http://david.juden.at  
 
 

unterstützt von:


 

"Entartete Musik - wieder entdeckt"

Birgit MEYER

Im Mai 1938 eröffneten nationalsozialistische Kulturpolitiker in Düsseldorf eine Ausstellung mit dem Titel "Entartete Musik".

Auf dem Plakat zur Ausstellung war ein schwarzer Saxophonspieler abgebildet - und damit gleich ein Musikstil ins Bild gebracht, der unter diesem Begriff diffamiert wurde: Der Jazz, der in den 20er Jahren seinen Siegeszug von New Orleans über New York nach Europa angetreten hatte.
Ebenso fielen die gesamte atonale Musik und vor allem Werke jüdischer Komponisten unter die von den Nazis als "entartet" verbotene Musik. Ein willkürlicher Begriff also für ein Konglomerat an stilistisch vollkommen verschiedenen Werken. Trotz aller Bedenken hat sich der Begriff "Entartete Musik" mittlerweile vor allem außerhalb des deutschen Sprachraums für die so vielfältige Musik der im Dritten Reich verfemten Komponisten durchgesetzt.

"Irrelohe", Anne Gjevang und KS Kurt Schreibmayr

Die meisten der betroffenen Musiker gingen damals ins Exil - sofern dies noch rechtzeitig möglich war. Ein enormer Verlust für das europäische Musikleben war die Folge und betraf Oper und Operette genauso wie das gesamte Konzertrepertoire, den Schlager und das Kabarett. Zahlreiche Künstler und ihre Musik gerieten durch das Aufführungsverbot für lange Zeit in Vergessenheit.

"Irrelohe", Wolfgang Koch und KS Kurt Schreibmayr

Die Volksoper Wien zeigt in dieser Saison gleich vier Werke von Komponisten, deren Musik ehemals den Stempel "entartet" trugen: Franz Schrekers "Irrelohe" (ab 16. Oktober), "Die Vögel" von Walter Braunfels (ab 1. November), "Der König Kandaules" von Alexander Zemlinsky (ab 7. November) sowie "Die Herzogin von Chicago" von Emmerich Kálmán (ab 11. Dezember). Die Premiere von Korngolds "Die tote Stadt" am 18. Dezember in der Wiener Staatsoper ergänzt die Reihe.

"Irrelohe", John Uhlenhopp und Heidi Brunner

Anlässlich dieses Schwerpunkts im Spielplan veranstaltete die Volksoper am 14.und 15. Oktober 2004 ein Symposium zum Thema "Entartete Musik - Wieder entdeckt". Es galt einen Blick auf das Leben der Komponisten zu werfen, sich mit den Werken und ihrer Entstehungszeit zu beschäftigen sowie den Moment der Verbannung und seine Folgen für Künstler und Werk zu betrachten, genauso aber auch die Momente der Wiederentdeckung. Hochkarätige Referenten, die in den letzten Jahren durch ihre Arbeit viel zur Wiederentdeckung der gezeigten Werke beigetragen haben, waren hierzu in Wien versammelt.


"Der König Kandaules", KS Wicus Slabbert und Chor

Die Beschäftigung mit dem Thema zeigte, dass die so genannte Zwischenkriegszeit des letzten Jahrhunderts bis heute aus dem Bewusstsein verdrängt wird und daher wenig Wissen und schon gar keine Klarheit über diese Zeit besteht; dass, weil diese Zeit immer noch negativ besetzt ist, es bis heute Berührungsängste mit vielem gibt, was dort künstlerisch entstand - vor allem mit Werken, die sehr viel vom Geist dieser Zeit in sich tragen, dazu gehört auch "Irrelohe" von Franz Schreker.


"Der König Kandaules", KS Kurt Schreibmayr und Gertrud Ottenthal

Die Auslöschung der Erinnerung an den einstigen Erfolgskomponisten begann genau wie bei Braunfels, Korngold oder Zemlinsky mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933. Der kulturelle Kahlschlag war jedoch nicht das alleinige Verdienst der Nazis. "Der Musikvernichtungskrieg wurde nach Ende des Dritten Reiches nahtlos fortgesetzt", so Michael Haas, Initiator der Reihe "Entartete Musik" bei Decca. Zahlreiche ehemals verbotene Werke hat Haas seit Mitte der achtziger Jahre in dieser Reihe eingespielt und damit wesentlich zur Wiederentdeckung derselben beigetragen. Haas geht soweit zu sagen, "dass es nach dem Krieg eine Fortsetzung der nationalsozialistischen Kulturpolitik mit anderem Vokabular gab."

"Die Vögel", KS Edith Lienbacher

Grund für diese Behauptung ist die Tatsache, dass nach 1945 noch immer dieselben Leute an den Schlüsselpositionen des Musikbetriebs saßen wie in der Nazizeit. Bezeichnendes Beispiel hierfür: Der angehende Musikwissenschaftler Gösta Neuwirth durfte im Jahr 1962 keine Arbeit über Franz Schreker schreiben. "Über einen Juden können Sie bei mir nicht promovieren!" war die Reaktion von Erich Schenk, Ordinarius für Musikwissenschaft an der Universität Wien, auf die vorgelegte Dissertation. Als Neuwirth seine Arbeit schließlich 1962 in Berlin abdruckte, wurde sie von keiner einzigen Fachzeitschrift rezensiert, obwohl der Beginn der Wiederentdeckung Schrekers ganz wesentlich von dieser Arbeit ausging.

"Die Vögel", KS Edith Lienbacher und Chor

Nach dem Krieg galt als modern und damit anerkannt, jene Musik, die sich von der Tonalität abgewandt hatte. Schreker z.B. galt als "Lachnummer" (Michael Hass), Korngold als "Filmkitschkomponist". "All jene, die an ihrer Tonalität festgehalten hatten, wurden nach 1945 ein zweites Mal vertrieben", konstatierte Peter Blaha, Chefdramaturg der Wiener Staatsoper.

Die Auswirkungen auf den Musikbetrieb sind bis heute spürbar und nicht mehr rückgängig zu machen: "Dieses Nichtleben, kann man doch nie, nie nachholen!" schrieb Alma Rosé 1941 in einem Brief, bevor sie nach Jahren der Flucht schließlich im Konzentrationslager ums Leben kam. Rückgängig machen, wiedergutmachen kann man nicht – aber wieder entdecken. Das ist das zentrale Anliegen der Volksoper Wien in der ersten Hälfte der Saison 2004/05. Die vehementen Bravo-Rufe am Ende der Vorstellungen von "Irrelohe", "Die Vögel" oder auch "Der König Kandaules" zeigen, das die Werke zu Unrecht in Vergessenheit geraten sind und sich langsam eine Renaissance anbahnt.

Die Fotos wurden uns freundlicherweise von der
Volksoper Wien zur Verfügung gestellt.

Zurück

 
webmaster@david.juden.at

Unterstützt von haGalil.com
haGalil onLine