Nach einer zweijährigen Pause fand die Jüdische Filmwoche
Wien heuer vom 18. November bis 2. Dezember im Votivkino und im De France
Kino statt. Wie in den Jahren zuvor wurden auch diesmal wieder verschiedene
Themenschwerpunkte präsentiert.
Zum 100. Geburtstag des polnisch-jüdischen
Schriftstellers Isaac Bashevis Singer (1904-1991) wurden der
Zeichentrickfilm Die Schelme von Schelm, Barbra Streisands Spielfilm
Yentl und Paul Mazurskys Enemies: A Love Story vorgeführt.
Dank einer Einladung des Polnischen Instituts Wien konnte Regisseur Adam
Kinaszewski während der Vorführung seines Dokumentarfilmes Warszawa
Pejzaz z Singerem (Warsaw: Landscape with Singer) über Leben und Werk
von Isaac Bashevis Singer anwesend sein. Adam Kinaszewski, ein anerkannter
Regisseur und Filmproduzent, war Anfang der 80-er Jahre in der
Solidarnosc-Bewegung aktiv. Deswegen wurde er 1981 verhaftet und musste über
ein Jahr im Gefängnis bleiben. Nach der Freilassung arbeitete er als
Pressesekretär von Lech Walesa und verfasste dessen Biographie Ein Weg
der Hoffnung. Eine Autobiographie.
In Erinnerung an das polnisch-jüdische Komikerpaar Szymon
Dzigan und Jisroel Szumacher wurden drei Filme in jiddischer Sprache
gezeigt. Freiliche Kabzonim (Fröhlicher Bettler/Jolly Paupers)
aus dem Jahre 1937 ist eine Komödie, die in einer polnischen Kleinstadt
spielt. On a Heim (Ohne ein Zuhause/Without a Home) aus 1939
ist der letzte jiddische Film, der in Polen vor dem Zweiten Weltkrieg
gedreht wurde. Szymon Dzigan und Jisroel Szumacher flohen in die Sowjetunion
und kehrten nach Ende des Krieges wieder nach Polen zurück. Unzere Kinder
(Unsere Kinder/Our Children, 1948 gedreht) zeigt das Schicksal jüdischer
Kinder, die den Holocaust überlebten.
Ein weiterer Schwerpunkt war dem Thema Israel/Palästina
gewidmet. Der Dokumentarfilm Arnas Children ist das Porträt der
Jüdin Arna Mer Khamis (1929-1995), einer mutigen und engagierten Jüdin, die
sich um palästinensische Jugendliche im Flüchtlingslager Jenin kümmerte. Der
Film wurde von John Bunzl eingeleitet. Weiters wurden Porträts von zwei
anderen couragierten Persönlichkeiten gezeigt: Between The Lines
beschreibt das Leben der jüdisch-israelischen Haaretz-Journalistin
Amira Hass, die seit 1998 aus Ramallah berichtet. Uri Avnery, Protagonist
der israelischen Friedensbewegung, wird in Uri Avnery: A Warrior For
Peace dargestellt. In Route 181 zeigen die beiden Regisseure, der
Palästinenser Michel Khleifi und der Israeli Eyal Sivan, ihre Reise im
Sommer 2002 entlang der Straße, die 1947 das israelische vom
palästinensischen Gebiet trennte. Sie folgen einer imaginären
Demarkationslinie, die nach dem Willen der Vereinten Nationen das Land
Palästina in zwei Staaten teilen sollte. Im Experimentalfilmprogramm Zoom
In-Zoom Out präsentieren junge israelische KünstlerInnen ihre Sicht der
Situation in Israel/Palästina.
In einem Österreich-Schwerpunkt wurden Spiel- und
Dokumentarfilme von österreichischen Filmschaffenden präsentiert. Hubert
Canavals berührender Dokumentarfilm In der Fremde zu Haus, dessen
Realisierung durch den Fritz Spielmann Fonds des Orpheus Trust ermöglicht
wurde, erzählt die Lebensgeschichten dreier ÖsterreicherInnen, die auf der
Flucht vor dem Nationalsozialismus nach Mexiko emigrieren konnten und dort
eine neue Heimat fanden. Ruth Deutsch de Lechuga, die am 20. September 2004
im Alter von 84 Jahren verstorben ist, war Ärztin und eine Spezialistin für
die Geschichte der indigenen Völker Mexikos. Nach ihrer Emigration 1939
kehrte sie ab den 80-er Jahren immer wieder für wissenschaftliche Kongresse
nach Wien zurück. Oscar Römer ist Architekt und Tango-Tanzlehrer in Mexiko
Stadt. Er wurde als Sohn des Komponisten und Dirigenten Ernst Römer 1933 in
Wien geboren. 1938 emigrierte die Familie nach Mexiko. Der Maler,
Schauspieler und Schriftsteller Bruno Schwebel wurde 1928 geboren und floh
mit seinen Eltern 1938 nach Frankreich. Über Portugal kam die Familie 1942
nach Mexiko. In seinen literarischen Werken, wie zum Beispiel Das andere
Glück. Erinnerungen und Erzählungen (Hg. von Christian Kloyber
und Karl Müller, Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft, 2004) schildert
Bruno Schwebel in beeindruckenden Geschichten die Stationen seiner Flucht
bis zum Exil.
Weiters wurde auch eine Reihe von neuen internationalen
Spielfilmen gezeigt. In Abjad (The First Letter) schildert der
iranische Regisseur Abolfazi Jalili in wunderbar poetischen Bildern das
Leben eines 16-jährigen Buben im Iran knapp vor der Islamischen Revolution
von 1979. Emkan lebt in der Kleinstadt Saveh, wo er auch eine Koranschule
besucht. Der sensible Junge interessiert sich sehr für Fotografie, Film,
Musik und Kalligraphie, was von seiner Umgebung skeptisch aufgenommen wird.
Als er für einen Kinobesitzer Plakate schreiben darf, verliebt sich Emkan in
dessen Tochter Maassoum. Beide Elternpaare sind darüber nicht begeistert,
vor allem weil das Mädchen aus einer jüdischen Familie stammt.
Der rebellische Emkan gibt weder die Liebe zu Maassoum,
noch seine Leidenschaft für die Kunst auf. Constantin Costra-Gavras
Meisterwerk Der Stellvertreter basiert auf Rolf Hochhuths
Theaterstück Der Stellvertreter. Der Chemiker und SS-Obersturmführer
Kurt Gerstein ist für Produktion und Lieferung von Zyklon B ins
Konzentrationslager Auschwitz verantwortlich. Doch als ihm klar wird, wofür
das Gift benötigt wird, versucht er mit allen Mitteln, die Lieferungen zu
verzögern. Bei seinem Widerstand wird Gerstein vom jungen Jesuiten Ricardo
Fontana unterstützt, der Papst Pius XII. bitten will, öffentlich gegen
Hitler Stellung zu beziehen. Doch Fontana scheitert. Am Ende heftet er sich
einen Judenstern auf seine Soutane, um Deportierte auf ihrem Weg ins
Konzentrationslager zu begleiten. Als Vorbilder dienten Hochhuth der
Berliner Dompropst Bernhard Lichtenberg, der sich öffentlich für die
verfolgten Juden einsetzte und in Gestapohaft starb, und der polnische Pater
Maximilian Kolbe, der in Auschwitz sein Leben für das eines Familienvaters
opferte. Ihnen ist Der Stellvertreter gewidmet. (Die Vorführung des
Filmes konnte durch die großzügige Unterstützung von Constantin Film
ermöglicht werden).
In einem weiteren Schwerpunkt wurden neuere
Dokumentarfilme gezeigt. Nurit Kedars Asesino behandelt die
Geschichte von "Verschwundenen", jenen rund 30.000 ArgentinierInnen, die
während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 ermordet wurden. Über 3.000
davon waren jüdischer Abstammung. Die russische Produktion Dziga And His
Brothers schildert Leben und Werk der drei Kaufmannbrüder Boris, Michail
und Denis. Boris Kaufman war ein geschätzter Kameramann (zum Beispiel
LAtalante, Die Faust im Nacken und Baby Doll), Michail
war Kameramann und Regisseur. Denis drehte unter dem Pseudonym Dziga Vertov
Der Mann mit der Kamera.
Detailliertere Informationen über das Programm und die
Filme befinden sich auf der Homepage der Jüdischen Filmwoche: