Aufsehenerregende Formen:
Eine Zeit zum Bauen!
Angeli Sachs und
Edward van Voolen zeigen einen Querschnitt der besten Projekte in den USA, Israel und
Europa...
Isabella MARBOE
Daniel Libeskinds jüdisches Museum in Berlin, Moshe Safdies
neue Holocaust-Gedenkstätte am Berg der Erinnerung in Jerusalem, Mario Bottas
Cymbalista-Synagoge mit Kulturzentrum in Tel Aviv, ein von Frank O. Gehry
geplantes Museum der Toleranz ist gerade im Bau: weltweit entwerfen
hochkarätige, zeitgenössische Architekten moderne, jüdische Bauten in aufsehenerregenden Formen. In der Ausstellung Eine Zeit zum Bauen! Jüdische
Identität in zeitgenössischer Architektur zeigen die Kuratoren Angeli Sachs und
Edward van Voolen einen Querschnitt der besten Projekte in den USA, Israel und
Europa.
Im Sommer war die Schau im jüdischen Museum Wien zu Gast, nun wandert
sie nach München, London und Tel Aviv.
Holocaust Museum, Ralph Appelbaum
Wie ein kurz vor der Entladung schockstarr zur Masse erstarrter Blitz
durchmessen die markanten, zackig zerklüfteten Gebäudeformationen von Daniel
Libeskinds jüdischem Museum in Berlin die Stadtlandschaft, ziehen tiefe Furchen
in deren Erde. Umhaust von einer titanverzinkten Fassadenhaut, die von
messerscharf eingeschnittenen, unregelmäßigen Fensterstreifen durchschlitzt ist,
bleibt diese Architektur am Grat zwischen wuchtiger Masse und filigraner
Verletzlichkeit unauslöschlich im kollektiven Bildgedächtnis haften. Als Sohn
polnischer Juden, deren Familie vom Holocaust hinweggerafft worden war, hatte
sich Libeskind intensiv mit der Thematik auseinandergesetzt, sein brüchiges,
leerraumdurchzogenes Projekt war der brillante Sieger aus 165 weltweit
eingereichten Entwürfen. Sein erster Bauauftrag lockte bereits zur
Entstehungszeit scharenweise Schaulustige an. Seit seiner Eröffnung im Herbst
2001 wurde der zwingend expressive Zubau an das barocke Berlin-Museum neben
Reichstag und Brandenburger Tor zum Wahrzeichen der Stadt und zum Synonym
zeitgenössischer jüdischer Architektur. Mit diesem Meisterwerk gelang es
Libeskind, Geschichte und Auslöschung des Berliner Judentums, vor der das Wort
verstummt, eine komplex gebrochene Form zu geben, die aus der Überlagerung
diverser geschichtlich-städtebaulicher Bedeutungs-und Zeitebenen resultiert.
Fünf Leerräume stehen für das Unzugängliche: die Auslöschung von so viel Leben.
Symbolisch betretbar ist nur einer davon.
The Jerusalem Museum of Tolerance, Frank O.
Gehry
Libeskinds Museum ist das meistpublizierte, prominenteste, aber bei weitem nicht
einzige Architekturbeispiel, in dem sich ein neues jüdisches Selbst-bewusstsein
ausdrückt. Sechzehn aufsehenerregende Gedenkstätten, Museen, Synagogen,
Kultur-Gemeindezentren und Schulen, die teils noch im Entstehen sind,
versammelten das Kuratorenteam Angeli Sachs und Edward van Voolen in der
Ausstellung Eine Zeit zum Bauen! Jüdische Identität in zeitgenössischer
Architektur, die nach einer Präsentation in Berlin im Sommer in Wien gastierte
und nach München, London und Tel Aviv weiterwandert. Wer sie verpasste, kann ihr
nachreisen, im jüdischen Museum den informativen Katalog erstehen oder sich auf
die Reise begeben, um die eindrucksvollen Gebäude vor Ort auf sich wirken zu
lassen.
Cymbalista Synagoge, Mario Botta
Die Geschichte des jüdischen Volkes ist seit biblischen Zeiten auch eine
Geschichte der Wanderschaft: jahrhundertelang zogen Generationen von
Diaspora-Juden über die Kontinente, um Heimat in der Fremde zu finden. Die
blühenden Gemeinden entwickelten eine sehr differenzierte Architektursprache,
die von der Tradition osteuropäischer Holzssynagogen über folkloristisch
maurische Stilformen, um Assimilation bemühte historistische Anleihen bis hin zu
Marksteinen der frühen Moderne reichte. Mit der unerbittlichen Wucht des
Unfassbaren fegte der Holocaust alles hinweg, was in Europa gewachsen war,
hinterließ eine tiefe Kluft und Leere. Während es in Amerika eine
kontinuierliche Entwicklung und in Israel eine an die Internationale Moderne
anschließende, vom mediterranen Klima geprägte Bautradition gibt, dauerte es
zwei Generationen, bis die europäischen Gemeinden als Bauherren mit
wiedererstarktem Selbstbewusstsein aus dem Schatten dieser Vergangenheit treten
konnten. Nun ist diese Kluft überwunden, nahtlos reiht sich europäische jüdische
Architektur in den Reigen hochkarätiger, international beachteter Bauten ein.
Daniel Libeskind, Jewish Museum, Berlin
Eines der inhaltlich wie formal ambitioniertesten Projekte ist derzeit in
Jerusalem am Entstehen: Frank O. Gehry, dessen Guggenheim-Museum in Bilbao
legendäre Besuchermassen anzog und den einschlägig bezeichnenden Terminus
Bilbao-Effekt prägte, entwarf im Auftrag des Simon Wiesenthal Centers Los
Angeles ein Museum der Toleranz in Altstadt-Nähe. In bekannter Material-und
Formenvielfalt entwickelte Gehry einen mehrere Gebäude umfassenden Komplex aus
unregelmäßig geschwungenen, teils ineinander verkeilten, plastischen Bauteilen.
Glaskuppelüberwölbt zeigt sich das Theater, die große Halle erinnert an
aufgeschnittene Apfelspalten, das westseitig verschlossene Museum bricht
gleichsam im Osten kantig verglast auf, während am Bildungszentrum aus
Jerusalemer Stein ein mit blauen Titanplatten verkleidetes Forschungszentrum
sitzen soll. Über 120 Mio. Dollar soll das nicht unumstrittene Projekt kosten,
ob es seinen hohen Erwartungen entsprechen und die Toleranz fördern kann, wird
sich erst weisen.
Heinz-Galinski School, Berlin, Zvi Hecker
Moshe Safdies neues Yad Vashem Holocaust Museum am Berg des Gedenkens hingegen
hat die Feuerprobe seiner Eröffnung bereits mit Bravour bestanden: als 175 m
langer, 16 m hoher, dreieckiger Keil durchschneidet es den Hang, schickt die
Besucher ins fast dunkle, von Oberlichtern erhellte Innere, um sie unter
flügelschwingenartig ausgebreiteten, lichten Enden wieder in die Wirklichkeit
der gegenwärtigen Landschaft zu entlassen. Für die Gestaltung von
Holocaust-Gedenkstätten fand zeitgenössische jüdische Architektur vielfältige
angemessene Ausdrucksformen: aus einem gemauerten Zylinder und einem
Sichtbetonkeil, die an die Rauchfänge und Rampen der Konzentrationslager
erinnern, gestaltete Ralph Appelbaum das Holocaust Museum in Houston, Texas. Bei
der niederländischen Nationalen Gedenkstätte Kamp Vught auf einem Teil des
ehemaligen SS-Konzentrationslagers Herzogenbusch hingegen setzte Architekt Claus
en Kaan auf einen klaren, reduzierten, niederen Baukörper, der mit seiner feinen
horizontal gegliederten Mauerstruktur dem Gedenken einen angenehm ruhigen,
stillen Rahmen gibt.
Zeitgenössische jüdischer Architektur ist so vielgestaltig wie das Judentum
selbst: So erfand der Tessiner Architekt Mario Botta für die Cymbalista Synagoge
mit ihrem Kulturzentrum, die aus zwei himmelwärts anwachsenden, symmetrischen
Zylindern über einem rechteckigen Sockel besteht, den neuen Bautyp einer
Doppelsynagoge. Von außen mit Tessiner Stein verkleidet, wirkt sie wie eine
Burgfestung, innen aber sorgt ein dem Hochzeitsbaldachin nachempfundene, runde
Decke für lichtdurchflutete Helligkeit. Ein geschlossener Baukörper, der
Ganzheit suggeriert, erschien dem israelischen Architekten Zvi Hecker für die
nach dem Krieg auf 60 Mitglieder geschrumpfte, heute wieder auf 2000 Personen
angewachsene Diaspora-Gemeinde in Duisburg unangemessen: er entwarf ihr ein
neues Zentrum, das auf der symbolträchtigen Idee fünf fächerartig
aufgeschlagener Buchseiten beruht, zu denen sich die fünf Finger einer Hand
ebenso assoziieren lassen wie die ersten fünf Bücher Mose oder der Beginn des
hebräischen Alphabets. In seiner dynamischen, räumlichen Auffaltung öffnet sich
das Gebäude nach außen, vermittelt Neubeginn und Wachstum. Seine raue,
unprätentiöse Materialität aus Sichtbeton, weißem Putz, Stahl, Holz und Zink
verleiht ihm eine selbstverständlich starke Präsenz.
Yad Vashem Holocaust Museum, Moshe Safdie
Seit 2001 haben die Dresdner Juden wieder eine neue Synagoge mit
Gemeindezentrum: ein eleganter, langgestreckter Steinsockel, aus dem einerseits
der von zarten, kleinen Fenstern perforierte Quader des Gemeindezentrums mit
fein gegliederter, transparenter Eingangsfassade, andererseits der monolithisch
geschlossene Baukörper der Synagoge ragt. Die Architekten Wandel Hoefer Lorch +
Hirsch fanden hier eine städtebaulich angemessene, reduzierte Form, die mit
ihrer Steinfassade den Tempel ebenso zitiert, wie sie im Innenraum der Synagoge
mit nach Jerusalem orientiertem Thoraschrein und feinem, baldachinartigen
Messinggeflecht auf das Stiftzelt verweist. Themen, die Wandel Hoefer Lorch auch
beim zweistufigen Wettbewerb zum Neubau des Münchner Gemeindezentrums in drei
unterschiedlich hohen, hofbildenden Baukörpern so gekonnt formulierten, dass ihr
Siegerprojekt gerade in Bau ist. Damit wird die drittgrößte Gemeinde
Deutschlands, die nach dem Krieg in einem Hinterhof angesiedelt war, wieder ins
Herz der Stadt zurückkehren.
Von Brücken und Gängen durchzogen, stieben keilförmig zugespitzte, aufgefächerte
Kreissegmente in der Berliner Heinz-Galinski-Volksschule auf ihre leere, runde
Mitte zu. Architekt Zvi Hecker plante den irritierenden Metall-Betonbau, der
sich niedlichen Kinderklischees widersetzt und gerade dadurch die Schüler als
Persönlichkeiten respektiert, die sich ihren Raum erobern können. Klar und
formal reduziert sind hingegen Adolf Krischanitz Lauder Chabad Schule im
Augarten und sein minimalistischer Kindergarten im Wiener Prater, der mit seiner
strengen, schwarzen Betonfassade auf Skepsis stieß. Die Kinder aber lieben ihre
hellen, vom Boden bis zur Sichtbetondecke mit Blick auf die Bäume befensterten
Gruppenräume. Auch auf geschichtsträchtig gewachsenen Wiener Innenstadtboden
findet sich Zeitgenössisches: umsichtig adaptierten die Architekten
Jabornegg-Pálffy das Misrachi-Haus am Judenplatz, in dessen Ensemble Rachel
Whiteread dem Holocaust einen angemessenen Gedenk-Stein setzte. Weit muss man
nicht fahren, um ein beispielhafte, zeitgenössische jüdische Architektur zu
finden.
Jüdische Identität in der zeitgenössischen Architektur:
Von Zeit zu Ort
Das im Prestel Verlag erschienene reich bebilderte Katalogbuch gibt die
Möglichkeit, die Projekte gemütlich zu Hause auf dem Sofa zu studieren...
Jüdische Identität in der zeitgenössischen Architektur:
Jibaneh!
Die Münchner Ausstellung präsentiert eine internationale Übersicht der
Architektur jüdischer Einrichtungen seit dem Ende des 20. Jahrhunderts bis
heute...
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