Der Mensch im Menschen ist ewig
Marginalien zum Bildnis des Juden in der modernen Kunst /
Versuch einer Rückschau - Teil 1
Claus STEPHANI
Jesus mit dem "Judenhut"
Das Bilderverbot, das sich gleichermaßen auf die Darstellung Gottes, des
Menschen und der Tiere bezieht (2. Moses: 20, 4) ist eigentlich niemals ganz
befolgt worden, denn schon im Vorhof des Salomonischen Tempels so die
Überlieferung soll, vor seiner Zerstörung (587/586 v.Z.) durch Nebukadnezar
II. (605-561 v.Z.), ein Wasserbecken gestanden haben, das auf den Rücken von
zwölf Rindern ruhte. Es gab also Tierplastiken, wahrscheinlich jedoch keine
Darstellungen von Menschen, wie bei den heidnischen Kulten und ihrer Vielzahl
von Götterbildern. Eine genauere Darlegung des Verbots findet sich dann später
in der Mischna, einer Sammlung von Lehrsätzen der mündlichen Tora, die im 2. Jh.
n.Z. in Palästina aus ursprünglich verschiedenen Mischnajot entstanden ist. Sie
besteht aus sechs Ordnungen (Sedarim), wobei jede Ordnung eine unterschiedliche
Anzahl von Traktaten (Massechtot) umfaßt. In der 4. Ordnung Nesikin
(Schädigungen) z.B. wird im Traktat Awoda Sara (Götzendienst) auch auf das
Verbot bildlicher Darstellungen, wie bei nichtjüdischen Riten, eingegangen.
In den nachfolgenden Jahrhunderten gibt es dann keine Plastiken und Hochreliefs
mehr und auch die wenigen figürlichen Darstellungen von Personen in den
Bodenmosaiken einiger Synagogen König David als Harfenspieler (Gaza, 5./6.
Jh.), das Issak-Opfer (Bet Alpha) enden schließlich mit dem Ausgang der
Spätantike. Doch es entsteht noch eine Reihe von zweidimensionalen Kunstwerken
Wandmalereien und Mosaike mit anthropomorphen und zoomorphen Motiven, wie z.B.
die berühmten Fresken aus der Synagoge von Dura Europos (heute Es-Salahije) am
Ufer des Euphrat in Syrien, in denen um 244/245 n.Z. hauptsächlich biblische
Szenen wiedergegeben werden. Es ist anzunehmen, daß sie wahrscheinlich von
mindestens zwei Künstlern geschaffen wurden, die jeweils von der griechischen
bzw. der sassanidischen Gestaltungsweise beeinflußt waren. Dabei handelt es sich
hier wohl um das älteste Zeugnis jüdischer Malerei einem Ensemble von farbig
lebhaften Wandgemälden, mit ausdrucksvollen Gestalten und Gesichtern, das,
entgegen dem Bilderverbot, im 3. Jh. entstanden ist. Als besonders prägnant und
expressiv könnte da z. B. die Darstellung Moses, eine Schriftrolle haltend,
Hesekiels Vision von der Erlösung oder das Gruppenbild mit Mordechai und Esther
genannt werden; es sind die ersten bekannten Bildnisse jüdischer Männer und
Frauen, "sehr lebenswahr, vor allem die Gesten und Gesichter ausdrucksvoll und
lebendig wiedergegeben" (Karl Schwarz).
Dura Europos war einst eine wichtige Grenzstadt am Euphrat, wo damals das
römische und das parthische Reich zusammenkamen, wobei das riesige römische
Imperium, vor der Christianisierung, auch weite Gebiete mit jüdischer
Bevölkerung umfaßte. Seither sind aber mehr als siebzehn Jahrhunderte
verstrichen, und in der Zeit danach, während der europäischen Diaspora, wurde
das Bild der Juden hauptsächlich aus einem christlichen Blickwinkel und manchmal
auch verzerrt dargestellt. Diese Sichtweise oft widersprüchlich, war doch
Jesus selbst Jude gewesen dokumentiert in vielen künstlerischen Darstellungen,
wie sich die Haltung der Nichtjuden zum Judentum im Laufe der letzten zwei
Jahrtausende gewandelt und verändert hat. Da ist noch auf einem Silber-Denar des
Kaisers Vespasian (69/70 n.Z.), der in Rom geprägt wurde, Judäa als Gefangene
mit am Rücken gefesselten Händen, aufrecht vor einer Palme sitzend zu sehen
Judäa personifiziert als trauernde Frauengestalt, mit der Umschrift "Iudaea
capta". Zwölfhundert Jahre später, um 1230, steht am Straßburger Münster die
unterjochte Synagoga, mit Augenbinde, besiegt und beschämt zu Boden blickend,
neben der triumphierenden, gekrönten, christlichen Ecclesia.
In den Jahrhunderten danach folgen zahlreiche Gestaltungen biblischer Themen
oft von namhaften Künstlern, doch meist aus christlicher Sicht , die nun
weitgehend das Bild der Juden in der Kunst prägen, manchmal auch ungenau und in
verfälschender Art und Weise, wie z.B. auf dem bekannten Bild des
Abendmahlaltars (um 1467) von Dierick Bouts (1410-1475) in der Peterskirche,
Löwen: Jesus als Jude (mit kennzeichnendem "Judenhut") bereitet am Sederabend
das Pessachmahl vor, wobei jedoch alle anwesenden sechs Personen stehen und
einer der Männer sogar keine Kopfbedeckung trägt. Bekanntlich muß man diese
Mahlzeit sitzend einnehmen und sich dabei anlehnen, wodurch Freiheit und
Unabhängigkeit symbolisch ausgedrückt werden. Auf dem Bild fehlt außerdem das
ungesäuerte Brot, die drei Mazzot. Seit der Zerstörung des zweiten Tempels (70
n.Z.) werden keine Opfer mehr gebracht und am Sederabend wird auch kein
Pessachlamm mehr gegessen. Auf Bouts Bild aber ist Jesus gerade dabei, ein
ganzes gebratenes Lamm mit dem Messer zu zerlegen. Doch belassen wir es bei
diesem einen Beispiel von vermutlich gutgemeinter Unwissenheit.
Gebrüder Henschel: Rabbi Abraham Ticktin,
Oberlandesrabbiner zu Breslau
(Lithographische Inkunabel), 1812
Außer Miniaturmalereien, Radierungen und Holzschnitten in
verschiedenen, oft reich illustrierten Büchern und Schriften so in der
Montier-Grandval-Bibel (9. Jh.), der süddeutschen Vogelkopf-Haggada (13. Jh.),
der Gutenberg-Bibel (15. Jh.), im Regensburger Pentateuch (1300), in den
Hamburger Halacha Miszellen (1476/77) u.a. gibt es immer wieder Arbeiten
christlicher Meister, in denen illustrativ jüdische Themen gestaltet werden,
z.B. von Hartmann Schedel "Das Stadtrund Jerusalems" in "Liber Chronicarum"
(1493) , Hans Holbein d.J. "Jesaja weint um Israel" (1547) und Rembrandt
"Juden in der Synagoge" (um 1635), "Abraham erweist dem Engel Gastfreundschaft"
(1656) u.a. oder von Bernard Picard "Eine aschkenasische Hochzeit (1712) und
Daniel Chodowiecki "Moses Mendelssohn" (18. Jh.), wobei Tusche- und
Gou-achemalereien jüdischer Künstler, wie jene von Aaron Wolf von Jevíco und
Moses Leib ben Wolf von Trebitsch aus dem frühen 18. Jh., ebenfalls den
Buchillustrationen zuzuordnen sind. Auf Hartmann Schedels oben erwähnte
"Weltchronik" sollte noch einmal hingewiesen werden, denn unter den 1809
Holzschnitten, nach Entwürfen von Michael Wohlgemut und Wilhelm Pleydenwurff,
befindet sich außer den 32 Stadtansichten auch das häufig reproduzierte Bild
einer mittelalterlichen "Judenverbrennung". Es sind klagende, schmerzverzerrte
Gesichter jüdischer Menschen, mit Kippa und "Judenhut", die aus den Flammen
herausschauen, während ein nichtjüdischer Mann Brennholz herbeiträgt.
Von den miniaturhaften Darstellungen jüdischer Spielleute und Sänger, die nicht
nur auf öffentlichen Plätzen sondern auch vor hochgestellten Persönlichkeiten
des damaligen gesellschaftlichen und kirchlichen Lebens auftraten, sei hier die
"Manessische Handschrift" (nach 1300) erwähnt, wo der jüdische Minnesänger
Süßkind von Trimberg bei seinem Auftritt vor dem Erzbischof von Würzburg
abgebildet ist. Süßkind stammte aus Trimberg an der fränkischen Saale. Sechs
seiner mittelhochdeutschen Spruchdichtungen sind in der bekannten Handschrift
(heute in der Heidelberger Universitätsbibliothek) erhalten. Andere jüdische
fahrende Sänger, wie Al-Mansur Al-Yahudi, der im 11. Jh. am Hofe des Kalifen von
Cordoba lebte, stiegen sogar zu Hofmusikern auf. Während dieser jüdische Sänger,
ein Sephard, mit seinem Begleitinstrument Vihuela, im Liederbuch von Ajuda
(Portugal, 1280) wie jeder andere zeitgenössische Musikant dargestellt ist,
trägt Süßkind (in der zweiten Hälfte des 14. Jh.) den diskriminierenden
gehörnten "Judenhut". Hingegen kann man bei Süßkind gewisse "individuelle Züge"
erkennen: Sein Bildnis scheint weniger schablonenhaft zu sein, als bei anderen
Miniaturen, er hat einen roten, gekräuselten Bart und sein Blick wirkt
ausdrucksvoll.
So wird das Bild des Juden und seiner Lebenswelt, wie gesagt, Jahrhunderte
hindurch, oft aus der Perspektive der Nichtjuden gezeichnet, bis dann im 19. und
20. Jh. zum erstenmal jüdische Künstler selbst von Moritz Daniel Oppenheim bis
Ephraim Moses Lilien, Marc Chagall und Anatoli Kaplan primär jüdische Sujets
behandeln, wenn auch in einigen Fällen nur zeitweilig, doch immer aus einer
Sicht, die das Wesentliche ihrer Lebenswelt vermittelt. Denn es sind nun nicht
mehr nur die jüdischen Themen aus der Glaubensgeschichte wie auf zahlreichen
Altarbildern, doch auch auf berühmten Gemälden von Michelangelo Buonarotti und
Bartolomé Esteban Murillo bis William Blake und Nicolae Grigorescu sondern
hier werden zum ersten Mal realistische Szenen aus Familie, Alltag,
Festtagsbrauchtum und Glaube aus unmittelbarem Erlebnis und überliefertem
Wissen, mit aufmerksam beobachteten Details gestaltet.
Und so ist seit der Mitte des 19. Jahrhunderts eine jüdische bildende Kunst in
Europa selbstbewußt präsent, die durch eindrucksvolle Genregemälde und
Interieurs aus der jüdischen Welt sich zu erkennen gibt. Und sie wird nicht nur
von großen jüdischen Geschäftsleuten, Mäzenen, wie etwa Ferdinand Rothschild,
sondern auch durch christliche Sammler und Auftraggeber aus dem aufstrebenden
städtischen Bürgertum, gefördert. Liberal orientierte, christliche Kunden
interessierten sich plötzlich für Bilder aus dem jüdischen Leben, "da man für
den eben erst dem Ghetto entwachsenen Juden, wie für ein sonderbares und
merkwürdiges Geschöpf, Gefühle wohlwollender Neugierde aufbrachte" (B. Cecil
Roth).
Georg Friedrich Schmidt:
Der Rabbiner von Potsdam
(Radierung), 1750
Diese neue Epoche hat europaweit ihre Repräsentanten: Moritz
Daniel Oppenheim (1799-1882) in Frankfurt, Jeskel Salomon (1821-1902) in
Stockholm, Eduard Brandon (1831-1897) in Paris, Salomon Alexander Hart
(1806-1881) in London, Moritz Gottlieb (1856-1879) in Krakau, Constantin David
Rosenthal (1820-1851) in Budapest, Barbu Iscovescu (Itzkovitsch, 1816-1854) in
Bukarest u.a. Es sind Namen von internationalem Format, die nun das lebendige
Judentum, in seiner Vielfalt und auf allen Ebenen der alltäglichen und
religiösen Existenz realistisch veranschaulichen. Und damit der Vergleich ist
gewagt, doch in mancher Hinsicht zutreffend ließe sich ein Bogen über 1600
Jahre spannen: von den Bildnissen aus der Synagoge in Dura Europos bis zu jenen
Porträts jüdischer Menschen, die im 19. Jh. Oppenheim, Bendemann, Gottlieb,
Hart, Iscovescu und andere herausragende Meister schufen.
Dazwischen aber stehen noch eine Reihe von Künstlern, die im 16.-18. Jh.
ebenfalls aus dem europäischen Judentum kamen, dann aber manchmal ihre Identität
aufgaben, zum Christentum übertraten, um sich beispielsweise als Hofmaler eine
gesicherte Existenz aufzubauen, wie Leo und Salomon Pinhas, Joseph Marquard und
Joseph Christian Treu, Ismael und Anton Raffael Mengs u.a. Von ihnen wird noch
die Rede sein.
Zeitliches Panorama Von Priscus bis Zofani
Rückblickend kann heute festgestellt werden, daß es bereits in der vorrömischen
Zeit, doch auch danach und nicht nur in Judäa und in den Nachbarländern
sondern überall im späteren Europa namhafte jüdische Künstler und
Kunsthandwerker gegeben hat, wie z.B. Priscus und Domenulus, die im 6. Jh. n.Z.
Münzen gestalteten und von denen Priscus zum Hofgoldschmied des Frankenkönigs
Childerich I. (457 - 482) aufstieg. Auch in Polen wurden im 12. und 13. Jh.
Münzen geprägt, deren Hersteller jüdische Meister, wie Abraham ben Jitzchak
Naggid, Josef Kalisch u.a. waren. Zu jener Zeit galt das Goldschmiedehandwerk,
besonders in Spanien und in den Mittelmeerländern, als "charakteristisch für die
Juden" (B. Cecil Roth), die es als Diamantenschleifer und Kunsthandwerker zu
internationalem Ruhm brachten. So ist es nicht verwunderlich, daß z.B. Salomo
Barbut um 1361 für das Augustinerkloster in Barcelona eine kunstvolle Truhe
anfertigte und 1402 drei jüdische Goldschmiede in Huesca vertraglich
verpflichtet wurden, für das bevorstehende Weihnachtsfest ein Kruzifix
herzustellen, oder daß Franz von Assisi, 1214, einem jüdischen Bildhauer Modell
saß usw.
Doch neben den zahlreichen jüdischen Goldschmieden, Buchbindern, Kopisten und
Handschrif-tenmalern im Rheinland, in Spanien und selbst am päpstlichen Hof in
Avignon gab es auch nicht wenige Bildnismaler, die dann besonders während der
Renaissance Beachtliches geleistet haben, wie Mose dal Castellazzo (gest. 1527)
in Venedig, dessen Vater, Abraham Sachs, aus Deutschland eingewandert war. Er
schuf Medaillonbildnisse und Illustrationen zur biblischen Geschichte, die dann
von seinen Söhnen als Holzschnitte vervielfältigt wurden.
Im 17. Jh. gehörten Francesco Ruski aus Rom, Jona Ostiglia aus Florenz (gest.
1675) und Pietro Liberi aus Padua (1614-1687) zu den herausragenden Malern
jüdischer Herkunft. Ostiglias Landschaftsbilder schmückten die fürstlichen
Salons in Florenz, während Pietro Liberi (1614-1687), der in Wien und Venedig
lebte, es dort zu großem Ruhm brachte. Er baute sich später einen Palast am
Canale Grande, wurde zum "Ritter des Heiligen Römischen Reiches" ernannt und
gründete das venezianische Künstlerkollegium.
Als Bildnismaler sollten hier an erster Stelle Salomon Italia genannt werden,
der etwa 1629 nach Amsterdam kam, um dort dreißig Jahre lang als Zeichner und
Kupferstecher zu wirken. Von ihm stammen das berühmte Porträt des theologischen
Mystikers Manasse ben Israel (1642), der übrigens 1636 auch von Rembrandt
dargestellt worden war, sowie das Bildnis des Rabbiners Jakob Jehuda Leon
(1603-1675), der sich nebenbei selbst künstlerisch betätigte. Moses Belmonte
(1619-1647), der im Alter von nur 28 Jahren verstarb, sollte hier ebenfalls
erwähnt werden; er schuf neben verschiedenen Landschaften auch ein Gemälde und
einen Kupferstich mit dem Bildnis seiner Mutter, Simcha Vas Belmonte. Andere
Darstellungen prominenter Juden aus jener Zeit stammen von spanisch-jüdischen
Künstlern, wie David Estevanes (Estéban) von Dänemark "Chacham David Nieto an
seinem Arbeitstisch sitzend", übrigens "ein charakteristisches Beispiel für die
Porträtkunst des beginnenden 18. Jhs." (B. Cecil Roth) , Solomon de Silva, der
ein "Bildnis des Chacham Mosche Gomez de Maskita" schuf, sowie eine begabte
Malerin, Caterine da Costa (1679-1756), die nicht nur die erste
englisch-jüdische Künstlerin sondern wahrscheinlich auch die erste jüdische
Künstlerin überhaupt war. Von ihren zahlreichen Gemälden seien hier die
Familienporträts genannt, von denen einige "einen naiven Zauber" ausstrahlen,
darunter auch das Bild ihres Vaters, des Arztes Fernando Mendes (1721), dessen
zeitgenössische Kleidung detailgetreu wiedergegeben wird, sowie eine Miniatur
ihres zehnjährigen Sohnes Abraham (1714).
Das aschkenasische Judentum tritt erst später in die europäische Arena moderner
Malerei ein, und seine Präsenz beginnt etwa im 18. Jh. mit Jehuda Leib Pinchas
(1727-1793), Sohn des Toraschreibers Samuel Pinchas aus Lehrberg. Nachdem er die
Kalligraphie der hebräischen Buchstaben bereits mit dreizehn Jahren meisterhaft
beherrschte und durch eine Estherrolle und eine Pessach-Haggada viel Lob
erntete, erhielt er durch die Vermittlung des Markgrafen von Ansbach eine
gediegene künstlerische Ausbildung. Danach änderte er seinen Namen in Leo Pinhas
und wurde markgräflicher Hofmaler. Ebenso begabt und bekannt war auch sein Sohn
Salomon Pinhas (1759-1837), der als Maler an den fürstlichen Höfen von Kassel
und Bayreuth wirkte und "nebenbei" zahlreiche Porträts jüdischer Bürger schuf.
Ebenfalls aus der Gegend von Lehrberg kam auch der Jude Wolf Nathan, dessen Sohn
Joel Nathan zum Christentum übertrat und sich dann Joseph Marquard Treu
(1713-1796) nannte. Er wurde bekannt als Miniaturmaler und Hofmaler in seiner
Heimatstadt Bamberg. Seine sechs Kinder, drei Töchter und drei Söhne, waren alle
zeichnerisch ungewöhnlich begabt. Von ihnen übernahm Joseph Christian Treu
(1739-1799) nach dem Tod des Vaters die Stelle des fürstbischöflichen Hofmalers
in Bamberg; Johann Nikolaus Treu (1734-1786) erhielt eine ähnliche Anstellung
beim Fürstbischof von Würzburg und wurde trotz seiner jüdischen Herkunft
einer der beliebtesten Altarmaler in Franken. Ein anderer jüdischer Hofmaler,
Anton Raffael Mengs (1728-1779), der beim Kurfürsten von Sachsen tätig war und
danach sogar die Vatikanische Akademie leitete, wurde zu einem der
einflußreichsten und bedeutendsten Künstler jener Zeit. Sein Vater, Ismael Mengs
(1688-1746), hatte als deutscher Jude zeitweilig in Dänemark gelebt und sich
christlich taufen lassen, um dann Maler am königlichen Hof in Dresden zu werden.
Unter den jüdischen Künstlern jener Epoche ragt besonders Jeremias David
Alexander Fiorino (1797-1847) hervor, ein begabter Porträtist, der schließlich
Hofmaler des Königs von Sachsen wurde und heute als "einer der besten
Miniaturmaler seiner Zeit" (B. Cecil Roth) gilt. Zwei andere bekannte Hofmaler
waren Lippmann Fraenckel (1772-1857), in Parchim/Mecklenburg als Sohn polnischer
Juden geboren, in Kopenhagen als erfolgreicher Hofminiaturmaler tätig, und
Michael Johann Friedrich Loewe (1756-1831, Moses Samuel Loewe), den die
russische Kaiserin Katharina II. und der Philosoph Immanuel Kant förderten. In
Berlin waren es Heinrich Bendix (1768-1826), der die Herrscher seiner Zeit
Napoleon I., Friedrich Wilhelm III., ferner Alexander I. von Rußland, Königin
Louise, Kaiserin Elisabeth von Russland u.a. malte, dann die aus Breslau
stammenden Brüder Henschel August (gest. 1829), Friedrich (gest. 1837), Moritz
(gest. 1862) und Wilhelm (gest. 1865) , die als Lithographen, Kupferstecher und
Miniaturmaler außer patriotisch-historischen Bildern auch eine Reihe von
Porträts schufen.
Als erster jüdischer Medaillonmaler, von dem zahlreiche kunstvolle Bildnisse
stammen, gilt Joel ben Lippmann Lewi, der ein Porträt des Rabbiners Elieser ben
Samuel Schmelke von Brody anfertigte, als dieser 1735 nach Amsterdam berufen
wurde. Ihm folgte, in den Jahrzehnten danach, in Deutschland eine Schule
jüdischer Medaillonmaler, zu der unter anderen Samuel Judin (ca. 1730-1800),
Abraham Ahron (1744-1842), Jakob Abraham (1723-1800) und sein Sohn Abraham
Abramson (1754-1811) gehörten, der, wie auch sein Vater, am Hofe Friedrich des
Großen tätig war und dann als erster Jude zum Mitglied der Preußischen Akademie
der Künste ernannt wurde. Er fertigte eine Serie von Medaillons "deutscher
Geistesgrößen" an; unter diesen befindet sich auch der Philosoph,
Literaturkritiker, Bibelübersetzer und Reformer Moses Mendelssohn.
Moritz Daniel Oppenheim:
Der alte Reinach kondoliert dem trauernden Raaf und seiner Tochter Mine
(Zeichnung), 1840
In England, wo den jüdischen Einwanderern mehr Toleranz und
Akzeptanz entgegengebracht wurde, als im übrigen Europa, konnte bald eine Gruppe
jüdischer Künstler auf sich aufmerksam machen; es waren Graveure, Silberschmiede
und Miniaturmaler, die sowohl für jüdische als auch für christliche
Auftragsgeber arbeiteten. Zu ihnen gehörten der Silberschmied Abraham Ezchiel
(1757-1806), der auch zahlreiche Bucheignerzeichen entwarf und miniaturhafte
Bildnisse malte, der Porträtist Salomon Pollak (1757-1839), aus Holland
eingewandert und auch als Buchgrafiker tätig, sowie Salomon Jomtow Bennet
(1761-1838), der aus Polen stammte und bereits in Berlin durch seine
Kupferstichporträts der Königin Luise, Friedrichs des Großen und Daniel
Chodowieckis bekannt wurde und für sein Bildnis Friedrich Wilhelms II. den
damaligen "Staatspreis" erhielt. Ein Einwanderer war auch Francis Town (Towne,
1738-1826), der aus Deutschland kam und dessen Söhne Benjamin, Charles
(1781-1854) und Eduard (1790-1870) in der Königlichen Akademie ausstellten und
als Maler bekannt wurden. Von den traditionsorientierten jüdischen Künstlern
sollte hier Frederic Benjamin Berlin, Sohn des Kantors der Gemeinde von Chatman,
hervorgehoben werden; er schuf eine Reihe von berühmten Ölgemälden, darunter
auch ein ausdruckstarkes "Bildnis des Oberrabbiners Salomon Herschel" und das
von Stil und Farbgebung her "typisch englisch" wirkende Porträt des "Chacham
Rafael Meldola".
John (Johann) Joseph Zofani (1733-1810), der aus Frankfurt stammte und wie die
meisten englisch-jüdischen Maler ein Einwanderer war, soll nun diese Suite
großer Namen aus der Zeit vor der Emanzipation abschließen, wobei die Aufzählung
wie immer fragmentarisch bleibt, weil hier nur einige wichtige Künstler erwähnt
werden konnten. Zofani jedenfalls gehörte zu den Gründungsmitgliedern der
Königlichen Akademie (1769), hielt sich danach in Italien und Indien auf, wo
zahlreiche Arbeiten entstanden und kehrte 1790 nach England zurück, wo er bis zu
seinem Tode blieb. Von manchen Kunsthistorikern wird seine jüdische Herkunft
angezweifelt, obwohl er in der damaligen jüdischen Gesellschaft vielfach
eingebunden war. Das belegt unter anderem auch ein Porträt des begabten
jüdischen Musikers James Basevi-Cerveto, der aus Verona stammte und das Cello in
England einführte. Die beiden, heißt es, waren "als Juden" befreundet gewesen.
Aus einer vertrauten Welt
Man sollte nun vielleicht zuerst darüber nachdenken, wie jüdische bildende Kunst
heute definiert werden kann. Was kennzeichnet also die jüdische Malerei der
Moderne?
Diese Frage wird hier gewiß nicht zum erstenmal gestellt. Doch der Versuch,
darauf eine einleuchtende Antwort zu finden, wurde bisher nicht immer
überzeugend durchgeführt.
Uns geht es diesmal primär um die bildende Kunst der Moderne. Und da muß schon
einschränkend festgestellt werden, daß ein Kunstwerk, das im 20. Jh. "von einem
Juden" geschaffen wurde, nicht selbstverständlich der jüdischen Kunst zugeordnet
werden kann. Denn z.B. die stimmungsvollen Landschaften von Camille Pissaro, die
farbigen Gemälde von Max Liebermann, dem Begründer des deutschen Impressionismus
und Initiator der "Berliner Sezession", die geometrischen Abstraktionen von Otto
Freundlich, die expressionistischen Arbeiten von Max Weber, die
konstruktivistischen Werke von Chaim Soutine, El Lissitzky (Elijeser Markowitsch
Lissitzki) und Lászlo Moholy-Nagy, die kinetischen Skulpturen von Naum Gabo (Neemia
Borissowitsch Pevsner) oder die surrealistischen Kompositionen von Victor
Brauner wie auch die Arbeiten der Objektkünstler Meret Oppenheim, Tristan Tzara
(Samuel Rosenstock), dem Initiator des Dadaismus, gehören weder vom Inhalt noch
von der Aussage her zur jüdischen Kunst. Ebenso die Vielfalt von künstlerischen
Schöpfungen der Neuzeit und der europäischen Avantgarde bis hin zum magischen
Realismus des Adolph Gottlieb, zur Pop-Art mit Roy Liechtenstein und Robert
Rauschenberg und zur Eat Art mit Daniel Spoerri (Daniel Isaak Feinstein). Kaum
ein jüdischer bildender Künstler der Moderne die hier genannten Namen und
viele andere sind heute weltbekannt gehört, so gesehen, automatisch auch in
den Bereich jüdischer Kunst, soweit dieses kreative und geistige Areal deutlich
konturierbar ist.
Als jüdische Kunst könnte man jedoch jene zwanzig Gemälde von Moritz Daniel
Oppenheim bezeichnen, die Szenen aus dem häuslichen und religiösen jüdischen
Leben wiedergeben. Es sind die ersten künstlerischen Darstellungen des jüdischen
Bürgertums in Deutschland aus der Sicht eines jüdischen Malers. Viele seiner
Werke wurden auch als Stiche reproduziert und 1865 in einem Album unter dem
Titel "Bilder aus dem altjüdischen Familienleben" veröffentlicht. Eines der
ersten gefühlvollen und manchmal auch sentimental wirkenden Genrebilder
Oppenheims aus der Reihe entstand 1833 und trägt den Titel "Heimkehr eines
jüdischen Freiwilligen zu den nach alter Sitte lebenden Seinen". Obwohl oft
rührselig in der Aussage sollten diese Bilder, wie Nachum T. Gidal schreibt,
auch als "Dokumente jüdisch-deutscher Sozialgeschichte, dem Wunschtraum der
Juden, ein von der christlichen Umgebung als legitim anerkanntes jüdisches Leben
führen zu können" betrachtet werden. Das war einer der Gründe, weswegen es
Oppenheim bald zu großem Ruhm und Erfolg brachte.
Zur bahnbrechenden jüdischen Kunst gehören auch die Porträts und Gruppenbilder
von Eduard Julius Friedrich Bendemann (1811-1880), wie "Die trauernden Juden im
Exil", die Werke der Maler Jeskel Salomon, so "Das Anzünden der Kerzen am
Sabbath" u.a., Alexander Hart eines seiner herausragenden Bilder trägt den
Titel "Simchat Tora" , Aleksander Lesser, Jehuda Epstein, Adolf Behrmann, Józef
Messer und ganz besonders Moritz Gottlieb, der aus Galizien stammte und als
Wegbereiter des polnisch-jüdischen Genrebildes in nur fünf Jahren, 1874-1879,
ein beeindruckendes Werk schuf. Er starb dreiundzwanzigjährig, und im Jahr vor
seinem frühen Tod, 1878, entstand noch das berühmte Gemälde "Jom Kippur", das
eine empfindsame Einsicht in eine polnische Synagoge vermittelt, wo sich am
Festtag Juden mit Tallith und Strejmel andächtig versammelt haben.
Jüdische Kunst wurde, wie diese Beispiele zeigen, immer aus dem unmittelbar
Erlebten und aus einer vertrauten Erlebniswelt geschaffen. Das kann dann auch
von weiteren Vertretern dieser Art Genremalerei gesagt werden, die meist aus
Polen kamen oder dort künstlerisch tätig waren, wie Szymon Buchbinder
(1853-1908), Samuel Hirschenberg (Hirszenberg, 1865-1908), der nach den Pogromen
das Thema der Flucht in die Kunst einführte, Zygmunt Nadel (1896-?) und Maurycy
Trebacz (1861-1942) oder die aus Rußland stammende Malergruppe Leonid Pasternak
(1862-1945), Arthur Markowitz (1872-1934) und Lazar Krestin (1868-1938). Sie
schilderten in ihren Bildern ausführlich das jüdische Milieu in den kleinen
galizischen und westrussischen Ortschaften, der Schtetls Straßenszenen,
Musikanten (Klesmorim), Wasserträger, Männer beim Studium des Talmud,
Dorfbewohner (Jischuwnikes), Bildnisse mit familiär-intimen Zügen ostjüdischer
Menschen u.a.
In Ungarn waren es István Beregi (Sámuel Welber, 1876-1943), der im damaligen
Oberungarn, der heutigen Karpatenukraine (Transkarpatien), lebte und wirkte,
Isaak Perlmutter (1866-1932) und vor allem Isidor Kaufmann (1853-1921), in Arad
geboren (seit 1918 Westrumänien), der Schtetls in Galizien, Lodomerien, Podolien,
Wolhynien und Polesien bereiste und dort zahlreiche Genrebilder und jüdische
Porträts schuf. Berühmt wurden die Gemälde "Schachspieler", "Talmud-Studium",
"Sohn des Wunderrabbis von Belz", "Mann mit Torarolle" u.a., die zu seinen
Hauptwerken gehören.
Als jüdische Kunst kann man also Werke bezeichnen, in denen sich der Künstler
in diesem Fall der Maler und Grafiker geprägt durch Herkunft und Wissen, mit
Alltag, Kultur und Religion des Judentums gestalterisch auseinandersetzt. Diese
elitäre wegbereitende Reihe jüdischer Künstler beginnt im 19. Jh. mit Moritz
Daniel Oppenheim und reicht im 20. Jh. bis zu Hermann Struck, Ephraim Moses
Lilien, Marc Chagall, Arik Brauer, Iosif Iser, Marcel Janco, Clarette Wachtel
u.a. Bemerkenswert ist, daß außer Oppenheim und Struck alle anderen hier
Genannten aus Osteuropa stammen. Auf ihr Werk werden wir noch zu sprechen kommen
und dann besonders die Bildnisse jüdischer Menschen näher betrachten.
Anders als in der Malerei und Grafik verhält es sich mit Gestaltungen aus dem
sakralen Bereich, der religiösen Kunst, mit handwerklichen Arbeiten der Gold-
oder Silberschmiede, von denen ein Teil anhand der Punzen oder Stempel Marken,
Buchstaben, Zeichen u.a. eindeutig jüdischen Meistern zugeordnet werden kann,
wenn auch manche sakrale Objekte aus älteren Zeiten, wohl als "Auftragskunst",
von christlichen Zünften hergestellt wurden. Ein traditionsgeprägtes jüdisches
Kunstgewerbe, das dann für Generationen wegweisend wurde, entstand erst um die
Jahrhundertwende, d.h. um 1900, im damaligen Palästina, wonach der in Worna
(Litauen) geborene Bildhauer, Maler und Kunstpädagoge Boris Schatz (eigentlich
Salman Dow Baruch Schatz, 1866-1932) im Jahr 1906 in Jerusalem die berühmte
Bezalel-Kunstgewerbeschule gründete. An ihr studierten Moshe Castel, Zeew Ben
Zwi, Naftali Bezem, Itzhak Danziger, Maryan S. Maryan, Samuel Bak u.a. Es war
die erste und bedeutendste moderne Kunststätte Palästinas, zu deren Mitgestalter
Ephraim Moses Lilien gehörte und wo unter anderen Samuel Hirschenberg, Abel Pann,
Abraham Ofek, Jakob Steinhardt, Richard und Erich Goldberg als Lehrer wirkten.
Diese Künstler und Kunstpädagogen kamen charakteristisch für jene Zeit aus
Litauen (Schatz), Lettland (Pann), Polen (Zwi, Maryan, Hirschenberg, E. und R.
Goldberg), Österreichisch-Galizien (Lilien), Rußland (Steinhardt), Bulgarien (Ofek),
Palästina (Castel) und Deutschland (Bezem, Danziger). Wie man sieht, waren die
meisten von ihnen osteuropäischer Herkunft.
Bezalel, Sohn des Uri aus Juda, war einst der Name eines äußerst begabten
Künstlers, der um das Jahr 1000 v.Z. lebte und unter anderem mit der Erstellung
der Stiftshütte, ihrer Gefäße sowie der Bundeslade betraut wurde. Von ihm
stammte auch der große Messingaltar, der bis zur Zeit König Davids (1010-970 v.Z.)
vor dem Versammlungszelt auf der Höhe in Gibeon stand und auf dem Salomon
(965-926 v.Z.), Davids Nachfolger und Sohn, den er mit einer seiner vielen
Frauen, Batseba, gezeugt hatte (1. Jh. v.Z.) seine Opfer darbrachte. Bezalel
(d.h. "In Gottes Schatten/Schutz") darf heute als der erste namentlich bekannte
jüdische kreative Künstler bezeichnet werden. Und hier ließe sich wieder ein
Bogen spannen, diesmal über dreitausend Jahre von Bezalel zu Boris Schatz, dem
Aufleben und der neuen Blüte jüdischen Kunsthandwerks.
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