Es dauerte bis 1788, ehe die ersten Siedlerinnen und
Siedler nach Australien einwanderten und diese kamen nicht etwa
freiwillig, sondern waren Sträflinge oder Häftlingswärter: Nachdem die
Vereinigten Staaten 1776 ihre Unabhängigkeit erklärt hatten, suchten die
Briten angestrengt nach neuen Weltgegenden, um sozial oder politisch
unerwünschte Teile ihrer Bevölkerung zu deportieren. Das 1770 von Captain
James Cook für die britische Krone beanspruchte Australien "entdeckt"
worden war der lange gesuchte Südkontinent spätestens im 17. Jahrhundert von
portugiesischen und niederländischen Seefahrern kam hier gerade recht. Aus
ihrer Heimat England wegen unterschiedlich schwerwiegender Delikte auf den
fünften Kontinent verbannt, fanden sich an Bord der ersten Flotte Mörder und
Taschendiebe, Entführer und Prostituierte. (Auf den Schiffen für Disziplin
zu sorgen oder den Kontakt zwischen den Matrosen und den deportierten Frauen
zu verhindern, war kein leichtes Unterfangen.) Hinsichtlich ihrer
Nationalität handelte es sich bei diesen unfreiwilligen Einwanderern
hauptsächlich um Iren, Schotten, Briten beziehungsweise hinsichtlich ihres
Religionsbekenntnisses, um Katholiken, Protestanten und natürlich auch um
Juden. Zwischen acht und sechzehn Jüdinnen und Juden sollen sich unter den
751 Sträflingen der ersten Flotte befunden haben. Damit war Australien die
erste Kolonie, in der Juden von der Gründung an lebten.
Insgesamt wurden zwischen 1788 und 1851, als die
Deportationen offiziell beendet wurden, an die 145.000 Menschen nach
Australien deportiert, darunter fast 2000 Juden oder 0,47 Prozent der
Bevölkerung. Zu 90 Prozent handelte es sich bei diesen 2000 um Männer,
durchschnittlich 25 Jahre alt, die hauptsächlich gelernte Schneider, Uhr-,
Schuhmacher oder Arbeiter waren. Die meisten von ihnen waren in London
ansässig gewesen, wo die Mehrheit damals askenasischen, vor allem deutschen
und osteuropäischen Familien entstammte, es jedoch auch eine bedeutende
sephardische Minorität gab. Insgesamt galten die englischen Juden als
weltoffener und liberaler als ihre osteuropäischen Glaubensbrüder auf dem
Kontinent. Der erste Jude, der freiwillig nach Australien auswanderte, hieß
Barnett Levey. Er traf 1821 in Sydney ein, wo er es dank eines Hotels und
einer Mehlfabrik er baute die größte Getreidemühle der Stadt zu
Wohlstand brachte. In Erinnerung blieb er jedoch vor allem durch die
Gründung des ersten australischen Theaters; neben Shakespeare-Aufführungen
gab es auch Musikabende mit Levey als Unterhalter.
Generell trugen die Juden die nach 1850 verstärkt
freiwillig eingewanderten wie die nach Abbüßung ihrer Haftstrafe
freigelassenen wesentlichen Anteil am wirtschaftlichen, politischen,
gesellschaftlichen und künstlerischen Leben der neuen Kolonie. Anders als
die lutheranische oder chinesische Minderheit lebten sie inmitten der
australischen Gesellschaft und waren bestens integriert. Ein Musterbeispiel
ist Esther Abrahams, die als 18-jährige, ein Baby in ihren Armen, mit der
ersten Flotte an Land ging, nach ihrer Freilassung (sie hatte in einem
Londoner Geschäft Seide gestohlen) einen hochrangigen Militäradministrator
heiratete, es mit ihm gemeinsam zu Ansehen und Reichtum brachte und die
erste (inoffizielle) First Lady der neuen Kolonie wurde. Ebenfalls zu den
Erstankömmlingen zählte John Harris, der später die australische Polizei
begründen sollte. Ein wieder anderes Beispiel ist Isaac Nathan, der als der
"Vater der australischen Oper" gilt. Er ließ als erster klassische Konzerte
in Australien aufführen und komponierte die erste australische Oper "Don
John of Austria" (kein Druckfehler!). Der erste in Australien geborene
General-Gouverneur (als Stellvertreter der Queen amtierendes
Staatsoberhaupt) war ebenfalls ein Jude, der hochangesehene Jurist Sir Isaac
Isaacs. Und auch der berühmteste australische General, Sir John Monash, der
Kommandant der australischen Truppen im Ersten Weltkrieg, eigentlich ein
gelernter Zivilingenieur, war jüdischer Abstammung.
Einen bis heute prägenden Einfluss auf den australischen
Alltag übte der russisch-stämmige Sidney Baerski Myer auf: 1897
eingewandert, verdingte er sich als Kleinhändler, ehe er 1811 im Zentrum von
Melbourne die heute noch bestehende Zentrale seines Geschäfts-Imperiums
eröffnete. Seine Bekanntheit verdankt Myer jedoch nicht dem Gebäude als
solchem, sondern dem revolutionären Geschäftskonzept dahinter: Da Myer seine
Produkte direkt bei den Produzenten einkaufte, konnte er die Zwischenhändler
ausschalten und seine Waren weit günstiger als die Konkurrenz anbieten. Vor
allem aber konnten die Kunden in seinem Geschäft zum ersten Mal
umherspazieren und die Waren selbst aussuchen Myer war das erste echte
Kaufhaus in Australien.
Von Anfang an spielte sich jüdisches Leben in Australien
hauptsächlich in den großen Städten ab; die in den ländlicheren Gebieten
gegründeten jüdischen Gemeinden hatten jeweils nur eine Handvoll Mitglieder
und wurden nach einigen Jahren aufgelassen. Hauptsächlich betätigten sich
die in der Provinz Niedergelassenen als Händler, Hotel- oder Barbesitzer.
Dass einige wenige Juden Bekanntheit als Buschräuber erlangten, darunter der
berühmte "Mann, den sie nicht hängen konnten" (nachdem der Strick am Galgen
drei Mal gerissen war, wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt), stellte
die unrühmliche Ausnahme dar.
Die wichtigsten jüdischen Zentren verkörperten von Anfang
an Melbourne und Sydney. Doch erst nachdem mehr und mehr freie Siedler nach
Australien gekommen waren Menschen, die in besseren wirtschaftlichen
Verhältnissen lebten und aktiv für ihr Recht auf freie Religionsausübung
eintraten , wurde erstmals an die Gründung von jüdischen Gemeinden und die
Einrichtung von Gebetshäusern gedacht. Die ersten Synagogen wurden Ende der
1830er Jahre errichtet, meist in Privathäusern oder gemieteten
Räumlichkeiten. Über einen Rabbiner verfügte die Gemeinde damals noch nicht.
Die erste richtige Synagoge, errichtet im ägyptischen Stil und mit
Freimaurersymbolen überladen, wurde 1844 im Zentrum Sydneys eingeweiht.
Trotz der geringen Anzahl von Juden kam es in den 1850er Jahren über
rituelle Fragen zu einer Spaltung von Sydneys Kongregation. Einige
Mitglieder der jüdischen Oberschicht gründeten in einer früheren
baptistischen Kirche eine eigene Kongregation; diese blieb jedoch immer eine
Minderheit, und interne Konflikte waren häufig.
Nicht nur für Australien, sondern auch für die
australischen Juden markierte das Jahr 1851 eine Zäsur: Nachdem unmittelbar
zuvor in Kalifornien Gold entdeckt worden war, weckten die ersten Goldfunde
am fünften Kontinent auch das Goldfieber auf den Antipoden. Nunmehr war es
endgültig keine Strafe mehr, nach Australien verschifft zu werden, weshalb
England 1851 diese Praxis aufgab. Allein zwischen 1851 und 1860 kamen
740.000 Menschen nach Australien, neben Europäern auch etliche Chinesen. In
Melbourne etwa, wo vor 1851 der Großteil der Juden im Textilhandel tätig
war, verlegten sich mehr und mehr Juden auf den Handel mit Gold. Nicht
wenige von ihnen gelangten zu beträchtlichem Reichtum, was sich wiederum
positiv auf das jüdische Gemeindeleben auswirkte. Die bis heute bedeutendste
australische Synagoge wurde dennoch nicht in Melbourne, das vom Goldrausch
besonders profitierte, sondern in Sydney errichtet: 1878 wurde die Grosse
Synagoge im Herzen der Stadt feierlich eröffnet. Für Sydneys jüdische
Gemeinde begann eine neue Ära, symbolisierte sie doch die Überwindung der
Spaltung in zwei Flügel.
Das Kimberley-Projekt
Antisemitismus war in Australien zwar kein unbekanntes
Phänomen, insbesondere Ende des 19. Jahrhunderts, als zahlreiche
osteuropäische Juden einwanderten, aber stets weit weniger ausgeprägt als in
Europa; vor allem gab es hierzulande niemals einen Rassenantisemtismus.
Außerdem mussten in Australien alle Einwanderergruppen Spott über sich
ergehen lassen und gegen Vorurteile ankämpfen. Insbesondere nach der
russischen Oktober-Revolution haftete namentlich osteuropäischen Juden der
Ruf an, intellektuelle Aufwiegler und Revolutionäre zu sein. Diese Stimmung
in der Bevölkerung verstärkte den Druck zur Assimilation, zur Anpassung an
anglo-sächsische Normvorstellungen auch der britisch geprägten Juden. Dazu
kam die Ablehnung der vom britischen Milieu geprägten australischen Juden
fremden Welt des jiddisch sprechenden Ostjudentums; jüdischen Antisemitismus
gab es somit auch jenseits des Ozeans. Bemerkenswerterweise fanden sich auch
unter den jüdischen Würdenträgern kaum bewusste Juden, die sich lautstark
für andere als religiöse Rechte ihrer Glaubensbrüder eingesetzt hätten.
Abgesehen von einer lautstarken Minderheit wollten und konnten die westlich
geprägten, den Realitäten von Faschismus und Antisemitismus im Europa der
dreißiger Jahre entrückten australischen Juden mit dem Zionismus
mehrheitlich nichts anfangen.
Großen Druck auf die Regierung, nach 1938 die Grenzen für
ihre europäischen Glaubensbrüder zu öffnen, übten sie daher nie aus. Auch
nach Einführung der Nürnberger Rassegesetze wollten sie nur wenige, und zwar
die gebildeten, assimilationswilligen deutschen Juden einwandern lassen.
Letztenendes kamen zwischen 1933 und 1941 nur zwischen 6500 und 9000
Jüdinnen und Juden, vorwiegend aus Deutschland, Österreich, der
Tschechoslowakei und Ungarn, nach Australien, das für seine Entwicklung auf
Einwanderer angewiesen blieb. Die meisten der jüdischen Einwanderer landeten
im August 1940, von England kommend, an Bord der "Dunera" in Australien.
Doch der Empfang verlief wohl anders, als sie dachten: Da es sich bei ihnen
mehrheitlich um Deutsche und Österreicher, aber auch um etliche italienische
Faschisten handelte, sie also als feindliche Ausländer angesehen wurden,
wurden die meisten von ihnen für die Dauer des Krieges interniert. Über das
Schicksal der prominentesten der 2542 Ankömmlinge, darunter
Wissenschafterinnen, Künstlerinnen, Städteplaner oder Konditor, und ihr
Leben auf dem fünften Kontinent nach dem Krieg wurde eine populäre
Fernsehserie gedreht. (Bei den bekanntesten österreicherischen Emigranten
handelt es sich übrigens um eine Gruppe von Sängerknaben, die 1939 eine
Konzertserie in Australien gaben. Da eine Rückreise durch den Kriegsausbruch
unmöglich war, saßen sie fest. Die große Mehrheit von ihnen blieb nach 1945,
als die Rückkehr wieder möglich war, freiwillig in Australien.)
Angesichts der, vorsichtig ausgedrückt, zögerlichen
Haltung selbst der australischen Juden gegenüber der Situation ihrer
europäischen Glaubensgenossen war auch das visionäre Projekt Isaac Nachman
Steinbergs (18881957) zum Scheitern verurteilt die Etablierung einer
Heimstätte für bis zu 75.000 europäischer Jüdinnen und Juden in den
Kimberleys, im unbesiedelten, ariden Nordwesten des fünften Kontinents.
Shmuel Rosenkranz, ein über 80-jähriger gebürtiger Wiener, der 1939 nach
Melbourne auswanderte, erinnerte sich unlängst in einem Zeitungs-Interview
lebhaft an den charismatischen, voller Tatendrang steckenden Steinberg, der
schon allein aufgrund seiner Größe von fast zwei Metern, seiner buschigen
Haare und seines Vollbartes eindrücklich wirken musste. Eindrücklich war
auch sein Lebensweg: Der lettisch-stämmige Rechtsanwalt und Thora-Gelehrte,
der acht Sprachen beherrschte, hatte es bis zum Rang des Justiz-Kommissars
in der ersten Regierung Lenins gebracht. In dieser Funktion war er
maßgeblich an der, wenn auch bloß kurzzeitigen Abschaffung der Todesstrafe
in Russland beteiligt gewesen.
Weder die Ansiedlung der Juden noch die Urbarmachung des
Landes in etwa so groß wie Belgien hätten der australischen Regierung
Geld gekostet, wäre doch Steinbergs Londoner Freeland League für alle Spesen
aufgekommen. Einer weiteren Sorge der Regierung wurde mit der Verpflichtung
für die jüdischen Siedler begegnet, in ihrem Siedlungsgebiet bleiben zu
müssen und nicht in die Städte ziehen zu dürfen. Steinbergs Plan war es,
zuerst 500-600 erfahrene jüdische Landwirte und Handwerker anzusiedeln,
welche in den ersten fünf Jahren die nötige Infrastruktur für die Tausenden
von Siedlern aufbauen sollten, die danach sukzessive einwandern sollten.
Steinberg, der zionismuskritisch eingestellt war, erhoffte sich die
Etablierung einer jüdischen Siedlung, in der die Menschen ihre Religion und
Traditionen bewusst ausleben sowie eng miteinander und der australischen
Umwelt kooperieren könnten eine sozial und menschlich wertvolle
Gemeinschaft, aber keine Art Judenstaat. Vom Klima und der australischen
Lebenseinstellung versprach er sich positive Rückwirkungen auf die jüdischen
Siedler, die sich laut ihm sowohl physisch als auch mental verändern würden.
Der geplante Zeithorizont macht klar: Das
Kimberley-Projekt war nicht dazu angelegt, die europäischen Juden sofort zu
retten, sondern sollte ihnen nach dem Krieg eine neue Heimstätte geben,
zusätzlich zu weiteren von der League verfolgten Ansiedlungsprojekten in
Argentinien, Surinam und natürlich Palästina. Hauptsächlich aufgrund des
unermüdlichen Einsatzes Steinbergs, der, von August 1939 bis Juni 1943 durch
Australien reisend, die Idee mit Verve verfolgte, schienen die unmittelbaren
Erfolgsaussichten für "Kimberley" günstig: Die Inhaber des ausersehenen
Landstrichs in Westaustralien, die Durack-Familie wäre bereit gewesen, der
League das Land zu verkaufen, und auch das westaustralische Parlament
stimmte am 25. August 1939 dem Plan mehrheitlich zu. Der "Sydney Morning
Herald" brachte es seinerzeit auf den Punkt: Das Gebiet sei für den
Normalbürger so weit weg von seiner angestammten Welt, "dass die Juden für
ihn genauso gut dort leben können wie in Paraguay oder Palästina". Und in
Palästina, klima- und vegetationsmäßig den Kimberleys ähnlich, hätten die
Juden bereits unter Beweis gestellt, dass sie die Wüste urbar machen
könnten.
Gerade als Steinberg die Regierung in Canberra von seinem
Projekt überzeugen wollte, brach der Krieg aus, und die Regierung legte alle
Pläne, Einwanderer aufzunehmen, auf Eis. Im Juli 1944 informierte sie ihn
offiziell von ihrer ablehnenden Haltung, die sie damit begründete, dass sie
keine Gruppenansiedlungen durchführe, und schon gar nicht von Ausländern aus
dem Feindesland. Diese Haltung entsprach jener der Bevölkerungsmehrheit;
gemäß einer in einem Regierungsbericht abgedruckten Meinungsumfrage zeigten
sich die meisten Australier wenig begeistert von der Vorstellung, Tausende
von osteuropäischen Juden anzusiedeln, die sich laut den Befragten als nicht
assimilierbar und als Parasiten erwiesen hätten. Auch der publizistische
Widerstand gegen die großflächige Ansiedelung von Juden hatte während des
Krieges zugenommen. Wobei antisemitische Motive zwar auch eine Rolle
spielten, hauptsächlich aber sprach daraus die in den 1930er Jahren
verbreitete Anti-Ausländer und Anti-Immigrationsstimmung. Wie in den 1890er
Jahren, zur Zeit der russischen Pogrome, hatte die nationalsozialistische
Verfolgung zuerst Sympathie und Mitleid mit den Juden geweckt. Als
Australien jedoch als ein mögliches Auffanggebiet für die Verfolgten ins
Spiel gebracht wurde, änderte sich die Einstellung vieler Australier, die
entweder die ökonomische Konkurrenz oder die Überfremdung ihres Landes
fürchteten.
Für Steinbergs Idee machten sich neben politischer und
gesellschaftlicher Prominenz einige Gewerkschaften und die Kirche stark. Die
regierende Labor-Partei stand dem Projekt insgesamt kritischer gegenüber als
die Liberalen. Der Hauptgrund für das Scheitern Steinbergs war nicht die
mangelnde Unterstützung als solche, sondern das Fehlen einer geschlossenen
jüdischen Front. Sydneys Bischof Pilcher, enttäuscht über den innerjüdischen
Widerstand gegen das Kimberley-Projekt, appellierte Anfang 1944 in einem
Artikel in einer zionistischen Zeitschrift: "May I plead with the Jewish
people, at this time of unexampled tragedy, to close their ranks?" Doch es
half alles nichts: Zur großen Frustration von seinen jüdischen wie
nicht-jüdischen Anhängern stimmte 1944 das höchste Gremium der australischen
Juden gegen das Kimberley-Projekt. 1945, unmittelbar nach Kriegsende,
bestätigte der australische Zionistische Kongress seine ablehnende Haltung:
Palästina, und nicht Australien, Argentinien oder Surinam sei das gelobte
Land und die einzig mögliche Heimstätte für Juden. Steinberg war zwischen
die Fronten der anglo-sächsisch geprägten jüdischen Mehrheit, die durch die
Aufnahme von Tausenden von, aus ihrer Sicht, rückständigen Ostjuden ihre
eigene Assimilation gefährdet sah, und der zionistischen Minderheit geraten,
die nicht an die Möglichkeit der Urbarmachung der Kimberleys glaubte und das
Projekt als Bedrohung für die Schaffung der Heimstätte in Palästina ansah.
(Heute sind große Flächen der Kimberleys künstlich bewässert, und Teile des
von Steinberg für die jüdische Besiedlung vorgesehenen Gebietes gehören dem
Sultan von Brunei, der darauf eine Rinderfarm betreibt.)
Zwei Jahre nach Kriegsende öffnete die Regierung in
Canberra die Tore für unzählige Einwanderer aus Europa. Bis 1960 kamen
schätzungsweise zwischen 20.000 und 35.000 Juden nach Australien,
mehrheitlich aus Osteuropa, und ließen sich in den Großstädten nieder.
Melbourne gilt als jene jüdische Gemeinde mit dem höchsten Anteil an
Holocaust-Überlebenden auf der Welt. Viele von ihnen taten sich emotional
sehr schwer, der Gründung von jüdischen Museen zuzustimmen, die sich
explizit mit dem Holocaust beschäftigten. Melbourne, wo u.a. circa 200
Familien leben, die sich als Lubawitscher bezeichnen, wird als orthodoxer
als Sydney betrachtet, wo in den Jahren nach 1945 vor allem deutsch- und
ungarischstämmige Juden zuwanderten. In den 1970ern trafen vor allem
russische Juden in Australien ein, in den 1980ern viele südafrikanische. In
Melbourne ist es der Vorort St. Kilda, in Sydney das vornehme, zentral
gelegene Wooloomoolo, die durch ein teilweise jüdisches Stadtbild mit
koscheren Fleischereien und Bäckereien auffallen. Die Mehrheit der heute
insgesamt ca. 120.000 australischen Jüdinnen und Juden ist völlig
assimiliert.
In der multikulturellen und relativ offenen und liberalen
australischen Gesellschaft herrscht kein offener Antisemitismus, und auch
der latente Antisemitismus scheint viel geringer als beispielsweise in
Europa verbreitet zu sein. Jüdische Bürger haben traditionell eine wichtige
Stimme in der australischen Politik, was mit ein Grund ist, warum Australien
eines der wenigen westlichen Länder ist, die im Nahost-Konflikt immer schon
eine eindeutig pro-israelische Position einnahmen dies trotz der
exzellenten Wirtschaftsbeziehungen Canberras mit der arabischen Welt. In
letzter Zeit stieß die israelfreundliche Haltung zwar auf zunehmend Kritik
aus Kreisen arabisch-stämmiger Einwanderer; auf die offizielle Politik hatte
dies jedoch bis jetzt keinerlei Auswirkungen.
Die Chance, Ende der dreißiger Jahre das Leben von
Tausenden von Jüdinnen und Juden zu retten, verstrich aufgrund von Kleinmut
wie der Zeitläufte zwar ungenutzt. Doch trotzdem: Im Großen und Ganzen war
und ist der fünfte Kontinent ein gutes Pflaster für die Entfaltung jüdischen
Lebens.