Fritz Mauthner (1849-1923) ist eine der interessantesten
Gestalten der europäischen Geistes- und Literaturgeschichte. Einerseits gilt
er als einer Begründer oder zumindest als der wichtigste Vorläufer der
Analytischen Philosophie, die demnach auch böhmisch-deutsche Wurzeln hat.
Mauthner stammte aus einer jüdischen Familie in Böhmen, und berühmt wurde er
als Kritiker, Schriftsteller und Sprachphilosoph in Berlin, Freiburg und
zuletzt Meersburg am Bodensee.
Bis spät in die 70er-Jahre war Mauthner als Philosoph nur
einigen wenigen Spezialisten bekannt. Dies änderte sich langsam, aber
stetig, sodass man heute vor einer philosophischen Mauthner-Renaissance
steht.
Während wichtige seiner philosophischen Werke ab 1963 neu
aufgelegt wurden, ist es um seine literarischen Arbeiten schlechter
bestellt. Nur "Vom armen Franischko": Kleine Abenteuer eines Kesselflickers"
(als Buch zuerst 1880) und "Der neue Ahasver: Roman aus Jung-Berlin" (1882)
wurden neu gedruckt. Eine geplante Neuausgabe von "Der letzte Tod des
Gautama Buddha" (1913) kam in letzter Minute nicht zustande. Relativ viele
von Mauthners Texten finden sich im Internet eine Form der Übermittlung,
die ihm wahrscheinlich gefallen hätte. Mauthner hatte ein Faible für die
enzyklopädische Darstellung: So hat er selbst ein mehrbändiges "Wörterbuch
der Philosophie" verfasst. Das Alphabet ist ihm der Registrator, der es
möglich macht, von jedem beliebigen Element des Wissens zu einem anderen
überzugehen, also, in heutiger Terminologie, einen Hypertext herzustellen.
Mauthners literarische Periode endet im Grossen und
Ganzen um das Jahr 1896. Sie wird oft nur als ein Vorspiel zu seinen
philosophischen Werken betrachtet. Dies ist jedoch ein verzerrtes Bild.
Mauthner war einer der bekanntesten Journalisten Berlins, von großen Einfluß,
und einer der beliebtesten Schriftsteller seiner Zeit. Als Schriftsteller
wurde Mauthner allerdings ein Opfer dieser Beliebtheit. Seine Romane und
Novellen wurden später zur Unterhaltungsliteratur gerechnet und die
Unterhaltungsliteratur, auch die gute, hat in Deutschland einen schlechten
Ruf.
Mauthner hat aber seine Romane und Erzählungen nicht nur
um der Unterhaltung willen geschrieben. Er war der postmodernen Meinung,
dass sich Historiographie und "schöne" Literatur nur graduell unterscheiden.
Für ihn waren die Werke Stendhals und Zolas Historiographie, wenn auch etwas
weniger "wahrähnlich" als die Werke der eigentlichen Historiker. Daher geht
es ihm, wie er zumindest im "Ahasver" ausgedrückt hat, nicht so sehr um den
Beifall des Ästhetikers, als um die Zustimmung des Ethikers und vor allem
des Historikers. Auch literarische Werke können so eine historische oder
soziologische Quelle sein, aber nicht für Einzelschicksale, sondern für
schematisierte Charaktere, die Stimmung einer Zeit vor allem, Zeitdokumente,
wie dies bei Arens und Pizer ausführlich dargestellt wird.
Mauthner wollte, dass sogar seine auch noch sehr
unterhaltsamen Parodien, von denen Schneiders Artikel handelt, vor einem
ernsthafteren Hintergrund gesehen werden sollten: Parodie soll stets Kritik
sein. Sie ist zwar nicht erkenntnistheoretische Sprachkritik wie in seinen
philosophischen Werken, aber Kritik nichtsdestoweniger. Von Mauthner als
Kritiker handelt auch ein anderer Artikel dieses Bandes, der von Thunecke.
Da geht es um Mauthner als Rezensenten von Theater-Aufführung und Büchern.
Mauthner wäre nicht Mauthner, wenn er nicht die
Begründung für seine Art, Literatur, aber auch Kritik, zu verfassen, gleich
mitgeliefert hätte. Wie wir dies bei Lütkehaus, Ullmann und Leinfellner, und
zum Teil auch bei Schneider, nachlesen können.
Mauthner hat, ausser im "Neuen Ahasver", jüdische Themen
im allgemeinen vermieden, obwohl er hie und da Juden als Protagonisten
auftreten lässt. Sein Verhältnis zum Judentum war sehr typisch für manch
einen deutschsprachigen Juden aus Böhmen: assimiliert bis zum jüdischen
Selbsthass, und doch dem Judentum verbunden. Diese zwiespältige Haltung wird
bei Goldwasser, Ravy und Robertson deutlich gemacht.
Der vorliegende Sammelband ist der erste, der nicht dem
Philosophen, sondern dem Literaten und Kulturtheoretiker Mauthner gewidmet
ist. Ein "Team" von Spezialisten hat die Artikel für diesen Band verfasst.
Elisabeth Leinfellner / Jörg Thunecke (Hg.). 2004. Brückenschlag zwischen
den Disziplinen: Fritz Mauthner als Schriftsteller, Kritiker und
Kulturtheoretiker. Wuppertal: Arco Wissenschaft. 39,- ISBN 3-9808410-5-7