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Patriot zwischen zwei Ländern
Otto R. BRAUN

Kurz nach der "Machtergreifung" Hitlers in Deutschland 1933 schrieb der berühmte amerikanische Kulturanthropologe Franz Boas einen Offenen Brief an den Reichspräsidenten Hindenburg. Darin schrieb er unter anderem:
"... Ich bin jüdischer Abstammung, aber im Fühlen und Denken bin ich Deutscher. Was verdanke ich meinem Elternhaus? Pflichtgefühl, Treue und den Drang, die Wahrheit ehrlich zu suchen. Wenn dies eines Deutschen unwürdig ist, wenn Unfläterei, Gemeinheit, Unduldsamkeit, Ungerechtigkeit, Lüge heutzutage als deutsch angesehen werden, wer mag dann noch ein Deutscher sein. Ich habe mich immer mit Stolz einen Deutschen genannt, heute ist es fast so gekommen, daß ich sagen muß, ich schäme mich, ein Deutscher zu sein. Glauben Sie, daß ich eine Flagge achten kann, deren Symbol für mich eine persönliche Beleidigung ist, die mich und meine Eltern zu beschmutzen sucht? Und trotz alledem kann ich die Hoffnung nicht aufgeben, daß die Zeiterscheinung Fiebersymptome eines kranken Volkskörpers sind, der, obwohl auf das Tiefste verwundet, genesen wird, daß eine Zeit kommen wird, in der das Deutschland, das ich liebe (!), wieder entstehen wird. Möge der Tag der Genesung
kommen!"
Wer war nun dieser Franz Boas, der seine Stimme für derart gewichtig hielt, in einem Offenen Brief an Hindenburg gegen die Juden-Hetze in Hitler-Deutschland protestieren zu dürfen?
Franz Boas wurde am 9. Juli 1858 in Minden in Westfalen geboren. Seine jüdischen Eltern waren liberale, weltoffene Menschen, die sich dem Geist des Revolutionsjahres 1848 verbunden fühlten. Sein Onkel, der Kinderarzt Abraham Jakobi, Burschenschafter und Revolutionär, mußte nach Amerika auswandern, wo er es zu hohem Ansehen brachte. Schon als Gymnasiast träumte Franz Boas davon, fremde Kulturen zu erforschen, wie er in einem Brief an seine Schwester schrieb: "Neue Völker und deren Sitten und Gewohnheiten möchte ich kennenlernen, auch die schon bekannten Galla-, Kaffern-, Hottentotten-Völker".
Er studierte an den Universitäten Heidelberg, Bonn und Kiel Mathematik, Physik und Geographie. In Bonn schloß er sich der Burschenschaft "Alemannia" an. Nach seinem Doktorat in Kiel 1881 nahm er an einer Expedition ins Baffinland in Nordkanada teil. Gefördert von Rudolf Virchow und Adolf Bastian, wird er danach Assistent an der ethnographischen Abteilung der Berliner Museen und habilitiert sich im Fach Geographie an der Berliner Universität. 1887 machte er eine Studienreise zu den Indianern Kanadas. Von dieser kehrt er nicht mehr nach Deutschland zurück. Durch seine Kontakte mit namhaften amerikanischen Wissenschaftern erhält er eine Professur an der Columbia-Universität in New York. Er wird einer der bedeutendsten Kultur-Anthropologen. Seine Schaffenskraft bis ins hohe Alter blieb ungebrochen, er brachte es in seinem Leben auf über 6000 Veröffentlichungen. Neben zahlreichen Ehrungen, die er erhielt, wurde ein Gletscher auf Baffinland und ein Fluß auf Southhampton-Island nach ihm benannt.
Oftmals wurde Boas von seinen Studenten nach dem Ursprung der Narben, die er im Gesicht hatte, gefragt. "Das sind Prankenhiebe eines Bären, denen ich auf Baffinland begegnet bin", erklärte scherzhaft der Professor seine Schmisse aus der Zeit als Burschenschafter. Er hatte zahlreiche Duelle gefochten, weil er schon damals entschieden allen antisemitischen Äußerungen entgegentrat. Zeit seines Lebens blieb der Gelehrte ein entschiedener Gegner jedes Rassismus und jeder Herabsetzung anderer Kulturen.
Er blieb auch in Amerika immer Deutscher. Verheiratet mit der Tochter eines österreichischen Arztes, Maria Krakowitzer, wurde daheim nur deutsch gesprochen. Oftmals reiste er nach Deutschland und brachte seinen Kindern deutsche Kinderbücher und Schallplatten mit.
Nach dem Ersten Weltkrieg, als Deutschland am Boden lag, war er ein unermüdlicher Kämpfer für sein Geburtsland. In Leserbriefen erklärte er, daß er "ebenso wie der Deutsche das tiefste Unrecht empfindet, was Deutschland angetan worden ist". Er warnte, daß "die Friedensbedingungen nicht den Keim zukünftiger Kriege beinhalten dürften". Welch ein Prophet!
Zugleich warnte er seine Bundesbrüder in der Burschenschaft, die sich mit Auswanderungsplänen trugen, vor diesem Schritt: Gerade in seiner Not würde die Intelligenz von Deutschland gebraucht.
Aber auch die Burschenschaft hielt ihrem Bundesbruder die Treue. Als die Studentenkorporationen vom Nationalsozialistischen Studentenbund die Aufforderungen erhielten, sich von allen jüdischen Bundesbrüdern zu trennen, schrieb der damalige Leiter der Burschenschaft Alemannia zu Bonn:
"Als Bundesleiter meiner Burschenschaft und unter Bezugnahme auf Ihr Schreiben am 14. d. M. ... bitte ich hiermit, bei der für eine solche Entscheidung zuständigen Instanz zu beantragen, daß meinem Bundesbruder Dr. Franz Boas aus Grantwood, New Jersey, 230 Franklin Ave., USA, das Verbleiben in der Burschenschaft Alemannia zu Bonn
gestattet wird.
Zur Begründung tragen wir folgendes vor:

Herr Prof. Dr. Boas ist geboren am 8. 7. 1858 in Minden als Sohn eines dortigen Kaufmanns. Er ist Volljude. Seit der Mitte der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts lebt er in Amerika. Er ist heute 77 Jahre alt.
Herr Professor Boas ist Professor für Anthropologie an der Columbia Universität in New York und zur Zeit einer der ersten uns angesehensten Rasseforscher Amerikas. Er war einer der wenigen, die noch während des Krieges öffentlich für Deutschland zu reden wagten. Er wurde bekannt durch sein Eintreten für den zu Zuchthausstrafe verurteilten deutschen Generalskonsul Bänz. Nach dem Kriege gehörte er zu den Wiederbegründern der Germanistic Society.
Er begründete persönlich eine Hilfsaktion für die deutschen Bibliotheken und sammelte jahrelang in mühevoller Kleinarbeit große Mittel zu diesem Zwecke und zwar in kleinen und kleinsten Beträgen von wenigen Dollars, da große Geldgeber für Deutschland noch nicht vorhanden waren. Die von ihm gesammelten Gelder verteilte er zuerst persönlich, später durch Vermittlung der inzwischen gegründeten Notgemeinschaft für die Deutsche Wissenschaft. Wegen seiner Verdienste um das Deutschtum wur de er von seiner früheren Universität Bonn zum Ehrenbürger ernannt. Während der Deutschenhetze nach dem Kriege war er behilflich, deutschfreundliche Artikel, insbesondere Artikel gegen die Besatzungsgräuel in den Rheinlanden, in der Nation zu veröffentlichen, einer in Amerika viel gelesenen und bedeutenden Wochenschrift". – Das Schreiben hatte keinen Erfolg, die Burschenschaft lehnte trotzdem den Ausschluß ihres Bundesbruders ab und wurde aufgelöst. Noch kurz vor seinem Tod am 21. Dezember 1942 schrieb Franz Boas: "Das was ich tue, tue ich aus Liebe zu Deutschland und in der Überzeugung, daß der Wahnsinn, der sich des Volkes bemächtigt hat, nicht dauern kann".
Noch heute gilt Franz Boas weltweit als einer der bedeutendsten Kultur-Anthropologen, der stets mit den Völkern lebte, die er erforschte. Er war aber auch ein Patriot, von seinem eigenen Land verraten, ein Patriot, der unter seiner Heimatliebe litt.

Quellen: Otto R. Braun, Studentenkorporationen im Dritten Reich. Diplomarbeit Univ. Wien 1999
Roland Girtler, Franz Boas. In "Anthropos" 96 – 2001
Abraham Kardiner u. Edward Preble, Wegbereiter der modernen Anthropologie. Suhrkamp-Taschenbuch 165


 

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