Wird im Mittelalter ihren männlichen Standesgenossen
in nur wenigen Ländern Europas die Möglichkeit
geboten, die Kunst des Heilens zu erlernen, so ist es
den jüdischen Frauen fast unmöglich, diese
Ausbildung an Schulen oder durch andere Heilkundige
oder Wissende zu erlangen1 . Dass trotzdem jüdische
Ärztinnen - besonders im 14. und 15. Jhdt. - nachzuweisen
sind, liegt wohl daran, dass sie in der Wissenschaft
der Medizin von ihren Vätern oder Männern
unterwiesen werden2 bzw. den Beruf des Arztes von jenen
übernommen haben - und manchmal diese erworbene
Kunst, wie wir später sehen werden, auch wieder
(meist) an einen männlichen Kollegen weitergeben.
Als eine der ersten Ärztinnen tritt uns bereits
im 13. Jhdt. in Salerno Rebekka entgegen, die nach ihrer
Promotion in Salerno ihre Lehrtätigkeit ausübt
und Abhandlungen über Fieber, Urin und über
den Fötus verfasst3 .
In Spanien werden die Ärztinnen sogar von Königinnen
konsultiert. Im Jahre 1364 stellte die spanische Königin
Leonor zwei jüdische Frauen, Ceti und Floreta (beide
werden "magistra" genannt) als ihre Ärztinnen
ein, wobei eine der Frauen als Augenärztin praktiziert.
Floreta ist auch 1381, als sie im Dienste der Königin
Sibilia steht, nachweisbar. In Sizilien praktiziert
1376 ebenfalls eine jüdische Ärztin 4 .
Auf deutschem Boden treten im 15. Jhdt. vermehrt Beweise
für das Praktizieren von jüdischen Ärztinnen
auf. Einer der Gründe dürfte wohl darin zu
suchen sein, dass, wie uns das Beispiel Würzburg
zeigt, zu dieser Zeit ein Mangel an Ärzten herrscht.
Als 1402 die Hochschule von Würzburg gegründet
wird, nehmen dort viele Lehrer in den verschiedensten
Fächern - außer in Medizin - ihre Lehrtätigkeit
auf und als der Gründer der Hochschule, Bischof
Johann I., 1411 stirbt, wird die Hochschule geschlossen,
und die Schüler wandern nach Erfurt ab. Sein Nachfolger,
Johann II., Erzbischof von Würzburg, stellt am
2. Mai 1419 der Ärztin Sara einen Freibrief aus.
Mit diesem Privileg ist es ihr gestattet, ihre Kunst
im Bistum gegen eine jährliche Steuer von 10 Gulden
und gegen einen Zahlung von 2 Gulden statt des goldenen
Opferpfennigs5 frei auszuüben. Sara muss wohl in
ihrem Beruf sehr beliebt und anerkannt sein, denn noch
im selben Jahr ist es ihr möglich, ein Rittergut
anzukaufen6 . Am 22. Mai verkündet Reinhard von
Masspach, Domherr zu Würzburg, dass die "Judenärztin
Sara" in alle Güter des Friedrich von Riedern
eingesetzt wird. Welch großes Ansehen sie in Würzburg
des 15. Jhdts. genießt, merken wir auch daran,
dass sie sich vom Ritter von Wissentann7 vertreten läßt,
als sie einmal vor Gericht erscheinen muß8 .
Fast zur selben Zeit lebt in Frankfurt am Main die Ärztin
Zerlin, die durch ihre Augenheilkunst zu großem
Ansehen kommt. Ihr wurde ebenso wie ihren männlichen
Standesgenossen gestattet, außerhalb der Judengasse
zu wohnen. Zwar lehnt man ihr Ansuchen auf Steuerbefreiung
ab (ist zu dieser Zeit eher unüblich), einer anderen
jüdischen Ärztin in Frankfurt am Main wird
jedoch 1494 das "Schlafgeld"9 erlassen, "...damit
sie hier bleibe...". In Frankfurt werden das ganze
15. Jhdt. hindurch noch jüdische Ärztinnen
genannt, wie etwa 1393, 1408, 1431, 1444, 1435, 1436,
1439, 1446 und zwischen 1492 und 1499 10 .
In Günzburg11 können wir im Jahre 1542 Morada
nachweisen, die als "...ehrbare und züchtige
Frau Morada, Doktorin der freien Kunst der Arznei, wohnhaft
in Günzburg...", sehr angesehen ist. Ihr wird
sogar ein jüdisches Sittenbuch, "Buch der
Sitten, über die 28 guten Eigenschaften des Menschen
mit Rücksicht auf seine 5 Kräfte" (1541
in Isny gedruckt) gewidmet12 . Im Jahre 1534 ist in
Breslau ebenfalls eine Jüdin als Ärztin tätig13
.
Eine der Heilkundigen, die ihr Wissen im 15. Jhdt. an
einen Mann weitergeben, ist Sara von Saint-Gilles, Witwe
des Arztes Abraham. Sie schließt auf sieben Jahre
einen Vertrag mit Salvet de Bourgneuf ab, damit er in
ihrem Dienst bleibt. Im Gegenzug dafür lehrt sie
ihm "...artem medicine et phisice..."14 .
Der große und berühmte Leibarzt des polnischen
Königs Sigismund II. und später des Großwesirs
Mohammed Sokolli ist am türkischen Hof des 16.
Jhdts. auch als Staatsmann äußerst beliebt.
Seine ärztliche Kunst hat er ebenfalls an seine
Frau weitergegeben, denn nach seinem Tode wird seine
Frau Bula Ikschati zum kranken Sultan Achmed I. gerufen,
der an den Blattern erkrankt war. Durch die Zubereitung
von eigener Medizin wird der Sultan wieder gesund, der
sie schließlich dafür reich belohnt15 .
Wie wir anhand der wenigen Beispiele sehen, haben die
jüdischen Ärztinnen des Mittelalters, ebenso
wie ihre männlichen Kollegen, nicht nur großes
Ansehen genossen, sondern auch in der Kunst des Heilens
unschätzbare Beiträge geleistet.
1 Eine der Ausnahmen, siehe Rebekka
in Salerno.
2 Joseph ben Mose, aus Höchstätt a. D., schildert
in seinem Buch Leket Joscher, in dem er auch seinen
Lehrer Israel Isserlein (Wr. Neustadt, um 1450) beim
alltäglichen Waschen schildert, wie bzw. mit welchem
Finger es wohl richtig sei, auch seine Ohren zu waschen.
Joseph erzählt, dass er von einer Arzttochter gehört
hätte, dass dies mit dem Goldfinger zu geschehen
sei. Auf Grund dieser Erzählung schließt
Krauss, wie wohl die jüdischen Ärztinnen zu
ihrer Ausbildung gekommen seien (über Vater oder
Mann); in: Krauss Samuel, Geschichte der jüdischen
Ärzte vom frühesten Mittelalter bis zur Gleichberechtigung,
Wien-Leipzig 1930 (im folgenden Krauss genannt), S.
49 - 50; weiters: Geissler Klaus, Die Juden in Deutschland
und Bayern bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, in: Zeitschrift
für bayerische Landesgeschichte, Beiheft 7, Reihe
B, München 1976, S. 164 - 166.
3 Landau Richard, Geschichte der jüdischen Ärzte,
Ein Beitrag zur Geschichte der Medicin, Berlin 1895
(im folgenden Landau genannt), S. 30.
4 Régné Jean (Hg.), Revue des Etudes Juives
XI, 287 (im folgenden REJ genannt); Güdemann M.,
Geschichte des Erziehungswesens und Kultur der abendländischen
Juden, 3. Band, Wien 1888, S. 197, Krauss, S. 17 und
38.
5 Die Juden in Deutschland hatten diese Steuer immer
zu Weihnachten zu entrichten.
6 Über die unterschiedliche Entlohnung der Ärzte
an anderer Stelle (Oberndorfer Ingrid, Jüdische
Ärzte in Österreich, unveröffentlichtes
Manuskript, Wien 2003), wir müssen jedoch unterscheiden
zwischen der Entlohnung eines "normalen Arztes",
eines Leibarztes (oder auch "Pucharztes" genannt),
Wundarztes, Baders oder einer Hebamme. Der durchschnittliche
Jahresgehalt etwa eines Leibarztes im 15. Jhdt. beträgt
100 Gulden. Maximilian hingegen bezahlt seinen Leibärzten
nur 50 Gulden und 1 Pferd, seinen Wundärzten jedoch
100 Gulden und 2 Pferde; vgl. Kühnel Harry, Die
Leibärzte der Habsburger bis zum Tode Kaiser Friedrichs
III., in: Mitteilungen des österreichischen Staatsarchivs,
11. Band, Wien 1958, S. 1 - 36.
7 In späteren Werken wie etwa bei Münz auch
Wissentaun genannt.
8 Wiener M., Regesten zur Geschichte der Juden in Deutschland
während des Mittelalters, Teil 1, Hannover 1862,
Nr. 517 und 518, S. 182; Krauss, S. 38 - 39; Landau,
S. 102 - 104; Münz I., Die jüdischen Ärzte
im Mittelalter, Ein Beitrag zur Kulturgeschichte des
Mittelalters, Frankfurt am Main 1922 (im folgenden Münz
genannt), S. 56 - 57; Horovitz M., Jüdische Ärzte
in Frankfurt am Main, Frankfurt 1886, S. 9.
9 Fremde Juden mußten für jeden Tag , an
dem sie sich in der Stadt aufhielten, Schlafgeld zahlen
- Zerlin wurde also zur Frankfurter Gemeinde gezählt,
in: Krauss, ebd.
10 Auch unter Zerline, Särlin oder Zorlin zu finden;
siehe auch: Landau, S. 102 - 104, Krauss, ebd; Münz,
ebd.
11 Über die berühmte Arztfamilie, derer aus
Günzburg, werde ich noch an anderer Stelle berichten:
Löb Günzburg praktizierte im 17. Jhdt. in
Wien als Arzt.
12 Krauss, S. 36 38 und 161; Jüdisches Lexikon,
Ein enzyklopädisches Handbuch des jüdischen
Wissens in vier Bänden, Band IV, Me - R, 2. Auflage,
Berlin 1987, S. 35; Münz ebd.
13 Münz, S. 152, FN 111.
14 REJ XLVI, 43; Krauss, S. 87.
15 Münz, S. 74 - 75.
|