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Gedenken in Riga
Herbert EXENBERGER
DÖW-Bibliothekar Herbert Exenberger war bei der Einweihung
der Gedenkstätte in Riga am 30. November 2001.
Ich kenne einige Österreicher, die schon seit mehreren
Jahren unermüdlich und zäh ihre Idee zu verwirklichen
suchten: Die Errichtung eines würdigen Denkmals für
die österreichischen Juden Kinder, Frauen und
Männer die nach Riga deportiert wurden und dort
im Ghetto zugrunde gingen oder in den umliegenden Wäldern
ermordet wurden. Sie haben es geschafft: mit Unterstützung
mehrerer Institutionen und Personen, vor allem des Deutschen
Riga-Komitees des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge
e.V., wurden ihre Visionen Wirklichkeit.
Am 29. November 2001 machten wir uns vom Flughafen Schwechat
auch zu unserer Gedenkfahrt nach Riga auf. Wir das
waren Vertreter der österreichischen Opfer- und Widerstandsorganisationen,
Ing. Erich Herzl und weitere Aktivisten der Wiener Initiative
Riga, Angehörige von in dieser Stadt ermordeten und ehemalige
Österreicher aus Israel. In Riga hörten wir bewegende
Worte der Erinnerung von Juden, Letten, Deutschen und Österreichern
im Schwarzhäupterhaus, im Festsaal der jüdischen
Gemeinde, im Bikernieki-Wald und in der Residenz des österreichischen
Botschafters. Zu uns sprach u. a. die von mir sehr geschätzte
amerikanische Historikerin Prof. Dr. Gertrude Schneider, eine
österreichische Überlebende des Ghettos Riga.
Im Bikernieki-Wald1 wurde, inmitten von Massengräbern,
die mit Kantsteinen eingefasst und durch Naturstein-Stelen
gekennzeichnet sind, am 30. November die wohl jeden zum Nachdenken
zwingende Gedenkstätte eingeweiht. Vom Haupteingang aus
bewegten wir uns über einen sanft ansteigenden Weg der
zentralen Gedenkstätte zu, im Blickfeld nur eine Art
Chuppa, ein Baldachin aus modernem Baumaterial, um dann plötzlich
etwas tiefer vor einem Meer aus größeren und kleineren
Granitsteinen zu stehen Symbole für die unzähligen
Opfer der nazistischen Barbarei. Bewegt und in Gedanken versunken
gehe ich auf schmalen Wegen durch diese Gedenkstätte,
im Kopf den Satz des Gestalters Sergjs Rizs aus der Publikation
des Deutschen Riga-Komitees: "Die Steine sind wie ein
Schrei der schuldlos Getöteten und lassen erkennen, dass
der gesamte Ort ein einziger Hinrichtungsplatz war."
Betroffen bleibe ich vor dem Tisch stehen, auf dem sich zylindrische
Gefäße befinden, in denen die Namen der Ermordeten
auf Listen verzeichnet sind und die zum Abschluss der Einweihungszeremonie
unter der steinernen Chuppa in einen Schrein eingeschlossen
werden. Ich suche die Rolle mit den Wiener Holocaustopfern,
Namen verknüpfen sich mit Personen, wie etwa die Namen
der nach Riga deportierten Eltern meiner Vorbilder, Freunde
und Förderer Herbert Steiner und Josef Hindels. Gleichzeitig
wird mehr als deutlich, welche grundlegenden Forschungsarbeiten
durch das DÖW zur namentlichen Erfassung der österreichschen
Holocaustopfer geleistet wurden; die MitarbeiterInnen des
DÖW setzten einen wesentlichen Grundstein für diese
Erinnerungsstätte in Riga. Ich lege mit Kenneth B. Russel,
der eigens aus Großbritannien nach Riga kam und der
als Kurt Rosenthal seine Bar Mizwa in der Simmeringer Synagoge
feierte, Kieselsteine aus Wien auf einen symbolischen Grabstein
zum Gedenken an seine Eltern und an alle Simmeringer Juden,
die hier ermordet wurden.
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Mit freundlicher Genehmigung:
DÖW Mitteilungen, Folge 155, Februar 2002

1: Bikernieki-Wald, Gedenkstätte
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Wir besuchten noch die Massengräber in
Rumbola2, die beeindruckende Gedenkstätte auf dem Gelände
des ehemaligen Konzentrationslagers Salaspils3 und fuhren
durch das ehemalige Ghetto in Riga.
Als Ing. Erich Herzl4 in der Residenz des österreichischen
Botschafters das Gedicht "Juden am Bahnhof" rezitierte,
hat mich das betroffen gemacht, denn es zeigt, welche Wirkung
mein Beitrag über den lange vergessenen Autor Walter
Lindenbaum im Jahrbuch 1988 des DÖW und meine gemeinsam
mit Eckart Früh 1998 herausgegebene Textsammlung von
Lindenbaum "Von Sehnsucht wird man hier nicht fett"
bereits hat. Diese Tage der Besinnung, Erinnerung und des
Gedenkens in Riga sind wieder ein Ansporn, in unseren Aufklärungs-
und Informationsbemühungen über die nazistische
Barbarei nicht zu erlahmen. Es ist mehr als wichtig, heute
und auch in Zukunft die schreckliche historische Wahrheit
klar und deutlich auszusprechen.
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2: Gedenkstein in Rumbola
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2: Massengrab in Rumbola
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3: Konzentrationslager in Salaspils (Gedenksteine)
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4: Initiator der Initiative
Riga Ing. Erich Herzl und der österr. Botschafter in
Riga Dr. Wolfgang Jilly (Die Goldene Wien-Medaille als Ehrengabe
der Stadt Wien, die an Personen übergeben wurde, die
sich besonders für die Errichtung der Grabstätte
in Riga, Bikernieki-Wald eingesetzt haben).
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Die Fotos wurden von Hrn. Ilan Beresin zur Verfügung
gestellt.
Die folgende Ansprache vom Nationalrat Präsidenten
Dr. Heinz Fischer wurde in Vertretung von Frau Mag. Hannah
Lessing im Schwarzhäupterhaus (Riga) vorgetragen:
Meine sehr geehrte Damen und Herren!
Der heutige 30. November 2001 erinnert Europa
an die schreckliche Ereignisse vor genau 60 Jahren, als sämtliche
lettische Juden aus den Ghetto Riga ermordet wurden und der
erste Transport von Deportierten aus Deutschland in Riga eingetroffen
ist.
60 Jahre später weihen wir heute in Riga ein Mahnmal
ein, das den Opfern des NS-Regimes im Zweiten Weltkrieg gewidmet
ist. Die Gräber- und Gedenkstätte Riga-Bikernieki
erinnert dabei nicht nur an die 4.000 österreichischen
Juden, die in den Jahren 1941 und 1942 nach Riga deportiert
wurden und an die insgesamt 20.000 Juden aus Gebieten des
damaligen "Deutschen Reiches", sondern auch an tausende
sowjetische Kriegsgefangene und lettische Widerstandskämpfer,
die auf dem Gelände des Bikernieki-Waldes ermordet und
verscharrt wurden. Nur 800 der deportierten Juden, darunter
ca. 100 Österreicher, überlebten das Inferno.
Die Initiative für eine würdige Gräber- und
Gedenkstätte für die NS-Opfer in Riga hat von österreichischer
Seite im Jahr 1993 Ing. Erich Herzl, dessen Eltern aus Wien
nach Riga deportiert und hier von den Nationalsozialisten
ermordet wurden, ergriffen indem er mit einigen Hinterbliebenen
die "Initiative Riga" gegründet hat. Die Idee
Ing. Herzls, in Riga ein Mahnmal zu errichten, wurde von den
politisch Verantwortlichen der Stadt Riga und der Republik
Lettland positiv aufgenommen und vom Schwarzen Kreuz in Österreich,
das sich um die Pflege von Kriegsgräbern kümmert,
voll unterstützt. In enger Zusammenarbeit mit dem Volksbund
Deutscher Kriegsgräberfürsorge wurde das Projekt
Gedenkstätte dann mit finanzieller Unterstützung
des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge,
des österreichischen Nationalfonds, von 23 deutschen
Städten und der Stadt Wien durch den lettischen Architekten
Sergej Rysh realisiert. Die Gräber- und Gedenkstätte
Riga ist das erste Mahnmal in den heutigen Demokratien des
Baltikums und des früheren Ostblocks, das diesem Gedanken
folgt.
Man kann hier auf einem ehemaligen Hinrichtungsplatz, auf
dem sich das Mahnmal befindet, nicht stehen, ohne sich die
Frage zu stellen, wie es eigentlich geschehen konnte, daß
im 20. Jahrhundert, das ja auch ein Jahrhundert des Fortschritts,
des Kampfes um soziale Gerechtigkeit und der Entwicklung der
Demokratie war, die totale Barbarei triumphierte.
Eine Antwort zu geben, haben Schriftsteller wie Solschenizyn
und Pasternak oder Philosophen wie Karl Popper versucht, wenn
sie in ihren Werken beschreiben, wie nahe in der menschlichen
Natur das Böse und das Gute beisammenliegen und wie groß
die Gefahr ist, daß aus Nationalismus und Fanatismus,
aus Angst und Aggression, aus sozialer Not und Intoleranz
jenes gefährliche Gemisch des Totalitarismus entstehen
kann, das sich besonders unheilvoll auswirkt, wenn es auf
Gleichgültigkeit in anderen Teilen der Bevölkerung
stößt.
Es gibt aber Hoffnung, wenn ich daran denke, mit welcher "europäischer
Gesinnung" dieses Mahnmal, das heute eingeweiht wird,
errichtet wurde.
Für mich ist das Europa der Zukunft eine Gegenthese zu
den Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Riga, Tallin, Wilna,
Prag, Warschau, Budapest, Bratislava, Laibach und andere sind
genauso europäische Städte wie Wien, Helsinki oder
Lissabon. Es gibt Probleme auf dem Weg zur Erweiterung. Aber
sie sind nicht im entferntesten vergleichbar mit den Probleme,
die entstehen können, wenn man in der Sackgasse des Nationalismus
landet.
Von einer "europäischen Gesinnung" ist auch
das Memorandum geprägt, das die "Initiative Riga"
an die Mitgliedstaaten der Europäischen Union gerichtet
hat. In diesem Memorandum werden die Mitgliedsstaaten der
Europäischen Union ersucht "für alle Opfer
des Zweiten Weltkrieges, also Angehörige der Streitkräfte,
der Zivilbevölkerung, der kriegsführenden Staaten,
der politisch und rassisch Verfolgten eine umfassende Regelung
zu finden, um allen diesen Opfern von Krieg und Gewalt, unabhängig
von Neutralität, Religion und Geschlecht, das ewige und
würdige Ruherecht zu geben und dieses als einfaches ,Menschenrecht
verbindlich festzulegen".
In diesem Sinne begrüße ich als Präsident
des Nationalrates der Republik Österreich die Errichtung
der Gedenk- und Gräberstätte Riga und danke allen
sehr herzlich, die sich um die Realisierung dieses wichtigen
Projektes mit Idealismus und unermüdlichen Einsatz bemüht
haben.
Dr. Heinz Fischer
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