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JOSEPH SCHMIDT
Ein Porträt des "Rundfunk-Caruso"

Diana Carmen ALBU

 

 2004 ist ein Gedenkjahr von Ereignissen, die den Lauf der österreichischen und der Weltgeschichte maßgeblich prägten: Es ist die Rede vom Attentat auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand am 28. Juli 1914, welcher der Auslöser des Ersten Weltkrieges war. Man denke weiters an die Februarkämpfe 1934 sowie an die Ermordung von Bundeskanzler Engelbert Dollfuss am 25. Juli 1934; oder man denke an den Attentatsversuch Claus´ Schenk Graf von Stauffenberg auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944. 1944 war das Jahr, in dem Anne Franks Versteck von den Nationalsozialisten ausfindig gemacht wurde. Im Sommer 1944 (am so genannten D-Day) landeten die Alliierten in der Normandie.

2004 gedenkt man auch Persönlichkeiten aus Kultur, Musik und Wissenschaft.

Am 4. März, anlässlich des 100. Geburtstages von Joseph Schmidt fand im Rathaus von Köpenick ein Festakt statt. Die Musikschule des Bezirks Treptow-Köpenick erhielt dabei den Namen "Musikschule Joseph Schmidt". Das Haupt des rumänischen Kammersängers und Kantors ziert die von der Deutschen Post am 4. März herausgegebene Sonderbriefmarke im Wert von 55 Cent. Das Filmhaus am Potsdamer Platz zeigte den 1933 von Richard Oswald produzierten Streifen "Ein Lied geht um die Welt", durch den Joseph Schmidt einst Berühmtheit erlangt hatte.

Wer war nun Joseph Schmidt?

Joseph Schmidt kommt am 4. März 1904 in einem Dorf genannt Davideny in der Bukowina als drittes Kind jüdischer Eltern zur Welt. Er hat noch vier Geschwister: Regina (1900 geboren), Betty (1902 geboren), Schlomo (1906 geboren) und Mariem (1909 geboren). Die Bukowina gehört zur damaligen Zeit als selbstständiges Kronland zum Staatenbund der k.u.k. Monarchie. Schmidts Geburtsort befindet sich in der Nähe der historischen Hauptstadt Czernowitz (rumän. Cernauti): Dort leben Ukrainer und Rumänen, und der Anteil der jüdischen Bevölkerung ist nicht unbedeutend. Gerade die Einwohner jüdischer Abstammung gelten als Träger der deutschen Kultur. In Czernowitz beziehungsweise der Bukowina sind bedeutende Literaten des 19. und 20. Jahrhunderts wie beispielsweise Alfred Margul-Sperber (1898-1967), Rose Ausländer (1901-1988) oder Paul Celan (1920-1970) zu finden.

Jossale, wie Joseph Schmidt in Davideny genannt wird, scheint schon von klein auf für Musik zu schwärmen. Manchmal muss sich die ganze Familie auf die Suche nach ihm machen und findet ihn am Waldrand, wo er aufspielenden Zigeunern zuhört. In der Schule gilt der Ausreißer als Tagträumer: Bis auf die Fächer Geschichte und Geographie sowie auf die Singstunde interessiert ihn kaum etwas. Vater Schmidt, ein eher zurückgezogener streng gläubiger Jude, der die meiste Zeit dem Studium der Heiligen Bücher widmet, zeigt sich von dem immer deutlicher zu Tage tretenden musikalischen Talent seines Sohnes unbeeindruckt. "Die Jungen sollen es einmal besser haben" als er und "einen anständigen Beruf" ergreifen, meint er.

Jossale entwickelt sich mit der Zeit zum singenden Wunderkind von Davidney: Er tritt bei Geburtstagsfeiern und Familienfesten auf und verdient etwas Geld für seine Familie. Bald darf er auch in der Synagoge seine Stimme zum Besten geben.

Nach Kriegsbeginn (1914) übersiedeln die Schmidts nach Czernowitz. Hier hofft das Oberhaupt der Familie, zu mehr Einkommen zu gelangen. Der singende Joschi erhält Klavier- und Violinunterricht. Mit 14 Jahren singt er im Chor des Tempels von Czernowitz. Dennoch träumt er vorerst von einer Karriere als Schauspieler. Er tritt im Czernowitzer Kindertheater auf, wo er das Publikum mit musikalischen Einlagen begeistert. Bald erkennt er jedoch, dass ihm seine kleine Statur von 154 cm auf der Bühne zum Verhängnis werden könnte und entschließt sich, seine Stimme professionell zu schulen. Auf Vermittlung des Chorleiters Josef Towstein zählt Schmidt mit 18 Jahren zu den Schülern der bedeutendsten Stimmpädagogin von Czernowitz, Felicitas Lerchenfeld-Hrimaly. Er hebt sich von den anderen Mitschülern und Mitschülerinnen durch seine überdurchschnittlichen Leistungen ab: Schmidt singt problemlos Skalen bis zum hohen C und darüber hinaus; außerdem singt er unbekannte Werke vom Blatt. Folge dessen erhält er zahlreiche Engagements in diversen Chorvereinigungen und Synagogen. Gläubige versammeln sich in den Gotteshäusern, um Schmidts Stimme zu hören. Im November 1924 gibt er sein erstes Konzert in Czernowitz. Die Zeitungen berichten ausschließlich Positives über sein künstlerisches Talent.

Im Frühjahr 1925 beginnt Schmidt sein Studium an der Staatlichen Akademischen Hochschule für Musik und Gesang in Berlin. Nach einem Jahr unterbricht er es, um seinen Militärdienst beim 2. Gebirgsjägerbataillon in Radautz (rumän. Radauti) abzuleisten. 20 Monate lang ist er als Geigen- und Klavierspieler in der Militärkapelle tätig und spielt sogar in der Jazzband als Schlagzeuger. Ende 1927 wird er entlassen und setzt sogleich sein Studium fort. 1929 tritt Schmidt zum ersten Mal im Ausland, in Antwerpen, auf. Dort sollte seine Karriere auch enden. Seine Erfolge in der Heimat sowie in Antwerpen bestätigen ihm, dass er den richtigen Weg beschreitet – nämlich eine Karriere als Sänger und nicht als Schauspieler.

Ende Oktober 1923 bricht die Ära des Rundfunks an. Am 18. April 1929 debütiert Schmidt beim Berliner Rundfunk mit der berühmten Arie des Vasco da Gama aus "Die Afrikanerin" von Giacomo Meyerbeer (1791-1864). Dieses Musikstück lässt Schmidt über Nacht zum Rundfunkstar avancieren; mit seinen Sendungen trägt er zur Popularität des deutschen Rundfunks bei. Er wird in weiterer Folge als "Rundfunk-Tenor" mit Caruso-ählicher Stimme oder gar als "der Rundfunk-Caruso" bezeichnet. Der Vergleich mit Enrico Carusos "Träne in der Stimme" ist nicht als "theatralisches Geschluchze, sondern als Kunst des vokalen Ausdrucks" zu verstehen.

Seinen ersten Bühnenauftritt mit "Die drei Musketiere" in Berlin erlebt Schmidt Ende August 1929. In weiterer Folge wird der musikalische Genius von der Lindström AG für die Aufnahme von liturgischen Liedern der jüdischen Reformgemeinde verpflichtet. Neben Chören und anderen Sängern ist er einer der renommiertesten Solisten. Die elf erhaltenen Gesänge in hebräischer und aramäischer Sprache gelten aufgrund seiner außergewöhnlicher Koloraturtechnik als Höhepunkt seiner Diskographie.

Zeit seines Lebens bleibt Schmidt ein bescheidener Mensch, der auf irdische Güter keinen großen Wert legt. So bekommt sein Onkel, bei dem er in Berlin in Untermiete wohnt, 1/3 seiner Gagen, seiner in Czernowitz (nunmehr Rumänien) lebenden Mutter lässt er ebenfalls so viel zukommen;

1933 gastiert Schmidt in der Schweiz, wo er das Publikum in Begeisterung versetzt.

Er ist ein Star, der angehimmelt, bewundert und umworben wird. Nicht nur bei Auftritten muss er Autogrammstunden einplanen, sondern auch auf postalischem Wege erreichen ihn Autogrammwünsche aus dem Ausland.

Mit der nationalsozialistischen Machtergreifung in Deutschland 1933 erfolgt die so genannte "Gleichschaltung" von Presse, Rundfunk und Film; die Öffentlichkeit wird mit dem staatlich angeordneten Judenboykott vom 1. April 1933 von Juden "gesäubert". Sämtliche Verträge mit dem Berliner Rundfunk werden daher hinfällig. Am 20. Februar 1933 erlebt der Künstler seinen letzten Auftritt an einem deutschen Sender. Dennoch bleibt ihm die Filmbranche vorerst noch offen. Eine auf Schmidt maßgeschneiderte Rolle in dem Film "Der Sänger des Volkes" wird ihm angeboten. Angesichts seiner "nicht arischen" Abstammung muss der Titel jedoch geändert werden: Daraus entsteht das berühmte "Ein Lied geht um die Welt", das am 9. Mai 1933 im Ufa-Palast am Zoo seine Premiere erlebt. Schmidts Begeisterung über das Filmangebot hält sich in Grenzen. Bei der Uraufführung kommt er erst gegen Ende der Vorstellung auf die Bühne und wird dennoch mit tosendem Applaus empfangen. Sein Zögern hängt bestimmt auch mit der Tatsache zusammen, dass Propagandaminister Joseph Goebbels mit seinem Stab im Ufa-Palast zugegen ist. Die Zeitung der NSDAP, "Völkischer Beobachter", berichtet: "…Aber er ist sooo begabt und so edelmütig, so rührend, kein Engel ist so rein… Und was man nicht sagt, aber desto deutlicher sieht: er ist ein Jude. Jener Typ demütiger Volljude, mit dem einstmals so gerne hausieren ging…"3 

Schmidt gastiert in weiterer Folge in Wien, Toulon und Salzburg. Das Apollo-Kino im 6. Wiener Gemeindebezirk eröffnet im August 1933 mit dem Spielfilm "Ein Lied geht um die Welt". Im Salzburger Konzertsaal beeindruckt der "Sänger des Volkes" durch die Klarheit und das Volumen seiner Stimme, denn dort singt er ohne Mikrophon, das sein Tonvolumen retouchieren könnte. Überall erntet er Ovationen. Er tritt mit anderen renommierten Stars wie dem großen Tenorsänger Leo Slezak (1873–1946) oder der berühmten Schauspielerin der Stummfilmzeit Frida Richard (1873-1946) auf. Journalisten lauern ihm in Hotels auf. Überall erkennt man ihn als den großen Startenor. Als Schmidt einmal in der Wiener Staatsoper als Zuschauer zu Gast ist, wendet sich das Publikum ihm zu und applaudiert ihm in der Loge. Im Dezember 1933 erfolgt die endgültige Übersiedlung nach Wien.

1936 setzt Schmidt seine Karriere als Filmschauspieler in den USA fort: "Ein Lied geht um die Welt" findet auch in der amerikanischen Presse positive Kritiken. Mit dem "Halleluja" aus Mozarts "Exsultate, jubilate" erobert der begnadete Sänger die Herzen der Amerikaner. Er gilt dort als Superstar. Zeitungen berichten von den beiden "Weltwundern" des Jahres 1937: der Golden Gate Bridge von San Francisco und Joseph Schmidt.

Zwar genießt der Sänger seine Erfolge und Popularität, doch zieht es ihn nach Europa und im speziellen nach Wien, in die Stadt seiner Triumphe. Gemeinsam mit Lotte Kohn und ihrem gemeinsamen Kind Otto nimmt Joseph Schmidt am 7. März 1938, also fünf Tage vor dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich, Abschied von Wien. Er flieht zunächst in die Beneluxstaaten, danach nach Frankreich. Ab und zu finden Konzerte statt. Allerdings erlebt der große Sänger auch eine zweijährige Phase ohne öffentliche Auftritte. Daraufhin bemüht sich sein Freund Max Neumann, für ihn Konzerte zu organisieren. Das für März 1942 in Marseille geplante und ausverkaufte Konzert wird von der Prefecture verboten, denn jüdische und "arische Künstler" dürfen nicht gemeinsam auftreten.

Das politische Klima und die anhaltenden militärischen Siege der deutschen Wehrmacht zwingen Schmidt nach einigen misslungenen Ausreiseversuchen zur Flucht in die Schweiz. Er ist 30 km von Zürich entfernt, im Flüchtlingslager Girenbad, einer ehemaligen Textilfabrik, die 1949 einem Brand zum Opfer fällt, untergebracht. Angesichts der schlechten Lagerverhältnisse muss Schmidt Ende Oktober 1942 mit Laryngitis (Kehlkopfentzündung) und Tracheitis (Luftröhrenentzündung) in die Züricher HNO-Klinik eingewiesen werden. Er klagt öfters über Brustschmerzen, die von den Spitalsärzten ignoriert werden. Am Vormittag des 16. November 1942 stirbt der große Star im Alter von 38 Jahren, 8 Monaten und 12 Tagen – es wird Herzversagen diagnostiziert. Alle 350 Lagerinsassen nehmen Abschied von ihm. Obwohl nur 15 Mann die Erlaubnis haben, Schmidts Sarg auf einer kurzen Strecke zu begleiten, schließen sich diesen auch die restlichen Flüchtlinge an und geleiten den kleinen großen Mann auf seinem letzten Wege. Er wird schließlich auf dem Israelitischen Friedhof Unterer Friesenberg in Zürich bestattet. Wenige Menschen, darunter einige Kollegen des Züricher Schauspielhauses beziehungsweise des Stadttheaters wie Wolfgang Langhoff, Eugen Jensen oder Ernst Ginsberg erweisen ihm die letzte Ehre. Sein Grabstein enthält hebräische sowie deutsche Worte. Oberhalb des Davidsterns ist der Satz "Ein Stern fällt" eingemeißelt.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges finden sich die Überlebenden der Familie Schmidt – darunter drei Kinder – in Rumänien, in Gura Humorolui, wieder. Mutter Sara bemüht sich vergeblich, eine Ausreisemöglichkeit in die Schweiz zu erlangen. Mit Unterstützung von Gertrud Ney-Nowotny, einer jungen Wienerin und Verehrerin des Kammersängers, bekommt Sara Schmidt eine Ausreisegenehmigung nach Österreich. Bevor sie die Reise zum Grab ihres Sohnes antreten kann, stirbt sie. Auf ihrem Grabstein im Friedhof von Gura Humorolui steht folgendes geschrieben:

"SARA SCHMIDT

Mutter des Kammersängers

JOSEPH SCHMIDT

gest. am 31./V.1950"

Ein Lied geht um die Welt!

Ein Lied, das Euch gefällt!

Die Melodie erreicht die Sterne,

Jeder von uns hört sie so gerne!

Von Liebe singt das Lied,

Von Treue singt das Lied,

Und es wird nie verklingen,

Man wer es ewig singen.

Flieht auch die Zeit.

Das Lied bleibt in Ewigkeit.

Literaturhinweis:

Die aktuellste Biographie über Joseph Schmidt:

Alfred A. Fassbind, Joseph Schmidt, Ein Lied geht um die Welt. Spuren einer Legende. Eine Biographie, Zürich 1992.

 1 Vgl. Christian Springer, Enrico Caruso: Tenor der Moderne, Wien 2002 .

 2 Es handelt sich um Schmidts ersten Film, in dem er die Hauptrolle spielt: Er hat die Rolle des kleinwüchsigen Sängers Riccardo, der auf die große Liebe seines Lebens verzichten muss, weil diese zwar seine Stimme bewundert, ansonsten aber nur Augen für den gut aussehenden Freund des Sängers hat. Der Film trägt unverkennbar autobiographische Züge.

 3 Zitiert nach Alfred A. Fassbind, Joseph Schmidt, Ein Lied geht um die Welt. Spuren einer Legende. Eine Biographie, Zürich 1992, S70.

 4 Lotte Kohn ist zu Beginn ihrer Liason mit Schmidt noch verheiratet und lässt sich einige Jahre später von ihrem Ehegatten scheiden. Gerüchten zufolge soll Schmidt sie geehelicht haben, allerdings gibt es dafür keine stichhaltigen Beweise. Der Sänger unterhält auch mit anderen Frauen Liebesbeziehungen. Details darüber gehen aus der ansonsten umfassenden Biographie nicht hervor.

 5 Gertrud Ney-Nowotny hat Zeit ihres Lebens alles über die Person Joseph Schmidt gesammelt und sie an eine ihrer treuesten Korrespondentinnen in Zürich, Berty Rossetti, übertragen. Diese organisierte Ausstellungen und Radiosendungen zum Andenken an den großen Startenor; das Joseph-Schmidt-Archiv in Zürich ist ebenfalls auf die Initiativen der beiden Damen zurück zu führen.

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