http://david.juden.at  
 
 

unterstützt von:


 

Die Wiedereinweihung des Tempels

Gedanken zum Chanukka-Fest

Markus LADSTÄTTER

 

Die meisten Feste der jüdischen sowie auch der christlichen Tradition zeichnen sich dadurch aus, dass sie immer zwei Dimensionen haben: eine historische und eine religiöse. Während zweitere einen Glauben voraussetzt, ist erstere auch ohne diesen evident. Zu Chanukka mag für religiöse Menschen das Wunder jenes kleinen Ölfläschchens, dessen Inhalt völlig wider Erwarten für acht Tage Licht gereicht hat, im Zentrum des Interesses stehen; wer diesen Glauben jedoch nicht teilt, sieht zumindest den erfolgreichen Aufstand der Makkabäer gegen die seleukidische Herrschaft, der um die Mitte des zweiten Jahrhunderts vor der Zeitrechnung zur Wiedereinweihung des Tempels geführt hat. (Dieses Ereignis war im übrigen für das jüdische Selbstverständnis so wichtig, dass die Juden Alexandriens die Berichte davon sogar in ihre griechische Bibelübersetzung aufgenommen haben, was zur Folge hatte, dass sie bis heute in der Heiligen Schrift der katholischen und der orthodoxen Christen enthalten sind.)

"Schart alle um euch, die das Gesetz halten. Nehmt Rache für euer Volk! Zahlt es den fremden Völkern heim! Achtet auf das, was das Gesetz befiehlt!" (1. Makkabäerbuch 2,67-68) – Von religiös motiviertem Widerstand ist in diesen Texten also die Rede, von bewaffnetem Kampf aus religiösen Motiven, ja sogar von einer Neuauslegung der Schabbat-Vorschriften zugunsten einer Erlaubnis von defensiven Gegenschlägen im Krieg, von einer Verschmelzung von Religion und Politik, wie das auf den Sieg der Makkabäer folgende Jahrhundert mit seiner Personalunion von König und Hohempriester zeigt. Solange diese Phänomene (a) einen zeitlich genügend großen Abstand zur Gegenwart aufweisen und (b) dem eigenen jüdischen oder auch christlichen Selbstverständnis nahe liegen, werden sie nur wenig Irritationen hervorrufen, sondern mitunter sogar mit Stolz betrachtet. Begegnet dasselbe Phänomen jedoch (a) in der Gegenwart und (b) seitens eines fremden gesellschaftlichen und religiösen Kontextes, so hat die aufgeklärte Welt eine sehr populäre Bezeichnung für eine solche Verbindung oder auch Vermischung von Religion, Politik und Gewalt: Fundamentalismus. Freilich ist dieser Begriff in sich wegen seiner Unschärfe und vor allem der Breite seiner Verwendung höchst problematisch: Neben der religiösen und der politischen Dimension müssten noch weitere Ebenen wie die soziologische Schichtung und die psychologische Verengung beachtet werden, und zweifelsohne ist nicht jeder religiös motivierte Einsatz zur Weltgestaltung eo ipso funda-mentalistisch. – Da dieser Artikel jedoch als ein Beitrag zu einem freudigen Fest gedacht ist, soll diese Analyse hier abgebrochen werden und als Hinweis genügen, als Plädoyer des Historikers für eine geistige Weite, die in vergangenen Ereignissen trotz aller Unterschiede Strukturen zu erkennen vermag, die auch in der Gegenwart und mit anderen Vorzeichen wirksam sind.

Das Ziel der Makkabäer war, in modernen Begriffen, gleichzeitig ein nationales und ein religiöses: Selbständigkeit und freie Religionsausübung. Diese Werte waren ihnen so heilig, dass sie für sie blutig gekämpft haben und bis in den Tod gegangen sind. – Was ist dem modernen Menschen heute heilig?

Verfolgen Sie einschlägige soziologische Werte-Studien, hören Sie die teils sehr originellen Antworten in dazu relevanten ORF-Programmen, fragen Sie ein bisschen in Ihrem Bekanntenkreis herum, halten Sie einen Moment inne und denken Sie selbst nach – das Gros der Antworten wird sich vermutlich (abgesehen von der in unseren Breiten Gott-sei-Dank gegebenen politischen Selbstbestimmung) in zwei wesentlichen Punkten von der Inspiration der Makkabäer unterscheiden: Was dem Menschen hier und heute heilig ist, (a) ist vorwiegend nicht gemeinschaftlich, sondern individuell konzipiert, und (b) liegt zu allermeist nicht im expliziten Bereich der Religion. Werte wie Spaß, Erfolg, Konsum, Familie, Freunde, Gesundheit, Sicherheit, vielleicht auch Natur stehen im Vordergrund. Jener "lebendige Gott", nach dem im biblischen Gebet "die Seele lechzt wie nach frischem Wasser" (vgl. Ps 42, 2-3), ist weit auf die hinteren Plätze verwiesen – ein Gesamtbefund, der so manchen Vertreter religiöser Institutionen seine Lamentatio auf "die moderne Welt" oder "die heutige Jugend" anstimmen lässt. Allein – dies nützt nichts, denn religiöse Inhalte sind dem modernen Menschen vielfach zu wenig real vorstellbar, als dass sie ihm wirklich und existentiell heilig sein könnten, sie sind zu weit weg und korrespondieren allzu oft nicht mit seiner persönlichen Erfahrung. Und der Umstand, dass dazu noch die konkreten Erfahrungen mit "religiösen" Menschen bisweilen nicht immer die besten sind, tut dann noch sein Übriges.

Die Erfahrung, sie ist das Kriterium, an welchem sich die Gültigkeit von Werten für den neuzeitlichen Menschen zu messen hat: Ein Wert, der nicht erfahrbar ist, hat auch keine Gültigkeit. – Gilt dieses Prinzip also für religiöse Inhalte, so verlangt freilich die intellektuelle Redlichkeit, dass auch jene Werte, die heute die Stelle höchster Werte einnehmen, demselben Kriterium der Erfahrung unterzogen werden, und hierbei zeigt sich Interessantes: Wohl können die genannten Werte positiv erfahren werden, aber keineswegs uneingeschränkt: der Spaß ist ein gar flüchtiger Geselle, Erfolg ist neben der eigenen Tüchtigkeit von vielen anderen und mitunter auch anscheinend zufälligen Faktoren abhängig, der Konsum erweckt das Verlangen nach ständiger Erneuerung und Überbietung, Familienglück und Freundschaften lassen sich nicht vollständig planen und bewerkstelligen, die Gesundheit ist jedem Menschen nur auf Zeit verliehen, und so fort. Allem, was dem Menschen heilig ist, wohnt ein Moment der Unverfügbarkeit inne – und es kommt sogar noch schlimmer: Es bedarf durchaus keines religiösen Glaubens, um zu erfahren, dass das absolute Streben nach einem dieser Werte sogar destruktive Folgen haben und krank machen kann.

Wer oder was aber soll in diesem Allerheiligsten des Menschenherzen wohnen, wenn Gott nicht so leicht auffindbar und sonst nichts dieses Ortes würdig ist? – "Eben nichts", würden da die Buddhisten antworten: Leerheit (sunyata) und Illusion ist der letzte Charakter aller Wirklichkeit, daher ist dieser Thron von jeglicher Vorstellung freizuhalten. Auch der chinesische Daoismus betont die immense Bedeutung der "Leerstellen":

Dreißig Speichen sind vereint in einer Nabe. –

an ihren leeren Stellen liegt es,

daß Wagen zu gebrauchen sind.

Ton wird gebrannt und es entsteht ein Krug daraus. –

An ihren leeren Stellen liegt es,

daß Krüge zu gebrauchen sind.

Türen und Fenster werden ausgemeißelt –

An ihren leeren Stellen liegt es,

daß Zimmer zu gebrauchen sind.

(aus Laotse, Tao Te King 55 (11), hg. und übersetzt von Hans-Georg Möller, Ffm 1995, 170)

In der Tat bauen nicht nur spirituelle Praktiken verschiedenster Herkunft auf die Wichtigkeit der inneren Distanz und Indifferenz allen vordergründigen Zielen gegenüber: dieselben Erkenntnisse finden sich auch in psychologischen Theorien, ja sogar in Trainings-Seminaren für Topmanager – auf einer rein immanenten Ebene, das heißt: allein schon um des besseren Erreichens eben dieser Ziele willen. Kein Wunder also, dass sich diese ostasiatischen Lehren auch im Westen wachsenden Zuspruchs erfreuen, und zwar nicht nur unter religiös unbeheimateten Leuten, sondern auch unter Juden und Christen, und dies wiederum zur Sorge der jeweiligen religiösen Autoritäten.

Vielleicht dürfen jedoch diese fernöstlichen Strömungen in einem ganz anderen Licht gesehen werden: als Kräfte, die – ebenso wie die abendländische Religionskritik – zu einer gründlichen Reinigung des inneren Tempels beitragen, der im Lauf der Zeit von so manchem überwuchert worden ist, sodass das Allerheiligste schließlich wieder frei wird für denjenigen, dem allein es gebührt.

Zurück

 

 
 
webmaster@david.juden.at

Unterstützt von haGalil.com
haGalil onLine