Terezín:
Musik im KZ
Dana GRIGORCEA
Das 60 Kilometer nördlich von Prag gelegene Theresienstadt war
für Zehntausende Häftlinge nur Durchgangsstation zu den Gaskammern von
Auschwitz. Dem NS-Staat aber galt es als sogenanntes Vorzeigelager. Ein reiches
Kulturschaffen, das dort ermöglicht wurde, sollte über das menschenverachtende
System der Nationalsozialisten hinwegtäuschen.
Zunächst aber waren künstlerische Aktivitäten bei Todesstrafe verboten. Erste
Aufführungen fanden daher heimlich in Kellern oder auf Dachböden statt. Gespielt
wurde auf eingeschmuggelten Instrumenten. Ein Cello - zu groß, um nicht
aufzufallen, wurde z.B. in seine Einzelteile zerlegt und vom Cellisten später im
Lager wieder zusammengeleimt.
Ein inzwischen sehr bekanntes Werk, welches in Theresienstadt seine zunächst
heimliche Aufführung erlebte, ist die von Hans Krása 1938 geschriebene
Kinderoper Brundibar. Anna Flachová, damals im Mädchenheim L 410 in
Theresienstadt interniert, erinnert sich daran:
Wir haben die Oper geliebt. Das war so - unsere Kindheit war uns geraubt
worden. Wir mussten schnell ein bisschen reifer werden... Und wir haben das
Kindsein vermisst. In dieser Oper konnten wir singen und Kindsein spielen. Wir
haben uns damals befreit gefühlt. In der Wirklichkeit konnten wir doch gar nicht
kämpfen gegen die Ungerechtigkeit. Aber in der Oper konnten wir kämpfen und den
ungerechten Brundibar, der uns das Geld gestohlen hat, bestrafen. Das hat uns
Hoffnung gegeben...
Geübt wurde Brundibar im Keller - als Begleitinstrument diente mal ein
Klavier, mal nur eine Harmonika. Teilweise stand aber auch ein kleines Orchester
zur Verfügung - immer je nachdem, ob die Musiker bleiben konnten oder plötzlich
in die Transporte gehen mussten.
Viele, die in der Oper Brundibar mitgewirkt haben, haben nicht überlebt.
Insgesamt 55-mal wurde die Kinderoper in Theresienstadt mit großem Erfolg
aufgeführt. Die Musik war wie ein Licht in der Dunkelheit, erzählt Anna Flachová:
Wir kamen immer in die heile Welt. Die Musik hat uns leicht und schön gemacht.
Und wir haben vergessen, dass wir hungrig waren und dass vielleicht ein
Transport auf uns wartete. Dass wir so lebten und assen wie die Tiere. Die Musik
hat uns immer hochgehoben. Ich habe in Theresienstadt auch Die verkaufte Braut
gesehen.
Musik höchster Qualität konnte man in Theresienstadt erleben, denn mit jedem Tag
kamen mehr Menschen in das Ghetto, unter ihnen Schauspieler, Regisseure,
Wissenschaftler und eben Musiker. Einige davon führende Talente ihrer Zeit, wie
z.B. Peter Deutsch, der frühere Dirigent des Königlichen Orchesters Kopenhagen,
Leo Strauss, der Sohn des berühmten Oskar Strauss, Pavel Haas, Viktor Ullmann
oder Hans Krása. Krásas Kinderoper wurde sogar von den Nationalsozialisten als
Propa-gandainstrument missbraucht und zwar in der Filmdokumentation über
Theresienstadt. Anna Flachová weiß noch genau, mit welchem Missbehagen damals
alle Künstler die Bühne betraten: Sie haben doch einen Film gemacht - Hitler
schenkte den Juden eine Stadt und da hat man auch uns aufgefordert, den
Brundibar zu singen. Dort wollte man dem Roten Kreuz und allen Leuten zeigen,
wie schön wir in Theresienstadt leben... Aber alles war Vortäuschung. Ich muss
sagen, dass wir das nicht gerne gemacht haben. Dort saßen SS-Leute auf dem
Balkon... Es war in einem großen Saal, in der Sokolovna. Als wir sie alle
gesehen haben, wollten wir nicht viel singen, aber dann war die Musik schön und
wir haben vergessen, dass die dort sind.
In Theresienstadt wurde aber nicht nur Musik gespielt, sondern auch komponiert.
Leo Strauss schrieb zahlreiche Lieder, unter anderem das Stück Als ob. In
diesem Lied kritisiert er indirekt auch diejenigen in Theresienstadt, die sich
Illusionen über ihre wahre Situation hingaben. Im Text heißt es Man trägt das
schwere Schicksal/ als ob es nicht so schwer/ und spricht von schönrer Zukunft/
als obs schon morgen wär.
Viktor Ullmann schrieb in Theresienstadt viele seiner Werke. Er glaubte an eine
Mission des Menschen und ließ keinen Zweifel daran, dass sie keineswegs bloß
klagend an Babylons Flüssen saßen und dass ihr Kulturwille dem Lebenswillen
adäquat war.
Gerade 21-jährig kam der Pianist Gideon Klein nach Theresienstadt. Er studierte
in Prag und stand kurz davor, ein Stipendium an der Royal Academy in London
anzutreten, als der Krieg seine Pläne durchkreuzte. Sein Streichtrio vollendete
er neun Tage vor seinem Abtransport nach Auschwitz. Denn am 16. Oktober 1944
verstummte fast alle Musik in Theresienstadt.
Der Transport Er 949 brachte unter anderem Pavel Haas, Viktor Ullmann, Gideon
Klein und Hans Krása nach Auschwitz. Ältere Männer, wie Hans Krása wurden direkt
nach der Ankunft in die Gaskammer gebracht.
Musikausübung war auch im Konzentrationslager Auschwitz kein Fremdwort. Dort gab
es vor allem eine von den Nationalsozialisten befohlene Musik. Dr. Gabriele
Knapp promovierte über das Frauenorchester in Auschwitz und stellte sich dabei
zuerst die Frage, warum man im Frauenlager in Auschwitz überhaupt ein Orchester
haben wollte: Also, ich kann nur das, was ich herausgefunden habe anhand der
Interviews mit 7 ehemaligen Musikerinnen sagen, dass es sogenannte
Musikliebhaber unter der SS gab. Eine von denen war die Oberaufseherin des
Frauenlagers, die Maria Mandel, die ja vorher in Ravensbrück gearbeitet hat und
auch berühmt-berüchtigt war auf Grund ihrer Brutalität. Und viele Überlebende
haben das auch nicht zusammenbekommen, wie sie sich angesichts dieser
Privatkonzerte verwandelt hat. Dass man plötzlich menschliche Züge an ihr
erkennen konnte, dass offensichtlich die Musik ihr viel bedeutet hat. Genauso
war es für den Franz Hössler, den Lagerkommandanten des Frauenlagers, der auch
Musikliebhaber war und man muss immer wieder Mengele erwähnen, ohne jetzt ein
Klischee verbreiten zu wollen. Er war ja doppelt promoviert und gebildet und er
machte sich sehr viel aus Musik. Auch später noch als er dann geflohen war und
in Südamerika gelebt hat, gibt es Hinweise, dass er immer wieder Konzerte
besucht hat. Mengele ließ sich auch vorspielen. Es gab ja ein richtiges
Frauenorchester. Es ist makaber, aber erst im Zuge der Verfolgung wurden die
Frauen dann zu diesem Orchester zusammengestellt, wo es vorher eigentlich nur
die Unterhaltungsformationen gab von Frauen. Bei weitem nicht ein aus 30, 40
Frauen bestehendes Orchester.
Dieses Frauenorchester war eine Möglichkeit, unter ganz bizarren Bedingungen am
Leben zu bleiben. Außerdem, so vermutet Gabriele Knapp, eine Art Konkurrenz
unter den Lagerkommandanten. Da die Männerlager jeweils ihr eigenes Orchester
hatten, wollten die vom Frauenlager zeigen, dass sie das auch auf die Beine
stellen können.
So suchten sich die SS-Leute erst einmal junge Frauen zusammen, die überhaupt
ein Instrument spielen konnten. Bei den Appellen, wenn neue Transporte ins Lager
kamen, hat man einfach gefragt, wer ein Instrument spielt.
Die Musikerinnen des Orchesters waren alle besonders aufeinander angewiesen, ein
reibungsloses Zusammenarbeiten, was in einem homogenen Orchesterklang mündete,
war eine Art Lebensversicherung. Dr. Gabriele Knapp erzählt: Um diesen
Orchesterblock herum war... überall Vernichtung. Die Musikerinnen hatten im
Grunde nur einen Aufschub. Sie dachten immer daran, dass sie beim schlechten
spielen in den Tod gehen müssen. Und so war diese Musik einerseits natürlich
eine Chance länger zu leben, aber andererseits unter großer Anstrengung
produziert.
Jeder, der Musik macht, weiß dass man seine Seele in die Musik legt. Aber diese
Musik nun vor den eigenen Mördern spielen zu müssen, machte es notwendig sich in
gewisser Weise emotional abzugrenzen, berichtet Dr. Gabriele Knapp: Wie die
Frauen das überwunden haben, das wissen sie wahrscheinlich bis heute nicht. Es
gibt eine Zeitzeugin, die sagte, dass man das einfach wollen musste. Die Frauen
haben es tatsächlich versucht, sich zusammenzureißen, wenn man das mal so sagen
kann. Es ist mal mehr, mal weniger gelungen. Natürlich gab es im Lager Tränen,
Zusammenbrüche, auch körperlicher Art, weil sie ja einfach chronisch
unterernährt waren. Wenn jemand Flöte spielt und viel Luft braucht, dann kennt
er das Problem, dass man dann in Ohnmacht fällt, wenn man nicht genug im Magen
hat. Also, es gab immer wieder diese Schwächeanfälle und trotzdem war dieser
Überlebenskampf natürlich immer im Hintergrund. Wir wollen überleben und wir
strengen uns an und ganz maßgeblich hat dazu die Dirigentin Alma Rosé
beigetragen, die Erfahrung hatte als Dirigentin und zu jeder einzelnen Frau im
Orchester eine ganz intensive Beziehung aufgebaut hat. Und sie hat uns immer
wieder rangeholt und gesagt, wir müssen, wir müssen, sonst kommen wir vielleicht
auch in die Gaskammer. Und das überliefern eigentlich alle Zeitzeuginnen, dass
Alma Rosé der treibende Motor war.
Die Dirigentin Alma Rosé besaß ein großes psychologisches Geschick. Einerseits
war sie streng, wenn es sein musste, um die Frauen auch zu disziplinieren. Aber
sie hatte auch viel Mitgefühl. Sie hat schwache Frauen, die musikalisch nicht zu
den Stärksten gehörten, aus Mitleid im Orchester behalten. Denn die Musikerinnen
waren mehr oder weniger gut. Einige hatten schon angefangen Musik zu studieren,
waren schon etwas älter, nämlich so Mitte 20. Und dann gab es die begabten
Mädchen, die mit 17 oder 18 nur mit Privatunterricht in das Orchester kamen. Vor
allem Proben bestimmten den Alltag der Orchestermusikerinnen in Auschwitz. Wo
andere mit dem Spaten über der Schulter zur Zwangsarbeit auszogen, so hatten sie
ihre Geige an der Schulter. Dr. Gabriele Knapp: Dadurch, dass sie sehr viel
proben mussten, um den Ansprüchen der SS Leute überhaupt genügen zu können,
wurden sie von dieser reinen Zwangsarbeit - also auf dem Feld im Freien zu
arbeiten, oder Sümpfe trocken zu legen freigestellt. Und ihre Zwangsarbeit
bestand darin, dass sie täglich mindestens 10-12 Stunden zu proben hatten. Was
sich erst mal leicht anhört, aber jeder, der weiß, was es bedeutet, an einem
Instrument intensiv zu üben, weiß, wie anstrengend das ist.
Also von daher hatten sie ein bisschen bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen,
weil sie nicht im Freien bei Wind und Wetter in der Kälte usw. den ganzen
schwierigen Umständen ausgesetzt waren. Der Lageralltag war trotzdem
anstrengend. Sie waren morgens draußen und haben diese Märsche gespielt zu denen
die Zwangsarbeiterinnen dann auch marschieren mussten. Durch die Zählung bei der
Rückkehr sahen die Musikerinnen, wer inzwischen gestorben war und sie mussten
dann fröhliche Wanderlieder spielen. Viele der überlebenden Frauen erzählen,
dass sie sich nicht an die Bilder erinnern können, ohne immer die Musik zu
hören, die sie gemacht haben. Und wenn sie nach 1945 die Musik gehört haben,
dann waren die Bilder sofort vor Augen.
Nach einem anstrengenden Probentag konnte es dann durchaus passieren, dass am
Abend die SS Leute kamen und sich mal schnell ihre Lieblingsmusik anhören
wollten: Die Musikerinnen mussten immer zur Verfügung stehen. Es konnte auch
geschehen, dass mitten in der Nacht jemand in den Block gestürmt kam. Dann hieß
es für die Orchestermusikerinnen, so wie sie waren, raus aus den Betten und
sofort an die Instrumente.
Ebenfalls zu spielen hatte das Orchester, wenn Transporte nach Auschwitz kamen.
Die Musikerinnen standen dann nahe der Rampe, gekleidet mit blauen Faltenröcken
und weißen Blusen und sollten die Menschen beruhigen. Dr. Gabriele Knapp: Es
war schon so, dass das Orchester spielte, wenn die Transportzüge mit den
Deportierten ankamen und die Selektionen an der Rampe stattfanden. Ein Teil
musste dann an dem Orchester vorbeigehen zur Gaskammer. Die Musikerinnen wussten
das natürlich auch. Ich habe mit einer Frau gesprochen, die aus Ungarn kam und
die singen musste, als die Transporte aus Ungarn kamen, im Sommer 1944. Da hat
sie manchmal auch Bekannte erkannt, die an ihr vorbeigegangen sind... Ein Mann,
der im Männerorchester war, hat mir erzählt, dass sie auch in der Gaskammer
Musik machen mussten - und das bei geschlossener Tür. Das war eine Erfindung der
Wächter, die sich darüber amüsierten, dass die Musiker nicht wussten, ob nach
dem Konzert das Gas angeschaltet wird. Das war so ein Experiment: manche Wächter
wollten sehen, ob der Mann vor seinem Tod anders spielt als sonst. Das haben die
Frauen wohl nicht mitmachen müssen.
Musik war Zwang, aber auch Trost und manchmal auch Widerstandshandeln, schreibt
Dr. Gabriele Knapp: Es wird überliefert, dass es manchmal Momente gab, wo sich
die Frauen relativ sicher gefühlt haben oder auch jemanden als Wachposten an die
Tür gestellt haben und mal nur für sich auf den Instrumenten gespielt haben.
Aber nur in kleinen Gruppen, weil Musik natürlich zu hören war. Es gab leider
auch viele Spitzel unter den Gefangenen und die Angst war schon da, dass sie
jemand der SS verrät. Alma Rosé hat also auch heimliche Konzerte für
Mitgefangene gegeben. Beispielsweise hatte sie sehr starke Verbindung zu den
tschechischen Gefangenen im Theresienstädter Familienlager und als einige von
ihnen in die Gaskammern gebracht wurden, hat sie am Vorabend für sie gespielt.
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