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ROSH HA-SCHANA
UND WO BLEIBT DIE HOFFNUNG?
Ferdinand DEXINGER
An dieser Stelle wurde in
den vergangenen Jahren auch immer wieder das Pflänzchen
Hoffnung genährt, das im Nahostkonflikt ja nicht
erst einmal zertreten wurde. Hoffnung ist ja zu Beginn
eines neuen Jahres die natürlichste menschliche Annäherung
an die noch ungewisse Zukunft. Hoffnung lebt nicht von
bloßem Wunschdenken, sondern hat einen, wenn auch
noch so schwachen Rückhalt in der Realität.
Aber nicht nur in der harten Realität des Alltags
sondern auch in dem realen Imperativ ethischer und religiöser
Normen, denen man sich verpflichtet weiß und von
denen man erwartet, daß sie auch für andere
Gültigkeit haben mögen. Rosch ha-Schana mit
seinem Gedächtnis der Schöpfung die Zahl
5763, nach biblischer Zählung die seit der Erschaffung
der Welt vergangene Zahl der Jahre, erinnert ja nicht
zuletzt daran, daß Gtt der ganzen Schöpfung
ein Gesetz gegeben hat. Ein Gesetz, das vor allem dem
Menschen dient, von dem es heißt:
Dann sprach Gott: Laßt uns Menschen machen als unser
Abbild, uns ähnlich. (1Mos 1,26).
Ist es nicht utopisch zu meinen, daß dieses theoretische
Wissen eine wie immer geartete reale Hoffnungsgrundlage
bilden kann? Immerhin hat eine um Frieden bemühte
israelische Bewegung eben dieses Wort (betselem=im Abbild)
zu ihrem Wahlspruch gemacht. Ein zartes Pflänzchen
der Hoffnung: Bewußtseinsbildung im Inneren und
Erwartung einer ausgestreckten Hand von außen. Kann
man aber wirklich davon träumen, daß diejenigen,
die mit Sprengstoff umgürtet oder mit Panzern und
Bulldozern Gerechtigkeit zu schaffen suchen, von solchen
subtilen Überlegungen berührt sein könnten?
Die Sachlage wird ja dadurch noch zusätzlich komplizierter,
daß das Postulat jeglichen Gewaltverzichts unhaltbar
ist. Recht muß auch erzwingbar sein, sonst ist es
Schall und Rauch und der Staat würde zum bloßen
Nachtwächterstaat, in dem das Leben der Menschen
von der Gewalt des Unrechts beherrscht wäre.
Im zivilen Leben hat es sich daher bewährt, nicht
den die Gewalt anwenden zu lassen, der ein Recht einfordert,
das er zu haben meint, sondern zunächst seinen Anspruch
durch ein Gericht zu prüfen und mit staatlicher Autorität
und nicht mit Selbstjustiz durchzusetzen. Daß das
auf der Ebene von Staaten de facto anders läuft,
ist jedermann klar. Es hat überdies den Anschein,
als ob im Nahostkonflikt ein sehr starkes Element des
corporate-personality-Denkens wirksam ist. Nicht individuelle
Schuld, sondern die Zugehörigkeit zur feindlichen
Gruppe legitimiert Gewaltanwendung. Das führt de
facto zu einer für Generationen unüberwindlichen
Spirale des Hasses. Wer freilich nicht diesem Prinzip
folgt, riskiert als Schwächling zu gelten. Schon
die Bibel kannte dieses Problem. "Lamech sagte zu
seinen Frauen: Ada und Zilla, hört auf meine Stimme,
ihr Frauen Lamechs, lauscht meiner Rede! Ja, einen Mann
erschlage ich für eine Wunde und einen Knaben für
eine Strieme. Wird Kain siebenfach gerächt, dann
Lamech siebenundsiebzigfach." (1Mos 4,23f). Die Tora
setzte dagegen das wohltuende, so oft mißverstandene
Prinzip "Aug um Aug": "Bruch um Bruch,
Auge um Auge, Zahn um Zahn. Der Schaden, den er einem
Menschen zugefügt hat, soll ihm zugefügt werden."
(3Mos 24,20).
Moses Maimonides formulierte sehr klar die Voraussetzung
unter der ein König überhaupt Krieg führen
darf: Es bedarf der Zustimmung des Sanhedrin. Darunter
verbirgt sich wohl ein tiefes Mißtrauen der rabbinischen
Halacha gegen die Allmacht der Könige. Das Ganze
ist nicht so lebensfern, wenn man die in diesen Tagen
laufende Diskussion um die Berechtigung des Präsidenten
zu geplanten Kriegsführungen im Namen der Terrorismusbekämpfung
beobachtet. Gewaltanwendung bedarf, wenn sie schon nicht
vermeidbar ist, der Kontrolle. Einer Kontrolle, die nicht
nur vom Gedanken der technisch optimalen Durchsetzung,
sondern eben von der Unterwerfung unter die Schöpfungsordnung
bestimmt ist. Dem Schreiber dieser Zeilen ist sehr bewußt,
daß die wohlwollendste Reaktion auf solche Utopie
bei vielen Lesern ein mitleidiges Lächeln sein wird.
Die Utopie sei aber dem verziehen, der das Pflänzchen
Hoffnung zu Rosch ha-Schana unter zerfetzten Menschenkörpern
und zerstörten Hausruinen mit Kinderleichen sucht.
Das Bild von der als Pflanze keimenden Hoffnung bedarf
aber auch der Konkretisierung: Gibt es gesellschaftlich-politische
Strömungen, die ein Gedankengut propagieren, das
zur Deskalation der Gewalt führen könnte? Aber
verbirgt sich nicht schon hinter dieser Frage ein Vorurteil?
Wer sagt denn eigentlich, daß in diesem konkreten
Fall weniger Gewalt zum Ziel führt? Wäre nicht
ein höheres Maß an Gewalt besser geeignet,
eine radikale Änderung der Situation zu erreichen?
Scharon scheint davon überzeugt, die Hamas scheint
davon überzeugt und da auch Präsident Busch
davon überzeugt ist, gibt es niemanden, der die Kontrahenten
vom Gegenteil überzeugen könnte. Solange es
also gelingt, die jeweiligen Bevölkerungen und Anhänger
über das im Unklaren zu lassen, was tatsächlich
ihrem Wohle dient, kann es auf ihrem Rücken munter
so weitergehen. Den naiven Beobachter irritiert dabei
der Umstand, daß sowenig über die jeweiligen
längerfristigen Zielvorstellungen bekannt wird. Hier
liegt sicher einer der Gründe für die nahezu
ausweglose Situation. Beide Seiten sind im tiefsten Herzen
davon überzeugt, daß es dem jeweils anderen
nur um Maximallösungen geht: Zerstörung des
Staates Israel bzw. Vetreibung der Palästinenser.
Wenn man die Vorgänge als Außenstehender verfolgt,
so läßt sich erkennen, daß dieses leider
nicht ganz unberechtigte Mißtrauen bewirkt(e), daß
die Lösungsmodelle halbherzig bleiben (müssen).
Ein Staat ohne zusammenhängendes Territorium, von
Siedlungen und exterritorialen Korridoren unterbrochen
ist ebenso wenig attraktiv, wie die Aussicht auf einen
souveränen Nachbarstaat als bedrohliches militärisches
Aufmarschgebiet.
Wo bleibt die Hoffnung? Sie liegt ausschließlich
darin, daß pragmatisch denkende Politiker, zu einem
minimalen gemeinsamen Nenner hinsichtlich der zu schaffenden
Sicherheits-und Lebensbedingungen gelangen. Was aber noch
schwieriger sein dürfte, sie haben die Aufgabe ihre
emotional überforderten Bevölkerungen hinter
sich zu scharen. Dem kann sich gerade der nicht entziehen,
dem es um die Verwirklichung der zionistischen Ideale
geht. Denn im Augenblick ist jüdisches Leben nirgendwo
so gefährdet, wie im jüdischen Staat. Es steht
nicht zuletzt zu hoffen, daß sich jemand findet,
der Arik Scharon, wie damals im Jom Kippurkrieg vor 30
Jahren, als er die dritte ägyptische Armee einkesseln
wollte und damit die reale Voraussetzung für den
späteren Friedensschluß mit Ägypten zunichte
gemacht hätte, daran hindert, seinen Stil weiterzuführen.
Das ist keine einseitige, antiisraelische Sicht, sondern
die klare Konsequenz aus der absoluten militärischen
Überlegenheit Israels. Sozusagen die Anwendung des
Sprichworts "Der Stärkere gibt nach..."
Daß diese Gedanken nicht an den Haaren herbeigezogen
sind, belegt wohl der Umstand, daß die Tochter des
ermordeten ehemaligen Ministerpräsidenten Rabin ihr
politisches Amt in der Koalitionsregierung kürzlich
zurücklegte, um sich dem Werk ihres Vaters zu widmen.
Das von ihm eingesetzte Pflänzchen der Hoffnung hatte
nicht Gelegenheit sich in der Geschichte zu bewähren,
wurde es doch von blinder, mörderischer Gewalt niedergetreten.
Dennoch gibt es immer wieder starke Zeichen eines innerisraelischen
Reflexionsprozesses, der nach neuen Wegen sucht. Verfolgt
man die in hebräischer Sprache geführten Diskussionen
etwa in der angesehenen Tageszeitung Ha-Aretz, so wird
einem die Lebendigkeit aber auch die Radikalität
dieser Auseinanderstzung bewußt. Manchmal würde
man sich wünschen, daß Diskussionsbeiträge
außerhalb des Landes Israel dasselbe Niveau erreichen
und derselben Toleranz begegnen würden. So aber handeln
sich kritische Beiträge nur zu leicht den Vorwurf
ein, aus opportunistischer Gesinnung geschrieben zu sein,
die nur nach Akzeptanz seitens der Antisemiten lechzt.
Die Überschrift eines Artikels von Naomi Klein bringt
das Problem auf den Punkt:"Nein der Besetzung und
Nein dem Antisemitismus." (Ha-Aretz, 3.Mai 2002 S.
1B). Schade, daß oft übersehen wird, daß
die eben beschriebene Gedanken-und Pressefreiheit in Israel
das Rückgrat des mit Recht betonten wesenhaft demokratischen
Charakters der israelischen Gesellschaft bildet. In gewisser
Weise erging es den palästinensischen Persönlichkeiten,
die sich mit einem Aufruf gegen die Selbstmordanschläge
wandten (Al-Quds 20.Juni 2002) nicht anders. Sari Nouseibe
und Hanan Ashrawi handelten sich so den Vorwurf ein, in
ausländischem Sold zu stehen (vgl. Die Gemeinde Nr
539 Juli 2002, S. 14). Solidariät ist gut, wenn sie
jedoch aufhört problemorientiert zu sein, wird sie
selbstzerstörerisch. Es wäre naiv zu übersehen,
daß gerade die Linke in Israel von der Ergebnisnlosigkeit
ihrer Bemühungen und dem Mangel an Echo auf der palästinensischen
Seite enttäuscht wurde. Dennoch versucht es Jossi
Beilin mit einer neuen Partei, der er den hoffnungsvollen
Namen "Morgenröte" gegeben hat. Die Problematik
ist keineswegs einfach. Jede Friedenslösung setzt
ja aus israelischer Sicht neben allen Sicherheitsüberlegungen
auch die Selbstdefinition des Charakters des eigenen Staates
voraus. Das kommt etwa in den Worten von Roman Bronfman,
des Führers der linken Kleinpartei "Demokratische
Wahl" zum Ausdruck: " Ich persönlich tendiere
dazu, daß wir kein jüdisch-demokratisches Land
sein sollten, sondern ein demokratisches, in dem das Judentum
eine eher symbolische Rolle einnimmt." (Die Presse
1.Aug.2002 S. 4). Man sollte nicht übersehen, daß
es innerisraelische Reflexionsprozesse gegeben hat, die
heute bereits vergessen sind, obwohl sie größte
Bedeutung haben. Noch bis in die 70er Jahre war es verpönt
überhaupt von Palästinensern zu sprechen. Auch
das hat eine Kehrseite. In dieser Auseinandersetzung und
nicht zuletzt durch die gegenwärtigen Ereignisse,
wird in eben dieser Bevölkerungsgruppe immer stärker
das Bewußtsein gefestigt, ein Volk, mit dem Recht
auf Selbstbestimmung zu sein.
Welchen Aspekt also immer man auch aufgreift, nahezu jeder
führt in eine ausweglose Sackgasse. Vielleicht ist
aber gerade das das einzig Positive an der gegenwärtigen
Lage, daß sie das Lösungsmodell "Gewalt"
ad absurdum geführt hat. Was läge näher,
als mit den Worten des etwas melancholischen biblischen
Buches Kohelet zu schließen:
"Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen
unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit:eine Zeit
zum Töten und eine Zeit zum Heilen, eine Zeit zum
Niederreißen und eine Zeit zum Bauen,.... eine Zeit
zum Lieben und eine Zeit zum Hassen, eine Zeit für
den Krieg und eine Zeit für den Frieden. |
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