Im vergangenen Jahr gedachte die Bukarester jüdische
Gemeinde einem Ereignis, das auch heute noch zur Rückschau
und Besinnung anregt. Am 19. April 1941, nachdem "nichtarische"
Schauspieler in rumänischen Theatern nicht mehr auftreten
durften und viele von ihnen tagsüber Straßen kehren
oder den Bürgersteig reinigen mussten und vom amüsierten
Pöbel verhöhnt wurden, in jener Zeit der Barbarei
wurde in einem bescheidenen Haus das "Baraseum" gegründet.
Es war ein Refugium von Kunst und Kultur, wo Geist und Humor
sich nicht vom "faschistischen Stiefel" niedertreten
ließen, denn hier traf sich die intellektuelle Elite
der rumänischen Hauptstadt, die in jenen Jahren meist
jüdisch war, doch es kamen auch Nichtjuden, die sich
damals, wie auch heute die Zeiten scheinen sich, man
glaubt es kaum, zu wiederholen nicht mit nationalistischen
und rechtsradikalen Bewegungen identifizierten, obwohl gerade
die Intelligenz von diesen umworben wurde.
Aus dem "Baraseum" ging dann nach Kriegsende, als
man in Bukarest in der Strada Iuliu Baras auch ein Jüdisches
Kulturhaus eröffnete, das spätere, international
renommierte und auch heute noch bestehende Jüdische Staatstheater
(T.E.S.) hervor. Nach dem um 1876 gegründeten Jiddischen
Theater "Avraham Goldfaden" in Iasi (Jassy) war
dieses die zweite große jüdische Bühne Rumäniens.
Bei einem Besuch im kürzlich neueröffneten Bukarester
Jüdischen Museum nach einem Überfall mit
antisemitischem Hintergrund war es zeitweilig geschlossen
erinnert man sich wieder an den überragenden jüdischen
Beitrag zur rumänischen Kultur, besonders in den Bereichen
Bildende Kunst, Musik, Literatur, Philosophie, Sprachwissenschaft,
Medizin usw.
Die Geschichte des Judentums auf dem Gebiet des heutigen Rumänien
reicht in eine Zeit zurück, als der Karpatenraum und
die südlichen historischen Landschaften 105 - 106 u.Z.
von den Römern erobert wurden. Damals kamen nämlich
aus dem fernen Judäa, zuerst als römische Legionäre,
später auch als Händler, die ersten Juden in die
Provinz Dazien, wie Münzfunde, darunter sogar eine Prägung
von Simon Bar-Kochba (133 u.Z.), Inschriften und Grabsteine
aus dem 2. Jh. belegen. Das war zu einer Zeit, als hier Völker
wie die Geten, Daker, Bastarner, Sarmaten, Roxolanen, Jasigen
u.a. lebten und das erst Jahrhunderte danach entstehende rumänische
Volk als Ethnie noch nicht vorhanden war. Die Juden sind somit,
was wenig bekannt ist und nicht gern gehört wird, die
ältesten Einwohner des Landes. Die Präsenz der rumänischen
Mehrheitsbevölkerung und der elf wichtigsten ethnischen
Minderheiten Ungarn, Roma, Serben, Deutsche, Ukrainer,
Slowaken, Armenier, Griechen, Türken, Tataren, Lipowaner
ist erst viel später urkundlich belegt.
Was aber bliebe übrig, würde man die Leistungen
des Judentums (und dann auch die der anderen nationalen Minderheiten)
einfach wegstreichen so, wie es heute nationalistische
Gruppierungen um die Partei "România Mare"
("Großrumänien") lautstark fordern? Das
verarmte Land wäre dann noch ärmer als es bereits
ist.
Die 40 Jahre kommunistischer Misswirtschaft haben, um eine
marxistische Formulierung zu verwenden, zur ständigen
"Pauperisierung der Massen" geführt und der
schnelle Reichtum einer neuen Schicht von Parvenüs hat
nach 1989 die stille, ständige Armut nur noch vertieft.
Die Zeiten überlebt hat aber der jüdische Beitrag
zur rumänischen Kultur und daran soll hier kurz erinnert
werden.
So stammte z.B. der bekannte Künstler und Schriftsteller
Tristan Tzara (Samuel Rosenstock), der 1916 in Zürich,
zusammen mit Marcel Janco die literarisch-künstlerische
Bewegung des Dadaismus begründete und ab 1917 die Zeitschrift
"Dada" herausgab, aus dem moldauischen Schtetl Moinesti
(Mojnescht), wo auch der gelehrte Oberrabbiner, Historiker
und Schriftsteller Dr. Moses Rosen geboren wurde, auch der
Maler Marcel Janco, der vor kurzem durch eine Retrospektive
in Berlin geehrt wurde, kam aus dem alten jüdischen Stadtviertel
Bukarests.
Der italienische Objekt-Künstler und Begründer der
Eat-Art Daniel Spoerri (Daniel Isaak Feinstein), wie auch
die französischen Maler Victor Brauner, Jules Pascin
(Julius Pinkas), Arthur Segal, Jacques Herold, die Pianisten
Radu Lupu und Lory Wallfisch, der französische Philosoph
und Soziologe Lucien Goldmann, der Hauptvertreter des absurden
Theaters Eugène Ionesco, der amerikanische Schriftsteller
und Nobelpreisträger Elie Wiesel, der Dirigent Lawrence
Foster und viele andere entstammen ebenfalls dem rumänischen
Judentum und gingen einst ihren mühevollen Weg aus dem
Schtetl hinaus in die westliche Welt, nach Österreich,
in die Schweiz, nach Frankreich, Deutschland und bis in die
USA.
Aus der fernen Bukowina mit der Hauptstadt Czernowitz, bis
1918 österreichisches Kronland, dann die nördlichste
Provinz Großrumäniens, kamen Paul Celan, Rose Ausländer,
Alfred Bong, Moses Rosenkranz, Immanuel Weißglas, Selma
Meerbaum-Eisinger, Ruth Krafft, Alfred Kittner u.a. und bereicherten
die deutsche Dichtung und Literatur des 20. Jahrhunderts durch
die "empfindsame, farbige bukowinische Sprache".
Die Reihe jüdischer Namen ist beeindruckend lang, und
sie könnte noch fortgesetzt werden mit Elias Canetti,
Marcel Blecher, Moses Gaster, Naftule Branntwein, Norman Manea,
Ileana Sonnabend u.a., denn heute ist es wieder notwendig,
spricht man von Rumänien, auf diesen maßgeblichen
jüdischen Beitrag hinzuweisen nachdem, man hält
es kaum für möglich, an ambulanten Bücherständen,
auf dem Gehsteig der Boulevards und in U-Bahnhöfen Hitlers
"Mein Kampf" als Neuausgabe in rumänischer
Übersetzung nebst anderem politischen Schund angeboten
wird, so, wie es auch wieder eine Organisation der berüchtigten
Legionäre (ehemals "Eiserne Garde") gibt.
Vor kurzem wurde im Hof der Bukarester Kirche Sf. Paraschiva
eine Büste des Marschalls Ion Antonescu enthüllt,
eben jenes "Conducators" und Verbündeten Hitlers,
der zwischen 1941 - 1944 in 58 rumänischen Arbeits- und
acht Vernichtungslagern Transnistriens über 200.000 Juden
ermorden ließ. Inzwischen tragen vier Straßen
in Rumänien den Namen Antonescus, darunter auch ein Boulevard
in Oradea (Großwardein), wo... die letzte Synagoge steht.
"Wir brauchen keine Juden in der Regierung!" lautet
die Losung nationalistischer Gruppierungen eine Anspielung
auf den Politiker und ehemaligen Außenminister Petre
Roman , deren Vertreter übrigens, wie z.B. im Fall
der "România Mare", auch im Parlament sitzen;
und man spricht schon wieder, wie einst, von der "Entjudaisierung
der rumänischen Kultur". Drahtzieher und Sponsoren
dieser Bewegungen in Tschechien nennen sie sich selbst
"Nationalsozialisten" sitzen meist in Frankreich,
Italien und Deutschland. "Der Antisemitismus kann hier
und anderswo in Osteuropa, wie man sieht, auch ohne Juden
bestehen", stellte bereits im April 1991 Oberrabbiner
Dr. Moses Rosen fest, anlässlich einer internationalen
Tagung in Bukarest, wo zum erstenmal dokumentiert wurde, dass
der Holocaust schon am 1. Juli 1940 in der moldauischen Stadt
Dorohoi begonnen hatte, als die Nazis in Polen noch die ersten
Ghettos abgrenzten.
Die sogenannte Wende (1989) bescherte dann dem verarmten,
von Herrschern und Kirche kniefällig erzogenen rumänischen
Volk in den letzten zehn Jahren kaum mehr als Versprechungen
und Hoffnungen. Politische Bauernfänger aller Schattierungen
darunter auch einige alte und neue Faschisten, die,
oft getarnt als "Antikommunisten" und "Ehemals-Verfolgte",
wieder ins Land zurückkehrten redeten in einem
wild wuchernden Zeitungswald die "öffentliche Meinung"
nach rechts hoch: Schuld an der allgemeinen wirtschaftlichen
Misere und der wachsenden Armut seien die Fremden, bzw. die
"Artfremden", die das Land "aufkaufen"
wollten.
Und wieder waren es die Juden, die als erste von den zwölf
nichtrumänischen Bevölkerungsgruppen im Land den
bitteren Beigeschmack dieser von westlichen Medien gern beschönigten
"neuen Demokratie" und "Meinungsfreiheit"
zu spüren bekamen und dann auch die Konsequenzen
zogen und wenn nur möglich auswanderten: meist nach Israel,
Kanada oder in die USA.
Während 1990 in Rumänien von einst 850.000
(1940) noch 19.000 jüdische Einwohner lebten,
davon 9000 in Bukarest, sank ihre Zahl auf gegenwärtig
insgesamt 12.120. Bei knapp 23,4 Millionen Einwohnern
davon 89,4 % Rumänen und 10,6 % andere Ethnien, d.h.
12 nationale Minderheiten stehen die Juden heute an
letzter Stelle. Noch 1945 stellten sie nach den Rumänen,
Ungarn, Deutschen und Roma die fünftgrößte
Bevölkerungsgruppe, deren Muttersprache damals Jiddisch,
Rumänisch, Deutsch oder Ungarisch war. Zahlreiche kleinere
Ortschaften, ehemalige Schtetls, besonders in der Moldau und
der Bukowina, hatten bis Ende der fünfziger Jahre immer
noch vorwiegend jüdische Einwohner, sogenannte Landjuden
Bauern, Handwerker und Händler.
Auch die Zahl der Glaubensgemeinden 1990 noch 67
ging inzwischen auf 33 zurück. Von den historischen Gebieten
Moldau (nicht zu verwechseln mit dem heutigen Moldawien,
das bis 1945 Bessarabien hieß), Bukowina, Marmatien
(Marmaros), Sathmarland, Transsylvanien (Siebenbürgen)
, einst mit großen und wohlhabenden jüdischen
Gemeinden, kann nur noch das Banat bzw. die Hauptstadt Timisoara
(Temeschburg) sich einen Rabbiner, derzeit Dr. Ernst Neumann,
leisten.
Traditionsgeprägte Gemeinden, wie Satu Mare (Sathmar),
Baia Mare (Neustadt), Sigeth in Marmatien oder Radauti (Radautz),
Câmpulung (Kimpolung) und Siret (Sereth am Sereth) in
der Südbukowina, Iasi (Jassy), Bacau, Botosani, Piatra
Neamtz, Dorohoi, Braila, Galati (Galatz) in der Moldau, sowie
Oradea (Großwardein), Cluj (Klausenburg), Bistrita (Bistritz)
und Tg. Mures (Neumarkt) in Siebenbürgen zählen
heute nur noch zwischen 70 und 100 Gemeindemitglieder, wobei
54 % über 65 Jahre alt sind und der Anteil jener bis
dreißig um 2-3 % beträgt. In einigen nordsiebenbürgischen
Marktflecken, wo vor der Schoa drei- bis viertausend Juden
lebten, wie Viseu de Sus (Oberwischau, jidd. Ojberwischo),
Moisei (Mosesdorf) oder Beclean (Bethlen, Betlehem) ist das
jüdische Leben vollkommen erloschen.
Im Geschichtsmuseum, 1978 von Oberrabbiner Dr. Moses Rosen
im ehemaligen Tempel der Schneiderzunft ("Schnajderschil")
eröffnet, wird die historische Präsenz des Judentums
in Dazien, den rumänischen Fürstentümern und
dem Königreich anhand von zahlreichen Objekten, Bildern,
Karten und Statistiken ausführlich dokumentiert. Wer
sich noch nicht in der rumänischen Kulturgeschichte auskennt,
ist überrascht, wenn er feststellt, dass sogar führende
Vertreter nationalrumänischer Kunstbestrebungen, wie
z.B. die Maler Barbu Iscovescu (Haim Itzcovici), Nicolae Vermont
(Grünberg), Constantin David Rosenthal, dessen allegorisches
Gemälde "Die revolutionäre Romania" zum
Symbol einer Ära wurde und immer noch in allen Schulbüchern
abgebildet ist und viele andere keine "Arier" waren.
Von den vier letzten Bukarester Synagogen, in denen noch,
zum Teil sporadisch, Gottesdienst abgehalten wird, ist der
1866 errichtete Choral-Tempel in der Strada Sf. Vineri, wo
sich auch der Sitz der Landesgemeinde befindet, einer der
schönsten jüdischen Bauwerke Rumäniens. Am
Schabbat finden sich hier meist dreißig bis fünfzig
vorwiegend ältere Männer und etwa ein Dutzend Frauen
ein. An den Hohen Feiertagen sind es jedoch manchmal bis zu
vierhundert Gläubige.
"Wann hier im Galut nach fast 2000 Jahren die letzte
jüdische Kerze erlischt der Vergleich mit der
Kerze stammt von Rabbi Rosen kann man nicht sagen,"
meint Prof. Dipl.-Ing. Osy Lazar, Präsident der Föderation
der Jüdischen Gemeinden, "doch eines steht jetzt
schon fest: Unsere Leistungen, die werden bleiben, und unsere
Kultur wird uns auch hier überleben. Unser Weg im Osten
aber ist noch nicht zu Ende..."
Denn obwohl die von Oberrabbiner Elieser Glanz betreute "Bukureschter
Kehile" heute nur noch 5110 Mitglieder zählt, gibt
es hier ein äußerst vielfältiges jüdisches
Kulturleben, wovon manch eine Gemeinde anderswo, unter weitaus
besseren Bedingungen, nur träumen kann. Fünf verschiedene
musikalische Formationen, der "Talmud Thora"-Chor
mit 38 Mitwirkenden (Dirigent: Izu Gott), zwei Gesang- und
Tanzgruppen, die jüdische Folklore pflegen, und die beiden
Musikensembles "Menora" und "Klezmer"
(Leitung: Michael Lifschitz und Mihnea Guttmann) treten regelmäßig
vor einem Publikum auf, das jedoch zum Großteil aus
Nichtjuden besteht.
"Das ist unsere Chance, das Leben geht eben weiter,"
sagt Osy Lazar, "denn auch das Jüdische Theater
(T.E.) mit Direktor Harry Eliad und so hervorragenden Schauspielern
wie Maja Morgenstern, Leonie Waldmann, Rudi Rosenfeld und
Ruxana Guttmann, hat heute ein vorwiegend rumänisches
Publikum. Wir wollen hinaus aus unserem klein gewordenen Kreis,
denn sonst landen wir ja in einem geistigen Ghetto. Deshalb
gehen unsere Kulturformationen auch oft auf Tournee
sogar bis nach Israel".
Der bekannte jiddische Dichter Israel Bercovici erzählte
einmal folgende Begebenheit.
In den siebziger Jahren kam das Jüdische Staatstheater
auf einer Tournee durch die Moldau auch in ein ehemaliges
Schtetl, wo im Kulturhaus ein Stück von Schalom Alechem
aufgeführt werden sollte. Am Abend fand sich jedoch nur
ein einziger alter Jude ein. Der Saal blieb leer.
"Wo sind die Anderen, warum kommen sie nicht?" fragte
der Regisseur Franz Josef Auerbach.
"Welche Anderen? Ich bin der Letzte," antwortete
der Jude.
Daraufhin spielten die Bukarester das Stück für
den einen alten Mann; und sie spielten es so, als wäre
der Saal, wie einst, voll besetzt.
Das ist vielleicht das wunderbare existentielle Geheimnis
der letzten rumänischen Juden. Sie gestalten ihr Leben
weiterhin so, als wären von ihnen immer noch viele im
Land.
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Der Choral - Tempel in Bukarest - schönstes
jüdisches Bauwerk Rumäniens.
Foto: C. Stephani
Menora, Silber, 19. Jh., in der ehemaligen
"Schnajderschil", heute jüdisches Museum,
Bukarest. Die 7. Kerze steht schief: "Sie soll zeigen,
dass nichts mehr so ist wie einst."
Foto: C.Stephani
Foto: C.Stephani
Foto: C.Stephani
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