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Eine früh verstummte Dichterstimme
Vor 90 Jahren wurde Kubi Wohl geboren
Claus STEPHANI
Am Rande der Ostkarpaten, in den Wäldern, die auch heute
noch bis zur Goldenen Bistritz reichen, einem Gebirgsfluß, nach dem
ein malerisches Tal seinen Namen erhalten hat, liegt der Weiler Zibau (rum.
Tibau). Und hätte hier nicht vor rund 90 Jahren ein jiddisch und deutsch
schreibender Dichter das Licht der Welt erblickt, würde sich heute
niemand mehr an diesen kleinen vergessenen Ort erinnern, der immer noch
auf dem Fahrweg kaum zu erreichen ist.
Als Kubi Wohl am 31. August 1911, als Sohn des Sägewerkbesitzers Elias
Wohl geboren wurde, gehörte noch die multiethnisch und multikulturell
geprägte Bukowina zur k.k. Monarchie, und in Zibau lebten damals Juden,
Deutsche (Zipser), Ukrainer (Huzulen) und Rumänen, wobei die Umgangssprache
der Einwohner im Tal der Goldenen Bistritz vorwiegend ein dialektal gefärbtes
Deutsch war.
"Die meisten Zipser waren Waldarbeiter und Flößer, die Juden
hingegen verdienten als Fuhrleute und Handwerker ihr Brot, und die Rumänen
und Huzulen waren Hirten und Bauern", erinnerte sich die Schwester
des Dichters, Dr. Klara Wohl, bei einem Gespräch am 16. Juni 1995 in
Haifa. "In Zibau hatte die Familie Wohl eine soziale Sonderstellung
sie hatte es zu einem gewissen Wohlstand gebracht, stammte aus der
Nordbukowina, wohin sie wahrscheinlich aus Galizien zugewandert war ,
und diese Sonderstellung war schon durch die Sprache, unsere Muttersprache
gekennzeichnet (...) In unserer Familie wurde ein gepflegtes Hochdeutsch
gesprochen (...). Deutsch war in jenem kleinen karpatischen Dörfchen
unsere Mutter- und Haussprache, während die deutsche Bevölkerung
durchwegs zipserisch sprach und zum Großteil auch kaum eine deutsche
Schulbildung erhalten hatte."
In der bukowinischen Kleinstadt Kimpolung (Cîmpulung Moldovenesc),
wo die Familie Wohl nach 1918 lebte Elias Wohl leitete weiterhin
das Zibauer Sägewerk schrieb Kubi 1919 im Alter von acht Jahren
"sein erstes vierzeiliges Gedicht, ein kleines Meisterwerk; er widmete
es einem siebenjährigen Mädchen, das jahrelang sein empfindsames
Gefühlsleben beherrschte. Mein Bruder war ungewöhnlich begabt
nicht nur als Lyriker, sondern auch als Musiker und Interpret",
erzählte Klara Wohl. Als er vierzehn war, entstand das Drama in vier
Akten aus dem chassidischen Leben, "Der Baal-Tschiwe", das er
in jiddischer Sprache verfaßte, obwohl er sonst dem deutschsprachigen
Kulturkreis angehörte.
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Damals begann das, was später als "Spießrutenlaufen
durchs Kimpolunger Spießertum" bezeichnet wurde: Kubi Wohl,
ein erst vierzehnjähriger Autor, wurde von zahlreichen Neidern
und besonders von seinen Lehrern "öffentlich belacht und
verspottet, denn nach kleinbürgerlichen deutsch-jüdischen
Maßstäben hatte ein Junge in seinem Alter die Schulbank
zu drücken und das zu tun, was Eltern und Lehrer vorschrieben,
keineswegs aber durfte er sich als Musiker, Dichter oder gar als Dramaturg
betätigen. Bekanntlich wird jemand, wenn er den Gleichschritt
der Herde stört, verstoßen...," erinnerte sich die
Schwester des Dichters. So musste Kubi Wohl bald das Kimpolunger Gymnasium
verlassen, um sich dann am Czernowitzer Gymnasium "umzuschulen",
wonach er schließlich in Wien die Matura ablegen konnte.Wieder
in Czernowitz war sein Weg, als Sympathisant linker revolutionärer
Kreise vorgezeichnet. In scharfen sozialkritschen Gedicht sagt er
der bürgerlichen Klassengesellschaft den Kampf an. Die meisten
dieser Gedichte erschienen in der bekannten Tageszeitung "Czernowitzer
Morgenblatt" sowie in den jiddischen Zeitungen "Czernowitzer
Bletter" und "Oifgang" , wonach ihn dann "die
öffentliche Meinung" ausgrenzte und ins soziale Abseits
drängte. In seinem credohaften Poem "Präludium"
heißt es: "Eiserne Verse will ich verfassen, / Schwerter
dem Kampf geweiht, / ich will sie erglühen in glühendem
Hassen, / schmieden unter dem brausenden Blasbalg der Massen / und
hämmern am Amboß der Zeit. |
In einem Brief an den Schriftsteller Alfred Margul-Sperber vom 8. Januar
1933, dem er auch den bekannten Gedichtzyklus "Kinder klagen"
beilegte, berichtete der Dichter über seinen Alltag in Czernowitz,
wo er "wie ein armer Prolet" am Rande der Gesellschaft um seine
Existenz kämpfen mußte: "Ich führe hier ein sehr
ruheloses Leben. Wohin ich mich wende, erwarten mich Enttäuschungen,
Pech und Ignoranz der Menschen. Was ich in den letzten drei Wochen hier
erlebt und erlitten habe, kann man nicht so leicht erzählen! Auf
der Suche nach Menschen und nach Brot findet man sich dann abends ohne
beides, allein und wund..."
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Kubi Wohl hat durch sein dichterisches Werk die deutschsprachige
proletarische Lyrik der Zwischenkriegszeit in Rumänien maßgeblich
mitgeformt. Erst 45 Jahre nach seinem Tod gelang es der Schwester
des Dichters, Klara Wohl, 1980 in Haifa einen zweisprachigen Band
Jiddisch und Deutsch unter dem Titel "Kubi Wohl
der Meteor. Erinnerungen. Briefe. Aufzeichnungen, Gedichte"
herauszubringen. Der damals noch in Bukarest lebende Dichter Alfred
Kittner schrieb dazu eine Einleitung, und die graphische Gestaltung
dieser, selten gewordenen Ausgabe besorgte der Bukowiner Künstler
Isiu Schärf. |
Die Landschaft am Rande der Karpaten, aus der Kubi Wohl kam, die österreichisch
geprägte Bukowina war einst "ein großes Haus, in dem verschiedene
Völker friedlich beisammen lebten". Von hier ging eine Reihe
elitärer Namen deutscher und jiddischer Dichtung den langen Weg hinaus
in die Welt, so z.B. Paul Celan, Rose Ausländer, Alfred Kittner,
Moses Rosenkranz, Selma Meerbaum-Eisinger, Itzig Manger u.a.
"Wie ein trauernder Wanderer, / ein todverkündendes Bild, /
ist der Herbst gekommen / in Lumpen gehüllt", schrieb der Dichter,
als ihn der letzte Herbst erreichte und er mit 24 Jahren verstummte, während
"fern die Horizonte schwarz und nah" das kommende Unheil der
Barbarei in Europa bereits ankündigten. Er starb an einer Grippe
einsam und verarmt am 27. Dezember 1935 in Czernowitz. Doch an seinem
Grab hatten sich zum Abschied auch viele Freunde und Bewunderer eingefunden:
Schriftsteller und Journalisten, Juden, Deutsche, Rumänen, darunter
der bekannte Publizist S. A. Soifer, der später von den Nazis grausam
ermordet wurde, der linke Revolutionstheoretiker Muniu Fried-Weininger,
den die rumänische Polizei am Friedhof verhaftete u.a.; die Nachrufe
der Redner in jiddischer, deutscher und rumänischer Sprache dauerten
von mittags bis spät in die Dämmerung.
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