transportiert werden.
Im Juni 1946 kam es in Wolfsberg zur ersten Nachkriegsbegegnung zwischen
der mittlerweile verheirateten
Gross-Tochter Anny Junek und dem Ariseur der elterlichen Besitztümer.
Emma und Adolf Gross waren in
Auschwitz ermordet worden, das Todeserklärungsverfahren eingereicht.
Die Erbinnen versuchten, nachdem we-der ihre Eltern noch sie selbst vom
Verkaufserlös auch nur eine Reichsmark erhalten hatten, wiederholt
ein
außergerichtliches Einvernehmen mit XXX zu erzielen. Im Februar 1948
wurde gegen die beiden Nutznießer
der Arisierung (Vater und Sohn) eine Klage bei der Rückstellungskommission
beim Landesgericht Klagenfurt ein-gereicht. 30 Als Antragsteller zeichnen
Lotte Roth und Anna Junek, beide wohnhaft in Avenida Dickens 42,
Kolonie Chapultepec-Polanco in Mexiko, und in Vertretung, der noch nicht
für tot erklärten Eltern Adolf und
Emma Gross - eine Abwesenheitskuratorin. Die beiden Rechtsanwälte legen
den Anträgen, zwecks Rückstellung
des Unternehmens, der Grundstücke und der Erträgnisse, zahlreiche
Belege (u. a. Grundbuchauszug, Kaufver-trag, Rechnungsbelege, diverse Bescheinigungen
etc.) bei. Aus der Abschrift des Kaufvertrags, datiert mit
11. Mai 1938 (nicht wie im obigen Schreiben vermerkt mit 12. Juli 1938!),
geht hervor, daß der Verkaufspreis
wesentlich geringer war als von der Vermögensverkehrsstelle nachträglich
festgesetzt. Im Kaufvertrag heißt es
dazu: »... dieser [= XXX, Anm. d. V.] kauft Liegen-schaft Haus Nr.
196 in Wolfsberg EZ 21 KG Wolfsberg, Untere Stadt, samt allem was erd-mauer-niet
und nagelfest ist, und samt der Badezimmereinrichtung, sowie mit allen Rechten
und Bestandteilen, wie die Verkäufer diese Liegenschaft selbst besassen
und benützten, oder zu besitzen und zu benützen berechtigt waren,
um den vereinbarten Kaufpreis von S 40.000,, ist gleich 26.667 Reichsmark.
Zum Gutsbestande der verkauften Liegenschaft gehören die Bauparzellen
Nr. 105/6 und 2/3, sowie die Gartenparzellen Nr. 107/1, 107/2 und 107/7
der Stgde. Wolfsberg Untere Stadt...«31 In der Gegenäußerung
der Antragsgegner vom 28. April 1948 wird versucht, den Vorwurf der Arisierung
dadurch zu entkräften, indem behauptet wird, daß Adolf Gross
bereits 1935 sein Geschäft zur Pacht angeboten habe. Gross habe darüber
hinaus bereits vor dem Einmarsch der Nationalsozialisten die Absicht gehabt,
in die Tschechoslowakei zurückzukehren. Zeugen für diese Behauptungen
werden angeführt. Außerdem, so XXX, wäre das erworbene Warenlager
veraltet gewesen und das Geschäft wäre am 9. März 1943 über
Vorschlag der Kreisleitung
der NSDAP Wolfsberg stillgelegt worden. Eine Auflistung der auf das Grosssche
Konto der Länderbank ein-gezahlten Beträge ist in der Gegenäußerung
ebenfalls enthalten.32 Im Schreiben des Rechtsanwalts von Anny Junek und
Lotte Roth vom 16. Juni 1948 wird der Stellungnahme der Antragsgegner entgegnet.
Der »unredliche Erwerb« - »die Arisierungen müßten
eigentlich Erpressungen und Diebstähle genannt werden« - kann
bei Vorlage der Beweise wohl nicht geleugnet werden, da auch die damalige
»Rechtlosigkeit der Juden [...] eine gerichtsbekannte Tatsache«
sei. Sämtliche Guthaben, so auch der Verkaufserlös bei der österreichischen
Creditanstalt Wiener Bankverein, seien mit 16. September 1938 gesperrt worden.
In den darauffolgenden Monaten erfolgten weitere Er-mittlungen: beim Finanzamt
über die Geschäftseinkünfte, bei Sachverständigen über
den Verkehrs- und Verkaufswert der Liegenschaften und des Werts des Warenlagers
im Frühjahr 1938. Nach fehlgelaufenen Vergleichsverhandlungen Mitte
1950 wurde das Verfahren fortgesetzt. Im Herbst 1950 betonten die Kläger
neuerlich, daß »unter den damaligen politischen Verhältnissen
Frau Gross gezwungen war, ihre Zustimmung zu geben [...], den Eigentümern
nichts anderes übrig blieb als sich diesem Diktat zu fügen [...]«. |
Anny Gross
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Lotte Gross
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Im Frühjahr 1951 übermittelte Lotte Roth dem XXX einen letzten
Vergleichsvorschlag: »... falls bis längstens
3. 4. 1951 der Betrag von S 120.000, dem Bankhaus Hypotheken-
und Kreditinstitut A. G. in Wien I, Herren-gasse 12 überwiesen
ist«, würde der Rückstellunganstrag zurückgezogen
werden. Nach erfolgter Überweisung
verzichtete Lotte Roth auf weitere Ansprüche. Das Verfahren wurde
eingestellt und im Grundbuch die Eintra-gungen gelöscht. Nach Abzug
der Gerichts- und Anwaltskosten, der Kosten für Sachverständige
und diverser Gebühren dürften von den S 120.000, nicht
mehr viel übrig geblieben sein. Laut telefonischer Auskunft von
Anny Junek vom Juli 2000 erhielt sie noch ungefähr $ 300,.33
Das Bankvermögen der Eltern wurde von einer NS-Behörde eingezogen,
die Töchter haben vergeblich bei der Creditanstalt um Auszahlung
des Betrages angesucht.
Dieser Beitrag ist die gekürzte Fassung einer umfangreicheren
Forschungsarbeit zur Geschichte der Juden in Wolfsberg/ Kärnten.
Die gedruckte Fassung erschien als Broschüre mit Bildteil, die
leider bereits vergriffen ist. Im Zuge der Präsentation dieser
Broschüre wurde eine Gedenktafel für die ermordeten und vertriebenen
Wolfsberger Juden enthüllt ("David berichtete darüber
in der letzten Ausgabe).
1 Die Auswertung der angeführten Gendarmeriechroniken
ergab im Hinblick auf die Fragestellung keine Hinweise.
2 Vgl. Rapportbuch der städtischen Sicherheitswache in Wolfsberg,
Kärntner Landesarchiv (im folgenden: KLA), Stadtarchiv Wolfsberg
(im folgenden: StA Wolfsberg), HS R 466; Abschrift in: Wilhelm WADL
und Alfred OGRIS: Das Jahr 1938 in Kärnten und seine Vorgeschichte.
Ereignisse - Dokumente - Bilder. Klagenfurt 1988 (= Das Kärntner
Landes-archiv, Bd. 15), S. 328-332.
3 Vgl. Kulturamt Wolfsberg, Chronik der Stadt Wolfsberg. In der »Geschichtliche[n]
Entwicklung der Gemeinde« heißt es knapp zu den Ereignissen
von 1934 [sic!] bis 1945 - unter Aussparung der Bezeichnung »Nationalsozialismus«:
»Ihrem [= der Demokratie] Ende nach 1934 und vor allem 1938 trauerten
sicherlich alle ehrlichen Demokraten aufrichtig nach, doch gab es auch
solche, die die entstehenden Diktaturen mit Überzeugung unterstützten,
doch der Zweite Weltkrieg mit seinen unvorstellbaren Opfern und Leiden
und der mehr als unvorstellbaren Grausamkeit, mit der er gegen alle
Men-schen, nicht nur gegen Soldaten geführt wurde, bewirkte so
etwas wie eine Katharsis.« (S. 28) Erich Oberländer, der
Verfasser dieser Chronik, hat sich bei der Jahreszahl mit dem Pogrom
von 1338 um ein Jahr geirrt. Diese Chronik in losen Blättern umfaßt
die Jahre vom ersten nachchristlichen Jahrhundert bis 1976. Ab 1977
wurde die Chronik jährlich und ausführlich auf politische
und kulturelle Ereignisse eingehend geführt.
4 Vgl. Zahlreiche Anweisungen von verschiedenen NS-Behörden im
Archiv der BH Wolfsberg; z. B. das Schreiben der Geheimen Staatspolizei
an alle Bezirkshauptmannschaften und andere Behörden in Kärnten
vom 7. 4. 1938.
5 Massenhaft zu finden in den Unterlagen des Stadtarchivs Wolfsberg,
KLA.
6 Freie Stimmen, 6. 4. 1938, S. 10.
7 Vgl. Archiv der BH Wolfsberg, diverse Berichte von Gendarmerieposten
über die Anwesenheit von Juden polnischer und russischer Staatsangehörigkeit.
8 August WALZL: Die Juden in Kärnten und das Dritte Reich. Klagenfurt
1987, S. 156; das Schreiben ist mit 30. März 1938 datiert und findet
sich als Abschrift in den Unterlagen zum Rückstellungsprozeß
(KLA, Rk 101/1948).
9 Handschriftlicher Vermerk auf der Rückseite des Schreibens der
Tschechoslowakischen Botschaft in Wien, Archiv der BH Wolfsberg, 12
G 21/38.
10 Vgl. Archiv der BH Wolfsberg, 3 G 43/1938; Änderung bei einer
Firma vom 16. 5. 1938 und 4. 7. 1938.
11 KLA, StA Wolfsberg, G 164/1.
12 Vgl. Freie Stimmen, 24. 6. 1938, S. 7.
13 Vgl. Freie Stimmen, 24. 6. 1938, S. 7; »Wolfsberg (Der
Schönsonntag-Markt) [...] stand, wie man uns schreibt, im Zeichen
des Umbruchs. Die oft beklagten jüdischen Händler mit ihrer
Ramschware hatten keinen Zutritt mehr [...].«
14 Vgl. Kärntner Grenzruf, 15. 12. 1938, S. 11; Walzl datiert diese
Veranstaltung falsch mit 15. Oktober 1938. Außerdem heißt
es da: »... und auf die Kärntner Judenvertreibung des Jahre
1496 mit einer eigenen Vertreibungsfeier in Wolfsberg hinwies.«
(S. 218) Dies geht zumindest aus dem vorliegenden und von Walzl zitierten
Zeitungsartikel jedoch nicht hervor. 15 Kärntner Grenzruf, 17.
1. 1939, S. 11. Hervorhebungen wurden übernommen; zitiert auch
in Walzl, Die Juden in Kärnten und das Dritte Reich, S. 220. 16
Für Wolfsberg vgl. Archiv der BH Wolfsberg; einige der nachfolgenden
Akten sind, zwar mit Signatur versehen, lediglich im Register angeführt,
fehlen jedoch in den ansonsten lückenlos sortierten Aktenbündeln:
12 J 30/1938 (Juden - Vermö-gensanmeldung), 3 J 28/1938 (Juden
- Anmeldung des Ver-mögens), 12 J 71/1938 (Jüdischer Kunstbesitz;
Sicherstellung durch Landeskulturkammer), 3 J 38 und 3 J 42/1938 (Jüdische
Gewerbetriebe). 17 Vgl. Gendarmeriestation Maria-Rojach an Landrat des
Landkreises Wolfsberg, Zl. 1228, Archiv der BH Wolfs-berg, 8 G 73/1939.
18 Der Großbetrieb gehörte zu 50 % Karl Landegger und zu
50 % den Brüdern Mahler. Vgl. Bericht der Kontrollbank
über die von ihr durchgeführten Arisierungen im Jahre 1941,
Staatsarchiv Wien, Vermögensverkehrsstelle, Kt. 1374.
19 Der Verkauf wurde im Jänner 1939 über die Agrarbehörde
in Klagenfurt abgewickelt. Im Eingangsbuch 1939 (Grup-pe 7) der BH Wolfsberg
ist dem Akt keine Stammzahl zugeordnet. Dieser dürfte nach Überprüfung
und Abwicklung bei der Bezirkshauptmannschaft Wolfsberg nach Klagenfurt
rücküberstellt worden sein.
20 Vgl. Meldeamt Wolfsberg, Korrespondenz bei Meldekarte von Hans Singer.
21 Am 23. 8. und 2. 12. 1938 wurden an die BH Wolfsberg von der Finanzamtsverwaltung
des Landes Kärnten Schreiben betreffend Hermine Singer überstellt.
Unter der Stammzahl 12 J 82/1938 findet sich allerdings kein Akt, aus
dem der konkrete Gegenstand der behördlichen Korrespondenz erkennbar
wäre.
22 Vgl. Archiv der BH Wolfsberg, 12 J 30/1938. Die Vermö-gensverkehrsstelle
beschwert sich in diesem Schreiben über Anordnungen von verschiedenen
Gemeinden und Bezirksverwaltungen, daß die Anmeldung jüdischen
Vermögens bei den Bezirkshauptmannschaften vorzunehmen sei.
23 Vgl. KLA, LR, Kanzleistelle B, 1940, Zl. 744.
24 Vgl. Kärntner Amts- und Adress-Buch aus den Jahren 1928 und
1935. Die registrierte Firma trug die Nummer Reg. A5/83.
25 Vgl. Änderung bei einer Firma, LG Klagenfurt, 16. 5. 1938, Archiv
der BH Wolfsberg, 3 G 43/1938.
26 Vgl. ebd.; Änderung bei einer Firma, LG Klagenfurt, 4. 7. 1938.
27 Vgl. Archiv der BH Wolfsberg, 3 J 17/1939; mit hand-schriftlichem
Vermerk. Vgl. auch »Verzeichnis über den
in jüdischen Händen befindlichen, bzw. befundenen und arisierten
Haus- und Grundbesitz mit Ausnahme von Kla-genfurt«, KLA, Reichsstatthalter,
Kanzleistelle B, 1940, Zl. 10683: »Gross Adolf in CSR im Aufenthalte
war Be-sitzer eines Wohnhauses und Geschäftes in Wolfsberg Nr.
196, welche an [...] in Wolfsberg verkauft wurden.«
28 Wolfsberg. Besitzveränderungen, Kärntner Grenzruf, 6. 9.
1938, S. 11.
29 KLA, StA Wolfsberg, G 164/2, Zl. 6144.
30 Vgl. KLA, Rk 101/48.
31 Ebd.
32 Ebd.
33 Vgl. Aufzeichnungen eines Telefonats vom Juli 2000 mit Anny Junek,
San Francisco.
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