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Jüdische Exilanten:
In der amerikanischen Abwehr

Susanne Swantje FALK

Am 8. Dezember 1941 treten die Vereinigten Staaten von Amerika nach dem Angriff Japans auf Pearl Harbour aktiv in den Zweiten Weltkrieg ein. In der amerikanischen Armee dienen fortan zahlreiche europäische Emigranten mit US-amerikanischem Staatsbürgerschaftsnachweis, und es werden in den kommenden Kriegsjahren noch Tausende folgen.

Auf ihren Erkennungsmarken tragen viele von ihnen das Zeichen „H“ für „Hebrew“, das sie als Mitglieder der jüdischen Glaubensgemeinschaft auszeichnet. Dies soll ihnen im Falle ihres Todes ein Begräbnis nach ihrem persönlichen Glaubensritus garantieren. Falls sie den Deutschen als Kriegsgefangene in die Hände fallen, würde die Kennzeichnung als jüdische Soldaten dagegen mit großer Wahrscheinlichkeit ihren Tod bedeuten. Einige Soldaten wählen bewusst das „H“ auf ihrer Marke zum Zeichen ihrer Identität, auch wenn sie sich damit bei einer Gefangennahme in größte Gefahr begeben, andere lassen sich vorausblickend ein „P“ für „Protestantisch“ oder den Buchstaben einer anderen Glaubensgemeinschaft einprägen.1 Ihnen allen gemeinsam ist aber, dass sie, die jüdischen Emigranten in der amerikanischen Armee, im Kampf gegen ein nationalsozialistisches Deutschland einen unglaublich wichtigen Beitrag leisten, denn sie kennen die Mentalität und die Sprache des Landes, gegen das sie kämpfen, und verhelfen den Amerikanern damit zu einem unschätzbaren Vorteil. Viele Emigranten finden daher auf Grund ihrer Vorkenntnisse Einsatz in der psychologischen Kriegsführung.

Die US-Armee bereitete sich seit geraumer Zeit auf ihren Eintritt in das Kriegsgeschehen im europäischen Raum vor, doch erst seit den Kriegserklärungen an Japan und jener der Deutschen und Italiener vom 11. Dezember 1941 an die USA kam es zu massiven Truppenaufstockungen. Im Mai 1941 hatte man bereits die allgemeine Wehrpflicht eingeführt, doch die Emigranten aus Europa waren, soweit sie nicht inzwischen die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hatten, vorerst vom freiwilligen Kriegsdienst ausgeschlossen. Vielfach schlug den ihnen auf Grund ihrer Herkunft Misstrauen entgegen, man warf sie als deutsche Juden trotz ihrer offensichtlichen Verfolgung in einen Topf mit Nationalsozialisten oder verdächtigte sie gar der Spionage. Im Frühjahr/Sommer 1942 ging man jedoch daran, Exilanten aus dem einzelnen Armeegruppen herauszulösen und der Abteilung für psychologische Kriegsführung zuzuführen. Die meisten dieser Soldaten hatten ihre Grundausbildung bereits absolviert und warteten auf ihren Einsatz in Europa, Asien oder Afrika. Im Verlauf der nächsten drei Jahre kamen ca. 20.000 von ihnen nach Camp Ritchie, einem Camp des Military Intelligence Training Center (MITC) im Staate Maryland, wo sie in psychologischer Kriegsführung geschult wurden. Sie waren besonders auf Grund ihrer Sprachkenntnisse (vorwiegend Deutsch) ausgewählt worden und erhielten nun eine Ausbildung, die sie zu Spezialisten im Kampf gegen Hitler-Deutschland machen sollte. Christian Bauer und Rebekka Göpfert dokumentieren die Geschichte der so genannten „Ritchie-Boys“ erstmals 2005 in dem gleichnamigen Dokumentarfilm. Dazu Bauer/Göpfert: „In jeder anderen Einheit der Armee wären Leute wie die Ritchie Boys Außenseiter gewesen: verlacht, verspottet, nutzlose Helden. Camp Ritchie gab ihnen ihren Stolz zurück und bot ihnen Gelegenheit, mit ihren ureigenen Mitteln zu kämpfen – mit ihrer intimen Kenntnis europäischer Sprachen und der Psychologie des Feindes.“2 Zu den „Ritchie-Boys“ gehörten bekannte Schriftsteller und Journalisten wie Stefan Heym, Klaus Mann, Ernst Cramer (späterer Chefredakteur der Welt am Sonntag), Hans Habe (der dort auch als Ausbilder tätig war), Hans Wallenberg uva.

Zum wichtigsten Schulungsgegenstand wurden die Verhörtaktiken, derer sich die Soldaten im Einsatz in Europa bedienen sollten, um dort in so genannten „Direct-Broadcast-Einheiten“ Kriegsgefangene und Überläufer zu befragen. Man ging davon aus, dass die durch Verhöre gewonnenen Informationen von größerer Bedeutung für den Kriegsverlauf sein würden als etwa durch Spionagetätigkeit gewonnene Erkenntnisse, etwa über deutsche Truppenstärken, deren Versorgungssituation, strategische wie auch taktische Ziele des Feindes oder einfach den Stand der Ausrüstung auf deutscher Seite. Die Ausbildung war anstrengend, es blieb kaum Zeit, die Inhalte und Eindrücke zu verarbeiten. So schreibt Stefan Heym in seinen Memoiren „Nachruf“: „Die Instrukteure in Ritchie, zumeist Offiziere, bemühen sich; aber die wenigsten sind Pädagogen, und so wird das Zeug in die Gehirne gepaukt, ob es dort in geeigneter Weise verarbeitet wird oder nicht. Die Hauptsache ist: viel und unter Druck.“3 Daneben bereitete man sich intensiv auf die Übernahme und den Wiederaufbau des Presse- und Nachrichtenwesens vor. Zu diesem Zweck wurde ein zweites Camp in der unmittelbaren Umgebung von Camp Ritchie eingerichtet, Camp Sharpe. Dort schulte Hans Habe zahlreiche zukünftige Spitzenjournalisten Deutschlands und bereitete sie auf ihre Aufgaben in Printmedien und Funk vor, mit Schulungen vom Zeitungssetzen bis hin zur Rundfunkredaktion.4 Damit waren diese „Ritchie-Boys“ auf ihre spätere Aufgabe, ein freies Nachrichten- und Pressewesen in Deutschland nach dem Ende des Krieges aufzubauen, relativ gut vorbereitet.

Dagegen war man weder auf die Kriegsgräuel noch die Ausmaße des Holocaust gefasst. Viele „Ritchie-Boys“ nahmen, so Bauer und Göpfert, an den Befreiungen der Konzentrationslager teil, nicht wenige wurden durch die schrecklichen Bilder aus diesen Wochen Zeit ihres Lebens traumatisiert. Umso schwieriger war es für die amerikanischen Exilanten, sich in der Folgezeit der Kritik der „Mitläufer“ oder der inneren Emigranten gegenüber zu sehen. Wer nach Deutschland remigrierte, tat dies zunächst im Bewusstsein, als Sieger und Befreier in die Heimat zurückgekehrt zu sein, sah sich dann aber häufig Anfeindungen ausgesetzt. So etwa auch Hans Habe, der nach Kriegsende mit der Aufgabe betraut worden war, in der amerikanischen Besatzungszone ein neues, freies Pressewesen zu installieren. Habe gründete 18 Zeitungen, darunter Blätter wie die Neue Zeitung, das offizielle Sprachorgan der Amerikaner und zeitweilig größte überregionale Zeitung Deutschlands, den Weser Boten oder auch die Allgemeine Zeitung in Berlin, aus der später der Tagesspiegel hervorging. In der Wahrnehmung einiger deutscher Kollegen ist Habes amerikanische Staatsbürgerschaft, seine Äußerungen zum Thema „Umerziehung“ und die Teilnahme an der amerikanischen Besatzung Deutschlands gleichbedeutend mit einer Befürwortung des Morgenthau-Plans. Man nennt ihn daher im Sinne eines einfältigen Antiamerikanismus (und mehr oder weniger versteckten Antisemitismus) einen »Morgenthau-Boy«.

Doch nicht allein die Anfeindungen in ihrer alten Heimat bereiten den Remigranten Kopfzerbrechen, auch die Interessen der Amerikaner wandeln sich im heraufziehenden Kalten Krieg: „Der Zwang der herrschenden Verhältnisse wandte sich gegen die Ideale der Ritchie Boys. Im Krieg hatte man ein gemeinsames Ziel gehabt: den Nationalsozialismus zu besiegen. Jetzt zeigte sich, daß sich die Vorstellungen der politischen Emigranten oft von den Zielen der amerikanischen Politik unterschieden. Der beginnende Kalte Krieg stürzte gerade jene Ritchie Boys, die den Krieg gegen Nazideutschland als moralische Pflicht begriffen hatten, in ein Dilemma.“5 Unter diesen ist auch Stefan Heym, der sich von den Amerikanern enttäuscht abwendet und in die sowjetisch besetze Zone geht. Die Umstände erfordern eine politische Positionierung, gerade für die geistige „Elite“ im deutschsprachigen Raum. „Wichtig wird, ob ein Schriftsteller in einem Staat lebt, der zur Nato oder zum Warschauer Pakt gehört.“6 Die „Umerziehung“ und Entnazifizierung unter amerikanischer Aufsicht wurde zum Zankapfel zwischen Idealisten, Angepassten und Kalten Kriegern. Ein gutes Stück der „Umerziehung“ basierte auf den Vorbereitungen durch die Emigranten selbst, so z. B. im erfolgreichen Aufbau eines freien Informations- und Pressewesens, doch war kein durchführbares Gesamtkonzept erarbeitet worden: „Ein wesentlicher Teil des allenfalls vage definierten Umerziehungsprojektes fiel der Nachfolgeorganisation der PWD [Psychological Warfare Division, Anm. d. Verf.], der Informationskontrollabteilung, zu; ihr unterstand der Aufbau und die Überwachung aller kulturellen Aktivitäten, inklusive des Theater- und Musiklebens, der Film- und Kinoproduktionen, der Verlage, der Radiostationen und aller Druckmedien.“7 Die Demokratisierung Deutschlands mit Hilfe von Propaganda oder „Meinungsmanipulation“ durchzuführen „stand in direktem Widerspruch zur Maxime der ,freien Rede’“, so Gienow-Hecht. Wenn es gelungen ist, dieses Ziel ohne Hilfe von Manipulation zu erreichen, dann vor allem durch die Mithilfe der Remigranten, welche das durch Kriegseinsatz von ihnen hart erkämpfte Recht auf freie Meinungsäußerung als größten Erfolg ihrer Arbeit betrachten konnten.

1 Gegen Ende des Krieges verzichteten die Amerikaner auf das Kennzeichen der Religionszugehörigkeit für ihre Soldaten, einerseits weil man einsah, dass man die Männer unter Umständen einer Gefahr aussetzte, andererseits weil man ihnen ohnehin in vielen Fällen keine ordnungsgemäße Bestattung garantieren konnte.
2 BAUER, Christian und GÖPFERT Rebekka: Die Ritchie Boys. Deutsche Emigranten beim US-Geheimdienst. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2005. S. 9
3 HEYM, Stefan: Nachruf. C. Bertelsmann Verlag, München 1988. S. 253
4 Mit der Übernahme des Radiosenders Luxemburg im Spätherbst 1944 kommen die „Ritchie-Boys“ dabei als Rundfunkredakteure zum ersten Mal zum Einsatz. Man sendet das erste Mal seit Kriegsbeginn mit einem freien Sender in deutscher Sprache. Daneben läuft die Produktion von Flugblättern auf Hochtouren, die über deutschem Gebiet abgeworfen werden und die zum Ziel haben, die deutschen Soldaten zur Aufgabe zu bewegen.
5 BAUER/GÖPFERT: Die Ritchie Boys, S. 186
6 MERTZ, Peter: Und das wurde nicht ihr Staat. Erfahrungen emigrierter Schriftsteller mit Westdeutschland. Büchergilde Gutenberg, Frankfurt a. M. 1985.
7 GIENOW-HECHT, Jessica C. E.: Zuckerbrot und Peitsche. Remigration in der Medienpolitik der USA und der US-Zone. In: Zwischen den Stühlen? Remigranten und Remigration in der deutschen Medienöffentlichkeit der Nachkriegszeit, hrsg. von Claus-Dieter KROHN und Axel SCHILDT. (Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, hrsg. von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg). Hans Christians Verlag, Hamburg 2002. S. 27

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