Aba Geis ein wahrer deutscher Jude
Zum 30. Todestag von Robert Raphael Geis am 17. Mai 2002
Otto R. BRAUN
Ist eine Symbiose zwischen Deutschtum
und Judentum nach den Schreckensjahren des Dritten Reiches heute
noch möglich? Bei Robert Raphael Geis wurde der Grundstock
dafür von Vater und Großvater geschaffen. Als er
am 4. Juli 1906 in Frankfurt/M. geboren wurde, führte sein
Vater, der in jungen Jahren bereits ein Vermögen erworben
hatte, das Leben eines Rentiers. Er fühlte sich als Liberaler,
sowohl was sein Judentum, als auch sein Deutschtum anbelangte
und war auf dem besten Wege, sich zu assimilieren; die Synagoge
besuchte er nur an Jom Kippur. Der Großvater hingegen,
ein frommer Jude, nahm den kleinen Robert oft in die Synagoge
mit, was bei dem Kind einen nachhaltigen Eindruck hinterließ
und ihn öfters veranlasste, Rabbiner zu spielen.
Und so durchkreuzte Robert auch die Pläne seines Vaters,
der vorsah, dass er nach dem Abitur und dem Einjährigen
eine Banklehre machen sollte.
Robert Raphael Geis wollte höher hinaus, er wollte studieren.
Er ließ sich von diesem Wunsch auch nicht abbringen, als
sein Vater anbot, ihm eine einjährige Weltreise zu bezahlen,
wenn er auf das Studium verzichten würde. Er hatte schon
als Junger einen Dickschädel. Aber als er 1925 still und
leise von Frankfurt nach Berlin zum Studium reisen wollte, erschien
doch die ganze Familie, um ihn zu verabschieden und sein Vater
überreichte ihm einen Briefumschlag mit dem Nötigen,
das er zum Leben brauchte.
Von 1925 bis 1932 studierte Geis an der Hochschule für
die Wissenschaft des Judentums in Berlin und zwischendurch auch
am Jüdisch-Theologischen Seminar in Breslau. Neben seinem
Lehrer Leo Baeck stand er in engem Kontakt mit dem Kreis um
Martin Buber und Franz Rosenzweig.
Neben seinem Judentum fühlte sich Geis immer auch der deutschen
Kultur verbunden, weshalb er begann, die neueste deutsche Geschichte
zu studieren. Ursprünglich bei dem angesehenen Friedrich
Meineke, dann in Breslau bei Johannes Ziekursch, dem er dann
sogar nach Köln folgte, um bei ihm über "Der
Sturz des Reichskanzlers Caprivi", des Nachfolgers von
Bismarck, zu dissertieren. 1930 erwarb er seinen Doktortitel.
1932 wird er Jugendrabbiner in München, einer Stadt, die
damals bereits fast vollständig von den Nationalsozialisten
beherrscht wurde. Er kämpft gegen Inhumanität und
übertriebenen Nationalismus. Als Sympathisant der Sozialdemokraten
zieht er sich den Zorn des Gemeindevorstandes zu, da dieser
"echt baierisch" der Meinung ist, dass alles Unglück
von den Sozialisten komme. Nach der nationalsozialistischen
Machtergreifung kam es mit dem Gemeindevorstand zu einer harten
Auseinandersetzung, als dieser von Geis verlangte, er möge
die von den Nationalsozialisten anderswo ausgegrabenen Urnen
der bayerischen Revolutionäre Kurt Eisner und Gustav Landauer
heimlich und ohne die Gräber zu bezeichnen irgendwo an
der Friedhofsmauer beisetzen. Ein Lichtblick ist für den
jungen Rabbiner Kardinal Faulhaber, der ihn 1933 anläßlich
einer seiner Adventspredigten gegen den Antisemitismus aufforderte,
mit ihm gemeinsam in die Kirche einzuziehen.
Geis wird zweiter Stadtrabbiner in Mannheim, 1937 kommt er als
Landesrabbiner nach Kassel. Im November 1938 wird er mit vielen
seiner Gemeindemitglieder ins KZ Buchenwald gebracht. Nach Vorlage
von Ausreisepapieren nach Palästina wird er aus dem KZ
entlassen und trifft im Februar 1939 in Palästina ein.
Der Mensch Geis, zeit seines Lebens Anwalt der Schwachen und
Wehrlosen, wird bald in seinem Glauben an den Zionismus erschüttert,
als man ihn hinderte, in den oftmals blutigen Auseinandersetzungen
zwischen Juden und Arabern verletzten Arabern Hilfe zu leisten.
So ist es nicht verwunderlich, dass er gleich nach Kriegsende
wieder nach Deutschland zurückkehren wollte; er glaubte,
sich in den Dienst der Betreuung von Juden, die das KZ überlebt
hatten, stellen zu können. Aber erst nach Zwischenaufenthalten
in England, der Schweiz und Holland bekam er eine Stelle als
Landesrabbiner von Baden in Karlsruhe.
Aber die Arbeit konnte den Mann nicht befriedigen. Er verstand
sein Rabbinat vor allem als Aufgabe zu lehren, er wollte reformieren,
stattdessen war er mit allem möglichen Kleinkram und mit
sozialen Problemen beschäftigt. So legte er 1956 sein Amt
nieder und widmete sich völlig dem Predigen und Lehren,
vor allem bemühte er sich um ein neues Verhältnis
zwischen Juden und Nichtjuden in Deutschland. Er forderte, dass
sich die Christen ihrer jüdischen Wurzeln bewusst werden
müssten, andererseits bedürften aber auch die Juden
der christlichen Herausforderungen. Die Weisung der Tora, "Streiter
für das Königreich Gottes auf dieser Erde zu sein",
wurde ihm zum Lebenselement. Er forderte eine radikale Veränderung
der Gesellschaft, die aus den Trümmern von 1945 Wege für
ein gutes Zusammenleben finden müsste.
Seine Menschlichkeit und Vorbildlichkeit trugen ihm bald den
Ehrennamen "Aba Geis" ein, bei Juden und Christen,
ja bei ehemaligen Nationalsozialisten. Er war mehrere Male Mitglied
der Deutschen Unesco-Kommission, 1967 - 1971 gehörte er
dem Programmbeirat des Westdeutschen Rundfunks an. Seine Vorträge
fasste er in mehreren Büchern zusammen: "Bund und
Geschichte", "Juden und Christen", "Juden
in Deutschland"... Sein Hauptwerk "Vom unbekannten
Judentum" ist leider seit langem vergriffen. Geis schrieb
hier nicht eine Erklärung der jüdischen Religion,
sondern bot mit zahlreichen literarischen Belegen eine Darstellung
der Vielfalt jüdischer Tradition.
Enttäuscht war Geis, dass man ihm keine Möglichkeit
bot, sich als akademischer Lehrer zu etablieren, und er dachte
schon daran auszuwandern. 1970 wurde er dann noch Honorarprofessor
für Judaistik an der Pädagogischen Hochschule Duisburg
und 1971 wurde er an die Universität Göttingen berufen.
Für seine aktive Mitarbeit in der "Arbeitsgemeinschaft
Juden und Christen" beim Evangelischen Kirchentag erhielt
er 1970 die Buber-Rosenzweig-Medaille. Die Dankesrede für
diese Ehrung schloss mit seinem politischen Credo: "Politik
als Prüfstein für die Ernsthaftigkeit unseres gläubigen
Tuns, einen anderen Weg vermögen wir nicht zu sehen."
Am 18. Mai 1972 verstarb Robert Raphael Geis viel
zu früh. Wir würden heute solche Männer brauchen,
um Brücken in einer Welt des Hasses zu bauen.
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