Zwischen Privilegierung und Verfolgung
Jüdisches Leben im Mittelalter in Niederösterreich
Eveline BRUGGER und Birgit WIEDL
Besiedelung und Gemeinden
Abgesehen von ins Reich der legendenhaften Geschichtsschreibung gehörenden
Berichten über jüdische Siedlungen in biblischer Zeit ist die sogenannte
Raffelstettener Zollordnung (Ennser Raum, um 903/906) das erste Dokument über
das Auftreten von Juden auf heute österreichischem Gebiet; in den darin
Genannten sind jedoch keine Ansässigen, sondern lediglich durchreisende Händler
zu sehen. Auch die Klosterneuburger Nennungen des späten 12. und frühen 13.
Jahrhunderts sind nicht als Beweis für jüdische Siedlungstätigkeit zu werten, da
es sich bei diesen Personen zweifelsfrei um Christen handelte, die die
Bezeichnung "iud(eus)" als Bei- bzw. Familienname führten.
Der erste nachweisbar auf dem Gebiet des heutigen Niederösterreich bzw. Wien
lebende Jude war der Münzmeister Herzog Friedrichs I., Schlom, der 1196 mit
seiner Familie von Kreuzfahrern ermordet wurde. Obwohl die Nennung Schloms quasi
eine Einzelerscheinung darstellt, lässt die erste Erwähnung der Wiener Synagoge
1204 auf das Vorhandensein einer Wiener Gemeinde bereits um 1200 schließen.
Generell ist die Kenntnis jüdischer Personen in dieser Zeit auf einige wenige
Einzelpersonen beschränkt, die zur obersten sozialen Schicht der Bevölkerung
gehörten - so etwa der im ungarisch/österreichischen Grenzraum tätige und sowohl
mit dem ungarischen König als auch dem österreichischen Herzog in Kontakt
stehende Teka (um 1220) oder die Brüder Lublin und Nekelo (um 1250), die
ebenfalls in diesem Gebiet greifbar sind.
Im Jahr 1239 treffen wir erstmals auf gesicherte Nachrichten über jüdische
Besiedelung auf niederösterreichischem Gebiet außerhalb Wiens, nämlich in Krems
und Wiener Neustadt, wo auch in weiterer Folge die beiden größten und
bedeutendsten Gemeinden entstehen sollten. 1239 gutachtete der Wiener Rabbiner
Isaak bar Mosche Or Sarua gemeinsam mit dem Wiener Neustädter Rabbiner Chaim bar
Mosche über eine angeblich gefälschte Heiratsurkunde (Ketubba), aus dem gleichen
Jahr datiert eine Rechtsbestimmung Herzog Friedrichs II., die den Juden Wiener
Neustadts die Ausübung öffentlicher Ämter verbot. Dies, zusammen mit den Belegen
über die Tätigkeit weiterer Rabbiner, den ältesten Grabsteinen (1252 Simcha ben
Baruch, 1285/88 Gita/Guta/Mata, Frau des Schalom) sowie der Erwähnung einer
Synagoge in der aus dem Ende des Jahrhunderts stammenden Stadtrechtsfälschung
lassen auf die Existenz einer bereits in dieser Zeit bedeutenden Gemeinde
schließen.
Für Krems sind die Nachrichten spärlicher: für das Jahr 1239 ist ein Jude namens
Bibas belegt, dessen Zuordnung zu Krems allerdings erst 1247 getroffen werden
kann; die Nennung eines "Judenmeisters" (deutsche Bezeichnung für Rabbiner)
namens Smoiel im Jahr 1291 lässt jedoch ebenfalls auf das Vorhandensein einer
Gemeinde schließen. Weiters sind in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts
Nachweise aus Tulln, Klosterneuburg, St. Pölten und Laa/Thaya erhalten. Diese
Nennungen bedeuten jedoch noch lange nicht die Existenz einer Gemeinde, es
dürfte sich in den meisten Fällen eher um einzelne Familien bzw. teilweise sogar
um Einzelpersonen handeln, wie es auch in der späteren Zeit für die kleineren
Landstädte wahrscheinlich ist.
Eine jüdische Gemeinde stellte sozusagen eine "Gemeinde in der (Stadt-)Gemeinde"
dar und war mit gewisser rechtlicher Autonomie versehen, vergleichbar etwa mit
den Handwerkszechen der Städte, denen ebenfalls gewisse Autonomien zugestanden
und gewisse Aufgaben zugeteilt wurden. Die Hauptaufgaben der Gemeinde bestanden
neben einer Vertretung der Judenschaft nach außen, d.h. gegenüber dem
christlichen Umfeld und der Steuereinhebung vor allem in innerorganisatorischen
Aufgaben religiöser und weltlicher Art. Darunter fiel die Sorge für Recht und
Ordnung nach halachischen Gesetzen (exekutive Gewalt: rabbinisches Gericht Bet
Din, v.a. Ehe- und Erbrecht, Fragen des Miteinanderlebens) und der Schutz der
Ehre der Gemeindemitglieder, aber auch die Verwaltung des Gemeindebesitzes sowie
soziale Aufgaben (Zedaka) d.h. die Bereitstellung eines sozialen Auffangnetzes,
das sowohl "einheimischen", d. h. gemeindeinternen Armen ohne ausreichende
Steuergrundlage, mittellosen Studenten, aber auch Durchreisenden zugute kam.
Jedes Gemeindemitglied hatte regelmäßig einen bestimmten Betrag, berechnet an
der Höhe des Vermögens, an die Gemeinde abzuliefern, dazu kamen als potentielle
Einnahmen Buß- und Strafgelder sowie freiwillige Spenden.
Für die Existenz einer Gemeinde war das Vorhandensein einer gewissen
Infrastruktur als Voraussetzung anzusehen (Synagoge, Rabbiner, Friedhof, Mikwe,
Minjan). Geographisches und auch symbolisches Zentrum einer Gemeinde war die
Synagoge, deren Schutz im Rahmen des allgemeinen Judenschutzes dem Landesherren
oblag. Die Synagoge war neben ihren religiösen Funktionen der Ort der
innerjüdischen Gerichtsbarkeit, Ort der Ankündigungen, auch herrschaftlicher
Maßnahmen, aber auch der Schlichtung christlich-jüdischer Streitigkeiten, sie
war auch Ort der Ablegung des Judeneides, der Ort der öffentlichen Buße und
Strafe. Synagogen in Niederösterreich sind relativ zahlreich belegt, und zwar in
Wiener Neustadt, Krems, Tulln, Hainburg, Hadersdorf (?), Klosterneuburg,
Korneuburg, Bruck an der Leitha, Neunkirchen und Mödling. Wesentlich seltener
dokumentiert sind Friedhöfe; aus der frühen Zeit sind lediglich einzelne
Grabsteine (ältester: Wiener Neustadt 1252) erhalten, erst 1368 ist der Friedhof
der Gemeinde Wien urkundlich belegt; nachweisen lassen sich Friedhöfe nur für
die beiden großen Gemeinden Niederösterreichs, Wiener Neustadt und Krems,
möglicherweise auch für Hainburg.
An der Spitze einer Gemeinde standen der bzw. die Gemeindevorsteher
(Parnass/im). Die Inhaber dieses prestigeträchtigen Amtes wurden von den
Gemeindemitgliedern (stimmberechtigt = steuerzahlend) gewählt, tlw. auch durch
das Los bestimmt, entstammten zumeist der Oberschicht und waren oft mit eigenen,
persönlich gebundenen Privilegien ausgestattet. Sie waren für die Leitung der
Gemeindeinstitutionen und funktionen zuständig, ihre Hauptaufgabe nach außen
ist wohl in der Steuereinhebung zu sehen.
Im 14. Jahrhundert kam es im österreichischen Raum zur Ausbildung von Jeschiwot,
die sich über die engen lokalen Grenzen hinaus einen Namen machen konnten; eine
Entwicklung, die auch im Zusammenhang mit den Mitte des Jahrhunderts in
Deutschland auftretenden Pestverfolgungen, denen ganze Gemeinden zum Opfer
fielen, in Zusammenhang zu sehen ist. Im österreichischen Ritus und
Gewohnheitsrecht (Minhag) finden sich in vielen Einzelheiten Unterschiede zu der
Tradition am Rhein, in Schwaben und Franken, nicht nur bei der Aussprache des
Hebräischen im Gottesdienst, in Wortlaut und Melodie verschiedener Gebete sowie
der Auswahl zusätzlicher fakultativer Gebete, sondern auch in Bereichen der
Reinheitsvorschriften, Schächtregeln und Speisevorschriften sowie bei Bräuchen
wie Trauerriten, Beschneidungs- und Hochzeitsbräuche u.Ä.; die genaue Kenntnis
dieser Unterschiede war in Gelehrtenkreisen außerordentlich wichtig. Zentren
jüdischer Gelehrsamkeit entstanden neben Wien vor allem in Wiener Neustadt und
Krems, wobei die führende Gruppe der österreichischen Gelehrten großteils
untereinander engstens verwandt war, alle Mitglieder der kleinen gelehrten und
oft auch wirtschaftlich führenden Oberschicht; über die unteren Schichten sind
kaum Nachrichten überliefert.
Einer der wichtigsten Rabbiner war der im frühen 14. Jahrhundert in Krems
ansässige Israel, der nicht nur einiges an bedeutendem Schriftgut hinterließ,
sondern auch Stammvater einer der reichsten und gelehrtesten Familien
Österreichs war. Sein Sohn Hetschel war in Herzogenburg sowohl als Geldleiher
als auch als Toragelehrter tätig, einer von Israels Enkeln, Aron Blümlein,
amtierte in Krems und Wien als Rabbiner und wurde im Zuge der Wiener Gesera
ermordet. Die zentrale Persönlichkeit des jüdischen Lebens vor der Wiener Gesera
war wohl der Wiener Neustädter Rabbiner Schalom ben Isaak (ca. 1415). Bereits
sein Vater dürfte die Jeschiwe in Wiener Neustadt geleitet haben, Schalom war
zunächst in Wien tätig und kehrte dann nach Wiener Neustadt zurück. Sein Ruf
ging weit über die österreichischen Grenzen hinaus, so wandte man sich aus
Deutschland, Polen und Ungarn mit Anfragen an ihn, einer seiner Studenten war
Aron Blümlein.
Der berühmtester Rabbiner Wiener Neustadts und zugleich einflussreichste
Gelehrte nach der Wiener Gesera war Israel bar Petachja, genannt Isserlein,
Urenkel des Israel von Krems und Enkel des Hetschel von Herzogenburg. Seine
erste Tätigkeit ist in Marburg, seinem Geburtsort nachzuweisen, um die Mitte des
15. Jahrhunderts übersiedelte er nach Wiener Neustadt, wo er eine weithin
bekannte Jeschiwa leitete, ohne deshalb seine Kontakte nach Marburg gänzlich
aufzugeben.
Neben diesen großen Zentren existierte auch jüdische Besiedelung in kleineren
Städten bzw. Ortschaften. Größere Ansiedlungen dürften in St. Pölten und
Klosterneuburg bestanden haben. In St. Pölten sind bereits 1299 jüdische
Geldverleiher tätig; für Klosterneuburg lässt sich ebenfalls bereits seit dem
Ende des 13. Jahrhunderts jüdische Besiedelung nachweisen (1295 Chasdai, in der
Zeugenliste werden sieben weitere Juden genannt, die allerdings nicht alle in
Klosterneuburg ansässig gewesen sein mussten), mit der Jüdin Plume und ihren
Nachfahren, darunter dem berühmten David Steuss, einem der prominentesten
Geldverleiher der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, war eine der
finanzkräftigsten Familien Niederösterreichs in Klosterneuburg ansässig.
Herzogenburg als Sitz des Gelehrten und Geldverleihers Hetschel wurde bereits
erwähnt, in Hainburg ist aufgrund der vorhandenen Infrastruktur (Synagoge,
Mikwot, möglicherweise Friedhof) ebenfalls eine größere Ansiedlung zu vermuten.
Schwieriger ist die Einschätzung der ab dem Anfang des 14. Jahrhunderts in
etlichen kleineren Ortschaften auftretenden jüdische Präsenz, unter anderem
Zwettl, Horn, Gars, Traiskirchen, Eggenburg, Zistersdorf, Gmünd und Weitra; in
den meisten dieser sowie der im Rahmen der Pulkauer Verfolgung genannten
kleineren Orten handelte es sich mit bei den Nennung auch zugleich um den
einzigen Beleg für jüdische Einwohner, es dürfte sich also um wenige, wenn nicht
nur jeweils eine Familie gehandelt haben, die vielleicht auch nur zeitweise in
dem kleinen Ort ansässig war.
Rechtliche Stellung
Unter Judenrecht versteht man allgemein die Gesamtheit der Satzungen und
Regelungen, die der jüdischen Bevölkerung vom Kaiser oder vom Landesherren
erteilt wurden. Ursprünglich lag die Vergabe solcher Rechte ausschließlich beim
Kaiser ("Judenregal"), der demzufolge auch den "Judenschutz" - die Unterstellung
der Juden unter seine Schutzherrschaft, d. h. seine direkte Autorität -
übernahm. Im Zuge des Territorialisierungsprozesses, der Herausbildung
territorialer Herrschaftsgebiete, ging dieser Judenschutz an die jeweiligen
Landesfürsten über, teilweise mit Zustimmung des Kaisers (Belehnung mit
Judenregal). Aus dieser direkten Unterstellung der Juden unter den Kaiser bzw.
Landesfürsten leitet sich der gängige Begriff der "Kammerknechte" ab, der eine
Zugehörigkeit der Juden zum Kammergut des Herrschers, also quasi zu seinem
"Privateigentum" bezeichnet.
Das Leben unter einem besonderen Rechtsstatus, wie es für die mittelalterlichen
und frühneuzeitlichen Juden die Regel war, ist in dieser Zeit keineswegs eine
Sondersituation - generell herrschte im Mittelalter eine Rechtsvielfalt, eine
parallele Existenz mehrerer, voneinander unabhängiger Rechtssysteme; es war im
Mittelalter und in der Frühen Neuzeit geradezu typisch, nicht oder zumindest nur
teilweise dem (sich in dieser Zeit erst herausbildenden) allgemeinen Land- oder
Stadtrecht unterworfen, sondern Mitglied einer Bevölkerungsgruppe zu sein, die
sich durch die Zuerkennung eines speziellen Rechtsstatus auszeichnet. Dies gilt
beispielsweise neben den Juden auch für den Klerus, für Universitätsangehörige,
"Ausländer"; aber auch die in etlichen Spezialbereichen des täglichen Lebens
existierenden Sonderregelungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen (beispielsweise
für Handwerker) gehörten zum mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Alltag.
Im Herzogtum Österreich entstand durch den vermehrten Zuzug von Juden spätestens
im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts die Notwenigkeit zur Regelung der
rechtlichen Stellung dieser Bevölkerungsgruppe. Politisch war diese Zeit der
österreichischen Geschichte gekennzeichnet durch den Konflikt zwischen dem
Stauferkaiser Friedrich II. und dem letzten Babenbergerherzog Friedrich II. "dem
Streitbaren", die im Rahmen dieser Auseinandersetzung auch den Judenschutz beide
für sich in Anspruch nahmen und zu nutzen versuchten.
Die ersten rechtlichen Regelungen treten im Rahmen der Privilegierung der Stadt
Wien aus dem Jahr 1238 auf. In dieser Verleihung diverser Rechte, die die Stadt
von Kaiser Friedrich II. als Dank für ihre Unterstützung in seinem Kampf gegen
den Babenbergerherzog erhielt, wurde unter anderem den Juden Wiens nicht (mehr)
gestattet, öffentliche Ämter auszuüben, eine Bestimmung, die auf kirchliche
Satzungen, nämlich das Vierte Laterankonzil zurückging. Diese Regelung zielte
einerseits auf eine Privilegierung der Wiener Bürger, die selbst Interesse an
den meist lukrativen Hofämtern hatten, ab; andererseits war sie wohl kaum an die
Judenschaft generell, sondern lediglich an die (finanzkräftigen) Spitzen
derselben gerichtet. Jüdische Amtsträger scheinen im österreichischen Raum (im
Gegensatz etwa zu Ungarn) keine größere Rolle gespielt zu haben, lediglich 1257
treten die beiden Juden Lublin und Nekelo als Kammergrafen (= Steuerpächter)
König Ottokars II. auf. Dennoch schien das Ämterverbot an Juden von einiger
Bedeutung zu sein, Herzog Friedrich II. zeichnete die ihm treu gebliebene Stadt
Wiener Neustadt 1239 mit einem Gegenstück zur kaiserlichen Bestimmung für Wien
aus, in das er dieses Verbot ebenfalls übernahm (die Privilegierung Wiener
Neustadts aus dem Jahr 1237 ist eine Fälschung).
Eine erste grundlegende Judenordnung wurde im Jahr 1238 durch Kaiser Friedrich
II. erlassen, der den Wiener Juden ein auf die Satzungen Kaiser Friedrichs I.
von 1157 für die Wormser Juden zurückgehendes Privileg verlieh. In diesem wurden
den Juden hauptsächlich wirtschaftliche Rechte zugestanden, aber auch einige
gerichtliche Bestimmungen getroffen (Definition des Kaisers als oberster
Gerichtsherr, Austragen interner Zwistigkeiten vor dem hier erstmals genannten
"Vorsteher" der Juden) sowie Schutzmaßnahmen (Verbot der Zwangstaufe)
ausgesprochen.
Auf eine dauerhafte Grundlage wurde die Rechtsituation der österreichischen
Juden sechs Jahre später durch Herzog Friedrich II. gestellt. Mit dem Erlass
seiner allgemeinen Judenordnung 1244 schuf er nicht nur eine für lange Zeit
gültige rechtliche Basis für die Juden Österreichs, sondern dieses Privileg
hatte Vorbildwirkung in zahlreichen angrenzenden Ländern (Böhmen, Ungarn, Polen,
Schlesien), von deren Herrschern es oft wortgleich übernommen wurde.
Dieses Privileg bot eine umfassende Regelung etlicher Bereiche jüdischen Lebens,
vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet. Hier sind es vor allem das Pfand- und
Kreditgeschäft, in denen die Juden weitgehende Sonderrechte erhielten und in
denen ihnen herzoglicher Schutz zugesichert wurde - eine Schädigung ihres Gutes
galt aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur herzoglichem Kammer als Schädigung dieser.
Obgleich ein großer Teil der Satzungen wirtschaftliche Bestimmungen bildeten,
sind auch etliche das allgemeine Leben betreffende Artikel zu finden. So wurde
etwa die Ermordung eines Juden mit der Todesstrafe geahndet, die Synagogen und
Friedhöfe unter Schutz gestellt. Die Juden wurden ausdrücklich aus der
Gerichtsbarkeit der Städte, also aus der Zuständigkeit des Stadtrichters
ausgenommen und direkt dem Herzog bzw. in dessen Stellvertretung dem obersten
Kämmerer, der hier zum ersten Mal als für die Juden zuständig genannt wurde und
in späterer Zeit noch weitere Kompetenzen erhalten sollte, unterstellt. Als
Gerichtsort wurde ausschließlich die Synagoge festgelegt (mit Ausnahme der
Ladung vor den Herzog selbst), als zuständig für die Schlichtung von
Streitigkeiten zwischen Juden und Christen wurde der sogenannte Judenrichter
nominiert - ein Christ, meist Mitglied einer angesehenen Bürgerfamilie. Der
erste namentlich bekannte Judenrichter Österreichs ist in Krems im Jahr 1264 zu
finden, im 14. Jahrhundert sind für eine ganze Reihe niederösterreichischer
Städte und Orte Judenrichter zumindest zeitweise nachweisbar, man versuchte auch
die Vorschrift durchzusetzen, dass sich die Juden alle ihre Pfänder und
Schuldurkunden vom Judenrichter bestätigen lassen mussten (erstmals 1338 im
Stadtrecht von St. Pölten vorgeschrieben). In den größten Gemeinden wurde der
Judenrichter durch ein gemischtes Judengericht ersetzt bzw. unterstützt
(Christen und Juden), das in Niederösterreich in Wiener Neustadt, Krems, Bruck
an der Leitha und Tulln belegt ist.
Mit der Judenordnung von 1244 hatte Friedrich II. einen entscheidenden Schritt
in Richtung Aneignung des Judenregals getan. Sein Nachfolger Ottokar II. Premysl,
Herzog von Österreich, König von Böhmen, folgte diesem Weg einer liberalen
Judenpolitik und bestätigte zunächst die Judenschutzbulle Papst Innozenz IV.,
in den Jahren 1255, 1262 und 1268 erneuerte er die Satzungen Friedrichs II.,
wobei er einige entscheidende Änderungen vornahm. So wurde etwa 1255 das kurz
zuvor durch den Papst erlassene Verbot der Blutbeschuldigung mit aufgenommen und
1262 der bis dahin seit 1244 festgesetzte Zinssatz von maximal 8 Pfennig pro
Pfund und Woche völlig freigegeben.
Nach der Herrschaftsübernahme durch die Habsburger bildete das Fridericianum
(unter Rücknahme der Ottokarischen Neuerungen) für lange Zeit weiterhin die
Basis, 1331 wurde den Herzögen Albrecht II. und Otto offiziell durch Kaiser
Ludwig den Bayern das Judenregal zugestanden (das sie de facto ja längst
ausübten). Mit Ausnahme eines verlorenen Privilegs von 1377 (lediglich die
Versicherung der Herzöge Albrecht III. und Leopold III. an die Stadt Wien, dass
dieser aus dem von ihr mitbesiegelten Privilegien für die Juden in Österreich
kein Schaden entstehen soll, ist erhalten) dauerte es bis zum Jahr 1397, bis ein
neues, allgemein gültiges Judenrecht in Österreich ausgestellt werden sollte.
Dieses basiert nur mehr zum Teil auf dem Privileg Friedrichs II. und ist
generell außerordentlich praxisorientiert (so enthält es beispielsweise die
Bewilligung, sich nach freiem Wunsch niederlassen zu können), zudem wurden
einige Bestimmungen hinzugefügt, die aufgrund der steigenden Rechtsunsicherheit
in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts notwendig geworden waren und die
teilweise in zuvor erlassenen Spezialprivilegierungen einzelnen Juden als
Sonderrecht zugestanden worden waren (so beispielsweise der Schutz vor
Tötbriefen, der Verzicht auf außerordentliche Steuern, Zusicherung von Hilfe
beim Eintreiben von Schulden).
Die bereits erwähnten Spezialprivilegierungen bildeten vor allem im 14., aber
auch bereits im 13. Jahrhundert eine weitere rechtliche Grundlage jüdischen
Lebens. Immer wieder wurden einzelne Juden von Seiten des Herrschers mit
weitreichenden Privilegien ausgestattet, wodurch die Herrscher diese - sehr
finanzkräftigen - Juden eng an sich zu binden gedachten. Im Laufe des 14.
Jahrhunderts kam es zu einer Verschlechterung der Rechtssicherheit, zu der in
nicht geringem Maße der Herzog selbst beitrug. Als ein wichtiges Machtmittel zur
Bevorzugung bestimmter Adeligen fungierten die sogenannten "Tötbriefe", in denen
der Herzog gewissermaßen den negativen Aspekt des Judenschutzes ausübte, indem
er zum Vorteil der adeligen Schuldner deren Schulden bei ihrem jüdischen
Gläubiger für "getötet", also für nicht mehr existent erklärte.
Neben diesen für alle Juden des Landes gültigen Rechte und die auf
Einzelpersonen beschränkten Spezialprivilegien existierten eine Reihe lokal
begrenzter Rechtssatzungen, die meist im Rahmen von Stadtrechten erlassen
wurden, diese betreffen meist Einschränkungen bzw. Modifikationen der -
ansonsten gültigen - allgemeinen Rechte der Juden.
So konnten etwa die Tullner Bürger 1276 von König Rudolf I. eine Limitierung des
1262 durch Ottokar freigegebenen Zinssatzes erreichen (die Stadt Tulln hatte
Rudolfs Partei ergriffen und wurde durch die Ausstellung dieses Privilegs wohl
dafür belohnt), die Reduzierung wurde jedoch ein Jahr später durch Rudolfs
Bestätigung des Fridericianums für die gesamte Judenschaft Österreichs ohnehin
bindend. Meist waren diese Bestimmungen also eng an die allgemeinen Judenrechte
angelehnt, so wurden etwa 1338 im Rahmen des St. Pöltener Stadtrechtes die
Pfandbestimmungen auf Gewand modifiziert verbot die Judenordnung Friedrichs
II. das Pfandnehmen auf blutiges oder nasses Gewand, dieses jedoch ohne
Ausnahme, so wurde es hier auf Messgewand und blutiges Gewand eingeschränkt,
dafür auf einige andere Objekte ausgeweitet.
Seltener werden Bestimmungen bezüglich Juden in Rechtssatzungen bestimmter
Bevölkerungsgruppen, zumeist Handwerkern, getroffen. Frühestes Beispiel ist die
Fleischhackerordnung der Stadt Tulln des Jahres 1267, in der ein Aufschlag auf
die an Juden verkauften Tiere vorgesehen wurde, der wohl darauf zurückzuführen
ist, dass die Juden die Schächtung selbst vornahmen und die Fleischhauer somit
einen Verdienstentgang hatten. 1316 ist mit dem Verbot König Friedrichs an die
Wiener Neustädter Juden, Gewand zu schneiden, möglicherweise ein kleiner Hinweis
auf jüdische Handwerkstätigkeit gegeben.
Der Hauptgrund des Interesses eines Landesfürsten an den Juden war im
finanziellen Bereich zu sehen, wozu neben der Deckung aktueller finanzieller
Bedürfnisse auch die allgemeine "Judensteuer" zu zählen ist. Diese ist im
Herzogtum Österreich (und gleichzeitig im Raum Niederösterreich) erstmals im
Jahr 1277 greifbar, als König Rudolf I. im Rahmen von Rechtsbestätigungen der
Stadt Laa/Thaya die Bestimmung erließ, die Steuern der Juden von Laa sollten als
ein Teil der Stadtsteuer eingehoben werden. Diese Einbeziehung der Judensteuer
in die allgemeine Bürgersteuer dürfte sich jedoch nicht durchgesetzt haben; aber
eine teilweise angenommene Einhebung der Steuern von der gesamten Judenschaft in
babenbergischer Zeit ist jedenfalls quellenmäßig ebenfalls nicht zu belegen.
Erste einigermaßen gute Aufschlüsse über die Steuerverpflichtung der
österreichischen Juden bringt ein Zahlungsversprechen König Friedrichs des
Schönen an den Salzburger Erzbischof aus dem Jahr 1320: von den insgesamt zu
zahlenden 1200 Gulden sollen 800 aus der Steuer der Juden von Wien geleistet
werden, und die Auszahlung sollte über den Kämmerer erfolgen. Daraus lässt sich
nicht nur die bereits erwähnte Zuständigkeit des Kämmerers für
Judenangelegenheiten ableiten, sondern auch auf eine Einhebung der Steuer nach
Gemeinden schließen lässt. Diese Praxis setzte sich im 14. Jahrhundert durch -
das Steueraufkommen der Juden wurde gemeindeweise festgesetzt, wobei die interne
Aufteilung der Gemeinde überlassen wurde und eine kollektive Abgabe an die
herzogliche Kammer vorgesehen war. Zu dieser jährlich abzuliefernden Steuer
kamen immer wieder Sondersteuern, die von dem Herzog in finanziellen Notlagen
den Juden (und auch generell der christlichen Bevölkerung) aufgebürdet werden
konnten.
Neben den Satzungen der weltlichen Herrscher bestand eine die Juden betreffende
Gesetzgebung von Seiten der katholischen Kirche. Es ist ein Phänomen, dass sich
innerhalb dieser Gesetzgebung zwei Strömungen parallel entwickelten; eine, die
die Juden in Schutz nahm, und eine, die auf möglichst weitgehende Trennung von
Christen und Juden abzielte.
Die Schutzbestimmungen gehen weitgehend auf die Bulle Calixts II. "Sicut Judeis"
aus dem Jahr 1120 zurück, in der die Juden zumindest formell der
Schutzherrschaft des Papstes unterstellt und in der - trotz des dokumentierten
Wahrheitsanspruches der katholischen Kirche gegen die "Verstocktheit" der Juden
- für ihre Rechtssicherheit eingetreten wurde (Verbot von Zwangstaufen, Verbot
der Störung des Gewohnheitsrechts der Juden, Schutz von Friedhöfen, Schutz von
Person und Eigentum). Diese Bulle wurde von zahlreichen Päpsten sowie einigen
weltlichen Herrschern, darunter Ottokar II. Pøemysl (in der Fassung Innozenz
IV.), bestätigt.
Parallel dazu waren spätestens seit dem Vierten Laterankonzil von 1215 eine
Reihe antijüdischer oder zumindest auf eine größtmögliche Separierung der beiden
Bevölkerungsgruppen abzielender Regelungen immer wieder von kirchlicher Seite
postuliert und bestätigt worden: vor allem waren dies Kleidervorschriften (Judenhut),
ein generelles Verbot des Verkehrs zwischen Juden und Christen, vor allem
gemeinsames Feiern sowie die Beschäftigung christlicher Dienstboten in jüdischen
Haushalten, ein Ausgehverbot der Juden an hohen christlichen Feiertagen, oder
das Verbot des Baus neuer Synagogen. Im niederösterreichischen Raum wurden diese
Bestimmungen auf lokaler Ebene 1267 durch ein Konzil der Salzburger
Kirchenprovinz, zu der Niederösterreich kirchlich gesehen gehörte, bestätigt,
wobei sich die Drohungen der Bischofsgemeinschaft bei Nichtbeachtung dieser
Satzungen vor allem gegen den Landesfürsten richtete. Wiederholte
Neubestätigungen und Klagen der Geistlichkeit über die Nichteinhaltung dieser
Gesetze, so beispielsweise auf der in St. Pölten abgehaltenen Passauer
Diözesansynode 1284, lassen die mangelhafte faktische Durchsetzung dieser
Bestimmungen erahnen.
Die wirtschaftliche Tätigkeit der niederösterreichischen Juden
Das Judenprivileg Friedrichs des Streitbaren zeigte bereits, dass das
Kreditgeschäft von herzoglicher Seite als die wünschenswerteste Tätigkeit der
Juden gesehen wurde. Aus dem Handel, in dem sie in früheren Jahrhunderten eine
bedeutende Rolle gespielt hatten, waren die Juden zum Zeitpunkt der ersten
nachweislichen Ansiedlung in Niederösterreich bereits weitestgehend durch
christliche Konkurrenz verdrängt, auch wenn sich gelegentlich immer noch
jüdische Handelstätigkeit nachweisen lässt.
Auf dem Kreditsektor, der Christen aufgrund der kirchlichen Zinsverbote
offiziell nicht offen stand, wurde das jüdische Engagement von herrscherlicher
Seite jedoch energisch gefördert. In größerem Rahmen war das Kreditgeschäft nur
bei einer entsprechenden finanziellen Ausgangsbasis möglich und blieb daher der
vermögenden Spitzenschicht vorbehalten. Aus dieser Schicht, die oft auch auf
überregionale Geschäftsverbindungen zurückgreifen konnte, kamen die wichtigsten
Geldgeber des Landesfürsten selbst. Auch Klöster und manche Adelsfamilien
griffen gelegentlich auf jüdische Geldgeber zurück, auch wenn der Adel in dieser
Hinsicht lange Zeit vorsichtig agierte, um die Gefahr zu vermeiden, durch
Verschuldung bei Juden, die ja zur Kammer des Landesfürsten gehörten, von diesem
abhängig zu werden. Erst im 14. Jahrhundert nimmt die Anzahl der adeligen
Schuldner großer jüdischer Geldgeber allmählich zu.
Daneben gab es das kleinräumigere Pfandgeschäft jüdischer Geldhändler, die über
geringere finanzielle Möglichkeiten verfügten und auf regionaler Basis
niedrigere Kredite vergaben. Über diese kleinen Geschäfte sind wir schlechter
unterrichtet, da sie weniger häufig schriftlich festgehalten wurden als große
Kredite. Dennoch ist erkennbar, dass sich der Kundenkreis jüdischer Pfandleiher
im 13. und vor allem im 14. Jahrhundert in andere Gesellschaftsschichten
(Stadtbürger, aber auch Bauern) ausdehnte und nicht dem Adel vorbehalten blieb.
Über die Form der jüdischen Kreditgeschäfte sind wir durch die zahlreichen
überlieferten Schuld- und Pfandurkunden vergleichsweise gut unterrichtet. In
Österreich treten solche Urkunden erstmals in den dreißiger Jahren des 13.
Jahrhunderts auf, wobei es sich zunächst meist um Verkäufe von Gütern handelt,
die zuvor an Juden verpfändet worden waren; die erste Urkunde aus dem
niederösterreichischen Raum, die eine Verpfändung an einen Juden selbst zum
Inhalt hat, stammt aus dem Jahr 1256.
Die Höhe der Darlehen variierte naturgemäß stark, je nach den Bedürfnissen bzw.
der Kreditwürdigkeit des Schuldners und den finanziellen Möglichkeiten des
Gläubigers. Die Laufzeiten waren in den meisten Fällen kurz und schwankten meist
zwischen wenigen Tagen und einigen Monaten. Über die Höhe der Zinsen erfährt man
normalerweise nichts: sie waren in der angegebenen Schuldsumme bereits
enthalten. Zum Teil konnten die Zinsen auch in der zeitweiligen Nutzung eines
Pfandes, z. B. der Einkünfte aus einem Grundstück, bestehen. Bei der expliziten
Angabe von Zinsen, deren Höhe zunächst zwischen sechs und acht Pfennig pro Pfund
und Woche schwankte, bevor sie im 14. Jahrhundert auf 2 bis 3 Pfennig absank,
handelte es sich nicht um die Zinsen des Darlehens, sondern um Verzugszinsen für
den Fall, dass die Schuld nicht zum vereinbarten Termin zurückgezahlt wurde. Die
Sicherung der Rückzahlung erfolgte in der Regel durch die Stellung von Pfändern.
Dabei handelte es sich bei höheren Darlehen meist um Grundstücke oder Einkünfte
daraus, die bei nicht zeitgerechter Auslösung durch in den Besitz des Gläubigers
übergingen.
Aus dieser Praxis ergibt sich, dass jüdischer Grundbesitz nicht selten war.
Jüdische Kreditgeber kamen in den Besitz verfallener Pfänder, auch wenn sie
diese oft rasch wieder verkauften, um ihr Kapital flüssig zu halten. Es gibt
aber auch Belege für Juden, die Grundstücke (Äcker oder Häuser) kauften und über
einen längeren Zeitraum hinweg besaßen, zum Teil auch bewirtschafteten.
Für jüdische Geldleiher bildete das Kredit- und Pfandgeschäft nicht
notwendigerweise die einzige Beschäftigung. Ein gutes Beispiel ist Hetschel von
Herzogenburg, Sohn des Rabbiners Israel von Krems und Vater des Wiener Rabbiners
Aron Blümlein, der in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts sowohl ein äußerst
erfolgreicher Geschäftsmann als auch ein bedeutender Gelehrter war.
Auffällig ist der hohe Prozentsatz von im jüdischen Geschäftleben tätigen
Frauen, auch wenn die von Frauen vergebenen Kredite im Schnitt niedriger waren
als bei Männern. Jüdische Ehefrauen übernahmen beim Tod ihres Gatten häufig
dessen Geschäfte und führten sie als Witwen selbständig weiter. Eine der
frühesten bedeutenden jüdische Geldleiherinnen lebte in der ersten Hälfte des
14. Jahrhunderts in Niederösterreich: Plume von Klosterneuburg, die Großmutter
des berühmten Wiener Geschäftsmannes David Steuss.
Es darf bei der Frage jüdischer Kreditgeschäfte insgesamt nicht übersehen
werden, dass diese nicht als singuläre Erscheinung zu sehen sind, sondern
eingebettet in die generelle Kredit- und Pfandpraxis der Zeit betrachtet werden
müssen. Im Gegensatz zu gängigen Vorurteilen war das Kreditgeschäft nämlich
keineswegs ein jüdisches Monopol, sondern wurde allen kirchlichen Verboten zum
Trotz ebenso von Christen betrieben, wobei die Unterschiede zwischen Darlehen
bei Juden oder Christen nicht allzu groß waren. Lediglich die expliziten
Zinsklauseln finden sich aufgrund des kanonischen Zinsverbotes für Christen fast
nur bei den jüdischen Kreditgeschäften, während man sich christlicherseits mit
verdeckten Zinsgeschäften zu helfen wusste.
Jüdische Handwerkstätigkeit lässt sich gelegentlich indirekt durch entsprechende
Verbote nachweisen; ein Beleg für Niederösterreich ist z. B. das 1316 von
Friedrich dem Schönen erlassene Verbot des Gewandschneidens für die Wiener
Neustädter Juden. Die christlichen Handwerker versuchten sich auf diese Weise
Konkurrenz vom Hals zu schaffen; besonders häufig waren Konflikte mit den
Fleischhauern, da die Juden einerseits die Schlachtung von Vieh selbst
vornahmen, andererseits die nicht koscheren Teile häufig an Christen verkauften.
Selbstverständlich kann man auch von jüdischer Handwerkstätigkeit für den
eigenen Bedarf bzw. innerhalb der jüdischen Gemeinde ausgehen.
Nicht übersehen werden darf auch der "Dienstleistungssektor": häufig
nachzuweisen sind jüdische Dienstboten bei der jüdischen Oberschicht, die
daneben auch christliche Diener beschäftigte, was an den häufigen kirchlichen
Verboten dieser Praxis erkennbar ist. Dazu kamen Dienstleistungsberufe im Rahmen
der jüdischen Gemeinde (Kinderlehrer, Friedhofswärter, Bedienstete beim
rituellen Bad etc.).
Judenfeindschaft und Verfolgung in
Niederösterreich
Nach den Verfolgungen der Kreuzzugsepoche, die 1196 den jüdischen Münzmeister
Schlom und seine Familie das Leben kosteten, stellt sich das 13. und frühe 14.
Jahrhundert in den Quellen als eine Zeit des vergleichsweise friedlichen
Zusammenlebens von Christen und Juden in Niederösterreich dar. Kirchliche
Restriktionen wurden kaum eingehalten, Juden lebten nicht von Christen getrennt
und interagierten auf allen sozialen Ebenen mit ihnen.
Allerdings tauchen am Ende des 13. Jahrhunderts die ersten Vorwürfe wegen
angeblicher Ritualmorde bzw. Hostienschändungen auf: 1293 sollen Kremser Juden
einen Christen für rituelle Zwecke ermordet haben, 1294 wurde den Juden in Laa
eine Hostienschändung vorgeworfen. Der österreichische Herzog handhabte den
Judenschutz jedoch energisch, sodass die - in Klosterannalen überlieferten -
Vorwürfe zu keinen Verfolgungen führten.
Weitere Kreise zog eine angebliche Hostienschändung in Korneuburg 1305, wegen
der zehn Korneuburger Juden von den Bürgern verbrannt wurden. Da die Hostie
später angeblich Wunder wirkte, zog der Vorfall eine umfassende kirchliche
Untersuchung nach sich; letztendlich stellte sich heraus, dass ein Priester den
Juden eine in Blut getauchte Hostie unterschoben hatte.
Im Jahr darauf führte eine angebliche Hostienschändung in St. Pölten zu einer
Judenverfolgung, die von Herzog Rudolf III. jedoch mit großer Strenge bestraft
wurde nicht zuletzt deswegen, weil dieser Anlass eine willkommene Gelegenheit
darstellte, herzogliche Herrschaftsansprüche in der passauischen Stadt
durchzusetzen.
All diese Verfolgungen scheinen jedoch sehr kurze und lokal begrenzte Ausbrüche
von Gewalt gegen Juden gewesen zu sein insgesamt präsentiert sich die jüdische
Existenz in Niederösterreich in dieser Zeit als nicht gefährdet.
Das änderte sich mit der 1338 von Pulkau ausgehenden Verfolgungswelle. Den
Pulkauer Juden wurde zu Ostern 1338 eine Hostienschändung vorgeworfen; die
Hostie, die angeblich vor dem Haus eines Juden gefunden wurde, soll pflichtgemäß
geblutet und Wunder gewirkt haben. Daraufhin wurde die jüdische Bevölkerung
Pulkaus ermordet, was wiederum eine regelrechte Welle von Judenverfolgungen
auslöste, der nicht nur in Niederösterreich, sondern auch im angrenzenden Böhmen
und Mähren zahlreiche Juden zum Opfer fielen (neben Pulkau erwähnen die Quellen
jüdische Opfer in Eggenburg, Retz, Horn, Zwettl, Raabs, Feldsberg, Falkenstein,
Hadersdorf am Kamp, Gars, Rastenfeld, Mistelbach, Weiten, Emmersdorf, Tulln,
Klosterneuburg, Langenlois, St. Pölten, Laa und Drosendorf; in Mähren werden
Znaim, Erdberg, Jamnitz, Fratting, Trebitsch und Mährisch Budweis genannt, in
Böhmen Neuhaus).
Unter dem Eindruck der größten Judenverfolgung, die es bis dahin in Österreich
gegeben hatte, wandte sich Herzog Albrecht II. an den Papst. Benedikt XII.
beauftragte den Bischof von Passau mit der Untersuchung der Vorfälle, da es in
Anschluss an die angeblichen Hostienschändungen ohne Gerichtsspruch zu
Judenverfolgungen und zu Plünderungen jüdischen Besitzes gekommen war. Der
Bischof von Passau solle die Juden, falls die Vorwürfe berechtigt seien,
bestrafen; würden sie aber für unschuldig befunden, sollten die Anstifter der
Verfolgungen mit aller Strenge zur Verantwortung gezogen werden.
Es darf auch nicht übersehen werden, dass die Pulkauer Verfolgungswelle im
mitteleuropäischen Kontext kein isoliertes Ereignis darstellte: in den
unmittelbar vorhergehenden Jahren war es im Reich zu den sogenannten
Armleder-Verfolgungen gekommen, die 1336 als soziale Erhebung von Bauern und
Stadtbewohnern unter der Führung eines verarmten Ritters begannen und bis 1338
in einer Welle von Mord und Plünderung vor allem die süddeutschen Judengemeinden
schwer in Mitleidenschaft zogen. Im Herbst 1338 kam es nach einer angeblichen
Hostienschändung im bayrischen Deggendorf zu einer Verfolgung; ebenso in der
Steiermark und in Kärnten. Interessant ist, dass manche zeitgenössische Quellen
sowohl als Begründung der Armleder-Verfolgungen als auch als Ursache der
Pulkauer Verfolgung die Bereicherung vieler Adeliger und Bürger durch die
Vernichtung ihrer Schuldscheine nannten, also wirtschaftliche Motive anstelle
der von den Beteiligten behaupteten religiösen Gründe im Vordergrund sahen. Die
Wiener Bürger nützten die Gelegenheit auf andere Weise: sie erreichten eine
Senkung des bis dahin üblichen Verzugszinssatzes von 8 auf 3 Pfennig pro Pfund
und Woche als "Preis" für den Schutz der Wiener Juden vor der Verfolgung; die
österreichischen Herzöge Albrecht II. und Otto mussten zustimmen.
Dieser "Zinsrevers" mag ebenso wie die herzoglichen Versuche, die Juden zu
schützen, dazu beigetragen haben, dass die größten Judengemeinden, Wien, Wiener
Neustadt und Krems, die Pulkauer Verfolgungswelle überstanden, während
zahlreiche kleine jüdische Gemeinwesen nach 1338 aus den Quellen verschwinden
und die jüdische Siedlung sich in der Folge auf die Umgebung der großen
Gemeinden konzentrierte, wo man im Notfall besser geschützt war.
Unmittelbare Auswirkungen auf die wirtschaftliche Tätigkeit der
niederösterreichischen Juden sind in den Jahren nach 1338 nicht festzustellen;
soweit es sich aus den erhaltenen Quellen erkennen lässt, gingen die Geschäfte
ohne merkliche Unterbrechung weiter. Dasselbe galt auch für die Zeit nach den
Pestjahren 1348-1351, in denen die österreichische Judenschaft mit Ausnahme
eines Pogroms in Krems 1349 durchwegs unbehelligt blieb, während fast im
gesamten übrigen Reich Judenverfolgungen von bis dahin ungekannten Ausmaßen
hunderte jüdische Gemeinden schwerstens in Mitleidenschaft zogen. Die Höhe der
Darlehen, die niederösterreichische Adelige bei Juden aufnahmen, begann in der
zweiten Jahrhunderthälfte sogar zu steigen, um erst gegen Ende des Jahrhunderts
wieder abzusinken.
Allerdings zeigte sich in den Jahren nach 1338 eine zunehmende Verschlechterung
des Klimas für die jüdische Bevölkerung. Ein langsamer Abstieg der
Rechtssicherheit im jüdischen Geschäftsleben setzte um die Mitte des
Jahrhunderts ein und verstärkte sich in den folgenden Jahrzehnten immer mehr;
der zunehmende Einsatz der bereits erwähnten herrscherlichen Tötbriefe ist ein
deutliches Indiz für diese Entwicklung, die immer häufiger auch wegen der Flucht
eines Juden aus dem Herrschaftsbereich des österreichischen Herzogs ausgestellt
wurden.
Besonders deutlich zeigt sich die Rücknahme des herrscherlichen Judenschutzes an
der in den 1370er Jahren mehrmals durchgeführten Praxis, die reichsten Juden in
den herzoglichen Städten gefangen zu nehmen und Lösegelder von ihnen zu
erpressen.
Auf dem Kapitalmarkt gerieten die Juden außerdem unter den Druck einer
zunehmenden christlichen Konkurrenz; vor allem der Umfang der von Bürgern
vergebenen Kredite stieg an, sodass die Bedeutung der Juden als Geldgeber
zurückging.
Auch das theologische Umfeld änderte sich nach dem Beginn des Schismas 1378 zum
Nachteil der Juden; im Zuge der Auseinandersetzungen mit den Hussiten wurde den
Juden immer wieder vorgeworfen, mit den Hussiten zu kollaborieren.
Vor diesem Hintergrund kam es 1420/21 zu den Ereignissen der sogenannten Wiener
Geserah. Herzog Albrecht V. ließ die österreichischen Juden gefangennehmen; es
kam zu Vertreibungen aus Wien und zahlreichen Orten in Niederösterreich,
Zwangstaufen, Folterungen, Beraubungen und zuletzt zur Verbrennung der etwa 200
überlebenden Wiener Juden auf der Erdberger Gänseweide. Als Begründung für die
Verfolgung schob der Herzog eine angebliche Hostienschändung vor; Albrechts
eigentliche Motive sind bis heute unklar.
Das Jahr 1421 bedeutete das Ende der mittelalterlichen jüdischen Ansiedlung in
Wien und Niederösterreich; die einzige noch existierende Gemeinde auf heute
niederösterreichischem Gebiet war die von Wiener Neustadt, die bis zur
Vertreibung der Juden aus der Steiermark am Ende des 15. Jahrhunderts bestand.
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