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In der weißen Stadt am Meer:
Disengoff Nr. 99

Daniela SEGENREICH

An dieser Tel-Aviver Adresse befindet sich das “Bauhaus-Zentrum”, dessen Betreiber, Micha und Schulamit Gross, es sich zur Aufgabe gemacht haben, das architektonische Erbe der “weißen Stadt” ins rechte Licht zu rücken und das funktionelle Design der Bauhaus-Schule zu foerdern.

“Very good, very famous”, dokumentiert ein amerikanischer Tourist zufrieden die schwarz-weiße Porzellan-Miniatur eines Tel Aviver Bauhaus-Gebäudes, die er soeben erstanden hat. Er scheint mit seinem Wissen eher zu einer Minderheit der Galerie-Besucher zu gehören. “Viele Kunden kaufen eine Menge ein und fragen dann: ‘Was ist eigentlich Bauhaus?’”, erzählt Schulamit Gross, waehrend sie die kleine Skulptur kunstvoll verpackt.


Aufgestocktes Haus

Der Bauhaus-Stil, später auch Internationaler Stil genannt, entstand ursprünglich in den 20er Jahren in der Kunstgewerbeschule in Dessau und strebte nach der Wiedervereinigung von Handwerk und Kunst. Die Form sollte nüchtern der Funktion folgen, Ornament war, ganz im Sinne des Wiener Architekten Adolf Loos, verpönt. Man wollte eine neue, bessere Gesellschaft erschaffen, in der der Wohlstand gerechter verteilt wäre, deren Wohnhäuser in den neuesten Materialien und nach modernstem Design erbaut waren, viel Licht und Luft einließen und ein gesünderes, moderneres Leben ermöglichten.

Die verschiedenen Einwanderungswellen in den 30er und 40er Jahren brachten diese Ideen mit nach Palästina, wo sie auf besonders fruchtbaren Boden fielen, denn auch hier wollte man eine neue Gesellschaft gründen, die alles Bürgerliche, Verschnörkselte und Verwinkelte hinter sich ließ. Das rasant wachsende Tel-Aviv sollte die erste moderne jüdische Stadt werden, hier konnten sich Architekten aus Europa, wie Erich Mendelsohn, Josef Neufeld und Leopold Krakauer austoben. Nach dem Vorbild der guten europäischen Avant Garde, allen voran, Le Corbusier und Walter Gropius, entstanden in Tel Aviv Bauten in kubischen Formen, deren einzige Dekoration sich aus dem Spiel der in vertikalen und horizontalen Linien angeordneten Fenster- und Balkonöffnungen ergab. Das waren keine traditionellen Häuser mit Spitzdach und Schornstein mehr, sondern große, abstrakte Strassenskulpturen, die bewohnt wurden. Die oft rund gestalteten Terrassen mit den Brüstungen aus Stahlrohren bildeten einen Kontrapunkt zu den übrigen kantigen Formen. Typisch waren auch die vertikalen Fensterleisten der Stiegenhäuser oder die runden, an Schiffsluken erinnernden, Fenster oberhalb der Eingangstuer. Natürlich musste die Bauart dem heißen Klima angepasst werden: Die großen Glastüren und Fenster wurden verkleinert, dafür wurden überall Balkone hinzugefügt.


Häuserminiaturen

Was so in den 30er und 40er Jahren in Tel Aviv entstanden ist, versetzt heute viele Architektur-Historiker in Staunen. Hier konnte auf dem Gebiet der Architektur das weitergeführt werden, was in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern von den Nazis gewaltsam unterbrochen worden war. So entstand ein Schatz von über tausend in homogenem Stil errichteten Häusern – weltweit die größte Konzentration von Bauhaus-Architektur. Sie wurden im letzten Jahr von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt.

Leider befinden sich viele dieser Prunkstücke teils aus Geldmangel, teils aus Unwissenheit um ihren Wert, in einem erbärmlichen Erhaltungszustand. Die Balkons werden oft mit den typisch israelischen Plastikjalousien geschlossen, um die Sonne auszusperren und mehr Innenraum zu gewinnen. Und die klaren Linien der Fensterreihen werden immer wieder durch in die Wand geschlagene Klimaanlagen verschandelt. Durch die feuchte, salzhaltige Luft in der Küstenmetropole ist der einst weiße Verputz vieler Häuser dunkelgrau oder gar ganz abgeblättert.

Immerhin wurden in der letzten Dekade doch einige dieser Bauten renoviert. Die finanzielle Bürde fällt in jedem Fall auf die Besitzer des Hauses, beziehungsweise der Wohnungen. “Als Lösung für dieses Problem werden oft noch zwei Stockwerke dazugebaut, um durch den Verkauf der zusätzlichen Wohnungen die Renovierungsarbeiten zu bezahlen”, erklärt Shulamit Groß. Auf diese Weise entstanden in Tel Aviv viele fünf-stöckige Bauhaus-Häuser, deren Aufstockung im Allgemeinen recht dezent und dem Stil angepasst ist.


Chanukkia und Sevivonim

Schlomit und Micha Gross haben ihr “Bauhaus-Zentrum” vor fünf Jahren gegründet und wollten damit ihren Teil zur Bewusstmachung und Erhaltung des speziellen Charakters der Stadt beitragen. Micha, ein gebürtiger Schweizer, ist eigentlich Psychologe und arbeitet hauptberuflich als Spezialist für Schlafstörungen, während Schlomit die Galerie leitet. Sie ist ursprünglich Fremdenführerin und begann ihre Liebesaffäre mit dem Tel Aviver Bauhaus durch ihre Stadtführungen.

Das Bauhaus-Zentrum ist in verschieden Bereiche geteilt: Im Halbstock gibt es immer eine aktuelle Ausstellung zum Thema Architektur, Tel Aviv oder Bauhaus. Diesmal ist es eine kleine Fotoshow, die Bauhaus-Gebäude des Architekten Marcel Janko in Rumänien zeigt. Marcel Janko (1895-1984) ist in Israel als Maler und als Mitbegründer des Künstlerdorfes Ein Hod berühmt. Dass er in seiner Heimatstadt Bukarest Architekt war, ist wenigen bekannt. Die Häuser, die er in den 20er und 30er Jahren entworfen hat, sehen sehr ähnlich aus, wie jene, die einen Grossteil des Zentrums von Tel Aviv ausmachen und sind leider ebenso vernachlässigt. Im Dezember sollen hier Illustrationen von Sali Ariel gezeigt werden, die bereits renovierte Häuser in Tel Aviv abbilden.

Im Erdgeschoss befindet sich die Bibliothek, in der neben antiquarischen Schmöckern, alten Karten und Postern, eine Menge an modernen Kunst- und Designbüchern zu finden sind. Und sogar Kinderbücher gibt es hier, wenn sie irgendwie zum Thema passen, wie zum Beispiel das Büchlein vom Äffchen “Kofiko”, das in wunderschönen Illustrationen zeigt, wie Kofiko mit einem Hubschrauber über Tel-Aviv fliegt. Hier kann man unter anderem sehen, wie der Disengoff-Platz vor seiner Umgestaltung in den 70er Jahren ausgesehen hat.

Im hinteren Teil des Lokals wurde ein Gasos-Stand nachgebaut, an dem es neben den Gasos-und Sodawasserflaschenflaschen auch eine echte alte Orangenpresse gibt. An solchen Staenden konnten sich die Tel-Aviver lange vor der Aera der Arc- und Starbucks-Cafes mit kühlen Sprudelgetränken erfrischen. Den übrigen Teil der Galerie bildet die Verkaufsausstellung, die modernes Design von israelischen Künstlern anbietet. Die Objekte sind, ganz im Sinne der Bauhaus-Schule, funktionell und in klaren Formen gehalten. Manche Stücke verfremden die Graphik aus der Zeit vor der Staatsgründung, wie zum Beispiel die mit alten Drucken und Zeitungen beklebten Kochlöffel oder die Uhr auf dem Hintergrund eines Fotoportraits von Herzl. Da gibt es auch Vasen aus alten Tnuva-Milch-Packungen, eine aus einem Reibeisen fabrizierte Lampe und eine ganze Stadt aus Porzellan-Miniaturen, die den Tel Aviver Häusern genau nachempfunden sind. Besonders originell sind die Savivonim und die modularen Chanukkiot aus verschiedenfarbigen Metallen von Adi Siedler, bei denen die Kerzenhalter entweder mittels Magneten beliebig angeordnet oder mit Hilfe von einfachen Mechanismen verschoben werden können.

Wer sein Wissen über das Tel Aviver Bauhaus weiter vertiefen oder an einer geführten Tour in Tel Aviv teilnehmen will, ist an dieser Adresse genau richtig: www.bauhaus-center.com.

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