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Alte Fundamente – Neue Architektur

Ein Interview mit Gérard Sonnenschein, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Graz

Die neue Synagoge erhebt sich aus den Ruinen der alten – welche Bedeutung steckt dahinter?
Sonnenschein:
Die Verwendung der alten Ziegel war für uns von überaus großer Bedeutung. Die Ziegel der alten Synagoge sind damals von den Nationalsozialisten für den Bau einer Garagenmauer verwendet worden und die Israelitische Kultusgemeinde hat sich schon seit Jahrzehnten um die Rückgabe der für uns so wertvollen Ziegel bemüht, sie sollten dann auf dem Israelitischen Friedhof zur Ruhe gebracht werden.
Nach dem einstimmigen Beschluss des Grazer Gemeinderates die zerstörte Synagoge wieder zu errichten, folgte die Planung des Architektenehepaares DI Ingrid und DI Jörg Mayr der angesprochenen Grundidee, indem ca. 9.600 Ziegel der alten 1892 eingeweihten und am 9. November 1938 niedergebrannten Synagoge für die neue Synagoge verwendet wurden.
Jene alten Ziegel wurden übrigens von mehr als 150 Schülerinnen und Schülern der Höheren Technischen Bundeslehranstalt, des Bundesrealgymnasiums Lichtenfelsgasse und der HASCH/HAK Grazbachgasse, über ein Projekt der Kulturvermittlung Steiermark, gereinigt.

Berichten Sie uns bitte kurz über die alte Synagoge.
Sonnenschein:
Für die alte Synagoge erfolgte 1887 der Ankauf des Grundstücks am Grieskai 58, mit der Planung wurde der Wiener Architekt Maximilian Katschner beauftragt. Im Jahre 1892 erfolgte dann, nach zwei Jahren Bauzeit, die Einweihung am rechten Murufer.
Die alte Synagoge war ein quaderförmiger Ziegelbau mit circa 20 m Abmessung im Geviert. Ungefähr 17 m über dem Fußboden war eine Kuppel angesetzt.
Um bei den zahlreichen Führungen sowohl einen Eindruck über die am 9. November 1938 zerstörte Synagoge erlangen zu können, als auch einen direkten Vergleich zwischen beiden Bauwerken zu gewinnen, wurden Modelle beider Synagogen im Maßstab 1:50 angefertigt.
Die Farbgebung in dunklem Ziegelrot bei der alten Synagoge ergab sich aus der Tatsache, dass es keine Farbbeschreibungen gibt und auch die wenigen historischen Schwarz-Weiß Aufnahmen die eigentliche Farbgebung nicht definitiv erkennen ließen.

Wann haben Sie das erste Mal an die Realisierung der neuen Synagoge geglaubt und wie hat sich die „Realisierung“ entwickelt?
Sonnenschein:
Wir als Kultusgemeinde, ich bin mittlerweile seit 25 bis 30 Jahren Kultusvorstand, haben nie eine Synagoge verlangt. 1994 erfolgte die Abklärung von grundsätzlichen Fragestellungen für die Wiedererrichtung der Grazer Synagoge zwischen Vertretern der Stadt Graz, der Israelitischen Kultusgemeinde und Herrn Arch. DI Jörg Mayr hinsichtlich Standort, Größe und Nutzung.
1998 erfolgte der einstimmige Projektgenehmigungsbeschluss durch den Grazer Gemeinderat mit allen vier darin vertretenen Parteien und dann war uns allen klar, dass wir eine neue Synagoge bekommen.
Die Übergabe der neuen Synagoge erfolgte am 9. November 2000 in einem feierlichen Akt unter Anwesenheit von vielen Vertretern aus den Bereichen Politik, Wirtschaft und Kultur und auch vieler von der Stadt Graz eingeladenen ehemaligen Grazerinnen und Grazer aus vielen Ländern.
In der Vorbereitung und Durchführung des Rahmenprogramms anlässlich der Wiedereröffnung wurde die Israelitische Kultusgemeinde Graz tatkräftig von den hiesigen säkularen Institutionen und den christlichen Religionsgemeinschaften unterstützt.

Bitte einige Worte zur Architektur.
Sonnenschein:
Der Neubau soll an den Vorgängerbau erinnern, wobei auch die Größenverhältnisse der alten Synagoge beim Entwurf maßgebend waren. Die geometrischen Grundkörper Würfel und Kugel beschreiben einen Zentralraum und bestimmen damit das äußere Erscheinungsbild, aber auch den Innenraum der neuen Synagoge. Die tragende Konstruktion der verglasten Kuppel besteht aus 12 Stahlsäulen, die die 12 Stämme Israels symbolisieren. Sie sind paarweise durch Bögen verbunden und in der Kuppel im Davidstern vereint. Die Gläser der Kuppel wurden mit hebräischen Texten aus dem Alten Testament (Bücher Mose) bedruckt.
Herzlichen Dank an Frau DI Ingrid Mayr, die nach dem plötzlichen Tod ihres Gatten, der die Fertigstellung der Synagoge nicht mehr erleben konnte, die Arbeit allein weiterführte.

Wie sind die alten Ziegel in die Architektur eingebunden?
Sonnenschein:
Mit den alten Ziegeln wurden die Außenmauern, deren Fundamente 1988 freigelegt wurden, teilweise wieder aufgerichtet. Sie ragen im Norden und Süden 1 m und im Osten 2 m bzw. 5,5 m – als Türme – über das Gelände. Der Abstand zwischen den wiedererrichteten Ziegelmauern und dem hineingestellten, im Grundriss etwas kleineren Neubau ist verglast.
Vielleicht etwas Statistik:
Die ca. 9.600 Stk. Ziegel des alten Gebetshauses wurden im Neubau durch ca. 32.600 Stk. neue Klinkerziegel ergänzt.

Die Nutzflächen sind auf drei Ebenen verteilt. Hat die Synagoge mehrere Nutzungsmöglichten?
Sonnenschein:
Erdgeschoß und Obergeschoß bilden den Sakralraum.
Im Untergeschoß, die Außenwände werden teilweise noch von den alten Mauerresten gebildet – ergänzt sind diese durch neue Ziegelwände – befinden sich, je nach Abtrennung, zwei bis drei Räume für Vorträge und Veranstaltungen. So hat hier zum Beispiel Fritz Muliar zum Thema „Jüdischer Humor“ gelesen, es gab Konzerte mit Sephardischer Musik usw. .

Wie war und ist die Rückmeldung der Mitglieder der Kultusgemeinde bzw. wie wird die Synagoge von Besuchern gesehen? Ich habe gehört es gibt viele Besuche von Gruppen – vor allem auch von Schulklassen.
Sonnenschein:
Vor allem die älteren Mitglieder der Gemeinde waren am Anfang skeptisch, das ist nicht mehr der Fall.
Es gab bis zum Neubau der Synagoge fast kein jüdisches Leben. Wir hatten nur zwei Schulkinder mit hebräischem Religionsunterricht, mittlerweile sind es drei Klassen.
Wir haben uns geöffnet. Bei manchen Veranstaltungen war der Erfolg so unglaublich, dass wir zusperren mussten.
Besucht werden wir laufend. Im Schnitt kommen zwei bis drei Schulklassen pro Tag.
Auf dem Eingangsportal der Synagoge heißt es: „Denn mein Haus wird ein Bethaus für alle Völker sein“ (Jesaja 56/7).

Lassen Sie mich bitte noch eines sagen:
Durch den Bau der Synagoge gibt es, entgegen mancher Bedenken, keinerlei Antisemitismus. Es gibt mit allen Parteien und allen Religionsgemeinschaften eine Basis. Das Grazer Klima ist einzigartig, ein Gutteil davon ist sicher dem ehemaligen Bürgermeister Stingl zu verdanken. Wir werden uns heuer im November an die Feierlichkeiten der Republik Österreich zum Gedenkjahr anschließen. Dazu gibt es bis zum Juni des nächsten Jahres eine Ausstellung, welche im November offiziell durch Bundespräsident Fischer eröffnet wird, und daneben noch ein Rahmenprogramm.

Dieses Interview erschien August/September 2005 im Architekturjournal „Wettbewerbe“. Für die Abdruckgenehmigung dankt die Redaktion!

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