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In Santiago lebt die älteste Inselgemeinde :
Jüdisches Leben in Kubas heißem Osten

Bernd Kubisch

Santiago de Cuba - Mancher Tourist in Santiago de Cuba geht achtlos vorbei an der Außenfront des Gebäudes mit schmiedeeisernen Gittern in der Calle Corona Nummer 273. Es ist die Synagoge der kleinen Jüdischen Gemeinde im heißen und dürren Osten der Zuckerinsel. Sie ist standhaft, hat Diktatur und Dekadenz vor Fidel Castros Revolution überlebt und hält auch im Sozialismus mit Erfolg an Traditionen und Prinzipien jüdischen Glaubens fest.

Auf der Stufe vor dem Eingang plaudern zwei Schuljungen. Sie haben an diesem heißen Nachmittag ihre Oberkörper frei gemacht. Alle Häuser hier in der Corona sind eingeschossig. Von außen wirken sie eher klein und unscheinbar. Innen sind sie geräumig, haben einen begrünten, schattigen Hof, wo oft Wäsche hängt. Bei den meisten Gebäuden blättern Putz und Farbe. Haus 273 erhielt unlängst einen frischen Anstrich.
Die Synagoge ist von außen an einem kleinen Bronzeschild mit dem Stern zu erkennen. Unter ihm steht: Sinagoga de Santiago de Cuba - Fundada (gegründet) en Octubre de 1924 - establecida en este local (an diesem Ort eröffnet) 1939. Dann noch ein Hinweis auf die 75-Jahr-Feier: 1924-1999 und 5685-5760 (nach dem jüdischen Kalender). Darunter: Comunidad Hebrea Hatikva.

Jeden Freitagabend wird es lebhaft im Haus 273, auch wenn die Gemeinde seit 37 Jahren keinen eigenen Rabbi mehr hat.
Der letzte war Victor Farin Sarfati, der hier von 1946 bis 1967 wirkte. «Heute kommt ein Rabbi sehr, sehr selten zu uns zur Visite», sagt Eugenia Faria Levy.
Sie ist die Präsidentin der Hatikva-Gemeinde und damit auch verantwortlich für die Finanzen und Kontakte zu jüdischen Gemeinden in Kanada, USA und Israel.

«Jeden Sabbat studieren wir die Tora», sagt die Präsidentin. Zu denen, die sich mit der Tora auskennen, gehört Marcos F. Farin, den seine Glaubensbrüder in der Synagoge mit seinem biblischen Namen, Mordekhi, ansprechen. Er ist 32 Jahre jung und hat sich 1997 bei einem zweimonatigen Israel-Aufenthalt anlässlich der jüdischen Olympischen Spiele, Macabbiah Games, detaillierte Kenntnisse in Theorie und Praxis seines Glaubens angeeignet. «In Israel lernte ich, die Tora zu lesen», sagt der junge Mann beim Rundgang durch die Synagoge. Sein gutes Englisch ist in Kuba eine Seltenheit.

Im Vorraum hängen Bilder mit Motiven von Gelehrten sowie diverse Schrifttafeln. Die Ölgemälde sind von Farin. Er male sehr gern, wie er sagt. Im Betraum stehen gut 30 schwarze Klappstühle. «Wir müssen noch ein paar dazu stellen. An der Wand ist ein Regal mit einer kleinen Bibliothek. Viele Einbände haben hebräische Schriftzeichen. Stolz zeigt der junge Mann auf eine Glasschale: «Das ist Sand aus Jerusalem. Den habe ich damals mitgebracht.» Er öffnet einen Vorhang und holt behutsam aus einem Fach die Tora. Sie ist etwa 200 Jahre alt und stammt aus der Türkei, vermutet die Gemeinde.

Die Juden in Santiago haben alle Hautfarben dieser Welt. Sonnabendvormittag treffen sie sich zu Gebet, Andacht, Gesprächen und anschließender Mahlzeit. «17 Familien gehören heute zu unserer Gemeinde, gut 70 Menschen“, erzählt Farin. Bis zur Revolution lebten etwa 800 bis 1000 Juden im Großraum Santiago.
Die Großeltern von Marcos Farin kamen 1909 aus der Türkei nach Kuba. Sie gehörten zur Fluchtwelle der sefardischen Juden in den Wirren vor dem Ersten Weltkrieg. Während Farin im geräumigen Haus der Familie erzählt, kommt seine Mutter Mathilde vom Einkaufen zurück. Die rundliche Frau strahlt und umarmt den Gast aus Deutschland.
Alle Kubaner sind herzlich zueinander und zu Gästen. Mathilde Farin spricht auch ein wenig englisch und gibt zu verstehen, dass Besuchern, die Interesse an Geschichte und Traditionen der Juden in Santiago haben, Herzen und Türen der Gemeinde offen stehen.

Die Hausherrin erzählt, dass im jüdischen Viertel nahe der Synagoge heute kaum noch Juden wohnen. «Wir sind ja so wenige und leben ein wenig zerstreut.» Synagoge und Wohnung der Farins liegen zentral, nur zehn Minuten von der Kathedrale und dem Hotel «Casa Grande» entfernt, wo Touristen im Café im ersten Stock an Mojito und Daiquiri nippen. Die Farins gehören zur Mittelschicht. Sie haben einen funktionierenden Fernseher und genug zum Essen, aber das Geld für neue Anschaffungen ist äußerst knapp.
Santiago, 1514 von den Spaniern gegründet, war im 16. Jahrhundert Kubas erste Hauptstadt und lange Zeit eine blühende Handelsmetropole mit einem der wichtigsten Häfen der Karibik. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges flüchteten aus Polen aschkenasische Juden nach Kuba und vergrößerten vor allem die Gemeinden in Havanna, aber auch die in Santiago. Bis 1959 lebten etwa 12 000 bis 15 000 Juden auf Kuba. Revolution und Machtübernahme Castros brachte auch die Verstaatlichung vieler jüdischer Unternehmen. Tausende jüdische Familien zogen nach Israel und in die USA. Heute leben auf der Insel noch 1 300 bis 1 500 Kubaner jüdischen Glaubens, davon etwa 1000 in Havanna.

«Unsere Synagoge in Santiago ist die älteste in Kuba. Das ist gewiss», betont Farin Junior, der viele Chroniken studiert hat. Dann spricht er auch über die Gemeinde, die im Oktober 1924 gegründet wurde und als Synagoge zunächst einen gemieteten Raum nutzte. Sie hieß damals «Sociedad Union Israelita de Oriente de Cuba» (Jewish Society of Eastern Cuba). Seit 1939, als das neue Haus in der Corona Straße als Synagoge eingerichtet wurde, steht der Name «Synagoga de Santiago de Cuba» offiziell in den Büchern.
Die Hatikva-Gemeinde erhält Unterstützung aus Kanada und den USA, vor allem von der amerikanisch-jüdischen Organisation Joint Distribution Comittee (Joint).

Diese hat auch ein kleines Büro in Havanna. Der Leiter stammt aus Argentinien. Wohl auch deshalb sind die Kontakte von Santiago zum Joint-Büro nach Buenos Aires so gut.
Mit den Geldern der Organisation kauft die Gemeinde auch die Lebensmittel für die gemeinsamen Mahlzeiten. In der Küche hinter dem kleinen Hof am Ende des Synagogen-Hauses bereiten eifrige Hände Hühnchen, Reis und Bohnen, Blattsalat mit Tomaten und Gurken zu. Dazu gibt es Limonade. Reis und Bohnen gehören zur wichtigsten Nahrung der Kubaner.

Farin ist für Organisation und Einkauf der Lebensmittel verantwortlich. Dafür erhält er ein kleines Salär von der Gemeinde. «Ich muss der Präsidentin genau Rechenschaft ablegen», sagt er.
Dank ausländischer Hilfe kann Hatikva auch die Feiertage Pessach, Rosch Haschana und Jom Kippur in traditionellem Stil begehen. Manchmal kommt ein Rabbi aus Mexiko, den USA oder Großbritannien.

Die Zahl der Juden in Kuba hat sich heute stabilisiert. Einige wenige Familien wandern noch nach Israel und die USA aus. Durch Heirat und häufigen übertritt des Ehepartners zum Judentum wird dies wieder ausgeglichen. Die Reisemöglichkeiten für jüdische Bürger Kubas sind nicht schlecht.
An internationalen jüdischen Kongressen und Sportwettkämpfen nimmt oft auch eine kleine Kuba-Delegation teil.
Marcos Farin schmunzelt, wenn er auf ein kleines Schwarz-Weiß-Foto angesprochen wird, das ihn als Flaggenträger bei den Sportwettkämpfen in Israel zeigt. Außer ihm waren noch zwei junge Frauen aus Havanna dabei. Er sagt: «Das Ereignis war bewegend. Ich traf Juden aus aller Welt.»
Gemeindemitglieder berichten, Fidel Castro und seine Regierung hätte die jüdischen Bürger immer respektvoll behandelt. Keines der Gemeindemitglieder in Santiago, der zweitgrößten Stadt der Insel, sei in der Kommunistischen Partei, wird betont.

Neben der Synagoge hier im Osten gibt es vier im Westen in der 900 Kilometer entfernten Hauptstadt Havanna. Die Synagogen sind in der historischen Altstadt und im zentralen Viertel Vedado. Auch in den Städten Camaguey, Cienfuegos, Guantanamo und Santa Clara existiert jüdisches Leben. Die Kommunikation ist nicht immer einfach, besonders schwer in den Dörfern.
Längst nicht jeder auf Kuba hat ein privates Telefon.
Internet und E-Mail sind schwer zugänglich.

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