Akademischer
Hebräisch-Unterricht in Österreich
Markus LADSTÄTTER
Wenn es stimmt, dass Hebräisch die Sprache der Engel im Himmel
ist, dann lohnt es sich auch, sie bereits auf Erden zu erlernen selbst ohne
die Absicht, sie in jenem Staat Israel, wo sie Landessprache ist, zu
praktizieren. Mit dieser irdischen Verortung ist das Hebräisch-Lernen jedoch
schon automatisch in die gesellschaftliche und kulturelle Wirklichkeit des
jeweiligen Landes eingebunden: Wie stark ist der allgemeine Konsens über die
Wichtigkeit dieses Unterfangens, welche Möglichkeiten und Ressourcen,
Institutionen und Orte stehen zur Verfügung, welche Breite und welcher Grad an
Professionalität lassen sich erreichen? Fragen, die zunächst kulturelle und
wissenschafts-organisatorische Aspekte beinhalten als auch in gesellschaftliche
und politische Dimensionen verweisen.
Um den gegenwärtigen Stand des Hebräisch-Unterrichts in Österreich zu
beschreiben, sollen in einem ersten Schritt die entsprechenden Rahmenbedingungen
beleuchtet werden, was auch einen kurzen Blick auf die involvierten
Institutionen beinhaltet. Ein zweiter Schritt wird im folgenden den spezifischen
Weg erläutern, den das Institut für Judaistik der Universität Wien in der
Erfüllung dieser Aufgabe eingeschlagen hat, und zwar sowohl hinsichtlich seines
Studienplans als auch der wissenschaftlichen und didaktischen Methodik.
Verschiedene Ebenen
Mit dem in diesem Artikel gegebenen Fokus auf die akademische Ebene soll
selbstverständlich nicht geleugnet werden, dass auch andere Sektoren des
Bildungsbereiches wertvolle Arbeit in der Vermittlung von hebräischen
Sprachkenntnissen leisten. In diesem Sinne sind natürlich einerseits die von
jüdischen Gemeinschaften betriebenen jüdischen Schulen zu nennen, welche dieser
Aufgabe im Rahmen ihres Unterrichts nachkommen. Andererseits dürfen hier jedoch
auch die verschiedenen Einrichtungen der Erwachsenenbildung angesprochen werden
ob es sich nun um Volkshochschulen handelt, die Modernhebräisch-Kurse mit dem
Ziel, Grundfähigkeiten für die alltägliche Kommunikation zu vermitteln,
anbieten, oder aber um christliche Bildungshäuser, die im Rahmen von
Bibellektüre-Kursen in die Grundstrukturen des Bibelhebräischen einführen. All
diese Aktivitäten sind nicht nur im Sinne einer wissenschaftlichen
Öffentlichkeitsarbeit zu begrüßen, sondern darüber hinaus auch als Zeichen einer
konstruktiven kulturellen Begegnung sehr erfreulich.
Hebräisch an den theologischen Fakultäten
Auf akademischer Ebene ist zunächst auf die Aktivitäten der theologischen
Fakultäten hinzuweisen. An der Evangelisch-Theologischen Fakultät Wien zählt das
biblische Hebräisch nach wie vor zu den Pflichtfächern und wird für die
angehenden Pastoren (Fachtheologen) in einem intensiven, sechs Wochenstunden
umfassenden Grundkurs vermittelt, der zum sogenannten Hebraicum als
Abschlussprüfung führt. Diese starke Verankerung des Hebräischen bei der
Ausbildung evangelischer Theologinnen und Theologen ist ohne Zweifel im
Zusammenhang mit der besonderen Betonung zu sehen, die der Bibel generell in den
protestantischen Kirchen zukommt. Für evangelische Religionslehrerinnen und lehrer
ist lediglich eine knappe Einführung in die Struktur der biblischen Sprache
verpflichtend. Im katholischen Bereich verhält es sich demgegenüber so, dass an
drei der vier theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten (nämlich
Wien, Graz und Salzburg) auch die Fachtheologen an sich nur eine solche kleine
Einführung absolvieren müssen (in Innsbruck entfällt sogar diese), während ein
echter Sprachkurs in Bibelhebräisch nur als Freifach bzw. auch für diejenigen,
die sich in Bibelwissenschaften spezialisieren wollen, angeboten wird.
Grundsätzlich ähnlich verhält es sich an der katholischen Privatuniversität Linz
und an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Pölten. Methodisch
betrachtet, gestaltet sich die Vermittlung des biblischen Hebräisch an den
genannten Fakultäten in der Regel wie das Studium anderer klassischer Sprachen
(Latein, Griechisch), das heißt entweder mehr von der theoretischen Grammatik
und Struktur zu den Texten (deduktiv), oder aber von den konkreten Texten zu den
theoretischen Prinzipien (induktiv).
Weitere universitäre Möglichkeiten
In gewissem Sinn darf auch das Institut für Orientalistik der Universität Wien
in die eben dargestellte Art der Vermittlung eingereiht werden, wenngleich hier
freilich die Beschäftigung mit dem biblischen Hebräisch mit einer anderen
Zielsetzung, nämlich im Horizont der semitischen Sprachen, stattfindet. Während
dort in früheren Jahren auch Einführungskurse ins Bibelhebräische angeboten
worden sind, gibt es derzeit nur mehr die Bibellektüre, die an sich schon solide
Sprachkenntnisse voraussetzt und in zwei- oder mehrjährigen Abständen angeboten
wird.
In den letzten Jahren sind darüber hinaus in Österreich zwei universitäre
Netzwerke entstanden, in deren Rahmen auch Hebräisch-Kurse angeboten werden. Das
erste davon ist der Studiengang Religionswissenschaft an der Universität Wien.
In diesem Studium wird einerseits ein allgemeiner Überblick über die Religionen
und ihre wissenschaftliche Erforschung gelehrt, andererseits besteht auch die
Möglichkeit der Spezialisierung. Wer nun in diesem Studium Judentum als
Schwerpunkt wählt, kann bzw. soll dies dann auch durch den Erwerb relevanter
Sprachkenntnisse (Bibelhebräisch, Aramäisch, Modernhebräisch) verwirklichen.
Konkret erfolgt die Vermittlung dieser Kenntnisse zumeist über das Institut für
Judaistik, dessen sprachliche Ausbildung im folgenden Kapitel noch ausführlich
dargestellt wird.
Das zweite der genannten Netzwerke ist an der Universität Salzburg angesiedelt
und heißt seit 2004 Zentrum für Jüdische Kulturgeschichte. Ursprünglich als
Abteilung des Instituts für Altes Testament (bzw. heute im Fachbereich
Bibelwissenschaft und Kirchengeschichte) betrieben, werden seine zentralen
judaistischen Inhalte nach wie vor von dort beigebracht, jedoch auch durch
weitere Angebote von Seiten der Geschichts- und Rechtswissenschaften sowie der
Germanistik und Romanistik ergänzt. Neben den auf diese Weise ins Netz
gestellten (theologischen) Kursen des Bibelhebräischen gibt bzw. gab es auch
bisweilen einzelne Lehrveranstaltungen zur modernhebräischen Sprache.
Hebräisch am Institut für Judaistik der Universität Wien
Um den Hebräisch-Unterricht des Wiener Instituts für Judaistik vorzustellen,
möchte ich einen eher unüblichen Weg beschreiten und die folgende Frage stellen:
Wer sind eigentlich die Studierenden, die hier Hebräisch lernen? Die Antwort
fällt recht vielseitig aus: Es sind jedes Jahr zwischen etwa 30 und 50 Personen,
die im Kurs Modernhebräisch 1 beginnen: Juden und Nicht-Juden, Leute aus
Österreich und Deutschland, Ungarn und der Schweiz, Schweden und der Slowakei
usw.; Studierende, die entweder gerade die Matura abgelegt haben oder aber schon
einige Jahre ein ganz anderes Studium betreiben; Judaisten ebenso wie Theologen,
Historiker, Philosophen, Politologen, Orientalisten, Publizisten und
Mathematiker; Leute, die im Berufsleben stehen und solche, die sich nun in der
Pension ihren Jugendtraum erfüllen; Menschen, die sich als gläubige Juden oder
Christen verstehen und solche, für die Religion persönlich kein Thema ist. Was
sie alle trotz unterschiedlichster Motivationen verbindet, ist das Interesse,
Hebräisch zu lernen.
Sowohl Modern- als auch Bibelhebräisch ist ein Pflichtfach. Das unterscheidet
die Judaistik in Wien von sogenannten Jüdischen Studien, die vielerorts auch
ohne spezifische Sprachkenntnisse studiert werden können. Am Wiener Institut für
Judaistik ist das Sprachstudium grundsätzlich so aufgebaut, dass das
Modernhebräische am Beginn steht und das Bibelhebräische anschließend darauf
aufbaut. Dieser Zugang ist zwar für diejenigen ungewohnt, die sich vor allem für
die biblische Sprache interessieren, erweist sich jedoch insofern als sinnvoll,
als der Weg mit der lebendigen Sprache beginnt.
Die Ziele des Hebräisch-Unterrichts lassen sich in der Vermittlung bzw. dem
Erwerben von Fähigkeiten auf vier Ebenen zusammenfassen:
1. sprachliche Grundkompetenzen für die hebräische Kommunikation, und zwar in
allen wichtigen Dimensionen: hörend verstehen, sprechen, lesend verstehen,
vorlesen, Konversation, schriftlicher Ausdruck, übersetzen in beide Richtungen;
2. die Fähigkeit, sich in modernem Hebräisch als Medium des wissenschaftlichen
Fachdiskurses zu bewegen, insbesondere in Form der Lektüre judaistischer
Publikationen in dieser Sprache;
3. Einführung in die klassische Sprachstufe des Bibelhebräischen (auf dieser
Basis dann auch in das Bibelaramäische und das babylonische Aramäisch);
4. deskriptiv-analytischer Zugang, der das Hebräische im akademischen Kontext
als Feld sprachwissenschaftlicher Forschung erschließt.
Welcher Zeitrahmen steht für das Erreichen dieser Ziele zur Verfügung? Von einem
Gesamtumfang von 70 Semesterwochenstunden für die ganzen Pflichtfächer der
Judaistik sind es 20 bis 24 Semesterwochenstunden (= rund 31%) oder, anders
ausgedrückt, vier Jahre lang durchschnittlich zweieinhalb bis drei
Vorlesungsstunden pro Unterrichtswoche. Aufgrund des großen Gewichtes der
anderen kultur- und literaturkundlichen Teilgebiete der Judaistik ist dieses vom
Studienplan her mögliche Zeitmaß für die aktive und passive Beherrschung einer
lebenden Fremdsprache und zusätzlich ihrer historischen Dimension sehr gering;
dies zeigt unter anderem auch der Vergleich mit anderen Studienrichtungen wie
etwa der Arabistik, wo dem Arabischen 38 Semesterwochenstunden (= 53%)
eingeräumt werden, oder der Sinologie, wo es für das Chinesische gar 44 (= 61%)
also mehr als doppelt so viele sind. Aus diesem Grund ist es für Studierende
des Hebräischen unerlässlich, ein besonderes Maß an Zeit und Energie in die
eigene Übung zu investieren; zudem wird der Besuch der angebotenen Freifächer
ebenso empfohlen wie ergänzende Sprachaufenthalte in Israel, israelische Filme
oder ggf. auch die Sprechpraxis im eigenen Verwandten- und Bekanntenkreis.
Das Grundgerüst des universitären Modernhebräisch-Unterrichts besteht in einem
viersemestrigen Hauptkurs, ergänzt durch eine zweisemestrige
Spezialveranstaltung zur Grammatik. Im Anschluss daran gibt es noch ein
weiterführendes Lektüre- und/oder Sprechpraktikum. Für den Grundkurs wird in
erster Linie aus Israel stammendes Lehrmaterial verwendet. Zunächst waren dies
vor allem Bücher, die dort für die sprachliche Integration von Neueinwanderern
konzipiert worden sind. Inzwischen sind die Materialien nicht nur in Vokabular
und Thematik aktualisiert, sondern auch hinsichtlich ihres Umfangs, ihrer
Methodik und ihres Adressatenkreises sachgerecht erweitert worden. Der Vorteil
solcher Lehrbücher liegt offenkundig darin, dass sie den Lernenden recht
unmittelbar in die lebendige und aktuelle hebräischsprachige Lebenswelt stoßen.
Ihr Nachteil besteht freilich in ihrer Ergänzungsbedürftigkeit im Blick auf die
Systematik, die in der Tat eine besondere Herausforderung an die Lehrenden
darstellt. Folglich sind die systematische Einführung in die Sprachstruktur, die
teilweise Neuordnung des Materials aus den Büchern und deren Ergänzung durch
weitere Texte, Medien, Übungen etc. unverzichtbare Aufgaben, vor allem für den
Unterricht außerhalb eines Hebräisch-sprechenden Alltagskontextes.
Eine Spezialität des Wiener Angebots bildet der Kurs in hebräischer Grammatik,
der in der gegebenen Form und Qualität nur deshalb möglich ist, weil in Wien in
der Person von Fritz Werner ein Hebraist wirkt, dessen Kompetenz weit über
Europa hinaus bekannt ist und selbst für die Hebräische Sprachakademie in
Jerusalem eine relevante Instanz darstellt. Die von ihm vertretene Professur für
Hebraistik ist auch strukturell eine Besonderheit, die dieses Institut in ganz
Europa auszeichnet. In diesem Sinne bedeuten die Kurse zu hebräischer Laut- und
Formenlehre ein Proprium, auf das die Universität Wien im internationalen
Kontext mit Recht stolz sein darf.
Auf der eben geschilderten sprachlichen Basis setzen dann die weiteren Kurse zu
modernhebräischer Lektüre und Konversation fort, die sich neben israelischem
Videomaterial auch mit zeitgenössischer hebräischer Literatur befassen. Für die
Vermittlung der Sprachstufen der Vergangenheit folgen die einschlägigen
Einführungen in die klassischen Sprachen der Bibel und des Talmud, die wahlweise
in systematisch-sprachwissenschaftlichen Lehrveranstaltungen oder aber in
Lektürekursen absolviert werden können.
Fazit
Sprache ist ein sehr zentraler Teil von Kultur. Daher darf es als durchaus
bedeutsam gewertet werden, wenn der hebräischen Sprache in Österreich ein
durchaus vielschichtiges und qualifiziertes Interesse entgegengebracht wird
ein Interesse, das sich nicht auf den Kreis jüdischer Sprecherinnen und Sprecher
beschränkt. Daher ist die breitere Vermittlung von Sprachkenntnissen, wie sie
von diversen Volksbildungsinstitutionen betrieben wird, als integrativer Beitrag
zu einer differenzierten und gleichzeitig toleranten Gesellschaft zu begrüßen.
Noch bedeutsamer erweist sich jedoch der gesellschaftliche Konsens, der sich in
der institutionellen Verankerung des Hebräisch-Unterrichts in den führenden
Bildungsstätten des Landes manifestiert. In diesem Sinne sind diverse öffentlich
vorgetragene Überlegungen zur "Einsparung bzw. Reduktion von exotischen
Orchideenfächern im staatlichen Bereich ebenso kritisch auf ihre Konsequenzen
hin zu hinterfragen wie charismatische, anti-intellektuelle Ideologien im
religiösen Bereich.
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