DAVID:
Was können Sie uns über Ihr Leben und Ihre politische Karriere erzählen?
Seit wann sind Sie Bürgermeister der Landeshauptstadt Graz?S. Nagl:
Jeder Mensch hat in seinem Leben viele so genannte "Gelegenheiten".
Chancen, für sich oder andere etwas zu tun.
Chancen, etwas zu erreichen, zu verändern oder zu werden. Unser ganzes
Leben besteht aus Chancen, die wir nützen können oder auch nicht. Ich habe
in meinem Leben die meisten Gelegenheiten beim Schopf gepackt.
Ich wurde am 18. April 1963 als drittes Kind von Siegfried und Maria Nagl
in Graz geboren. Zwei Jahre später erblickte mein Bruder Dieter das Licht
der Welt. In einer großen Familie harmonisch und geborgen aufgewachsen, bin
ich heute selbst stolzer Vater von drei Töchtern. Meine Gattin Andrea habe
ich 1981 geheiratet.
Nach Beendigung meines Studiums der Betriebswirtschaftslehre, übernahm
ich 1988 als 25-Jähriger die Geschäftsführung der Firma "Klammerth" in der
Grazer Herrengasse, die sich seit Generationen in Familienbesitz befindet
und damals bereits 80 Mitarbeiter zählte. Die Zeit als Unternehmer hat mich
nachhaltig geprägt und davon profitiere ich auch heute in meiner Rolle als
Politiker.
Zur Politik kam ich 1998, als ich als "Quereinsteiger" für die ÖVP
kandidierte und schließlich Finanzstadtrat wurde. Im Jahr 2000 löste ich
Helmut Strobl als Obmann der Grazer Volkspartei ab. Im Jänner 2003 konnte
meine Partei einen ihrer größten Erfolge feiern: wir wurden von den
Wählerinnen und Wählern von Platz drei an die Spitze geholt, ein klarer
Auftrag, ein großer Vertrauensbeweis. Seit 27. März 2003 bin ich
Bürgermeister von Graz.
Mein Motto lautet stets: "Ich habe keine Angst vor Niederlagen. Aber ich
könnte nicht damit umgehen, eine wichtige Sache nicht wenigstens versucht zu
haben."
DAVID: Da Sie im Gemeinderat nicht über die absolute Mehrheit
verfügen, sind Sie auf die Zusammenarbeit mit anderen Parteien angewiesen,
können Sie uns darüber etwas Näheres berichten?
S. Nagl: Es gibt ein Arbeitsübereinkommen mit der SPÖ. Dass sich die
politische Zusammenarbeit nicht immer ganz einfach gestaltet, ist kein
Geheimnis. Dennoch gibt es von meiner Seite die Bemühung, eine Stimmung des
"Miteinanders" im Rathaus zu fördern, denn nur gemeinsam können wir etwas
für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Graz bewegen und für ihre
Zufriedenheit sorgen.
DAVID: Die Stadt Graz gibt sich weltoffen, welche Konzepte verfolgen
Sie, dass Graz diesem Ruf gerecht wird?
S. Nagl: Die Stadt Graz ist weltoffen und dies verdeutlicht sich
durch mehrere Faktoren und viele Initiativen. An erster Stelle sind die vier
Grazer Unis sowie die Fachhochschule zu nennen, mit ihren großen Anteil an
ausländischen Studierenden, namhaften Wissenschaftlern und
wissenschaftlichen Institutionen. Es gelang uns, Graz zu einer
internationalen Kongress-Stadt zu machen. Insgesamt leben in der steirischen
Landeshauptstadt Menschen aus über 140 Nationen, die gegenüber der
Stadtverwaltung durch einen gewählten Ausländerbeirat vertreten sind.
Aktuell sind wir gerade dabei, eine oder einen Integrationsreferenten zu
finden.
Bedeutsam sind auch unsere Städtepartnerschaften, vor allem nach Ost- und
Südosteuropa. So hat sich im Kulturhauptstadtjahr 2003 ein besonderer
Kontakt mit St. Petersburg entwickelt.
Im vergangenen Jahr zeigte sich die Offenheit unserer Stadt auch in der
Veranstaltung einer großen Interreligiösen Konferenz (Projekt
"interreligiöses Europa" und eine vorausgehende Konferenz europäischer Imame
niedergeschlagen. Das waren Veranstaltungen von großer Tragweite.
Graz ist die erste europäische Stadt der Menschenrechte. Dies ist uns
nicht nur Verpflichtung sondern Herzensangelegenheit. Wir haben mit dem
"Europäischen Trainings- und Forschungszentrum für Menschenrechte und
Demokratie (ETC) sowie dem stadteigenen "Grazer Büro für Frieden und
Entwicklung" Instrumente der innerstädtischen und auch der internationalen
Konfliktbewältigung geschaffen.
DAVID: Wie ist das Verhältnis zur Israeltischen Kultusgemeinde in
Graz?
S. Nagl: Das Verhältnis zur Israelitischen Kultusgemeinde hat sich
seit dem "Bedenkjahr" 1988 ausgezeichnet entwickelt. Aufgrund einstimmiger
Beschlüsse der Stadtregierung konnten 1991 die Zeremonienhalle am Jüdischen
Friedhof und im Jahr 2000 die Synagoge wieder errichtet werden. Beide waren
1938 zerstört worden.
DAVID: Die IKG-Graz hofft auf die weitere Sicherstellung der
Subvention für die Betriebskosten der Synagoge, da ansonsten die
Offenhaltung der Synagoge (sei es nun für Führungen, Veranstaltungen oder
auch nur für einzelne Besucher, die besonders während der Urlaubszeit, aber
auch anlässlich der Kulturhauptstadt Europas sehr zahlreich und aus der
ganzen Welt die Synagoge sehen wollen) nicht mehr gesichert wäre, da die
IKG die dafür notwendigen finanziellen Mittel nicht hat.
S. Nagl: Die Sorge, die in Ihrer Frage mitschwingt, kann ich durchaus
zerstreuen. Die Grazer Stadtregierung hat seit dem Jahr 2000 neben der
Errichtung der Synagoge auch die Bereitstellung ihrer Betriebskosten
beschlossen, weil die jüdische Gemeinde von Graz mit diesen Kosten sicher
überfordert wäre.
DAVID: In verschiedenen Städten wie Wien, Eisenstadt und Hohenems
gibt es Museen bzw. ständige Ausstellungen zur jüdischen Geschichte. Gibt es
auch seitens der Stadt Graz Überlegungen eine ständige Ausstellung/ein
Museum als "Ort der Erinnerung" zu schaffen?
S. Nagl: Die wieder errichtete Synagoge selbst ist für die Grazer
Bevölkerung insbesondere für junge Menschen dieser von Ihnen erfragte
Ort der Erinnerung. Er wird permanent von Schulklassen besucht. Auch bietet
das 2002 gegründete jüdische Kulturzentrum Graz (JKG) ein reichhaltiges
Programm der Auseinandersetzung mit der Geschichte und der Begegnung mit
zeitgenössischer jüdischer Kultur. Das JKG arbeitet dabei mit verschiedenen
Kulturinitiativen von Graz und auch mit der christlichen Kirche zusammen.
DAVID: Welche Initiative (der Stadt Graz) ergreift Ihre Fraktion zum
Abbau von rassistischen und antisemitischen Vorurteilen?
S. Nagl: Die inhaltliche Kompetenz für Maßnahmen gegen Rassismus und
Antisemitismus liegt beim Grazer Büro für Frieden und Entwicklung, in dessen
Kuratorium alle Gemeinderatsfraktionen vertreten sind. Daneben sind die
zahlreichen NGOs wie zum Beispiel Caritas, Omega, ISOP, Zebra, Danaida zu
erwähnen, die sich den Problemen ausländischer Mitbürger und ihrer
Integration widmen. Ab Herbst wird es dann, wenn alles optimal verläuft,
auch einen eigenen Integrationsreferenten geben.
DAVID: Wie sehen Sie für die Zukunft das Verhältnis von Juden und
Nichtjuden in Graz?
S. Nagl: Die seit 1988 stetig gewachsenen Beziehungen, durch welche
viele Grazerinnen und Grazer mit dem Judentum vertraut geworden sind,
versprechen eine gute Zukunft. Ständige menschliche Begegnung kann vor
Vorurteilen aber auch vor der Übertragung internationalen Konfliktpotentials
in die Kommunikation einer Stadt bewahren. Ich hoffe, dass die IKG-Graz mit
ihren neuen Gottesdienst-Räumen und Kultureinrichtungen weiter aufblüht und
werde das als Bürgermeister nach Kräften unterstützen.