In der "David-Ausgabe" Nr. 50 wurde über die
Absicht berichtet, weitere Wiener Synagogen virtuell zu rekonstruieren.
Der in diesem Zusammenhang ebenfalls publizierte Aufruf nach
(privaten) Bildmaterialien war jedoch nicht von Erfolg gekrönt.
Das verwundert nicht sonderlich, da während religiöser
Handlungen und Feste nicht fotografiert wird. Überdies
ist die praktische Handhabung der damaligen Aufnahmegerätschaft
kaum mit der heute verfügbaren Ausstattung zu vergleichen.
Es wäre jedoch interessant gewesen, über fotografische
Abbildungen zu verfügen, um eine nicht mehr existente
Bauteilgestaltung verifizieren zu können. Selbstverständlich
hätte es sich hier vorwiegend um Schwarzweißaufnahmen
gehandelt, da die Farbfotografie in der ersten Hälfte
des 20. Jahrhunderts noch weitgehend in den Kinderschuhen
steckte. Die Nichtverfügbarkeit von fotografischen Darstellungen
lässt daher die Visualisierung des Innenraumes umso wichtiger
erscheinen.
Dieser Beitrag hat die Rekonstruktion einer Synagoge zum Gegenstand,
die 1908 vom Architekten Jakob Gartner in der Siebenbrunnengasse
errichtet wurde. Neben der vollständigen Einreichplanung
(Maßstab 1:100) konnten bloß zwei Außenaufnahmen
recherchiert werden. Die Situierung ist mit vielen anderen
Wiener Synagogen vergleichbar, wie die verhältnismäßig
unauffällige Eingliederung in eine Häuserzeile zeigt.
Der Standort Siebenbrunnengasse ist jedoch im Hinblick auf
den Straßenknick einmalig. Dieser Synagogenbau war übrigens
der vierte in einer "Gartner-Reihe" (Humboldtgasse
/ Braunhubergasse / Kluckygasse).
Die ggst. Rekonstruktion wurde von Andreas Muttenthaler im
Laufe des Wintersemesters 2001/02 durchgeführt. Sie beruht
auf der bewilligten Einreichplanung vom 31.10.1907 und den
beiden genannten Außenaufnahmen. Im Wege der virtuellen
Rekonstruktion stellte sich bald heraus, dass die planlich
dargelegte Fassade im Mittelteil wesentlich von den fotografischen
Außenaufnahmen abweicht. Bei Widersprüchen wurde
grundsätzlich dem letztgenannten Quellenmaterial der
Vorzug gegeben, jedoch spezifische Türfüllungen
und Fensterteilungen, die in der Fotografie nicht deutlich
genug wiedergegeben werden, vom Einreichplan übernommen.
Auch wenn keine bildhaften Darstellungen des Innenraums zur
Verfügung standen, konnten punktuell Widersprüche
in der planlichen Darstellung geortet werden. So wird die
Bima im Grundriss mit rundem, jedoch im Schnitt mit polygonalem
Geländer dargestellt. Angesichts der Tatsache, dass über
die polygonale Variante im Aufriss einschlägige Informationen
enthalten sind, wurde diese dreidimensional modelliert. Ebenso
sind die im Längs- und Querschnitt abgebildeten Dekorelemente
in den Wandgliederungen unterschiedlich und ergeben keinesfalls
ein einheitliches (räumliches) Bild.
Das vorliegende Ergebnis vermittelt den Eindruck des räumlichen
Ambientes, wie es nach der Fertigstellung ausgesehen haben
könnte. Weiterführende kunsthistorische Nachforschungen
(Gartner-Spezialisten?) wären zweifelsohne dienlich,
um einen Eindruck von Farbgestaltung und Materialwirkung in
der dreidimensionalen Modellierung vermitteln zu können.
Die auf einer fundierten Systematik beruhende Datenstruktur
ist bereits auf eine solche Vorgangsweise ausgerichtet.
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Siebenbrunnengasse: Einreichplan Erdgeschoß
Siebenbrunnengasse: Einreichplan Längsschnitte
Siebenbrunnengasse: Einreichplan Hauptfassade
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