Fünf Jahre nach dem Ende der kommunistischen Diktatur in
Rumänien, 1995, wurde in Bukarest ein jüdischer Verlag gegründet mit heute
weltweit höchsten Buchauflagen. Über die Entstehung und Bedeutung der
Editura Hasefer und die Verbreitung von jüdischer Literatur, Kunst,
Geschichte und Philosophie sprach unser Mitarbeiter Dr. Claus Stephani
(München) mit dem Verlagsleiter Prof. Alexandru Singer in
Bukarest.
Prof. Alexandru Singer, Leiter des Hasefer Verlags, im
Gespräch mit Staatspräsident Moshe Katzav bei der diesjährigen
internationalen Buchmesse in Jerusalem. Im Hintergrund Messedirektor Zev
Birger
DAVID: Herr Prof. Singer, erlauben Sie uns, Ihnen
zuerst eine persönliche Frage zu stellen. Würden Sie unseren Lesern etwas
über Ihren bisherigen Lebensweg erzählen?
Singer: Gern. Mein Weg ist der eines Ostjuden.
Ich bin 1932 in der Hafenstadt Braila geboren und wuchs, wie das damals so
war, zweisprachig auf jiddisch und rumänisch. Aus Braila stammen übrigens
auch der heute international bekannte Schriftsteller Mihail Sebastian und
der Avantgardekünstler Maximilian Herman Maxy. Von meinen Großeltern, die
von jiddischer Kultur und Tradition geprägt waren damals eine lebendige
und farbige Welt , erhielt ich als kleiner Junge auch eine
richtungsweisende Einführung ins Judentum, die mich später immer begleitet
hat. Als wir dann 1940 nach Bukarest übersiedelten, erlebte ich unmittelbar
das, was man heute mit Holocaust bezeichnet; doch jeder von uns hat seinen
persönlichen Holocaust, sein eigenes Schicksal ertragen müssen. Bei mir,
damals ein kleiner Junge, waren es der Ausschluß aus der Schule, die
täglichen Todesdrohungen, die öffentlichen Schläge auf der Straße, Hunger
und Not und schließlich die Zwangsarbeit...
Meine Kindheit endete schmerzlich, als eines Tages der
Leiter der Lucaci-Schule in die Klasse kam, mich am Ohr faßte und so
hinauszerrte: "Weg mit dir! Juden haben hier nichts mehr zu suchen!" Ich
wurde dann bald zur Zwangsarbeit eingezogen, mußte auf Gemüseplantagen
arbeiten, oder im Winter auf den Bukarester Straßen Schnee schaufeln,
zwischendurch mußte ich auch die faschistische und antisemitische
Tageszeitung "Curentul" austragen. Dann wurde mein Vater zu einem
Arbeitsdetachement eingezogen, zum Deichbau am Serethfluß, und zeitweilig
war ich auch dort im Zwangseinsatz. Doch eines konnte man mir nicht nehmen:
die Freude am Lesen und Lernen, und so wurde ich zuerst ein Self-made-man
und eignete mir selbst durch Lektüre ein reiches Grundwissen an.
DAVID: Gibt es ein besonderes Erlebnis aus jener
Zeit, das Sie uns erzählen würden?
Singer: Es wäre sehr viel zu erzählen. Ich habe
einiges bereits veröffentlicht, und ich könnte stundenlang über jene Zeit
berichten. Ein Ereignis, vielleicht damals in mancher Hinsicht alltäglich,
doch von bleibendem Eindruck, war jener Moment, als nach dem 23. August 1944
mein Vater aus dem Arbeitslager vom Serethfluß zurückkehrte und plötzlich
vor der Tür des Hauses stand, wo wir im Holzkeller wohnten. Er bat Mutter um
eine große Waschschüssel mit heißem Wasser, etwas Petroleum und ein Stück
Seife. Wir durften uns ihm nicht nähern, denn auf seinem Körper wimmelte es
von Läusen. Ich habe den Anblick bis heute nicht vergessen. Vater ging dann
hinaus auf die Straße, zog sich nackt aus, legte die Lagerkleidung auf einen
Haufen, schüttete ein wenig Petroleum darüber und zündete das an. Dann wusch
er sich sorgfältig und kam schließlich nackt und barfuß ins Haus...
DAVID: Sie haben dann später Ihre Schulbildung
abschließen und studieren können.
Singer: Das war nach 1945. Mein
Philosophiestudium an der Bukarester Universität schloß ich 1957 ab, und
danach wurde ich Professor in Oradea (Großwardein), nachdem ich dem Drängen
der damaligen Parteisekretärin Tamara Dobrin von der Philosophischen
Fakultät nicht nachgegeben hatte: Sie verlangte nämlich, ich solle meinen
Familiennamen rumänisieren. Das war damals so üblich, daß ein Jude, wollte
er Karriere machen, seinen deutschklingenden Namen ändern mußte. Ich lehnte
das ab und habe mich dann aber doch als Pädagoge, Wissenschaftler und
Publizist im Fachbereich der Soziologie behaupten können, so daß ich 1972
nach Bukarest zurückkehren durfte, um mit Prof. Octavian Neamtu einem der
hervorragendsten Vertreter der Soziologischen Schule, die nach 1930 vom
renommierten Prof. Dimitrie Gusti begründet worden war zusammen zu
arbeiten. Nachdem die Verbreitung unserer wissenschaftlichen
Veröffentlichungen von den damaligen Behörden untersagt wurde und sie immer
den Stempel "Bun pentru arhive" (Gut für die Archive) erhielten, arbeitete
ich auch als Leiter des Bukarester Kinderbuchverlags. Im Jahr 1990 ging ich
dann in Rente.
DAVID: Als Schriftsteller, Soziologe und
Kulturwissenschaftler haben Sie inzwischen auch eine Reihe von Büchern
veröffentlicht.
Singer: Ich möchte hier nur auf einige Titel
hinweisen: "Der Mensch ist wie das Gras... Dialoge", "Das Schicksal der
Großeltern und die Zeiten der Enkel", "Eindrücke aus der Vergangenheit. Für
ein zukünftiges Europa", "Der Alptraum des Wahljahres", "Die Pragmatik des
Wartens". Doch wir wollten eigentlich über unseren Verlag sprechen.
DAVID: Wann wurde die Editura Hasefer
gegründet?
Singer: Der Name Hasefer hebräisch: Das Buch
stammt von einer traditionsreichen jüdischen Buchhandlung, die sich vor
dem Zweiten Weltkrieg in der Strada Karagheorghevici, zwischen der Lipscani
und der Calea Victoriei, befand und einem Herrn Steinberg gehörte. Die
Libraria Hasefer "verschwand" in den Jahren des Holocaust. Es
heißt, daß ein Nachkomme Steinbergs in Paris lebt. In dieser Buchhandlung
befand sich auch eine bekannte Kunstgalerie, wo in den 20er Jahren des
vergangenen Jahrhunderts einige später international bekannte
Avantgardekünstler ihre frühen Arbeiten ausstellten, so Marcel Janco, Victor
Brauner, Margareta Sterian, der Siebenbürger Mattis-Teutsch (1929 zeigte er
hier seine erste große Retrospektive) und andere. In der Sammlung der
Akademie-Bibliothek befindet sich übrigens noch ein Plakat der
Hasefer-Galerie.
Der Hasefer Verlag wurde 1995 auf Anregung von
Akademiemitglied Prof. Dr. Nicolae Cajal gegründet, der damals Vorsitzender
der Föderation der Jüdischen Gemeinden Rumäniens war. Auf seine Bitte hin
begann der verdienstvolle Literaturwissenschaftler Zigu Ornea ein
Verlagskonzept und einen Verlagsplan zu entwerfen. Diesem Vorhaben lag die
Absicht zugrunde, dem aufkommenden Antisemitismus einen
Realsemitismus entgegen zu stellen. Denn der Grundgedanke dieses Anfangs
war Cajals Ausspruch: "Kennenlernen bringt einander näher Unkenntnis
entfernt uns". Mit anderen Worten: Die verlogenen Mythen des Antisemitismus
und Antijudaismus, die nach der Wende, 1990, wieder zum Vorschein kamen,
kann man nur so glaubhaft enttarnen, indem durch gute Bücher auf die
bedeutsame Rolle des Judentums und den jüdischen Beitrag zur Weltkultur und
Kunst hingewiesen wird. Obwohl die Zahl der jüdischen Einwohner Rumäniens
zurückgeht, gewinnt unsere Tätigkeit trotzdem langsam aber sicher weltweit
immer mehr an Bedeutung.
DAVID: Seit wann leiten Sie den Hasefer Verlag?
Singer: Am 1. Mai 1995 bat mich mein Freund und
Studienkollege Zigu Ornea bei der Erstellung des neuen Verlagsprogramms
mitzuwirken. Bis zu jenem Zeitpunkt waren bereits einige Bücher zur
Geschichte des Judentums im Rahmen des Jüdischen Forschungszentrums
erschienen; ich beziehe mich dabei besonders auf die Werke des Oberrabbiners
Dr. Moses Rosen. Doch nun begannen wir, außer der weiterhin erscheinenden
Dokumentenreihe zum rumänischen Judentum auch andere Buchreihen
herauszubringen Judaica, Memorialistik, Kunstalben, Wörterbücher u.a. ,
und wir waren bemüht, hervorragende jüdische Schriftsteller Rumäniens, wie
M. Blecher, F. Aderca, I. Peltz, B. Fundoianu, E. Dorian sowie jene, die das
Land verlassen hatten Norman Manea, Alexandru Sever, Shaul Carmel, Virgil
Duda wieder auf den einheimischen Büchermarkt zu bringen. Hinzu kamen dann
auch Werke der Weltliteratur von Josephus Flavius, Philon von Alexandrien,
Martin Buber, Elie Wiesel der übrigens aus der nordrumänischen Stadt
Sigeth stammt , E. Levinas, L. Poliakow, S. Dubnow u.a.
Besonderen Erfolg, auch auf dem ausländischen Markt,
hatten wir dann mit Büchern bzw. Übersetzungen von Josephus Flavius, Thomas
Mann, Elie Wiesel, Isaac Bashevis Singer, Raul Hilberg, Alexandru Safran,
Norman Manea, Luci Davidovici, Carol Iancu, Lya Benjamin, Iosif Sava, Harry
Kuller, Radu Cosasu, um nur einige große Namen zu nennen.
DAVID: In Deutschland, Österreich und der Schweiz
gibt es mehrere Verlage, die vorwiegend jüdische Literatur veröffentlichen.
Es heißt, daß Hasefer weltweit die höchste Bücheranzahl herausbringt.
Wieviele Buchtitel sind bisher bei Ihnen erschienen?
Singer: Seit 1995, d.h. in etwa neun Jahren, über
250 Titel. Davon knapp 40 Veröffentlichungen zur Geschichte des Holocaust.
Kürzlich erklärte der Joint, daß Hasefer derzeit der bedeutendste Verlag
einer jüdischen Gemeinde ist. Dabei besteht unser Verlagskollektiv aus
wenigen, doch ungewöhnlich tatkräftigen und fleißigen Mitarbeitern, d.h. wir
haben einen einzigen Redakteur, das ist der Schriftsteller Stefan Lures,
einen Korrektor, Willi Auerbach, einen Technoredakteur, Gh. Chiru, eine
Buchhalterin, eine Sekretärin, zwei Damen, die den Versand betreuen und
einen Kurier. Das ist alles. Wir haben dann auch einige außergewöhnliche
externe Mitarbeiter, bekannte Schriftsteller, Kritiker und
Kulturwissenschaftler, wie Ion Acsan, Ion und Janina Ianosi, Ileana Popovici
und Horia Arama.
DAVID: In welchen Sprachen erscheinen Ihre
Buchausgaben?
Singer: Einmal rumänisch davon geht ein Teil
auch nach Israel und Westeuropa , dann englisch, hebräisch, deutsch und in
zweisprachigen Ausgaben, englisch-rumänisch. Das betrifft alle acht
Buchreihen, nämlich Judaica, Biographien (Al. Safran, Henri Wald, A. Stern
u.a.), Geschichte, Essays , Nobelpreisträger (Singer, Wiesel, Saul Bellow),
Neuauflagen, Nachschlagewerke zur Judaistik und Kunstalben (Bildbände über
jüdische Kunst und einzelne Künstler, Synagogen, Kultgegenstände u.a.). Wir
haben, wie bereits angedeutet, ein thematisch weitgefächertes Programm.
DAVID: Könnten Sie uns einige Titel nennen, die
in letzter Zeit in deutscher Sprache erschienen sind?
Singer: Besonderen Erfolg hatten wir bisher mit
den Büchern von Victor Rusu ("Damals im Schtetl. Jüdisches Leben in
Rumänien"), Andrei Voinea ("Jüdische Zwangsarbeiter in Rumänien,
1940-1944"), Mirjam Bercovici und Benno Hoisie ("Die Letzten vielleicht").
Wir stehen in guten Beziehungen zu einer Reihe von deutschen Verlagen wie
z.B. Eugen Diederichs in München, mit dem wir soeben eine rumänische
Ausgabe, "Basme evreiesti", der "Ostjüdischen Märchen" von Claus Stephani
herausgebracht haben ; dann aber sind wir auch im Austausch mit
Verlagshäusern in den USA, in Frankreich und England. Bei den
internationalen Buchmessen in Frankfurt, Leipzig und Jerusalem hatten unsere
Bücher, auch wegen der hohen drucktechnischen Qualität, besonders großen
Erfolg.
DAVID: Vor dem Holocaust gab es in Rumänien über
850.000 jüdische Einwohner, und in vielen kleineren Ortschaften,
Schtetlech, lebten vorwiegend oder ausschließlich jüdische Bewohner.
Wieviel Juden gibt es heute noch im Land? Gehören sie zu den Käufern
jüdischer Literatur?
Singer: Nach 1940 wurden die Juden Siebenbürgens
(430.000) von den ungarischen Faschisten nach Kaschau und von dort nach
Auschwitz deportiert. Die Juden im damaligen Restrumänien (420.000)
"transferierte" Antonescu nach Transnistrien, wo 270.000 in Arbeits- und
Vernichtungslagern starben. Heute leben noch etwa 9000 Juden in Rumänien,
davon 4000 in Bukarest. Größere Gemeinden gibt es noch z.B. in Timisoara (Temeswar),
Iasi (Jassy), Cluj-Napoca (Klausenburg), Târgu Mures (Neumarkt), Arad,
Oradea (Großwardein), Baia Mare (Neustadt) und Sighetul Marmatiei (Sigeth).
Die Hasefer-Bücher werden allerdings meist vom rumänischen Leserpublikum
gekauft, das wir ja auf diesem Weg auch erreichen wollen.
Wir bereiten übrigens jetzt für 2005 die Herausgabe der
Essays von Finkielkraut vor, dann eine rumänische Übersetzung des berühmten
Buches von Hans Küng, "Das Judentum", neue Romane von Isaac Bashevis Singer,
Werke von Rabbi I. Niemerover und vom Oberrabbiner Rumäniens Menachem
Hacohen sowie ein neues Buch von Claus Stephani, mit Erinnerungsgesprächen
über Leben und Leiden der Juden in Viseu de Sus (Oberwischau/Ostmarmatien).
DAVID: Es gibt ein Foto aus der Zeit des
Holocaust. Darauf ist ein alter Ostjude zu sehen, im Kaftan und mit
schwarzem Hut. Ihm zur Seite gehen zwei höhnisch lachende deutsche Soldaten.
Es ist eindeutig: der Jude geht seinen letzten Weg. Er besitzt nichts mehr,
nur in der einen Hand hat er ein Sefer, ein Buch. Wahrscheinlich ein
Gebetbuch. Ha Sefer ist sein einziger Begleiter in den Tod.
Der Fotograf war sicher ein Nazi, und er ahnte damals nicht, daß er uns, der
Nachwelt, damit etwas vermitteln wird.
Singer: Das ist anzunehmen. Denn Bücher und
Judentum haben immer zusammen gehört. Auch Paul Celan hatte einst gesagt,
daß in der bukowinischen Hauptstadt Czernowitz vor 1918 auch "Klein-Wien"
genannt, mit vorwiegend jüdischen Einwohnern einst "Menschen und Bücher
lebten". Das Buch, ich meine das Wissen und die Bildung, waren aber immer
auch eine "Waffe" des Judentums. Wir haben in der Diaspora beinahe 2000
Jahre überlebt, weil wir das Wissen um unsere Herkunft und Identität hatten
und das bewahren konnten. Das Wissen aber war im Buch.
DAVID: Eine letzte Frage. Wo kann man in
Westeuropa Bücher des Hasefer Verlags bestellen?
Singer: In den Buchhandlungen, doch auch
unmittelbar beim Verlag kann man Bestellungen machen. Wir beantworten jede
Anfrage unsere E-mail lautet: hasefer@fx.ro , auch in deutscher
Sprache.
DAVID: Herr Professor Singer, wir danken Ihnen
für dieses aufschlußreiche Gespräch.
Das Gespräch mit Prof. Singer wurde am 12. Oktober 2004 geführt und
aufgezeichnet.