Die Grundlage der Rekonstruktionsarbeit wird von recherchierten
Archivmaterialien gebildet, welche die Validität der virtuellen
Rekonstruktion maßgeblich bestimmen. Hinzu muss festgehalten werden, dass
die gegenständliche Rekonstruktionsarbeit sich vorwiegend mit Synagogen
befasst, welche in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichtet wurden.
Auf Grund der Gründlichkeit der Baubehörde der Stadt Wien und den damit
zusammenhängenden Anforderungen an Einreich- bzw. Auswechs-lungsplanungen
(Maßstab 1:100), handelt es sich um eine überaus zuverlässige Quelle. Diese
Planunterlagen geben jedoch üblicherweise keinen Aufschluss über etwaige
Einrichtungsgegenstände und Möblierungen. Obgleich bestimmte Lücken zu
verzeichnen sind, erstaunt, dass nach wie vor eine reichhaltige Zahl an
Plandokumenten archiviert ist. Im Falle eines Verlustes von Archivmaterial
hat dies einen weiteren Spielraum für die dreidimensionale Darstellung zur
Folge und es gewinnt die "Spekulation" an Einfluss. Eine reichhaltige Fülle
an Gebäudeschnitten steigert hingegen den Realitätsgehalt der
Rekonstruktion. Dies ist auch der Fall, wenn Innenraumaufnahmen vorgefunden
werden, welche allerdings bei jüdischen Gebetshäusern und Synagogen eher
selten angefertigt wurden. Doch handelt es sich hier nahezu ausschließlich
um Schwarzweißbilder, anhand derer sich die Farbgestaltung bestenfalls
erahnen lässt. Zuweilen liegen auch künstlerische Darstellungen in Form von
Ölbildern oder Aquarellen vor, welche zwar mit Vorsicht zu behandeln sind,
aber dennoch als ergänzendes Quellenmaterial herangezogen werden können.
Synagoge in der Pazmanitengasse Innenansicht
Wenn über längere Zeiträume hinweg an computergestützten Modellierungen
gearbeitet wird - so wie es in diesem Projekt der Fall ist - kann sich rasch
eine erhebliche Unübersichtlichkeit in der Datenorganisation einstellen.
Hier reicht das Strukturprinzip einer Bauteiltrennung innerhalb einer
einfachen Geschoßstruktur für gewöhnlich nicht aus, um den "Durchblick" zu
wahren. So können beispielsweise Brüstungen mit applizierten Ornamenten -
welche meist in mehreren vertikalen Schichten zu modellieren sind - nur
mittels einer strukturierten Datenorganisation nachvollziehbar archiviert
werden. Der Aspekt der Nutzbarkeit zu einem späteren Zeitpunkt stellt somit
eine wichtige Vorgabe für nachfolgende Modellierungsvorgänge dar. So kann
beispielsweise die Implementierung von Erkenntnissen aus der Zusammenarbeit
mit Kunsthistorikern einen vertiefenden Modellierungsvorgang zur Folge
haben. Auch Fluktuationen im Bereich des Bearbeiterkreises verlangen
diesbezüglich nach einer ablesbaren Struktur.
Die festgelegte Systematik lässt sich wie folgt definieren, wobei
Bezeichnung "Geschoss" und "Ebene" in diesem Zusammenhang auf die Software "ArchiCAD"
bezogen ist:
Recherchieren von Planunterlagen, Bildmaterialien und Baubeschreibungen
Dieser Informationsfundus ist von grundlegender Bedeutung und zu Beginn
der computergestützten Rekonstruktionsarbeiten sollten nach Möglichkeit
Planunterlagen verfügbar sein. Je mehr qualitativ hochwertiges
Archivmaterial zur Verfügung steht, desto exakter kann die Synagoge
rekonstruiert werden.
Vergleichen von planlichen Darstellungen mit fotografischen Aufnahmen
Um eventuelle Unterschiede zwischen Planung und Ausführung zu erkennen,
sind vorab Planunterlagen mit fotografischen Aufnahmen zu vergleichen und
etwaige Diskrepanzen zu orten. Darüber hinaus ist es nützlich, erste
Analysen hinsichtlich der konstruktiven Gebäudestruktur (z.B. Raster,
Fassadenteilungen, etc.) anzustellen.
Festlegen einer Geschoßstruktur ("Horizontale Struktur")
Jedes Bauelement innerhalb einer virtuellen Rekonstruktion ist einem
Geschoß zuzuorden. Es können beliebig viele Geschoße eingeführt werden,
welche nicht ident mit der Geschoßstruktur der Planunterlagen sein müssen.
Es ist sogar ratsam mit Zwischengeschoßen zu arbeiten, wenn es oberhalb des
ideellen "1-Meter-Schnittes" eine Vielzahl an Ornamenten oder Deckenementen
gibt. Speziell bei der Bearbeitung eines Projektes durch mehrere Personen,
unterstützt die Geschoßstruktur eine korrekte Positionierung von
Gebäudeteilen im dreidimensionalen Raum.
Festlegen einer Ebenenstruktur ("Vertikale Struktur")
Nun ist eine Anzahl von Ebenen, deren Bezeichnung sich mit den
zugeordneten Gebäudeteilen in Verbindung bringen lässt, anzulegen. Die
Kriterien für eine Zuordnung von Bauelementen sollen nach konstruktiven
Gesichtspunkten ausgewählt werden. Es ist durchaus möglich, dass Bauelemente
einer Ebene die gedachten horizontalen Grenzen der Geschoßverwaltung im
Bedarfsfall über-, oder unterschreiten. Nach Fertigstellung der
Rekonstruktion sind alle Ebeneninhalte in Form einer schattierten
Darstellung zu dokumentieren. Zu diesem Zwecke sind zunächst sämtliche
Ebenen auszublenden und anschließend jeweils der Inhalt einer einzigen Ebene
abzubilden.
Erfassen von verwendeten Materialien
Jedes Element auf einer Ebene und in einem Geschoß hat eine spezifische
Oberflächenfarbe (entspricht dem Material). Diese Farbe ist den einzelnen
Geometrieflächen zugeordnet und kann auch innerhalb eines Objektes
unterschiedlich sein. Das Element selbst wird deshalb nicht auf mehrere
Ebenen aufgeteilt.
Bestimmen von Texturen
Eine weitere Ordnungsstufe stellt jene der jeweiligen Oberflächenfarbe
zugeordnete Materialtextur dar. Eine Textur ist die graphische Abbildung
eines Baustoffes, welche bei der Berechnung einer photorealistischen
Darstellung auf die Geometrie des Bauelementes projiziert wird.
Spezialeffekte der photorealistischen Darstellungsmöglichkeiten einer
CAD-Software können zusätzliche Licht-, Glanz- und Spiegeleffekte auf den
Texturoberflächen erzeugen, welche durch verschiedene Lichtquellen innerhalb
und/oder außerhalb des Gebäudemodells beeinflusst werden.
Erstellen von Bibliothekselementen und Modulen
Die Konstruktion von projektbezogenen Bauelementen erfolgt mit allen zur
Verfügung stehenden ArchiCAD-Standardwerkzeugen. Als Bibliothekselemente
abgespeicherte Gebäudeteile sollen auch als sog. "Module" in ein eigenes
Verzeichnis gesichert werden. Diese Vorgehensweise ermöglicht eine
nachträgliche grafische Änderung an einzelnen Bibliothekselementen.
Archivieren der Projektdateien
Abschließend sind sämtliche Projektdaten in einer überschaubaren
Verzeichnisstruktur abzulegen. Eine Erweiterung um einzelne Verzeichnisse
kann bei Bedarf erfolgen (z.B. mit Texturen). Die Erfassung von verwendeten
Materialien bzw. die Bestimmung von Texturen kann - wenn geeignete
Informationen nicht vorhanden sind - gegebenenfalls zu einem späteren
Zeitpunkt erfolgen.
Es muss bedacht werden, dass die Rekonstruktionsarbeit von
Detaillierungsniveaus ("levels of detail") gekennzeichnet ist. Das heißt,
weiterführende kunsthistorisch relevante Erkenntnisse sollten nachträglich
eingebracht werden können. Unter Umständen handelt es sich hier um längere
Zeiträume, in der die ursprüngliche Bearbeiterschaft zur weiteren
Modellierung nicht mehr involviert ist. Darüber hinaus ist es schwer
abzuschätzen, ob ein bestimmtes CAD-Softwarepaket in Hinkunft weiterhin
verfügbar sein wird. Beide Gründe können große Schwierigkeiten bei einer
Fortführung der Arbeit verursachen. Das bedeutet, dass eine Investition in
der Datensystematik sich lohnen wird und den Weg für eine Nachnutzung - ggf.
auch in einer anderen CAD-Umgebung - frei macht.
Rekonstruktion 2., Pazmanitengasse 6
Der Tempel in der Pazmanitengasse wurde in den Jahren 1891 bis 1913 nach
Entwürfen von Ignaz Reiser errichtet. Vollumfängliche Einreichplanunterlagen
und darüberhinaus professionelle Fotografien standen zur Verfügung, welche
offenkundig mit einer technischen Kamera angefertigt wurden. Aufgrund des
hohen Informationsgehaltes bestand Klarheit über viele Details (vor allem
auch bei den Innenraumaufnahmen). Dennoch führte dies zu einem höheren
Aufwand in der Modellierung, zumal deutliche Unterschiede zwischen
Fotografie (als Zeugnis einer endgültigen Ausführung) und Einreichplanung
geortet werden konnten. Diese betrafen vor allem Aufteilungen, Proportionen
sowie die Gestaltung von Dekorationen. Die Hauptfassade in der
Pazmanitengassse beispielsweise wurde anders ausgeführt als aus der
vorliegenden Einreichplanung gefolgert hätte werden können. Nicht eindeutig
feststellbar war, ob eine Auswechslungsplanung diesbezüglich vorgenommen
wurde. Die erwähnten Unterschiede betreffen Positionsverschiebungen und
Formatkorrekturen der Fensteranordnungen. Vermutlich war dies bei der
"rückwärtigen" Fassade in der Pillersdorfergasse ebenso der Fall, doch
konnten hier keine Aufnahmen recherchiert werden und wurde vom Fassadenriss
aus der vorliegenden Einreichplanung Gebrauch gemacht.
Rekonstruktionsmodell des Pazmanitentempels (Gesamtansicht, Westfassade)
Referenzen:
Genée, Pierre (1987): Synagogen in Wien.
Wien: Löcker Verlag, S. 96
Stiassny, Wilhelm (1894): "Synagoge für die
Polnisch-Israelitische Gemeinde in Wien", in: Allgemeine Bauzeitung,
Vol. 59, S. 70-71
Rekonstruktion 2., Leopoldsgasse 29
Entworfen wurde dieser 1892/93 errichtete Tempel von Wilhelm Stiassny.
Für diesen Standort stand ebenfalls eine vollumfängliche Einreichplanung
(mitsamt Auswechslungsplanung) zur Verfügung. Die Qualität der zunächst
recherchierten Aufnahmen war eher dürftig, handelte es sich doch bei der
Abbildung der Außenfassaden eher um eine Art "snapshot" und bei den
Innenraumaufnahmen um eine Reproduktion. Erfreulicherweise tauchte jedoch im
Archiv des Jüdischen Museums in Wien eine kolorierte Postkarte mit zehn
Wiener Synagogen auf, auf welcher unter anderen die Leopoldgasse abgebildet
war. Bemerkenswert ist das rot-weiß-rote-Streifenmuster wie auch das
Sichtziegelmauwerk. Es konnten geringe Unstimmigkeiten zwischen den
unterschiedlichen Planunterlagen, wie auch zwischen Plan und Fotografie,
geortet werden. So erschien beispielsweise auf den Einreichplänen im Vorhof
noch einen Balkon. Die seitlich des rückspringenden Baukörpers angeordneten
Innenräume sind darüber hinaus schwer zu interpretieren. Jedoch lag das
Hauptaugenmerk der Modellierung nicht auf diesen Räumlichkeiten. Desweiteren
waren konstruktive Fragen betreffend der Ausführung der Dachkonstruktionen
im Zuge der baulichen Errichtung zu lösen (z.B. Pultdach).
Rekonstruktionsmodell des Polnischen Tempels (Querschnitt,
Westfassade)
Referenzen:
Genée, Pierre (1987): Synagogen in Wien.
Wien: Löcker Verlag, S. 90-93
Reiser, Ignaz (1914): "Der Jubiläumstempel - Wien II.
Pazmanitengasse 6", in: Wiener Bauindustrie-Zeitung,
Vol. 31, S. 87-88