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Erwerbsteuer-Schein für den Hausierer David Moses aus Mattersdorf. 1853
 

Gerhard MILCHRAM

Vor uns liegt ein Erwerbsteuer-Schein für den aus Mattersdorf stammenden Hausierer David Moses aus dem Jahr 1853. Ich möchte an Hand dieses Objektes versuchen Ihnen die Welt dieses völlig unbekannten Mannes näher zu bringen. Wir wissen nichts von diesem David Moses, außer den spärlichen Informationen die wir auf diesem Erwerbsteuer-Schein finden. Trotzdem kann uns dieses Objekt, wenn wir nur tief genug nachforschen, einiges über diesen Mann erzählen. Ziel meiner kurzen Präsentation ist es, eine kleine Spekulation über die Lebenswelt und Lebensumstände von David Moses anzustellen und diesem völlig Unbekannten ein wenig Kontur zu geben. 

Wer also könnte David Moses gewesen sein und in welcher Welt hat er gelebt? 

Die Aufschrift auf dem Schein lautet: „Erwerbsteuer-Schein für den jüdischen Hausierer Dawid Moses aus Mattersdorf im Burgenland, dto. Wiener Neustadt, 10. Mai 1853“

Wir erfahren also, dass David Moses Jude war, aus Mattersdorf (dem heutigen Mattersburg) aus dem Komitat Ödenburg (ein Teil davon heute im Burgenland) stammte. Wir erfahren auch, dass er 1853 in der Grenzstadt Wiener Neustadt dem Hausierhandel nachging und für diese Tätigkeit einen Erwerbsteuer-Schein der dortigen Behörde benötigte um seinen Beruf ausüben zu können.

Diese jüdische Gemeinde war eine der ältesten auf dem Gebiet des heutigen Burgenlandes und war Teil der sogenannten „Schewa Kehilot“ (Siebengemeinden). Um 1848 wohnten rund 1.500 Juden in diesem Ort, was ungefähr einem Drittel der Gesamtbevölkerung entsprach. Die Siebengemeinden und mit ihnen Mattersdorf waren eines der Zentren der ungarischen Orthodoxie, die in der Tradition des Rabbi Mosche Schreiber (Chatam Sofer) 1762 – 1839 aus Pressburg, eine geistige Elite für das gesamte österreichische und ungarische Judentum heranbildeten. Mosche Schreiber war sogar für kurze Zeit Rabbiner in Mattersdorf gewesen. Sein Sohn Schimon Sofer hatte diese Position dann von 1842 – 1857 inne, (1857 Rabbiner in  Pápa, 1880 in Krakau) und gehörte ab 1878 dem österreichischen Reichsrat an. Es ist also wahrscheinlich, dass David Moses Schimon Sofer kannte und seine Predigten in der Synagoge hörte. Diese Bindungen an die Pressburger Orthodoxie beeinflussten nicht nur das religiöse, sondern auch das kulturelle Leben der sieben Gemeinden. Dies spiegelte sich auch an einem besonders strengen Festhalten an den althergebrachten Traditionen im religiösen und gesellschaftlichen Bereich wider. Dennoch brachten gerade die jüdischen Gemeinden des Burgenlandes ein eigenes Konzept in der mitteleuropäischen jüdischen Orthodoxie hervor.

Ein besonderes Anliegen der burgenländischen Gemeinden war der Unterricht in den Schulen. Der Lehrplan beinhaltete ein beschränktes Allgemeinwissen, wie Deutsch und Rechnen, beinhaltete jedoch keine naturwissenschaftlichen Fächer. Im Rahmen der hebräischen Fächer wurden Bibelkunde und hebräische Grammatik gelehrt. Der Lehrplan setzte die Fächer wechselweise an, ohne der weltlichen Ausbildung den Vorrang zu geben. Besonders hervorgehoben werden muss, dass sich die Mattersdorfer Gemeinde 1835 dazu verpflichtete, allen Kindern von Armen den Deutschunterricht in der Normalschule zu ermöglichen, und dass auch Mädchen einen geordneten Grundschulunterricht erhielten. Dies war sicherlich ein nicht unwesentlicher Vorteil für Dawid Moses. Die Schulbildung die er genoss war für seine Zeit und vor allem seine soziale Schicht, insbesondere im Vergleich zu seiner christlichen Umgebung, ganz ausgezeichnet. Zwar stand auch für ihn die religiöse Bildung im Vordergrund, dennoch wird ihm der Deutsch- und Rechenunterricht wesentliche Fertigkeiten für seine spätere Berufsausübung vermittelt haben. Dies wurde auch ausdrücklich als Ziel der Schule genannt: "Der Zweck des Unterrichts ist, die Kinder in dem Stande und Berufe, für welchen sie bestimmt sind, brauchbar und nützlich zu machen [...] Durch diesen Unterricht will man dem Kinde Kenntnisse und Fertigkeiten mittheilen und zunächst auf sein Bildungsvermögen wirken [...]”. Ein Grossteil der Gemeindemitglieder war wie David Moses Hausierer, die meiste Zeit waren die Männer unterwegs, um durch ihre Tätigkeit den Familien ein zumindest bescheidenes Einkommen zu bieten. Auch die ständige Abwesenheit der Männer war ein Grund gewesen die Schule in Mattersdorf zu errichten. "Die Kinder sind in dieser Welt eine Herde ohne Hirten; ihre Väter müssen in der Ferne weilen, um den Lebensunterhalt ihrer Familien sicherstellen zu können, und ihre Berufsausübung lässt ihnen nicht genug Zeit für die Erziehung ihrer Kinder. In Anbetracht dieser Tatsache ist diese Lehranstalt errichtet worden.” Wie lange David Moses die Schule in Mattersdorf besuchte, entzieht sich natürlich unserer Kenntnis. Die Ausbildung in der Grundschule endete üblicherweise in einem Alter von 13 Jahren, also dem Zeitpunkt der Bar Mitzwa, ab dem ein Knabe im religiösen Sinne als erwachsen gilt. Aufgrund seines Berufes als Hausierer ist eine weitere Ausbildung in einer Jeschiwa auszuschließen.

Die Juden von Mattersdorf hatten im 19. Jahrhundert mit den benachbarten Städten Ödenburg und Wiener Neustadt Verträge abgeschlossen, die es ihnen gegen die Zahlung von Gebühren erlaubten in den beiden Städten Handel zu treiben. Prinzipiell war es Juden ja verboten sich in Niederösterreich aufzuhalten, außer sie besaßen Sondergenehmigungen oder waren finanzkräftig genug Gewerbe- oder Industriebetriebe zu errichten, in diesem Fall konnten sie sogar ihren Wohnsitz in Niederösterreich nehmen. Die Möglichkeit für kleine Händler oder Hausierer sich tatsächlich an den Orten der Geschäftstätigkeit anzusiedeln war vor 1848 nicht gegeben Max Pollak berichtete in seiner Geschichte der Juden von Wiener Neustadt:  "[...] es ist aber sicher, daß in Wiener Neustadt bis zum Jahr 1848 kein einziger Jude wohnte. Nach Mittheilungen alter Leute durfte noch in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in Wiener Neustadt kein Jude über Nacht verweilen. Bei Tage kamen wohl einige in die Stadt, mußten dieselbe aber abends verlassen und auf ungarischem Boden in dem einer halben Stunde von Wiener Neustadt entfernten Neudörfl ihr müdes Haupt zur Ruhe legen."

Zu diesen Kleinhändlern gehörte auch David Moses, der offenbar recht häufig über die Leitha nach Wiener Neustadt einpendelte, um hier durch seine Hausiertätigkeit ein bescheidenes Einkommen zu finden. Trotz der Verbote sich in Niederösterreich niederzulassen war es für diese Kleinhändler offenbar lohnend, immer wieder zu versuchen sich länger in diesem Gebiet aufzuhalten, vor allem wenn die Grenze weiter entfernt war. So beklagte zum Beispiel ein Dekret 1832 im Bezirk Krems: „daß die Anordnung der §§ 7 und 11 des Juden Toleranz-Patents vom Jahre 1782, welche den Israeliten den Aufenthalt und den Handel auf dem flachen Lande in N.Östreich verbiethen, nicht strenge genug gehandhabet werde, ja sogar ungeachtet mehrfacher Erneuerung, in Vergessenheit gerathen zu seyn scheinen, so fand sich diese hohe Stelle bestimmt, mit Dekrete (...) diese Anordnung neuerlich in Erinnerung zu bringen, und es wird (...) die strengste Handhabung der erwähnten Verbothe nach der in jener Verordnung gegebenen Andeutungen zur Pflicht gemacht."

Auch in einer Geschichte der Juden Klosterneuburgs, geschrieben vom Kultusvorsteher der Gemeinde Hermann Erber, findet sich der Hinweis, dass sich dort vor 1848 Juden illegal als sogenannte ”Dorfgänger” aufhielten. Allerdings sollen sie von der Klosterneuburger Bevölkerung vor der Ausweisung durch die Polizei versteckt worden sein. Der jüdische Hausierhandel scheint also eine für die Bevölkerung wichtige Wirtschaftstätigkeit dargestellt zu haben, sodass auch die christliche Bevölkerung die Umgehung dieser Bestimmungen des Toleranzpatentes manchmal in Kauf nahm, da ihnen dies offensichtlich wirtschaftliche Vorteile einbrachte. Für den Bereich des südlichen Niederösterreich sind mir solche Dokumente nicht bekannt. Da die südwest-ungarischen (burgenländischen) jüdischen Gemeinden in unmittelbarer Nähe lagen und Wiener Neustadt zunehmend als Industriestandorte eine Rolle zu spielen begann, spricht aber vieles dafür, dass wir uns für diesen Bereich eine ähnliche Situation vorstellen dürfen.

Der Handel mit Waren, im Umherziehen von Ort zu Ort und von Haus zu Haus, ohne bestimmte Verkaufsstelle, so war der Hausierhandel im österreichischen Gesetz definiert, war mit zahlreichen Beschränkungen belegt, die Händlern wie David Moses zusätzliche Hemmnisse auferlegten. So waren prinzipiell nur österreichische Staatsbürger, die älter als 30 Jahre waren zur Ausübung dieses Handels berechtigt. Dies ist auch ein erster Hinweis auf das Alter von David Moses, der damit zumindest älter als 30 gewesen sein muss. Die Bestimmung, dass nur österreichische Staatsbürger den Handel ausüben dürfen, ist in seinem Fall nicht wesentlich, da die Gemeinde Mattersdorf, wie oben erwähnt, ja gegen Gebühr einen Vertrag mit der Stadt Wiener Neustadt geschlossen hatte. Zur Ausübung seines Berufes benötigte David Moses einen Hausierpass, der für ein Jahr gültig war und für den er jeweils um eine Verlängerung ansuchen musste. An allen Orten wo ein Hausierer seinen Handel betreiben wollte, musste der Pass der Polizei vorgelegt werden; bei dem Übertritt von einem Kronland in das andere musste das Dokument zusätzlich bei einer Kreisbehörde gezeigt werden. Weiters waren zusätzlich noch eine große Anzahl von Waren vom Hausierhandel ausgeschlossen und auch der Transport der Waren mit Lasttieren oder bespannten Wagen verboten. David Moses war in seiner gewerblichen Tätigkeit also durch eine Vielzahl von Bestimmungen gehemmt. Tatsächlich handelten die ungarischen (burgenländischen) Juden mit Waren aller Art, Kleidern, Altkleidern und vereinzelt auch mit Vieh.

Sie sehen also, dass man mit diesen Basisinformationen aus unserem Objekt doch einiges über das Leben von David Moses aussagen kann. Vieles muss natürlich im Dunkeln bleiben, dennoch war es uns möglich eine kleine Geschichte dieses Mannes zu schreiben.

Literatur:

Beiträge zur Geschichte der Juden im Burgenland. Hrsg. von Schlome Spitzer; Wien 1995

Hermann Erber, Aus der Geschichte der Juden in Klosterneuburg. In: Jüdisches Archiv. Zeitschrift für jüdisches Museal und Buchwesen, Geschichte, Volkskunde und Familienforschung. Hrsg. von Leopold Moses, Nissan/Ijar 5688 April/Mai 1928.

Gerhard Milchram, Heilige Gemeinde Neunkirchen. Eine jüdische Heimatgeschichte. Wien 2000.

Fritz P. Hodik, Beiträge zur Geschichte der Mattersdorfer Judengemeinde im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. (= Burgenländische Forschungen. Hrsg. vom Burgenländischen Landesarchiv. Heft 65) Eisenstadt 1975.

Jüdisches Museum Wien, Slg. Max Berger. Inv. Nr. 8039. Circulare von dem k.k. Kreisamte des V.D.M.B. Krems 2. April 1832.

Sándor Holbok, Jüdische Kindheit zwischen Tradition und Assimilation. In: Sabine Hödl, Martha Keil (Hrsg.), Die jüdische Familie in Geschichte und Gegenwart. Berlin, Bodenheim bei Mainz 1999.

Max Pollak, Die Juden in Wiener Neustadt. Ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Österreich. Wien 1927.

Milka Zalmon, Kulturelle Wechselbeziehungen in den "Siebengemeinden". In: Beiträge zur Geschichte der Juden im Burgenland. Hrsg. von Shlomo Spitzer, Wien 1995.
 

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