Die Volkshochschule Hietzing bringt in Kooperation mit dem
Dokumentationsarchiv eine Ausstellung über die Wannsee-Konferenz
nach Wien. Bei der Eröffnung referierte der zurzeit in
London lehrende Historiker Prof. Dr. Peter Longerich. Am Montag,
18. Februar eröffneten Dr. Norbert Kampe, der Leiter
der Gedenkstätte "Haus der Wannsee-Konferenz"
in Berlin und Univ. Doz. Dr. Wolfgang Neugebauer vom Dokumentationsarchiv
des österreichischen Widerstandes die Ausstellung über
die Wannsee-Konferenz in der Volkshochschule Hietzing.
Historiker Prof. Dr.
Peter Longerich
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Leiter der Gedenkstätte
Dr. Norbert Kampe
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Den Eröffnungsvortrag hielt der in London lehrende Historiker
Prof. Dr. Peter Longerich, der sich durch die Publikation
"Der ungeschriebene Befehl und als Gutachter im
internationalen Prozess gegen den Leugner des Holocaust, David
Irving, einen Namen gemacht hat. Die These Longerichs basiert
auf einer Neubewertung von Hitlers Rolle in diesem längeren
Entscheidungsprozess mit mehreren Eskalationsstufen. Das Interesse
für diese Ausstellung war überaus groß und
mehr als 80 Personen waren in die Volkshochschule Hietzing
gekommen, auch wenn es im Vorfeld auch Anrufe gab, die die
Notwendigkeit derartiger Ausstellungen in Frage stellten.
Dass Zeitgeschichte nicht immer nur ein Minderheitenprogramm
sein muss, zeigten auch die nachfolgenden Vorträge, zu
denen im Durchschnitt 30 Personen kamen. Groß ist auch
das Interesse von Schulen und so ist die Wanderausstellung,
die für Wien und Niederösterreich eingerichtet wurde,
bereits bis September verplant. Die nächsten Stationen
der Ausstellung sind die Volkshochschule Favoriten, eine Präsentation
der Sozialistischen Freiheitskämpfer im Karl Czernetz-Bildungsheim,
die HTL in der Ettenreichgasse und das BORG 1.
Dr. Peter Longerich betont in seinem Vortrag, dass auf der
Wannseekonferenz nicht, wie man häufig lesen kann, die
"Endlösung" beschlossen wurde. "Auf der
Wannseekonferenz wurden überhaupt keine Beschlüsse
gefasst und die Ermordung der Juden befand sich Anfang 1942
in den besetzten sowjetischen, polnischen und serbischen Gebieten
bereits im Gang; Hunderttausende waren bereits ermordet. Anlass
für die Konferenz, an der unter dem Vorsitz des Leiters
des Reichssicherheitshauptamtes, Heydrich, eine Reihe von
Staatssekretären sowie Funktionäre der Partei und
der SS teilnahmen, war vermutlich die Absicht, den Kreis der
aus dem Reich zu deportierenden Juden exakt zu bestimmen,
also die Problematik der sogenannten "Mischlinge"
und der in "Mischehen" lebenden Personen zu klären.
Bevor man diese Punkte erörterte, gab Heydrich eine ausführliche
Einführung in den Stand und die Planung der sogenannten
Judenpolitik. Offensichtlich verfolgte er mit diesem Vortrag
zwei Ziele: 1. Gegenüber den Vertretern der Ministerialbürokratie
den Führungsanspruch des RSHA in der "Judenpolitik"
herauszustellen und 2. Die Vertreter der Ministerien durch
einen allgemein gehaltenen, jedoch unzweideutigen Überblick
über den Stand der "Judenpolitik" zu Mitwissern
des bereits in Gang gekommenen gigantischen Verbrechens zu
machen.
In dem Vortrag klärte Dr. Longerich, die Bedeutung der
Wannseekonferenz im Entscheidungsprozess, der zur "Endlösung"
führte.
Im Gegensatz zu den meisten Historikern, die sich mit diesem
Problem befassen, gehe ich nicht von einer einzelnen "großen"
Entscheidung Hitlers irgendwann im Jahre 1941 aus, sondern
entwickle das Modell eines längerfristigen, evolutionären
Entscheidungsprozesses. Im einzelnen unterscheide ich dabei
vier Eskalationsstufen: Herbst 1939, Sommer 1941, Herbst 1941,
Frühjahr 1942, wobei ich davon ausgehe, dass die seit
Kriegsbeginn
erörterten Pläne für eine "territoriale
Lösung" bereits genozidal waren. Aus diesen allgemeinen
Plänen, das physische Ende der europäischen Juden
im Sinne eines "Aussterbenlassens" herbeizuführen,
wurde nun schrittweise ein regelrechtes Programm zur systematischen
Ermordung der europäischen Juden entwickelt. Die Wannseekonferenz,
ein - angesichts der fragmentarischen Überlieferung zu
diesem Thema - Dokument von außerordentlicher Bedeutung,
gibt uns einen wichtigen Einblick in diesen Entscheidungsprozess.
Dr. Robert Streibel
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Vortragsreihe zur "Wannsee-Konferenz"
Im Rahmen der Ausstellung findet auch eine Vortragsreihe statt.
Prof. Jonny Moser referiert am 26.2. um 18.30 über Deportationen
aus Österreich. Prof. Dr. Wolfgang Neugebauer spricht
über das "Altersghetto" Theresienstadt am 5.
März. Die junge Historikerin Dr. Gabriele Anderl ist
am 12. März dem Täter Eichmann auf der Spur. Sein
Prozess in Jerusalem und seine Verurteilung markieren einen
wichtigen Punkt in der Diskussion über Täter. Eichmann
ist einer der prominentesten "Spediteure des Todes
viele blieben jedoch unbekannt.
Ausstellung kann angefordert werden
Die Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz wurde zum
50. Jahrestag der Dienstbesprechung über die "Endlösung
der Judenfrage" eröffnet. Sie besteht nun seit zehn
Jahren. Sie hat 15 feste und 30 freie Mitarbeiter. Die Bundesregierung
und das Land Berlin tragen je zur Hälfte die Kosten.
Mehr als 500.000 Besucher haben seit 1992 den historischen
Konferenzraum und die Ausstellungen besichtigt. Jedes Jahr
finden mehr als 800 Führungen, mehr als 450 ganztägige
Seminare und Kleingruppenarbeiten in unserer Gedenkstätte
statt. Die Besucher kommen hauptsächlich aus Europa,
Israel und den USA. Etwa 60 Prozent sind Jugendliche.
Dr. Wolfgang Neugebauer erinnerte in seinem Beitrag an einen
der Mentoren der Ausstellung, an das Vorstandsmitglied der
österreichischen Lagergemeinschaft Mauthausen, Wilhelm
Gugik, der selbst das Konzentrationslager Buchenwald überlebte
und wenige Wochen vor der Ausstellungseröffung im Alter
von 80 Jahren starb. Die Ausstellung umfaßt 35 Tafeln
(Breite 90cm, Höhe 125cm, aufgezogen auf 3mm Forex) zu
den Kapiteln und ist in sechs Kapitel eingeteilt: I. Rassistischer
Antisemitismus seit dem 19. Jahrhundert; II. Rassismus und
Antisemitismus werden zur staatlichen Politik; III. Gewalt,
Demütigung und Zwangsauswanderung; IV. Rassismus im Krieg:
Radikalisierung zum Massenmord; V. Vom Massenmord zum systematischen
Völkermord: Die Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942;
VI. Raub, Zwangsarbeit und Vernichtungslager. Im Mitelpunkt
der Ausstellung steht die Wannsee-Konferenz. Das Schaubild
mit den Fotos der 15 Konferenzteilnehmer zeigt deren Rangordnung
und die jeweils vertretenen Ämter und Ministerien. Es
handelte sich um eine Dienstbesprechung auf der zweiten Führungsebene.
In den zeitgenössischen Dokumenten findet sich deshalb
die Bezeichnung "Staatssekretärs-Konferenz am Großen
Wannsee". Staatssekretäre setzen Entscheidungen
praktisch um, die vorher auf oberster politischer Ebene getroffen
wurden. Staatssekretäre klären Fragen der Zuständigkeit
und sorgen dafür, dass die großen Verwaltungsapparate
in der geforderten Weise funktionieren.
Adolf Hitler, Heinrich Himmler und die Minister der Regierung
waren bei dieser Dienstbesprechung nicht anwesend. Die immer
noch gebräuchliche Formulierung vom "Beschluss zur
Ermordung aller Juden bei der Wannsee-Konferenz" ist
deshalb falsch. Staatssekretäre konnten keinen Beschluss
von einer derartigen Bedeutung fassen! Die Entscheidung zum
systematischen Völkermord muss vorher auf höchster
Ebene gefallen sein. Das erhaltene Konferenz-Protokoll belegt
einen derartigen (vermutlich nur mündlich erteilten)
"Führerbefehl" und über die SS hinaus
die Einbeziehung des gesamten deutschen Staatsapparats in
dessen Umsetzung.
Für die spätere Besprechung von einzelnen Sachfragen
waren dann die Fachreferenten zuständig die "Judenreferenten"
der Ämter und Ministerien. Bei der Besprechung am 20.
Januar 1942 war nur der "Judenreferent" des "Reichssicherheitshauptamtes"
Adolf Eichmann anwesend. Eichmann verfasste das Ergebnisprotokoll
und leitete später die Sitzungen der "Judenreferenten".
Eingeladen zur Dienstbesprechung hatte Reinhard Heydrich,
dessen Amt mit der Durchführung der europaweiten Deportationen
beauftragt war. Heydrichs wichtigstes Ziel für die Konferenz
war die Durchsetzung seines Anspruchs auf alleinige Federführung
bei der "Endlösung der Judenfrage" und die
Erlangung der Zusage zur Amtshilfe seitens der Ministerien.
In den ausliegenden Lesemappen finden sich: die Lebensläufe
der 15 Teilnehmer der Wannsee-Konferenz, ein Faksimile des
Wannsee-Protokolls undweitere Dokumente, ein Vortrag von Peter
Longerich: Die Wannsee-Konferenz. Die Informationen in den
Lesemappen und noch viel mehr Material finden Sie im Internet
auf der Seite des Hauses der Wannsee-Konferenz unter http://www.ghwk.de
Weitere Informationen über die Teilnehmer der Konferenz
sowie ein Faksimile des Protokolls kann in Lesemappen während
der Ausstellung studiert werden.
Möglich geworden ist die Ausstellung durch die Unterstützung
der MA 13, der MA 7 und der
Österreichischen Nationalbank. Auf Wunsch kann auch ein
Videomitschnitt des Vortrags von Dr. Peter Longerich in der
Volkshochschule Hietzing zur Verfügung gestellt werden.
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