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Schloßherren auf Zeit: Die Familie Löw in
Matzen, Niederösterreich
Tina WALZER
Zwischen 1930 und 1938 stand das Schloß von Matzen,
ebenso wie weitläufige landwirtschaftlich genutzte Güter, im Eigentum der
angesehenen Fabrikantenfamilie Löw. Ihre Lebensgrundlage wurde durch den
Nationalsozialismus brutal und nachhaltig zerstört.
In der industriellen Revolution hatte sich das östliche
Weinviertel ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wirtschaftlich rasant
entwickelt. Insbesondere die beiden Eisenbahnlinien, die
Kaiser-Ferdinand-Nordbahn (Eröffnung 1839) sowie die Nordostbahn (Eröffnung
1848 und weiter 1870), trugen zum neuen Wohlstand der Region bei. Noch heute
stellt sich der damalige Aufschwung im Ortsbild dar: Nicht nur wurde die
Infrastruktur von Grund auf erneuert, Bahnhöfe, Schulen, Arbeiterunterkünfte
gebaut; auch die neugotisch verschönerten Kirchen, renovierten Schlösser und
prächtig ausgeschmückten Häuserfassaden zeugen von der "Gründerzeit".
Zur neuen Schicht der Unternehmer, die im Zuge der
Industrialisierung wirtschaftlich tätig wurde, gehörten die Brüder Wilhelm
und Gustav Löw. Ihre Domäne war die Spiritusfabrikation. Die Löws stammten
aus Velehrad, einem Städtchen in Mähren nahe Ungarisch-Hradisch, und waren,
sobald dies die gesetzlichen Bestimmungen zuließen, wie so viele mährische
Juden auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen aufgebrochen, ihr Glück
in und um Wien zu versuchen. Sie fanden eine ganze Reihe neuer, kleiner aber
sehr aktiver jüdischer Gemeinden auf dem Weg dorthin vor: Hohenau, Dürnkrut,
Marchegg, Gänserndorf, Deutsch-Wagram, Groß-Enzersdorf: In ein, vielleicht
zwei Generationen war der Sprung aus dem Ghetto in die Reichshaupt- und
Residenzstadt meist geschafft. Zwar wurden die wenigsten in Wien glücklich
und reich, doch manchen gelang eine regelrechte Karriere. Die Löws kauften
Äcker, gründeten die Gustav & Wilhelm Löw Spiritusfabrikations-Gesellschaft
in Angern an der March, hatten Erfolg und leisteten sich schließlich ein
Zinshaus im noblen Wien-Döbling, Hauptstraße 56. Dort wohnten sie auch.
Wie so viele sehnten sich auch die Löws nach Aufnahme in
die besseren Kreise der Gesellschaft, nach Anerkennung und Repräsentieren im
Umfeld des Kaisers, nach Kontakten zu Entscheidungs- und Würdenträgern bei
Hof. Kooperationen zwischen Adel und Juden hatten, unter wechselnden
Vorzeichen, bereits jahrhundertelang auf die eine oder andere Weise
bestanden. Die Löws freundeten sich mit den Kinskys an, mit den gräflichen
Gütern entwickelte sich im Laufe der Jahre eine enge Zusammenarbeit in
Rohstoffanbau und industrieller Verarbeitung. In der krisengeschüttelten
Nachkriegszeit reduzierten die Kinskys sukzessive, 1931 verkauften sie
schließlich in Matzen ihre Herrschaft - sehr zum Unmut der Gemeindevertreter 1
einen Teil an die Bauernkammer, einen anderen an die Löws - sowie die
sogenannte Kinsky-Villa und ihr Schloß.
Schloß Matzen 1672. Quelle: Heimatkundliche Sammlung
Matzen
1938 waren die Löws nicht nur Schloßherren in Matzen
sowie in Angern an der March, sie hatten darüber hinaus bedeutenden
Grundbesitz, und zwar unter anderem in den Katastralgemeinden Schönkirchen,
Reyersdorf, Gänserndorf 2 ,
Klein- und Groß-Prottes, Spannberg3,
Angern, Tallesbrunn, Matzen, Ollersdorf, Mannersdorf, Stripfing, Zwerndorf
und Aspacherfeld: neben Villen und diversen Wohnanlagen wie Beamten-,
Verwalter- und Arbeiterwohnhäusern vor allem für die Spirituserzeugung
landwirtschaftlich und industriell genutzte Ländereien mit Schupfen,
Stallungen, Scheunen, Waaghäuser und Brückenwaagen, Transformatiorenhäuser,
Garagen, Werkstätten, sogar ein Saatgut- und
Schädlingsbekämpfungslaboratorium4 ,
daneben noch Wiesen, Gärten, Weingärten, Hutweiden, Bauflächen und Wald.
Am 27. April 1938, dem Stichtag der vom
nationalsozialistischen Regime erzwungenen Vermögensdeklaration, stand das
Schloß Matzen im Eigentum der verwitweten Gertrud Löw und dem ihrer Kinder
Eva, Georg und Stephan 5.
Am 3. März 1943 wurden alle Vier auf der Grundlage der 11. Verordnung zum
Reichsbürgergesetz per Bescheid der Gestapo für enteignet erklärt, ihr
gesamtes Vermögen verfiel damit entschädigungslos - dem Deutschen Reich6.
Dazwischen lagen Jahre eines trägen Tauziehens verschiedener Profiteure um
den Besitz der Löws. Denn der Oberfinanzpräsident hatte unter Zuhilfenahme
eines rechts- und gesetzwidrigen Steuerstraferkenntnisses gegen die Firma
Gustav & Wilhelm Löw erzwingen können, daß die ganze Familie Löw ihr
gesamtes Vermögen an ihn überantworten mußte. Zuvor hatte bereits die
Gemeinde Matzen verlangt, daß Gertrud Löw die Liegenschaft E.Z. 2394
Katastralgemeinde Matzen, Schloß und Nebengebäude, Meierhof und Ländereien7
ihr schenken solle, hatte jedoch von diesem dringenden Wunsch später
angesichts der in solchem Falle vom Beschenkten zu entrichtenden
Schenkungssteuer wieder Abstand genommen.8
Jedenfalls wurde das mittlerweile enteignete Schloßinventar im Mai 1943 von
Amts wegen an die Bewohner von Matzen und der umliegenden Ortschaften
versteigert und verkauft: Handtuchhalter, Blechschüsseln, Fußschemel,
Geweihe, Bilder, Wandschirme waren günstig abzugeben.9
An für Büroausstattung geeigneten Gegenständen hatten sich bereits diverse
lokale NS-Verbände bedient.10
Ein Jahr später fand auch das Schloß seine Bestimmung: am 25. April 1944
schloß der Oberfinanzpräsident Wien-Niederdonau schließlich mit dem "Höheren
SS- und Polizeiführer des Wehrkreises XVII, Reichskommissar für die
Festigung deutschen Volkstums" einen Mietvertrag ab, und zwar "zur
Einlagerung von Möbeln und Gebrauchsgegenständen (Schutz vor
Bombenschaden"). Von dem neuen Mieter wurde vierteljährlich die Entrichtung
eines Zinses von RM 0,50.- pro Quadratmeter begehrt die "in
benützungsfähigem Zustande befindlichen Räumlichkeiten" wurden der SS
praktisch gratis zur Verfügung gestellt.11
Nach jahrelanger Feilscherei12
vereinbarte die Gemeinde Matzen mit dem Oberfinanzpräsidenten letztendlich
einen "Kaufpreis" für das Schloß, der mit 20.000.- Reichsmark allerdings
derart niedrig war, daß er einer Schenkung gleichkam. Bezahlt wurde der
Betrag nicht an die längst enteignete "Verkäuferin", Gertrud Löw, sondern an
das Deutsche Reich, Oberfinanzkasse in Anrechnung auf die erfundene
"Steuerschuld".13
Romantisches Schloß Matzen nach 1827. Quelle: Heimatkundliche Sammlung
Matzen
Gertrud, Eva, Georg und Stephan Löw gelang es am 1.
Oktober 1938, aus dem Nazi-Reich zu flüchten, nach Zürich zunächst. Die
Odyssee endete für sie in Milford River Valley, New York, U.S.A.
Die beharrliche Langsamkeit im Abwickeln
eigentumsrechtlicher Schritte setzte sich im Restitutionsverfahren fort. Am
27. September 1948 urgierte der Wiener Rückstellungs-Staranwalt Emmerich
Hunna im Namen seiner Klientschaft Gertrud Löw und Kinder bei der
Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und das Burgenland die
Erledigung seines bereits mehr als ein ganzes Jahr zurückliegenden Antrages
auf Rückstellung der Liegenschaft E.Z. 2394 Katastralgemeinde Matzen. Das
Finanzstrafsteuererkenntnis der nationalsozialistischen Ära war bereits
durch einen Bescheid des Bundesministeriums für Finanzen vom 4. Mai 1948 als
rechtswidrig aufgehoben worden. Durch das Ausbleiben eines
Restitutionsentscheides setzte sich die entscheidende Behörde selbst in die
Lage, die Erträgnisse aus der Immobilie entsprechend länger lukrieren zu
können war diese doch in der Zwischenzeit als Rechtsnachfolgerin des
Deutschen Reiches neue Besitzerin des enteigneten Gutes geworden. Sie
stellte sich auf den Standpunkt: "Die seinerzeit an den
Oberfinanzpräsidenten Wien und Niederdonau eingezahlten RM 20.000 sind zu
kompensieren. Maßgeblich hiefür ist auch die Tatsache, daß die Gemeinde
Matzen aus ihren Erträgnissen einen gleichen Betrag mit der Genehmigung des
B.M.f.V.u.Wpl. zurückbehalten hat." 14
Selbst wenn sich nun die Finanzlandesdirektion
rückstellungswillig zeigte, waren längst nicht alle Behörden befriedigt: Und
so verloren die rückstellungswerbenden Eigentümer ein weiteres Jahr im Kampf
gegen die Verwaltungsbehörden. Da ja einst aufgrund der frei erfundenen
Strafsteuerschuld das gesamte Eigentum der Löws durch das Deutsche Reich
eingezogen worden war, wurde nun ein Exekutionsgericht aktiv, das im
Restitutionsfalle die grundbücherlich eingetragene Nazi-Steuerschuld geltend
machen wollte. Als Argument führte man an, das 1. Rückstellungsgesetz sehe
zwar die amtsseitige Löschung der sogenannten Reichsfluchsteuer- und
Judenvermögensabgabe- Vorschreibungen vor, nicht aber jene der
"Sühneabgabe". Das Kreisgericht Korneuburg als Berufungsinstanz stellte am
28. Oktober 1949 schließlich in nichtöffentlicher Sitzung fest, daß es sich
bei dem grundbücherlich eingetragenen Pfandrecht auf eine Steuerschuld aus
der NS-Zeit tatsächlich um eine Vermischung der verschiedenen betrügerischen
Nazi-Steuern gehandelt habe und daher das 1. Rückstellungsgesetz sehr wohl
zur Anwendung kommen könne. Um jeder weiteren behördlichen
Verzögerungstaktik zuvorzukommen, setzte die Berufungsinstanz gleichzeitig
fest, daß die Löschung des Pfandrechtes aus dem Grundbuch von diesem selbst
vorgenommen werden müsse, woraufhin dieses von sich aus das
Exekutionsgericht zu verständigen habe. Das Grundbuch hatte nämlich den
Antrag gestellt, daß erst im Zuge eines Exekutionsverfahrens und nach Erlaß
eines entsprechenden Bescheides durch das Exekutionsgericht die
grundbücherliche Eintragung gelöscht werden könne. Eine derartige Prozedur
hätte sicher noch weitere Monate, wenn nicht Jahre, in Anspruch genommen. 15
Schließlich wurde das Schloß an die Löws rückgestellt und
bald darauf verkauft, dann war es für lange Zeit eine Außenstelle des
Völkerkundemuseums in Wien. Nach dem bisher letzten Verkauf schlossen sich
seine Pforten wieder vor der Öffentlichkeit , zum Mißfallen der Matzner
Bevölkerung. Der Autor der Matzener Heimatchronik, Anton Hofer, bringt es
auf den Punkt: "Das Schloß war immer Zentrum der Identität unseres Ortes,
aber es ist nicht mehr unser Schloß. Darunter leiden die Leute." 16
1 Vgl. Anton Hofer: Matzen. Ein Dorf seine Bewohner
seine Geschichte. St. Pölten-Wien 1994, S. 171.
2 ÖStA, AdR 06, VVSt 28861 Gustav Löw unfol. Beilage 1a
zum Verzeichnis über das Vermögen von Juden nach dem Stand vom 27. April
1938
3 ÖStA, AdR 06, VVSt 28863 Gertrud Löw unfol. Beilage 1a
zum Verzeichnis über das Vermögen von Juden nach dem Stand vom 27. April
1938
4 ÖStA, AdR 06, VVSt 28859 Wilhelm Löw unfol. Beilage 1,
1a zum Verzeichnis über das Vermögen von Juden nach dem Stand vom 27. April
1938; sowie ÖStA, AdR 06, VVSt 28862 Dr. Marianne Hamburger-Löw unfol.
Beilage 1a zum Verzeichnis über das Vermögen von Juden nach dem Stand vom
27. April 1938
5 ÖStA, AdR 06, FLD 15619 fol. 3ff. Gestapo Leitstelle
Wien an Reichssicherheitshauptamt Berlin 3. 3. 1943 Zl. 9701 IVB 4a
6 ÖStA, AdR 06, FLD 15619 fol. 55v. Emmerich Hunna an
Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 27. 9.
1948
7 Die E.Z. 2394 K.G. Matzen bestand aus folgenden
Parzellen: Nr. 1 Schloß 20 a 46 m², Nr. 22 Gartenhaus 1 a 29 m², Nr. 115
Meierhof 79 a 95 m², Nr. 177/180 Scheune 13 a 41 m², sowie einer Anzahl von
Wiesen, Äckern und Weiden in einer Gesamtgröße von 32 ha 43 a 48 m²; ÖStA,
AdR 06, FLD 15619 fol. 1 Erfassungsbogen Zl. O5300G241
8 ÖStA, AdR 06, FLD 15619 fol. 55v-56r. Emmerich Hunna
an Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 27.
9. 1948
9 ÖStA, AdR 06, FLD 15619 fol. 17-20 Markt Matzen
Landkreis Gänserndorf 20. 5. 1943 1. Möbelverkauf vom Schloss Matzen 2.
Versteigerung von Möbeln aus dem Schloss: Listen mit Kaufpreisen und Käufern
10 Vgl. Anton Hofer: Matzen. Ein Dorf seine Bewohner
seine Geschichte. St. Pölten-Wien 1994, S. 177.
11 ÖStA, AdR 06, FLD 15619 fol. 23 Direktor Richard
Aigner an den Oberfinanzpräsidenten Wien- Niederdonau Jahresbericht 1944 vom
29. 3. 1945
12 vgl. die Darstellung des eingesetzten treuhändischen
Verwalters; ÖStA, AdR 06, FLD 15619 fol. 23 Direktor Richard Aigner an den
Oberfinanzpräsidenten Wien- Niederdonau Jahresbericht 1944 vom 29. 3. 1945.
Angesprochen ist das Bundesministerium für Vermögenssicherung und
Wirtschaftsplanung.
13 ÖStA, AdR 06, FLD 15619 fol. 55v-56r. Emmerich Hunna
an Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 27.
9. 1948
14 ÖStA, AdR 06, FLD 15619 fol. 55v-56r. Emmerich Hunna
an Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 27.
9. 1948
15 ÖStA, AdR 06, FLD 15619 fol.174 Kreisgericht
Korneuburg Beschluss vom 20. 1. 1950 Zl. R 339/49
16 Gesprächsweise Mitteilung von Dr. Anton Hofer am 2. 6. 2004. Der
Autor der fundiert und detailreich recherchierten Ortschronik kann unter der
Emailadresse hofer.matzen@aoon.at kontaktiert werden.
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