Im südlichen Niederösterreich, am Fuße des Semmerings,
liegt der kleine Markt Schottwien. Bis vor wenigen Jahren rollte der gesamte
Verkehr über den Semmering durch den Ort. Eine Überquerung der
Straße war lebensgefährlich. Heute befindet sich Schottwien
in einer Art "Dornröschenschlaf". Nur noch der lokale Verkehr
des dünn besiedelten Semmering fährt durch. Schuld daran ist
die Errichtung der S6 (Semmering-Schnellstraße). Diese überquert
die Felsenschlucht mit einer mächtigen Brücke, genau über
dem Ort. Bekannt wurde diese Brücke schon vor der Fertigstellung
als "Bröselbrücke", da Teile sich lösten und
abstürzten.
Schottwien war jahrhundertelang ein wichtiger Ort. Davon
zeugt heute nur noch die mächtige Befestigungsanlage, die den ganzen
Ort umgab, und die aus dem 12. Jahrhundert stammende Burg Klamm. Noch
vor einigen Jahrzehnten gab es in Schottwien ein Dutzend Gasthöfe.
Zahlreiche Fuhrwerksunternehmen verdienten an den Vorspanndiensten über
den Semmeringpaß gut. Der Niedergang begann mit dem Bau der Semmeringbahn
1848-1854. Schwere Lasten konnten nun mit der Bahn kostengünstig
transportiert werden. Was verblieb waren die Poststation und die Gasthöfe
für den Personenverkehr. Die erste Kunststraße über den
Semmering wurde unter Kaiser Karl VI angelegt. Bis dahin bestand ein Saumpfad
bzw. ein Saumweg, der steil war und nur mit robusten Fuhrwerken unter
entsprechendem Vorspann zu bewältigen war. Trotzdem rollte ein Großteil
des Warenverkehrs aus dem Kärntner Raum nach Norden und aus dem Wiener
Gebiet nach Süden über den Paß. Für die Fahrt über
den Paß wurde in Schottwien Zoll eingehoben. Da es keine Ausweichmöglichkeit
gab, war das für den Ort und dessen Herrschaft (Sigmund Freiherr
von Herberstein) ein willkommenes Einkommen. Eine Zollordnung mit genauem
Verzeichnis aller Güter und deren Zolltarif ist erhalten geblieben.
Sie stammt aus dem Jahre 1545 und wurde im 19. Jahrhundert in einem Buch
abgedruckt (M. A. Becker, Niederösterreichische Landschaften mit
historischen Streiflichtern. Wien, 1879, S 113 ff.). Die Lektüre
des Verzeichnisses ist sehr interessant, da man daraus erkennt, womit
im 16. Jahrhundert gehandelt wurde, bzw. was über den Paß transportiert
wurde. Besonders bemerkenswert ist für den Weinliebhaber die genaue
Aufstellung der Weinsorten (Rainfl, Malvasier, Muscateller, Pingnoll und
"Wälschwein"). Am Ende der Auflistung wird der Leser allerdings
stutzig. Hier steht: " Juden, gehend, zwen Phening, und von Khauffmannsgüettern,
alls vill alls von ainemChristen. Juden reittend, 4 dn." Juden als
Warenposten in einem Zolltarif. Reisende Juden mußten in Schottwien
um 1545 dafür bezahlen, damit sie über den Paß durften,
getrennt im Tarif für zu Fuß gehende oder reitende Personen.
Zusätzlich mußten sie für alle Waren bezahlen wie die
Christen. Historisch betrachtet war das 16. Jahrhundert im südlichen
Niederösterreich judenfeindlich. Wurden in den albertinischen Ländern
der habsburgischen Erbländer die Juden schon 1420/21 vertrieben oder
getötet, so war man in den leopoldinischen Ländern (Kärnten,
Steiermark, Gebiet Wiener Neustadt und Neunkirchen) toleranter. Erst nach
dem Landtag von Bruck an der Mur (1496) wurden die Juden vertrieben. Diese
siedelten sich in Westungarn an (teilweise heutiges Burgenland).
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