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Jüdisches Niederösterreich erfahren - eine Reise durch das Weinviertel der vergangenen 150 Jahre

Tina WALZER

 

Im 19. und 20. Jahrhundert gab es in Niederösterreich zahlreiche Kultusgemeinden und Bethausvereine, übriggeblieben sind von den meisten nur ihre Friedhöfe. Sie alle sind eine Reise wert.

Blühende Gemeinden sind untergegangen, wurden unwiederbringlich vernichtet und zerstört. Was bleibt da noch zu sehen? Mit Ausnahme des Badener Bethausvereines ist keine einzige der 12 Kultusgemeinden Niederösterreichs, kein einziger der 18 Bethausvereine nach 1945 mehr existent. Unzählige Privathäuser wurden enteignet, nur in seltenen Fällen erfolgreich restituiert.Sämtliche Bewohner wurden vertrieben oder umgebracht. Auch Synagogenbauten sind nur in den wenigsten Fällen hilfreich, um einen Eindruck vom vergangenen jüdischen Niederösterreich zu gewinnen: Die überwiegende Mehrheit jener Gebäude, die aus dem Wüten der Pogromnacht unversehrt hervorgegangen war wird heute anders genutzt, ist umgebaut - oder demoliert.

Was also ist überhaupt noch vorhanden in Niederösterreich, um einen Einblick zu gewähren in seine jüdische Vergangenheit?

Meist stellen die Friedhöfe heute den wichtigsten Rest der zerstörten jüdischen Gemeinden dar. Sie sind es in erster Linie, die uns eine Rekonstruktion jüdischen Alltags ermöglichen und eine Vorstellung vom damaligen jüdischen Leben in den einzelnen Gemeinden vermitteln können. Auch die Friedhöfe wurden in der NS-Zeit enteignet, jedoch nach 1945 restituiert - wenn auch oft stark devastiert. Eine Vielzahl der Grabsteine, besonders der wertvolleren, war gestohlen. Meist hatten lokale Steinmetzmeister damit ein gutes Geschäft gemacht. Schändungen kamen vermehrt noch bis in die 1950er Jahre vor, Jugendliche waren zum Großteil die Täter.

Seit der Zerstörung der zugehörigen Gemeinden ist die Erhaltung der vielen jüdischen Friedhöfe problematisch. Die Anlagen in Gänserndorf, Hohenau, Hollabrunn, Horn, Klosterneuburg, Korneuburg, Krems, Mistelbach, Neunkirchen, St. Pölten, Stockerau und Wiener Neustadt wurden an die Wiener Kultusgemeinde als Rechtsnachfolgerin der untergegangenen Gemeinden rückgestellt. Die IKG Wien war mit einem Male für all diese und dazu noch alle anderen Friedhöfe alleine zuständig und hatte keine ausreichenden finanziellen Mittel für deren Erhalt zur Verfügung; von öffentlicher Hand wurde dies jahrzehntelang gar nicht unterstützt. Die Anlagen befinden sich heute daher teilweise in einem äußerst schlechten Erhaltungszustand. Friedhöfe müssen jedoch aus religiösen Gründen erhalten werden, da die Gräber den Toten gehören bis zum Jüngsten Tag. Ihre Auflösung ist daher undenkbar.

 Zu den Friedhöfen der jüdischen Gemeinden und Bethausvereine kommen jüdische Abteilungen oder auch einzelne Grabstätten auf kommunalen bzw. auch in unmittelbarer Nachbarschaft zu kirchlichen Friedhöfen. Dieser Umstand findet seine Erklärung in der Entstehungszeit jener Gemeinden bzw. Interessensgemeinschaften; je später deren Gründung erfolgte, und je kleiner die Gruppe war, desto klarer ist ihre Tendenz zur Assimilation, ihr säkularer Charakter steht deutlich imVordergrund.

Abgesehen von den Friedhöfen verweisen zahllose Gedenksteine auf die Massengräber, in denen die Opfer der Verbrechen an jüdischen Zwangsarbeitern und Häftlingen während des Nationalsozialismus liegen. Diese Seite jüdischer Vergangenheit ist bis heute den meisten völlig unbewußt.

Anhand von Auszügen aus dem Weißbuch jüdischer Friedhöfe und Grabstätten in Österreich, das von der Autorin für den Bundesverband der Kultusgemeinden Österreichs verfaßt worden ist bieten die folgenden Orte eine Auswahl aus der Fülle an Material.

 

Die Route: Historische Einführung

Die Entstehung vieler jüdischer Gemeinden im Wein- und Waldviertel fällt ins 19. Jahrhundert, als aus Böhmen und Mähren eine breite Zuwanderung nach Niedösterreich, aber auch nach Wien einsetzte. In den frühen Jahren dieser Bewegung war der Hauptgrund dafür im sogenannten Familiantengesetz gelegen. Dieses regelte die Gesamtzahl der jüdischen Haushalte in den Herkunftsländern Böhmen und Mähren und bestimmte, daß pro Familie jeweils nur ein Sohn sich verehelichen durfte, damit à la longue die Zahl der Familien konstant gering blieb. Später gaben die verbesserten Zuwanderungsbedingungen den Migrationsbewegungen weiteren Auftrieb; auch Familien aus Ungarn, Schlesien und Galizien zogen zu.

Hochgestecktes Ziel war für die meisten Familien die Residenzstadt Wien. In den niederösterreichischen Orten wurden auf dem Weg dorthin strategische Zwischenstationen eingerichtet. Diese erhielten den Kontakt zwischen den Migranten und ihren Herkunftsgemeinden aufrecht, es entstand ein eng geflochtenes Netz von Geschäftsbeziehungen zwischen alten und neuen Gemeinden und Familien.

Gehandelt wurden Güter der Heimatgemeinden, und zwar bis nach Wien. Aus Nikolsburg und Umgebung etwa wurden Geflügel und Pferde bis nach Wien exportiert: Familien wie die Eisingers aus Podivín hatten Angehörige in Zistersdorf, Mistelbach, Laa an der Thaya und anderen Orten, aber auch in Wien. Die Etablierung in der Hauptstadt gelang mitunter erst ein oder zwei Generationen später, nachdem der erste Angehörige die Heimatgemeinde verlassen und nach Niederösterreich gezogen war.

Die Rekonstruktion dieser jüdischen Familien ist heute meist nur mehr über die Grabinschriften der lokalen Friedhöfe möglich, die damit eine ganz wichtige Quelle für die jüdische Familiengeschichte darstellen. Zum ersten Mal in Österreich wurden biografische Daten der jüdischen Bevölkerung auf der Basis eines Friedhofes unter der Leitung der Autorin zwischen 1995 und 2001 in einem Forschungsprojekt zum Währinger jüdischen Friedhof in Wien datenbankmäßig erfaßt. Die Ergebnisse dieser Grundlagenforschung machen einmal mehr die herausragende Bedeutung der jüdischen Friedhöfe für die Forschung deutlich. Inzwischen wurden auf Initiative des Vereines "Schalom" auch die meisten auf niederösterreichischen jüdischen Friedhöfen Beerdigten bereits elektronisch erfaßt. Ein großer Teil dieser Daten ist in Internet-Datenbanken abrufbar, unter anderem auf der Homepage der IKG Wien unter www.ikg-wien.at/religion/friedhoefe oder jener der internationalen jüdisch-genealogischen Gesellschaft unter www.jewishgen.org.

Ein Lokalaugenschein auf den jüdischen Friedhöfen wird belohnt durch interessante Grabmale und Inschriften, die nicht nur Einblick in familiäre Zusammenhänge bieten, sondern auch facettenreiche Abbilder untergegangener jüdischer Gemeinden darstellen.

Eine Beschreibung der Anfahrtswege zu den einzelnen Anlagen bietet der Verein Schalom auf seiner Homepage unter www.schalom.at/friedhoefe. Besuchstage sind Sonntag bis Freitag (ausgenommen jüdische Feiertage). Über die Aufbewahrung des Friedhofsschlüssels erteilen die technische Abteilung der Wiener Kultusgemeinde bzw. die einzelnen Ortsgemeinden Auskunft.

Groß-Enzersdorf

In Groß-Enzersdorf bestand eine eigene Kultusgemeinde, die den gesamten Gerichtsbezirk Groß-Enzersdorf umfasste – neben Groß-Enzersdorf selbst vor allem die Ortschaften Raasdorf, Markgrafneusiedl, Obersiebenbrunn, Leopoldsdorf und Oberhausen. Nach der Revolution von 1848, und vermehrt nach der bürgerlichen Gleichstellung von 1867 waren Juden aus Mähren, aus der heutigen Slowakei, Böhmen, Galizien sowie aus Deutsch-Wagram und dem Gerichtsbezirk Wolkersdorf zugezogen. Sie betrieben Landwirtschaft oder widmeten sich dem Kornhandel und trugen wesentlich zum wirtschaftlichen Aufschwung der Region bei. Der wirtschaftliche Erfolg ermöglichte ihnen, Haus- und Grundbesitz zu erwerben; im Jahr 1900 waren 14 von 156 Häusern in jüdischem Besitz, das waren immerhin 8,9 Prozent. 1938 zählte die Kultusgemeinde Groß-Enzersdorf 150 Personen oder 56 Familien. Von den 93 Personen aus der Stadt Groß-Enzersdorf kamen 53 um, von den 57 jüdischen Bewohnern der zugehörigen kleinen Orte überlebten nur 24 die Nazi-Herrschaft.

Die Synagoge von Groß-Enzersdorf in der Kaiser-Franz-Josef-Straße wurde 1893 erbaut, ihre Ruine erst 1961 abgerissen.

Der Friedhof befindet sich im Ortsteil Oberhausen in der Robert Stolz-Gasse, umfasst rund 5.000 m² und 86 Gräber. Die genaue Anzahl der erhaltenen Grabstellen und Grabsteine vor Ort festzustellen ist aufgrund von Bewuchs und Zerstörungen unmöglich. Ein großer Teil der Grabsteine war bereits in der NS-Zeit umgeworfen und zertrümmert, einige größere Steine sowie jene der Kindergräber verschleppt worden. Die Zeremonienhalle ist erhalten, befindet sich allerdings in schlechtem Zustand. Sie war bereits von Nazi-Vandalen teilweise abgetragen, ihre Ziegel anderweitig verwendet und der noch vorhandene Leichenwagen gestohlen worden.

Auf dem Friedhofsgelände wurden unter anderem die Opfer einer frühen Diphterie-Epidemie, die meisten von ihnen Kinder, beerdigt. Auch alle in Orth an der Donau angeschwemmten jüdischen Leichen aus Wien wurden auf dem Groß-Enzersdorfer Friedhof bestattet.10  Außerdem besteht eine Grabstelle für eine jüdische Zwangsarbeiterin. Es handelt sich um Berta Rosinger aus Ungarn, geboren am 16. 4. 1864, die am 17. 3. 1945 im Zwangsarbeitereinsatz bei der Firma Waagner-Biró in Wien 22, Stadlau, Industriestraße umgekommen ist.11 

Deutsch-Wagram

In den 1870er Jahren hatte Deutsch-Wagram 130 jüdische Einwohner mit einem eigenen Bethaus.12 

In der Fabrikstraße 4, anschließend an das Gelände der Bahn befindet sich auf etwa 1.800 m² das Areal des völlig zerstörten jüdischen Friedhofes. Ein Gedenkstein auf einem Hügel erinnert an seine ursprüngliche Bestimmung. Die genaue Anzahl der Grabstellen ist bisher nicht bekannt. Laut Leopold Moses war der Friedhof 1870 eröffnet worden, jedoch zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereits wieder geschlossen.13 

Gänserndorf

Im Jahr 1866 wandten sich die Juden von Gänserndorf an die Kultusgemeinde in Wien mit der Bitte, ihnen für ihren Gottesdienst eine Thorarolle zu überlassen.14  Die bald darauf errichtete Synagoge wird seit 1973 als Musikschule der Gemeinde Gänserndorf genutzt.15 

An der Bundesstraße 8, 1,5 km vor der Ortschaft aus Richtung Straßhof/ Silberwald kommend liegt 50 Meter rechts von der Bundesstraße der jüdische Friedhof von Gänserndorf (Hinweistafel vorhanden). Er umfasst auf rund 1.500 Quadratmetern 120 Gräber, die sehr gut gepflegt sind. Der Friedhof wurde erst im Winter 2002 zum letzten Mal geschändet.

Ollersdorf

Hier bestand ein jüdischer Bethausverein: 1863 ersuchte dieser die Wiener Kultusgemeinde um Überlassung einer Thorarolle zur Abhaltung des Gottesdienstes.16 

Dürnkrut

Die hier lebenden Juden wurden im Juli und August 1938 aus Dürnkrut vertrieben, Kinder aus sogenannten Mischehen mußten den Ort im Oktober des gleichen Jahres verlassen. Hugo Gold berichtet über ihr weiteres Schicksal:

" 1. Durch Selbstmord endeten 1942 in Wien: Altbach Isidor, Kaufmann mit Frau, Lustig Simon, Kaufmann mit Frau. 2. In den Gaskammern fanden 1942 den Tod: Blau Friedrich, Glasermeister mit Frau, Cäcilie Krakauer, Witwe, Rosenberg Johann, Viehhändler mit Frau, Samuel Krakauer, Ökonom. 3. In der Irrenanstalt Steinhof starb 1939: Koppel Oskar, Branntweinschenke."17 

In der Dr. Ponzauner-Straße, im Nordosten an den Kommunalfriedhof anschließend, besteht ein jüdischer Friedhof von rund 1.600 m². 14 Gräber sind heute noch erkennbar, davon 9 mit Grabstein. Eine genaue Anzahl der erhaltenen Grabstellen ist vor Ort nicht feststellbar, da das Areal ungepflegt und stark überwachsen ist. Ein einziges Grab wird heute noch betreut und weist eine gärtnerische Gestaltung auf.

Hohenau

1869 gab es in Hohenau 23 jüdische Familien, zumeist aus Mähren und der heutigen Slowakei. Ihre Angehörigen waren Kaufleute, die entlang der ganzen March mit Holz und Vieh handelten, aber auch Gastwirte. Administrativ war die Gemeinde Hohenau an die Mistelbacher Kultusgemeinde angeschlossen, sie umfasste unter anderem auch die Ortschaften Nieder-Absdorf, Hausbrunn, Palterndorf und Rabenburg.18  Zu ihr gehörten eine Chewra Kadischa und ein jüdischer Frauenverein. Sämtliche Familien wurden im August 1938 aus Hohenau vertrieben, die meisten kamen in den Konzentrationslagern um. Ein einziger Jude kehrte nach Hohenau zurück.19 

Die Synagoge von Hohenau, 1899 vom berühmten jüdischen Architekten Max Fleischer im Stil der Neo-Renaissance erbaut, befand sich in der Dammgasse.20  Sie wurde zwar in der Pogromnacht 1938 nicht zerstört, aber dennoch im darauffolgenden Jahr abgerissen.21 

Der Friedhof besteht seit 1879 - bis dahin waren die Verstorbenen nach St. Johann überführt worden. Um 1920 wurde er erweitert. Tobias Dasche, jüdisches Gemeindemitglied, stiftete zum Andenken an seine verstorbene Tochter eine vergrößerte Friedhofsmauer dazu. Am 31. 10. 1933 wurde der Friedhof von Mitgliedern eines auswärtigen Sportvereines als erster jüdischer Friedhof Österreichs geschändet. Der Hohenauer Pfarrer wurde für seine Predigt, in der er diese Tat verurteilte, nach der Machtübernahme durch die Nazis 1938 durch das Einschlagen seiner Fenster bestraft.22 

Der Friedhof befindet sich in der Falkengasse und umfasst auf einer Fläche von rund 1.800 m², soweit erkennbar, 128 Gräber. Auf ihnen bestehen heute noch 85 Grabsteine. Die exakte Anzahl der erhaltenen Grabstellen und Grabsteine ist aufgrund des starken Bewuchses sowie der Zerstörungen vor Ort nicht feststellbar.

Bad Pirawarth

In diesem kleinen Kurort bestand lediglich eine kleine jüdische Abteilung auf dem Ortsfriedhof, die offenbar für die während ihres Aufenthaltes in Bad Pirawarth verstorbenen Kurgäste eingerichtet worden war. Die 85 m² große Anlage besteht aus 10 Gräbern, 7 Steine davon sind erhalten.

Mistelbach23

Mistelbach hatte seit 1890 eine eigene Kultusgemeinde mit 225 Mitgliedern, zu der der politische Bezirk Mistelbach sowie Teile des politischen Bezirkes Gänserndorf gehörten. Die Synagoge von Mistelbach befand sich in der Oserstraße und wurde ende der 70er Jahre demoliert.24  Dies ist umso bedauerlicher, als es sich hier um einen bedeutenden, sehr frühen krichenähnlichen Bau Max Fleischers gehandelt hat, der vermutlich in Anlehnung an die Synagoge von Kassel gestaltet worden war.25  Zusätzlich waren 3 Bethäuser vorhanden, sowie Chewra Kadischa, Friedhof und ein "israelitischer Frauenwohltätigkeitsverein".26 

Außerhalb des Stadtkerns, in der Waldstraße 104 befindet sich der große jüdische Friedhof mit rund 5.000 Quadratmetern und 131 vor Ort erkennbaren Grabstellen. Das Areal ist ausgezeichnet gepflegt.

Laa an der Thaya

Hier bestand einst eine Synagoge. Auf dem Kommunalfriedhof finden sich einige jüdische Grabstellen.

Hollabrunn27 

In Hollabrunn bestand eine jüdische Kultusgenossenschaft, die die Agenden einer Kultusgemeinde führte. Sie verfügte über eine Synagoge, eine Chewra Kadischa und einen Friedhof.28 

Die Synagoge von Hollabrunn wurde 1946 von der Ortsgemeinde angekauft, die das Gebäude umbaute und darin Wohnungen, in erster Linie für Krankenschwestern, einrichtete.29 

Am 22. Juni 1876 kaufte die Kultusgenossenschaft ein erstes Grundstück für Friedhofszwecke an, 1909 wurde das Areal erweitert. Es befindet sich weit außerhalb der Ortschaft in der Steinfeldgasse 360 und umfasst auf rund 6.000 Quadratmetern 150 Gräber mit 130 erhaltenen Steinen, sowie vier Grüfte entlang der Friedhofsmauer. Der Friedhof ist gut gepflegt, lediglich der Grabbewuchs hat die Grabinschriften längst überwuchert, sodass diese zum Teil gar nicht mehr lesbar sind. Bemerkenswert sind die erhaltenen schmiedeeisernen Schilder der einzelnen Gräbergruppen – heute eine absolute Rarität auf jüdischen Friedhöfen.

Stockerau

In Stockerau konstituierte sich 1905 eine eigene Kultusgemeinde, 1907 eine Chewra Kadischa. Ein Bethausverein hatte seit 1856 bestanden, das Friedhofsareal war bereits 1874 erworben worden.30  Die Synagoge in der Schießstattgasse wurde bereits 1938 in eine evangelische Kirche umgewandelt.31 

Der jüdische Friedhof befindet sich vis-à-vis des Kommunalfriedhofes in der Schießstattgasse 122. Auf rund 12.600 m² finden sich heute 136 Gräber. Das Gelände ist sehr gut gepflegt.

Auf diesem Friedhof wurde auch ein Massengrab für 6 Personen angelegt. Über das genaue Schicksal eines der Opfer, und um seinen Verbleib herrschte einige Verwirrung. Zunächst hieß es: " [Die] Namen der 5 Leichen sind unbekannt da selbe aus dem Transport hinaus geworfen wurden."32  In seiner Erhebungsaktion stieß Dr. Ernst Feldsberg dann auf folgenden Sachverhalt:

"Samuel Feldheim gestorben am 15. 8. 1944 im Krankenhaus Stockerau war Zwangsarbeiter im Gemeinschaftslager Kallinger in Sitzenberg-Reidling. Er erlitt dort einen Unfall, der zu seinem Tode führte. Er wurde am 17. August 1944 in ein gemeinsames Grab mit Katholiken auf dem katholischen Friedhof in einem eigenen Holzsarg auf dem Friedhof Stockerau bestattet."33

Zusätzlich wurde über Abraham Feldheim, der laut einer anderen Quelle als Zwangsarbeiter eines Konzentrationslagers in Stockerau verstorben war, bekannt, daß er Vorstandsmitglied der israelitischen Kultusgemeinde Szeged gewesen war.34  Schließlich berichtete Feldsberg an den Sohn des Verstorbenen folgendes:

"Herr Samuel Feldheim ist am 15. 8. 1944 im Krankenhaus Stockerau als Zwangsarbeiter beschäftigt gewesen, ein dort erlittener Unfall führte zu seinem Tod. Der Verstorbene wurde vorerst am 17. August 1944 gemeinsam mit anderen Toten (Nichtglaubensjuden) auf dem katholischen Friedhof in Stockerau in einem eigenen Holzsarg bestattet. Am 30. Jänner 1945 wurde die Leiche Ihres Vaters exhumiert und auf dem israelitischen Friedhof in Stockerau in einem bereits bestehenden Grabe, in welchem schon fünf Märtyrer des Judentums beerdigt waren, beigesetzt. [...] In dem gemeinsamen Grabe ruhen 5 Leichen, und zwar handelt es sich um jüdische Märtyrer, welche während eines Transportes durch die Nazis an Erschöpfung starben und auf dem jüdischen Friedhof in einem Grabe nebeneinander beerdigt wurden."35 

Schließlich einigte man sich auf folgenden Sachverhalt:

"In Sitzenberg-Reidling befand sich ein Gemeinschaftslager jüdischer Zwangsarbeiter. Auf dem Weg in dieses Lager starben fünf Juden, deren Namen unbekannt sind. Dieselben wurden in einem gemeinsamen Grab auf dem jüdischen Friedhof in Stockerau begraben. Am 17. August 1944 verstarb im gleichen Lager Samuel Feldheim, der vorerst auf dem katholischen Friedhof beerdigt, jedoch nachträglich wieder enterdigt und in dem gleichen Grab wie die fünf unbekannten Märtyrer auf dem jüdischen Friedhof in Stockerau beigesetzt wurde. Dieses Grab wird von der Kultusgemeinde betreut. Auf der Grabstelle wurde im Dezember 1963 ein Grabmal errichtet mit folgender Inschrift: ‚In diesem Grab ruhen sechs jüdische Zwangsarbeiter, welche als Opfer des Nationalsozialismus den Märtyrertod gestorben sind. Fünf sind namenlos. Der zuletzt Bestattete war Samuel Feldheim aus Szeged in Ungarn (1884-1944)’."36 

Korneuburg

1872 wohnten in Korneuburg 63 Juden mit einem eigenen Kultusverein. Im Haus Hauptplatz 19 bestand ihre Betstube.37  Nur 18 Jahre später waren es bereits 88 Personen, ihr Verein war in der Zwischenzeit in die Kultusgemeinde Floridsdorf einbezogen worden.38 

Auf dem Kommunalfriedhof findet sich eine ausgezeichnet gepflegte, durch Heckenbepflanzung vom christlichen Teil abgegrenzte jüdische Abteilung, die 9 Steine und Grabmäler sowie 12 von der Wiener Chewra Kadischa später gestiftete Grabtafeln umfasst.

Überblick über weitere jüdische Friedhöfe und Grabstätten in Niederösterreich

In folgenden Ortschaften Niederösterreichs existieren weitere jüdische Friedhöfe:

Baden, Bruck an der Leitha (Abteilung auf dem Kommunalfriedhof), Horn, Klosterneuburg, Krems (neuer und alter, heute verschwundener Friedhof), Mödling, Tulln, Michelndorf, Neulengbach, Neunkirchen, Oberstockstall, St. Pölten (alter und neuer Friedhof), Waidhofen an der Thaya, Wiener Neustadt, Ybbs an der Donau bzw. Göttsbach (zwei Friedhöfe der Kultusgemeinde Amstetten, von denen der ältere in Ybbs bereits Anfang des 20. Jahrhunderts geschlossen war) und Zwettl.

Weitere Massengräber in Niederösterreich befinden sich unter anderem in:

Abstetten bei Tulln, Bad Deutsch Altenburg, Brand bei Gmünd, Bruck an der Leitha, Echsenbach, Emmersdorf an der Donau, Felixdorf, Gleiß bei Sonntagberg, Gloggnitz, Gmünd, Göstling an der Ybbs, Gresten, Groß-Siegharts, Melk, Petzenkirchen, St. Georgen, St. Pölten, Strassberg, Strasshof an der Nordbahn, Unterdammbach bei Neulengbach sowie Weissenbach an der Triesting.

Übersicht über Zerstörungen an jüdischen Friedhöfen in Niederösterreich

Allen jüdischen Friedhöfen wurden in der NS-Zeit schwere Zerstörungen zugefügt. Bereits während der Pogrome am 9./10. November 1938 wurden folgende Friedhofsanlagen in Niederösterreich zerstört: Baden, Dürnkrut, Gänserndorf, Hohenau, Hollabrunn, Horn, Klosterneuburg, Krems, Marchegg, Michelndorf, Mistelbach, Göttsbach/Mitterburg, Mödling, Neunkirchen, Neulengbach, St. Pölten, Stockerau, Waidhofen an der Thaya, Wiener Neustadt und Zwettl.

Die Friedhofsgelände von Deutsch-Wagram, Marchegg, Krems (alter Friedhof) und Ybbs (alter Friedhof) wurden seither zur Gänze zerstört.

Beherzte Friedhofswärter konnten die jüdischen Friedhöfe von Klosterneuburg, Korneuburg, Mistelbach, Stockerau und Wiener Neustadt in der Zeit des Nationalsozialismus vor der Vernichtung retten.

Grabsteine der jüdischen Friedhöfe von Göttsbach an der Ybbs, Waidhofen an der Thaya und Zwettl wurden zerstört, verkauft bzw. entfernt.

Folgende Friedhofsgebäude wurden erst nach 1945 abgerissen: In der Nachkriegszeit Dürnkrut, Hohenau, Mödling, Oberstockstall und Zwettl, in den 1990er Jahren Hollabrunn (Friedhofswärter-Haus und Zeremonienhalle) sowie Stockerau.

Im Verhältnis zur jeweiligen Größe der Anlage sind heute die Grabsteine auf den jüdischen Friedhöfen Baden, Großenzersdorf, Klosterneuburg, Neulengbach, Tulln und Wiener Neustadt in großem Ausmaß umgestürzt. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Öffentlichkeit bald der Sanierung und Erhaltung dieser wichtigen Kulturdenkmäler, die jüdische Friedhöfe in Niederösterreich darstellen annimmt und so ihre weitere Zerstörung verhindert.

1 Vgl. Dazu grundlegend GOLD, Hugo: Geschichte der Juden in Österreich. Ein Gedenkbuch. Tel Aviv 1971 sowie MOSES, Leopold: Spaziergänge. Studien und Skizzen zur Geschichte der Juden in Österreich. Hg. v. Patricia Steines. Wien 1994.

 2 Dazu neuerdings auch BAUMGARTNER, Walter/ Robert STREIBEL: Juden in Niederösterreich. "Arisierung" und Rückstellung in den Städten Amstetten, Baden, Hollabrunn, Horn, Korneuburg, Krems, Neunkirchen, St. Pölten, Stockerau, Tulln, Waidhofen an der Thaya und Wiener Neustadt. Wien 2004. (= Veröffentlichungen der österreichischen Historikerkommission. Bd. 18)

 3 vgl. im Detail GENÉE, Pierre: Synagogen in Österreich. Wien 1992.

 4 WALZER, Tina: Weißbuch über Pflegezustand und Sanierungserfordernisse der jüdischen Friedhöfe in Österreich. Mit einer Kostenübersicht von Wolfgang Hirt. Im Auftrag der IKG Wien August 2001 – April 2002. 6 Bde. O. O., o. J. [Wien 2002], sowie dies.: Erhebungen über Massengräber, Mahnmale, Gedenkstätten und Gedenksteine in Österreich. Im Auftrag der IKG Wien August 2001 – September 2002. O. O., o. J. [Wien 2002]

 5 Überdies steht eine schriftliche Broschüre zur Verfügung, zu beziehen über IKG Wien, 1, Seitenstettengassse 4: Wegweiser für Besucher der jüdischen Friedhöfe und Gedenkstätten in Wien, Niederösterreich, Burgenland, Steiermark und Kärnten. Hg. v. Verein "Schalom". Januar 1999.

 6 Vgl. KATZ, Karl: Geschichte der Juden in Groß-Enzersdorf. In: GOLD, Hugo: Geschichte der Juden in Österreich. Ein Gedenkbuch. Tel Aviv, S. 21f.

 7 Vgl.ebenda, S. 22.

 8 Vgl.ebenda, S. 22.

 9 Vgl.ebenda, S. 22.

 10 Vgl.ebenda, S. 22.

 11 Quelle: IKG Wien, B 19 AD XXVII, c, d Feldsberg-Akte, Mappe Massengräber von jüd. Märtyrern Verzeichnis festgestellter Namen der Opfer unfoliiert, Liste Diverse Dr. Feldsberg 35 Seiten undatiert

 12 Vgl. MOSES, Leopold: Spaziergänge. Studien und Skizzen zur Geschichte der Juden in Österreich. Hg. v. Patricia Steines. Wien 1994, S. 124.

 13 Vgl.ebenda, S. 117.

 14 Vgl. MOSES, Leopold: Spaziergänge. Studien und Skizzen zur Geschichte der Juden in Österreich. Hg. v. Patricia Steines. Wien 1994, S. 126.

 15 Vgl. KOLLER-GLÜCK, Elisabeth: Von den neuzeitlichen Synagogen in Niederösterreich. In: Denkmalpflege in Niederösterreich. Bd. 15: 50 Jahre danach – Kulturgut nach dem Krieg (=Mitteilungen aus Niederösterreich Nr. 5/1995), S. 26.

 16 Vgl. MOSES, Leopold: Spaziergänge. Studien und Skizzen zur Geschichte der Juden in Österreich. Hg. v. Patricia Steines. Wien 1994, S. 141.

 17 Vgl. GOLD, Hugo: Untergegangene Judengemeinden: Dürnkrut. In: GOLD, Hugo: Geschichte der Juden in Österreich. Ein Gedenkbuch. Tel Aviv, S. 105.

 18 Vgl. ZEISSNIK, Robert: Geschichte der Juden in Hohenau. In: GOLD, Hugo: Geschichte der Juden in Österreich. Ein Gedenkbuch. Tel Aviv, S. 25.

 19 Vgl.ebenda, S. 26.

 20 Vgl.ebenda, S. 25.

 21 Vgl. KOLLER-GLÜCK, Elisabeth: Von den neuzeitlichen Synagogen in Niederösterreich. In: Denkmalpflege in Niederösterreich. Bd. 15: 50 Jahre danach – Kulturgut nach dem Krieg (=Mitteilungen aus Niederösterreich Nr. 5/1995), S. 25.

 22 Vgl. ZEISSNIK, Robert: Geschichte der Juden in Hohenau. In: GOLD, Hugo: Geschichte der Juden in Österreich. Ein Gedenkbuch. Tel Aviv, S. 25.

 23 Literatur: EYBEL, Heinz: Verdrängt und vergessen. Die jüdische Gemeinde in Mistelbach. Mistelbach 2003.

 24 Vgl. KOLLER-GLÜCK, Elisabeth: Von den neuzeitlichen Synagogen in Niederösterreich. In: Denkmalpflege in Niederösterreich. Bd. 15: 50 Jahre danach – Kulturgut nach dem Krieg (=Mitteilungen aus Niederösterreich Nr. 5/1995), S. 25.

 25 Vgl.ebenda, S. 27.

 26 Vgl. GOLD, Hugo: Untergegangene Judengemeinden: Dürnkrut. In: GOLD, Hugo: Geschichte der Juden in Österreich. Ein Gedenkbuch. Tel Aviv, S. 108.

 27 Literatur: GOLLONITSCH, Ulrike (Hg.): Als wäre nichts geschehen. Die jüdische Gemeinde in Hollabrunn. Wien 1990.

 28 Vgl. N. N.: Geschichte der Juden in Hollabrunn. In: GOLD, Hugo: Geschichte der Juden in Österreich. Ein Gedenkbuch. Tel Aviv, S. 33.

 29 Vgl. KOLLER-GLÜCK, Elisabeth: Von den neuzeitlichen Synagogen in Niederösterreich. In: Denkmalpflege in Niederösterreich. Bd. 15: 50 Jahre danach – Kulturgut nach dem Krieg (=Mitteilungen aus Niederösterreich Nr. 5/1995), S. 26.

 30 Vgl. MOSES, Leopold: Spaziergänge. Studien und Skizzen zur Geschichte der Juden in Österreich. Hg. v. Patricia Steines. Wien 1994, S. 147.

 31 Vgl. KOLLER-GLÜCK, Elisabeth: Von den neuzeitlichen Synagogen in Niederösterreich. In: Denkmalpflege in Niederösterreich. Bd. 15: 50 Jahre danach – Kulturgut nach dem Krieg (=Mitteilungen aus Niederösterreich Nr. 5/1995), S. 26.

 32 Quelle: IKG Wien, B 19 AD XXVII, c, d Feldsberg-Akte, Mappe Sammelgrab Ortsfriedhof Stockerau Sammelgrab 6 Leichen unfoliiert, handschriftliche Notiz nicht gezeichnet undatiert

 33 Quelle: IKG Wien, B 19 AD XXVII, c, d Feldsberg-Akte, Mappe Sammelgrab Ortsfriedhof Stockerau Sammelgrab 6 Leichen unfoliiert, Abraham Feldheim an IKG Wien 22. 11. 1961

 34 Quelle: IKG Wien, B 19 AD XXVII, c, d Feldsberg-Akte, Mappe Sammelgrab Ortsfriedhof Stockerau Sammelgrab 6 Leichen unfoliiert, Abraham Feldheim an IKG Wien 28. 12. 1961

 35 Quelle: IKG Wien, B 19 AD XXVII, c, d Feldsberg-Akte, Mappe Sammelgrab Ortsfriedhof Stockerau Sammelgrab 6 Leichen unfoliiert, IKG Wien an Abraham Feldheim 9. 2. 1962

 36 Quelle: IKG Wien, B 19 AD XXVII, c, d Feldsberg-Akte, Mappe Bericht über Friedhöfe 1955-1964 unfoliiert, Dr. Ernst Feldsberg an Regierungsrat Krell 23. 7. 1964 Beilage 7

 37 Vgl. MOSES, Leopold: Spaziergänge. Studien und Skizzen zur Geschichte der Juden in Österreich. Hg. v. Patricia Steines. Wien 1994, S. 135.

 38 Vgl. N. N.: Korneuburg. In: GOLD, Hugo: Geschichte der Juden in Österreich. Ein Gedenkbuch. Tel Aviv, S. 45.

 

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